NOTARZT 2010; 26(5): 219-220
DOI: 10.1055/s-0030-1248523
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Das Vollbad”

L.  Nibbe1 , F.  Martens1
  • 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (komm. Direktoren: Prof. Dr. A. Jörres und Prof. Dr. R. Schindler)
Further Information

Publication History

Publication Date:
06 October 2010 (online)

Der Fall

Notarzt und Rettungsassistenten werden unter dem Stichwort „Plötzliche Bewusstlosigkeit” in eine Wohnung gerufen, wo ein Mann seine 43-jährige Lebensgefährtin bewusstlos in der mit Wasser gefüllten Badewanne vorgefunden hatte. Die Patientin hatte tastbaren Puls, die Haut war rosig und sie atmete sichtbar. Sie reagierte nicht auf Ansprache; leichte Schmerzreize führten zu knurrenden Lautäußerungen und diskreter Schmerzmimik. An beiden Unterarmen fanden sich quere Hautschnitte geringer Tiefe, die bereits nicht mehr bluteten. Nach Ablassen des Badewassers wurde die Patientin auf die inzwischen bereitgestellte Trage gelagert, mit 2 Venenverweilkanülen versorgt und erhielt darüber bei einem Blutdruck von 120 / 80 und einer Herzfrequenz von 80 / min eine Infusion mit Vollelektrolytlösung. Da der Lebensgefährte außer langjährigen Depressionen und wiederholten Suizidversuchen sowie einem mehrseitigen Abschiedsbrief mit der Überschrift „Ich kann nicht mehr!”, den er auf dem Küchentisch entdeckt hatte, nichts zur aktuellen Vorgeschichte beitragen konnte, wurden die Rettungsassistenten auf die Suche nach etwaigen Medikamentenschachteln o. Ä. geschickt. Sie wurden nach kurzer Zeit im Nachttisch der Patientin fündig und zeigten eine leere Kunststoffdose von Tavor® (Lorazepam) 1 mg, die ursprünglich 50 Tabletten enthalten hatte und leere Blister von ursprünglich 100 Tabletten Seroquel® 100 (Quetiazepin).

In Kenntnis dieser Indizien für eine Vergiftung mit Benzodiazepin und einem atypischen Neuroleptikum verabreichte der Notarzt titrierend insgesamt 0,5 mg Flumazenil. Darunter erwachte die Patientin, antwortete jedoch nicht auf Fragen und schlief nach einigen Minuten wieder ein.

Zur weiteren Überwachung wurde sie dann in die nahe gelegene Universitätsklinik auf die Intensivstation transportiert.

Dort stellte sich die klinische Situation ähnlich wie am Einsatzort dar: Alle Vitalparameter blieben in den Folgestunden stabil, lediglich die pulsoxymetrische Sättigung unterschritt wiederholt die 90 %-Marke. Wurde die Patientin dann gerüttelt, erwachte sie und atmete wieder deutlich tiefer. Daher entschlossen sich die behandelnden Ärzte, Flumazenil als Dauerinfusion in einer Dosis von 0,25 mg / h zu verabreichen. Sechzehn Stunden nach Einlieferung ins Krankenhaus wurde die Patientin der Psychiaterin vorgestellt, die aber keine vollständige Exploration vornehmen konnte, da noch eine deutliche Vigilanzminderung vorlag. Erst am Folgetag gelang dies ausreichend mit dem Ergebnis noch bestehender Suizidalität bei schwerer Depression als Grunderkrankung mit der Empfehlung der Einweisung in die geschlossene Psychiatrie.

Die bei Krankenhausaufnahme zur toxikologischen Analyse gesandten Blutproben hatten 13–19-fach über dem therapeutischen Bereich liegende Konzentrationen von Lorazepam und 3–16-fach erhöhte Konzentrationen von Quetiapin ergeben.

Literatur

  • 1 Isbister G K, Duffull S B. Quetiapine overdose: predicting intubation, duration of ventilation, cardiac monitoring and the effect of activated charcoal.  Int Clin Psychopharmacol. 2009;  24 174-180
  • 2 Tan H H, Hoppe J, Heard K. A systematic review of cardiovascular effects following atypical antipsychotic medication overdose.  Am J Emerg Med. 2009;  27 607-616

PD Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de

    >