DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2010; 8(03): 35
DOI: 10.1055/s-0030-1249138
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Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Was sind eigentlich... Viszera?

Peter Wührl
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Peter Wührl

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Publication Date:
20 July 2010 (online)

 

    In der Osteopathie wird der Begriff Viszera im engeren Sinne für Hohlorgane und im weiteren Sinne für innere Organe verwendet. Meist erfolgt heute keine klare Unterscheidung mehr zwischen Viszera und inneren Organen.


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    Das Wort Organ lässt alles offen. Ein inneres Organ kann sowohl Drüse, Darm, Herz, Niere als auch Gehirn sein. Hohlorgane wären nur jene, die sich aus dem embryonalen Darmrohr entwickeln, also Verdauungstrakt, Atemwege und urogenitale Hohlorgane (Ureter, Blase, Uterus).

    Wird der Gesichtsschädel als Viszerokranium bezeichnet, verweist dies auf den Anteil des Hohlorgans Kopfdarm (embryonale Viszeralbögen) an der Entwicklung des Gesichts. Im Viszerokranium finden wir zudem Knochen, die Höhlen bilden. Doch werden pneumatisierte Knochen meist nicht als äußere Hohlorgane bezeichnet, obwohl die Innenräume der Nasennebenhöhlen durch eine sich einstülpende Schleimhaut ausgekleidet sind.

    In der Schulmedizin wird weiterhin zwischen Organ und Viszera differenziert. In vielen europäischen Krankenhäusern gibt es eine Abteilung für Viszeralchirurgie. Die Zeitschrift für Viszeralmedizin wird im Englischen nicht als Organmedizin, sondern als gastrointestinale Medizin geführt. Und wenn der bedeutende deutsche Anatom und Chirurg Friedrich Stelzner ein Buch über viszerale Abschlusssysteme verfasst, ist klar, dass er über Hohlorgane des Verdauungstrakts schreibt.

    In der Osteopathie ist die Unterscheidung zwischen innerem Organ und (singulärem) Viscus weitgehend verloren gegangen und damit die Wertschätzung der biomechanischen Besonderheit von Hohlorganen sowie ihrer einzigartigen Gewebeschicht, der Schleimhaut.

    Dabei wäre es funktionell sinnvoll, Hohlorgane als eigene Gruppe benennen zu können, denn sie weisen wichtige Gemeinsamkeiten auf. Alle zeigen (mit lokalen Abwandlungen) einen ähnlichen Aufbau: Hohlraum, Mukosaschicht und Muskelschicht. Biomechanisch haben wir es deshalb mit funktionellen Volumen- und Druckschwankungen, Bewegung (Peristaltik) und (An-)Spannung sowie mit Austauschprozessen zwischen intra- und extrakorporalem Raum zu tun.

    Zudem wissen wir seit geraumer Zeit, dass das Mukosa-assozierte lymphatische Gewebe aller Hohlorgane (von der Tuba auditiva über die Bronchien bis zum Anus) immunologisch verbunden ist.

    Umgekehrt wären Volumenschwankungen viszeraler (hohlorganischer) Größenordnung dem Organ Gehirn ebenso wenig zuträglich wie endometriotische Schleimhautstreuungen.

    Online zu finden unter: www.dx.doi.org/10.1055/s-0030-1249138


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    Peter Wührl