Suchttherapie 2010; 11(1): 3-4
DOI: 10.1055/s-0030-1249754
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Für Sie gefragt – Mechthild Dyckmans, neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung

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Publication Date:
09 March 2010 (online)

 

? Frau Dyckmans, unsere Glückwünsche zu Ihrem Amtsantritt als Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Wie müssen wir uns eine Einarbeitung in dieses für Sie neue Aufgabengebiet vorstellen?

Zur Drogen- und Suchtpolitik hatte ich auch schon in der letzten Legislaturperiode einige Berührungspunkte, allerdings mehr aus rechtlicher Sicht. Ich habe u.a. den Glücksspielstaatsvertrag und das Nichtraucherschutzgesetz mit begleitet. Und das alles kann man nur machen, wenn man sich auch mit den Hintergründen auseinandersetzt. Aber sie haben natürlich Recht, es ist für mich ein neues Gebiet und ich arbeite mich noch in die einzelnen Themengebiete ein. Ich treffe mich mit vielen Akteuren aus sehr unterschiedlichen Bereichen - der Suchtberatung, der Suchthilfe, den Fachverbänden, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, mit den Landessuchtbeauftragten, mit den Verantwortlichen der polizeilichen Kriminalprävention, aber natürlich auch mit der Wirtschaft, dem Einzelhandel, den Tankstellenverbänden usw. Kurz gesagt: Es gibt im Moment sehr viel Gesprächs- und Lesearbeit.

? Welche neuen Akzente wollen Sie in der Suchtpolitik setzen und welche Schwerpunkte Ihrer Amtsvorgängerin Frau Bätzing werden Sie fortsetzen?

Der Hauptakzent, den wir als Bundesregierung im Bereich der Gesundheitspolitik setzen, ist der der Prävention. Wir sind eine Gesellschaft, die immer älter wird und da ist es besonders wichtig, dass man zu einem neuen Gesundheitsbewusstsein kommt und entsprechende Vorsorge trifft, damit man auch im Alter noch gesund leben kann. Das gilt auch für die Suchtpolitik. Auch hier spielt die Prävention eine entscheidende Rolle. Ein großes Problem ist das Rauschtrinken von Kindern und Jugendlichen. Hier wird besonders in diesem Jahr ein wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit liegen.

? Sie haben gerade davon gesprochen, dass der prozen-tuale Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung zunehmen wird. Ist "Sucht im Alter" für Sie ein Thema?

Gerade bei älteren Frauen sehe ich die große Gefahr des Medikamentenmissbrauchs. Viele Menschen glauben, dass sich altersbedingte Probleme einfach mit Medikamenten abwenden lassen. Medikamentenmissbrauch ist aber nicht nur ein Problem der älteren Menschen, sondern auch und gerade von jungen Leuten, die glauben, leistungsfördernde Mittel nehmen zu müssen, sei es im Freizeitbereich oder am Arbeitsplatz. Das sind Bereiche, wo Gesundheitsgefahren drohen und noch sehr viel Aufklärungsarbeit betrieben werden muss.

? Das Angebot an Substanzen mit Missbrauchs- und Suchtpotenzial ist vielfältig und deren Konsum unterliegt auch gewissen "Moden". Können Sie sich ein generelles Werbeverbot für Alkohol und Tabakwaren vorstellen?

Im Tabakbereich haben wir schon sehr weitgehende Werbeverbote. Werbung ist Teil der gesellschaftlichen Realität, insbesondere in der Wirtschaft. Erwachsene können in der Regel auch mit Werbung umgehen. Etwas anders ist es natürlich bei Kindern und Jugendlichen. Deshalb gibt es die Selbstverpflichtung der deutschen Werbewirtschaft, dass sich Alkoholwerbung nicht an Kinder oder Jugendliche richten darf, dass keine Kinder und Jugendlichen gezeigt werden dürfen usw. Dies muss natürlich auch kontrolliert werden. Seit dem letzten Jahr gibt es für Firmen die Möglichkeit, vorab vom Deutschen Werberat überprüfen zu lassen, ob ihre Werbung den Selbstverpflichtungsrichtlinien entspricht. Ich bin optimistisch, dass sich das bewähren wird.

? Für Kinder ist die Werbung auch ein Medium, sich darüber zu informieren, was es Neues auf dem Markt gibt, auch wenn es um Süßigkeiten oder Spiele geht. Muss man Kinder anders sensibilisieren?

Die Eltern spielen in dem gesamten Werbebereich eine entscheidende Rolle. Eltern müssen Vorbild sein. Eltern müssen mit den Kindern reden, müssen ihnen erklären, was Werbung bedeutet, aber auch, was Alkoholkonsum für sie bedeutet und wie man damit umgeht. All das sind Aufgaben, die die Eltern wahrnehmen müssen. Hier sehe ich noch Aufklärungsbedarf, um Erwachsenen grundsätzlich bewusst zu machen, wie gesundheitsgefährdend Alkohol für Kinder und Jugendliche ist.

? Wir haben einen gewissen Probierkonsum in jüngeren Jahren, was nicht immer bedeutet, dass dies gleich auch zu einem Missbrauch oder einer Abhängigkeit führt.

Das ist richtig, aber ich würde den Eltern den Rat geben – und so habe ich es auch bei meinen Kindern gemacht – klare Regeln zu setzen. Alkohol ist für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren tabu und Spirituosen für 16- bis 18-Jährige. Es sollte ein Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern bestehen, damit Kinder erzählen können, wenn sie Alkohol probiert haben. Das sollte dann zum Anlass genommen werden zu erklären, warum diese Verbote gesetzt wurden. Kinder brauchen diese Orientierung.

? Der Gebrauch von Cannabis ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Halten Sie es für möglich, dass Cannabis in Deutschland in naher Zukunft als Medikament zugelassen werden wird?

Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, Cannabis zu legalisieren. Ich werde natürlich auch gefragt, warum Alkohol und Tabak, die auch Gefahren in sich bergen, legal konsumiert werden dürfen und Cannabis nicht. Cannabis ist nicht ungefährlich und es macht keinen Sinn, ein weiteres gesundheitsgefährdendes Suchtmittel zuzulassen. Etwas ganz anderes ist natürlich die Frage nach der Zulassung von Cannabis als Medikament. Deshalb wird auch genau geprüft, inwieweit Cannabis als Arzneimittel zur medizinischen Anwendung bei schweren Erkrankungen kommen kann, was durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geprüft wird. Wenn die Wirksamkeit nachgewiesen ist und eine Zulassung als Medikament erfolgt ist, kann es auch durch Ärzte verschrieben werden.

? Im vergangenen Jahr hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz beschlossen, das die rechtlichen Voraussetzungen für die Überführung der diamorphingestützten Behandlung in die Regelversorgung schafft. Werden Sie diesen Weg weiter mitgehen?

Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Legislaturperiode das Gesetz verabschiedet und daran halten wir auch fest. Es geht jetzt um die Umsetzung, was hauptsächlich Ländersache ist. Die Länder und Kommunen müssen die entsprechenden Einrichtungen bereitstellen. Neben den Ländern und Städten, in denen das Modellprojekt bereits durchgeführt wurde, sind auch weitere Bundesländer interessiert, entsprechende Behandungseinrichtungen zu schaffen.

? Um neue Ansätze in der Sucht-arbeit aufzuzeigen und ihre Effektivität zu belegen, bedarf es weitgehender, möglichst interdiszi-plinärer und internationaler Forschungsanstrengungen. Welchen Stellenwert hat die Suchtforschung für Sie und welche Bereiche wird die Bundesregierung in der Zukunft finanziell unterstützen?

Suchtforschung muss die Grundlagen für die zukünftige Arbeit mit Suchtkranken bereit stellen. Da bei uns Prävention an erster Stelle steht, ist uns eine praxisnahe Forschung wichtig. Wir brauchen Antworten auf Fragen, wo die praktischen Probleme sind und welche Projekte tatsächlich effektiv sind.

Mir geht es auch sehr darum, nicht um der Forschung willen zu forschen, sondern Best-Practice-Modelle zu finden, die dann weiter geführt werden können.

Ich glaube aber auch, dass Themen etwas mehr in den Fokus gerückt werden müssen, wie zum Beispiel Suchtgefährdung im Alter, der Medikamentenmissbrauch oder neue Verhaltenssüchte, wie etwa die Onlinespielsucht. Hier sind wir mit der Ursachenforschung noch nicht weit genug, um noch effizientere Modelle zur Behandlung und zur Therapie anbieten zu können. Da müssen wir vorankommen.

Auf dem Hintergrund der nur begrenzten Haushaltsmittel müssen wir das Geld auch so effektiv wie möglich einsetzen. Es macht keinen Sinn, nur einen neuen Flyer herauszugeben, der dann im nächsten Papierkorb landet. Wir müssen die Menschen zielgruppengerecht ansprechen. Medikamentenmissbrauch bei Studenten muss anderes entgegengewirkt werden als bei älteren Menschen. Wir müssen zielgenauer werden und das können wir nur, wenn wir eine entsprechende wissenschaftliche Forschung und Begleitung haben.

? Eine letzte Frage, die unsere Leser sehr interessiert: Warum wird es 2010 keinen Sucht- und Drogenbericht geben?

Der Sucht- und Drogenbericht 2010 wäre der Bericht der alten Bundesregierung über die Drogen- und Suchtpolitik 2009 gewesen. Die jetzige Bundesregierung ist erst seit November 2009 im Amt und kann daher keinen Bericht zu ihrer Drogenpolitik 2009 abgeben. Es wird aber auch in Zukunft einen Sucht- und Drogenbericht geben.

Sehr geehrte Frau Dyckmans, vielen Dank, dass Sie sich für dieses Interview zur Verfügung gestellt haben. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer weiteren Arbeit.

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