Der Klinikarzt 2010; 39(4): 163
DOI: 10.1055/s-0030-1253631
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Medizin und Wirtschaft – Spannung pur

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Publication Date:
28 April 2010 (online)

 

Einblicke in die Medizin haben traditionell beim Publikum einen hohen Unterhaltungswert. Über Jahrzehnte hatten die sogenannten Arztromane hohe Auflagen, es gab Filme über berühmte Ärzte (Ferdinand Sauerbruch, Albert Schweitzer), mit dem Aufkommen des Fernsehens hat sich auch dieses Medium mit Serien wie der Sachsenklinik, Emergency Room oder Dr. House der Thematik angenommen.

Gemeinsam ist all diesen Produkten, dass sie – abgesehen von den Biografien – in der Regel frei erfunden sind. Dabei gibt es im richtigen Leben, insbesondere beim Zusammenspiel zwischen der Entwicklung von Medikamenten und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen Ereignisse, die an Spannung häufig mehr bieten, als sich Drehbuchschreiber ausdenken können. Interessant ist, dass sich Berichte über diese Ereignisse in der Regel nicht in den medizinischen Journalen sondern immer häufiger im Wirtschaftsteil der Zeitungen finden.

Auf 3 Entwicklungen in letzter Zeit soll hier eingegangen werden:

Entwicklungen von neuen Medikamenten, Käufe und Verkäufe von Firmen und den Einfluss von Firmen auf die forschende Industrie. Als Ärzte sind wir natürlich an der Entwicklung von neuen Medikamenten zum Wohle unserer Patienten interessiert. In der letzten Zeit kam es wiederholt zum Rückzug von Medikamenten vom Markt, beziehungsweise zum Stopp der Entwicklung vor Markteinführung.

Hoffnungen auf Fortschritte in der Therapie (Onkologie, Multiple Sklerose) wurden damit enttäuscht. Ein Blick in den Wirtschaftsteil der Zeitungen zeigt, dass derartige unternehmerische Entscheidungen erwartungsgemäß aber auch Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage der Firmen haben. Mit der Rücknahme des Medikaments Torcetrapib vor Markteinführung mussten Entwicklungskosten von mehreren Hundert Millionen Dollar abgeschrieben werden. Betroffen von einer solchen Entwicklung war auch die Firma Roche. Mit großer Spannung wurden die Ergebnisse der Phase-III-Studien mit dem Präparat Avastin bei der Behandlung von fortgeschrittenem Magenkrebs bzw. Dickdarmkrebs erwartet. Beide Studien verliefen negativ. Geschätzte Umsatzeinbußen: 500–700 Millionen im Jahr (FAZ 24.2010).

In derselben Ausgabe der FAZ berichtet die Firma Merck über die abgelehnte Zulassung für das Medikament Erbitux und eine komplette Rücknahme des Medikaments Raptiva. Man muss sich dabei vor Augen halten, dass solche Fehlschläge weitere Konsequenzen haben:

Betroffen sind Arbeitsplätze in Forschung, Produktion und im Außendienst sowie Aufträge im Marketing mit der Vergabe von Anzeigen. Derartige Entwicklungen haben daher nicht nur die offensichtlichen medizinischen Konsequenzen, sondern führen auch in vielen Fällen zu einschneidenden ökonomischen Veränderungen im Leben der an diesem Medikament direkt oder indirekt beteiligten Menschen.

Dies wird auch dem Laien ganz deutlich beim Verkauf, beziehungsweise der Übernahme von Firmen, da alle diese Transaktionen in der Regel direkte Auswirkungen auf viele Mitarbeiter haben (Stellenabbau, Standortverlegungen). Ein faszinierendes Beispiel war hierzu in den letzten Monaten der Kampf um die Firma ratiopharm. Die Inhaberfamilie war, wie bekannt, durch fehlgeschlagene Spekulationen gezwungen, die Firma zu verkaufen, um Schulden zu tilgen. Das Bietergefecht, das unter den Augen der interessierten Öff entlichkeit ausgetragen wurde, erinnerte an ein Pokerspiel mit ständig erhöhten und teilweise nicht mehr nachvollziehbaren Einsätzen. 3 potente ausländische Firmen lieferten sich ein faszinierendes Bietergefecht, in dem letzten Endes nicht nur die Kaufsumme sondern auch Standortgarantien eine Rolle spielten. Für viele überraschend, machte dann die Firma Teva das Rennen und überflügelte die isländische Firma Actavis sowie den weltgrößten Pharmakonzern Pfizer. Nutznießer dieses Kampfes der Giganten war die Familie Merckle, der durch dieses Bietergefecht deutlich mehr Geld in die Kasse gespült wurde, als erwartet. Für die pharmapolitisch Interessierten war diese Auseinandersetzung mit ständig steigenden Einsätzen und Kommentaren von selbst ernannten Fachleuten deutlich spannender als ein Bundesliga Fußballspiel, gemeinsam war der völlig off ene Ausgang des Wettkampfs.

Von einem Krimi nicht zu unterscheiden waren Vorgänge um das Medikament Rosiglitazon. Das Medikament ist in die Diskussion gekommen, da zunehmend Berichte über das gehäufte Auftreten von Herzinsuffizienz und Myokardinfarkten unter der Therapie bekannt wurden. Dies war zumindest das Ergebnis einer Metaanalyse, die unter der Federführung des bekannten Kardiologen Dr. Steven Nissen publiziert wurde. Die New York Times (22. Februar) berichtete von einem Treffen zwischen Dr. Nissen und den Vertretern der Firma, noch vor Publikation der Studie. In dieses Treffen ging der Arzt mit einem versteckten Mikrofon und Aufnahmegerät – hier übertrifft die Wirklichkeit die Fantasie von Drehbuchschreibern. In der Unterhaltung wurde dem Arzt nahegelegt, die Publikation seiner Studie zu verschieben. Die Firma verfügte zu diesem Zeitpunkt schon über die (unpublizierten) Daten, anschließend wurde bekannt, dass einer der Peer Reviewer der Firma das unveröffentlichte Manuskript zugespielt hatte.

Auf dem wissenschaftlichen Gebiet sind die Akten über Rosiglitazon noch nicht geschlossen, da von andern Fachleuten die Schlussfolgerungen der Nissen’schen Metaanalyse angezweifelt werden. Die Begleitumstände sind aber von einer Spannung und Dramatik, die nicht so schnell übertroffen werden wird.

Es gilt daher: wenn Sie wirklich spannende Geschichten lesen wollen, in denen es um Geld, Macht und Intrigen geht, dann sind Sie im Wirtschaftsteil der Zeitungen gut aufgehoben – schauen Sie nur nach Nachrichten aus der Pharmaindustrie.

A. Weizel

Prof. Dr. med. Achim Weizel, Mannheim

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