Dtsch Med Wochenschr 2010; 135(38): 1881-1882
DOI: 10.1055/s-0030-1263334
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ethische Insolvenz? Vom Verlust medizinischer Identität im DRG-Zeitalter

Ethical insolvency – losing medical identity in the DRG eraJ. Köbberling1 , N von Schroeders2
  • 1Klinikverbund St. Antonius und St. Josef, Risiko- und Qualitätsmanagement
  • 2KSB Klinikberatung GmbH
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Publication History

Publication Date:
14 September 2010 (online)

Zum Beitrag in DMW Nr. 16/2010; Dtsch Med Wochenschr 2010; 135: 819 – 821

Die Autoren beklagen mit Recht einen zunehmenden Verlust ethischer Grundwerte unter Ärzten. Sie beschreiben Auswirkungen auf die stationäre Patientenbetreuung, auf die Aus- und Weiterbildung, das Arzt-Patienten-Verhältnis und das ärztliche Berufsbild. Verantwortlich für viele Fehlentwicklungen seien dabei fehlgeleitete finanzielle Anreize durch das DRG-System. Das Unbehagen bezüglich mancher Entwicklungen hängt aber nicht spezifisch mit dem DRG-System zusammen, sondern gilt grundsätzlich für jedes Vergütungssystem, in dem die Anforderung besteht, begrenzte Ressourcen gerecht zu verteilen. Die Projektion der Probleme auf das DRG-System als eine von außen kommende und politisch bedingte Ursache mag emotional entlastend sein, ist aber sachlich nicht gerechtfertigt und lenkt von den notwendigen Bemühungen ab, die Probleme aus der Ärzteschaft heraus zu erkennen und die Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Alle früheren Vergütungssysteme für die Krankenhausbehandlung haben mehr falsche Anreize mit sich gebracht, als die Fallkostenpauschalen. Man denke nur an die durch nichts zu rechtfertigenden und das gesunde Maß weit überschreitenden langen Krankenhausaufenthalte. Richtig verstanden sollte das DRG-System dagegen kaum falsche Anreize liefern. Der von den Autoren genannte Vorwurf, das DRG-System führe dazu, möglichst viele Fälle mit großer Fallschwere zu behandeln, widerspricht der Logik des Systems. Der finanzielle Aufwand ist bei großer Fallschwere deutlich höher, und genau dies soll das System abbilden. Es ist auch nicht richtig, dass bei der Kostenkalkulation für die DRGs der ärztliche oder pflegerische Zeitaufwand mangelhaft berücksichtigt wird. Die sog. „soft skills” sind – anders als die Autoren behaupten – durchaus messbar und als Faktor für eine transparente Resourcen-Allokation geeignet.

Mit der neuen, von Anfang an als „lernendes” System geplanten Vergütungsform sollten alle bei einer qualitativ hochwertigen Medizin entstehenden Kosten abgebildet und vergütet werden. Dabei sollte die angemessene und gerechte Vergütung der medizinischen Notwendigkeit folgen. Wenn nun häufig umgekehrt vorgegangen wird und die Behandlung den DRG-Vorgaben angepasst wird, und wenn dies zum Nachteil der Patienten geschieht, ist dies nicht dem System selbst, sondern den behandelnden Ärzten anzulasten.

Unterstützt von vielen medizinischen Fachgesellschaften sehen sich Ärzte fälschlicherweise als von den Vergütungssystemen Getriebene, die Entscheidungen zu Ungunsten des Patienten treffen müssen und ihnen notwendige Leistungen, insbesondere auch persönliche Zeitzuwendungen, vorenthalten müssen, weil der ökonomische Druck sie dazu zwingt. Vorgesehen ist mit dem DRG-System aber lediglich eine Beschränkung auf das medizinisch wirklich Notwendige. Ob eine solche Beschränkung tatsächlich mit Nachteilen verbunden ist, darf ernsthaft bezweifelt werden. So ist z. B. vor dem Hintergrund hoher Risiken von nosokomialen Infektionen eine Vermeidung nicht medizinisch notwendiger Aufenthaltstage im Krankenhaus zweifellos zu begrüßen.

Das Problem einer Rationierung ist dagegen nicht ein Charakteristikum des DRG-Systems. Gelegentlich werden allerdings in einzelnen Kliniken notwendige Leistungen vorenthalten und dabei negative Konsequenzen für die Patienten in Kauf genommen. Dies wird dann häufig damit entschuldigt, dass „die Verwaltung den Arzt ja dazu zwingt, so zu handeln”. Dieses ethisch nicht zu rechtfertigende Vorgehen widerspricht dem Ansatz des DRG-Systems, nämlich Erlöse an den tatsächlich stattfindenden, notwendigen Behandlungsinhalten und Kosten zu orientieren.

Wer jetzt mehr spart, als es den Patienten gut tut, reduziert Kosten und verschlechtert damit die Kalkulationsgrundlage für spätere DRG-Erlöse. Es droht ein „Kellertreppen-Effekt”, denn in 2 Jahren, wenn die Erlösanpassung nach unten erfolgt ist, muss dem Patienten noch mehr vorenthalten werden, um auf die Kosten zu kommen oder einen Gewinn zu erzielen. Dabei wäre es eine Pflicht der medizinischen Fachgesellschaften, die Qualität hochzuhalten und durchzusetzen, dass das Notwendige auch erbracht werden kann. Wenn dabei über einen begrenzten Zeitraum defizitäre Behandlungen für bestimmte Patientengruppen erfolgen, müssen durch die InEK-Kalkulationen später wieder angemessene (höhere) Erlöse ausgeschüttet werden.

Grundlage für ein solches Vorgehen muss natürlich sein, dass die Fachgesellschaften klare diagnostische und therapeutische Standards definieren, notwendige interkollegiale und konsiliarische Tätigkeiten erbringen und auch die entstehenden Kosten in die Kalkulationsdaten einfließen lassen, und dass die Kliniken letztlich an der DRG-Kalkulation teilnehmen und ihre erbrachten Leistungen sowie die dadurch entstehende Kosten zum Bestandteil des DRG-Systems machen.

Bedenklich scheint uns, dass sich viele Krankenhäuser vor dem Hintergrund zunehmender Qualitätstransparenz im Internet intensiv mit Service- und Komfort profilieren – kaum jedoch mit einer klaren Definition von gelebter Prozessqualität, die sicherstellt, dass alle Patienten mit einem guten Maß medizinisch notwendiger Diagnostik und Therapie betreut werden. Hieran scheint dann – wie der Autor in seinem Artikel schreibt – am ehesten gespart zu werden.

Es ist nachdrücklich zu fordern, dass die Fachgesellschaften den Prozess anstoßen, damit im Sinne der Qualität Prozesse gut koordiniert werden. Nur so können DRG-Leistungsgruppen, bei denen bisher eine zu niedrige Vergütung ausgeschüttet wird, entsprechend angepasst werden. Konstruktivität im Umgang mit dem DRG-System ist von allen gefordert.

Prof. Dr. med. J. Köbberling

Klinikverbund St. Antonius und St. Josef, Risiko- und Qualitätsmanagement

Carnaper Straße 55

42283 Wuppertal

Email: Koebberling@antonius.de

Dr. med. N. von Schroeders

KSB Klinikberatung GmbH

Mittelstraße 8

45549 Sprockhövel

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