Via medici 2010; 15(4): 3
DOI: 10.1055/s-0030-1265101
editorial

Echte Legenden, falsche Idole

Dieter Schmid
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Publication Date:
13 September 2010 (online)

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    Kennen Sie Werner Forßmann? Der Mann hat etwas geleistet, was für die Medizin ähnlich bedeutend ist wie die Mondlandung für die Raumfahrt: Es war im Sommer 1929 in der Auguste-Victoria-Klinik Eberswalde. Zusammen mit einer OP-Schwester, die ihm assistierte, schlich sich der junge Assistenzarzt Forßmann in einer Mittagspause in den OP-Saal. Dort öffnete er seine Armvene und schob sich einen Harnkatheter über die Ellenbeuge bis zum Herzen vor. Dann stieg er mit der Schwester und dem liegenden Katheter in den Keller zum Röntgenraum und dokumentierte das Ganze mit einer Thoraxaufnahme. Damit hatte er den ersten Herzkatheter in der Geschichte der Medizin gelegt. Verrückt? Schon. Aber ohne solche Erfindungen würde sich die Innere Medizin – grob gesprochen – wohl heute noch ausschließlich mit der Applikation von Pillen beschäftigen. Erst Errungenschaften wie der Herzkatheter oder das Endoskop erlaubten Internisten, direkt an Krankheitsherden als Kardiologen, Gastroenterologen oder Pneumologen aktiv zu werden. Welche Perspektiven sich jungen Medizinern heutzutage eröffnen, die sich auf einen solchen Teilbereich der Inneren Medizin spezialisieren möchten, erfahren Sie im Artikel „Von Arrythmie bis Zoeliakie ” auf. Die Perspektiven Werner Forßmanns waren nach seinem Selbstversuch eher mies. Er ging kurz danach an die Charité in Berlin. Sein dortiger Chef war ein gewisser Ferdinand Sauerbruch. Dieser reagierte ungnädig, als er von Forßmanns Tat erfuhr. Berühmt wurden Sauerbruchs Worte, als er Forßmann hinauswarf: „Mit solchen Kunststückchen habilitiert man sich in einem Zirkus und nicht an einer anständigen deutschen Klinik!”

    Apropos: Wie finden Sie eigentlich unser Titelbild? Ist das Thema Arztserien seriös genug für eine anständige deutsche Fachzeitschrift? Wir meinen ja – schließlich sitzt der gemeine Deutsche pro Tag ca. drei Stunden vor dem Fernseher [1]. Entsprechend groß ist der Einfluss, den dieses Medium auf uns ausübt. Im Artikel „Quotenhengste in weiß” beleuchten wir deshalb, welche Rolle Scrubs & Co. im Leben hiesiger Jungmediziner spielen – und ob die Flimmerkistenärzte als Vorbilder taugen. Wer meint, dass wir damit die Macht des Fernsehens überschätzen, sollte sich mal fragen, warum die Rechtsmedizin seit den ersten Staffeln der Serie CSI plötzlich keine Nachwuchssorgen mehr hat …

    TV-Ärzte waren zu Forßmanns Zeit noch Mangelware. Er hätte auch keine gebraucht. Sein Leben verlief selbst wie ein Film. Von seinen Fachkollegen verlacht, wandte er sich enttäuscht von der Kardiologie ab. Im Krieg war er Sanitätsoffizier. Danach landete er in einer kleinen Praxis im Schwarzwald, später in Bad Kreuznach. Hier erreichte ihn 1956 völlig überraschend eine Nachricht aus Stockholm. Für seine Erfindung des Herzkatheters wurde ihm der Nobelpreis verliehen.

    Einen preisverdächtig guten Herbst

    wünscht Ihnen

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    Dr. med. Dieter Schmid, Redaktionsleitung

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    [1] AGF/GfK TV Scope, SWR Medienforschung, www.mediendaten.de

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