PiD - Psychotherapie im Dialog 2010; 11(4): 370
DOI: 10.1055/s-0030-1265912
Im Dialog

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Susanne  Lieb[1]
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Publication History

Publication Date:
02 December 2010 (online)

Hans Lieb: So hab ich das noch nie gesehen. Systemische Therapie für Verhaltenstherapeuten.
Heidelberg: Carl Auer, 2010.

„Es gibt zwei Gründe, dieses Buch nicht zu schreiben und zwei Gründe, es doch zu tun.” So beginnt der Autor, macht seine Leser und Leserinnen neugierig und vermag sie bis zur letzten Seite zu fesseln. Was aber macht dieses Buch so spannend, dass man es nicht mehr aus der Hand legen möchte? Dafür gibt es viele Gründe – zehn mindestens!

Hans Lieb schreibt engagiert, leidenschaftlich und lässt den Leser durch viele persönliche Beispiele an seiner eigenen Entwicklung vom Verhaltenstherapeuten zum Systemtherapeuten, der Integration im Kopf und der Anwendung in der therapeutischen Arbeit teilhaben (Einleitung, Kapitel 1). Es ist der „Versuch, die Quintessenz dessen zu formulieren, was vom Systemischen für Verhaltenstherapeuten fruchtbar und neu ist”. Der Autor schreibt didaktisch klar, pointiert und strukturiert. Jede These und jeder Abschnitt geht von der vertrauten verhaltenstherapeutischen Sichtweise aus, diese wird dann ergänzt durch die systemische Perspektive. Der ständige Blickwechsel vom Individuum auf seine Beziehungen, den Kontext und das Umfeld erhöht die Flexibilität des Lesers und Therapeuten und eröffnet neue Spielräume. Der Leser muss sich auf das Denken in der Systemtheorie einlassen und sich mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen auseinandersetzen; er wird mit Begriffen wie „Konstruktivismus”, „Selbstorganisation”, „zirkuläre Kausalität” und „Autopoiese” konfrontiert. Zehn Unterschiede in Theorie, Denken und Sprache von Verhaltenstherapie und Systemtherapie markieren im zweiten Kapitel die Kernbereiche beider Schulen. Sie polarisieren zunächst, ermöglichen jedoch im Laufe der Lektüre eine Synthese und damit eine Erweiterung der Möglichkeiten für Therapeut und Patient. Der Autor bezieht Position und scheut sich im dritten Kapitel nicht vor „systemischen Tipps für Verhaltenstherapeuten”. Er beschreibt den systemischen Ansatz – kompakt und umfassend. Er beginnt mit den Settingvariablen, gefolgt von den „Wissensbeständen für den Systemblick” (Kommunikationsstile, Kommunikationsmuster, Systemgedächtnis und -storys, Systemdimensionen). Der Abschnitt „Mit Systemen reden: Systeme interviewen” ist hervorragend gelungen in seiner Prägnanz und gibt jedem Therapeuten oder in der Beratung Tätigen einen Überblick über all unsere verbalen kommunikativen Möglichkeiten, die wir in der täglichen Praxis oft nur zu einem geringen Teil ausschöpfen. Der Autor ist in seinen Darstellungen authentisch und glaubwürdig. Im letzten Abschnitt des dritten Kapitels „Systemische Interventionen” hat der Leser teilweise den Eindruck bei den Therapiesitzungen oder Interventionen anwesend zu sein. Das Buch schließt mit Überlegungen, „was Therapeuten brauchen”. Erneut kann hier der Autor auf vielfältige persönliche Erfahrungen als Leiter von Selbsterfahrungsgruppen zurückgreifen. Wie nicht anders zu erwarten, verlässt er die „Problemsicht” traditioneller Selbsterfahrungskonzepte im Ausbildungskontext und plädiert für eine Selbstreflexion von Personen und Systemen.

Wer als Therapeut oder Therapeutin, auch in Ausbildung, nicht davor zurückschreckt, „alte”, eindimensionale Denkgewohnheiten aufzugeben – zumindest für kurze Zeit – dem sei diese Lektüre herzlich empfohlen.

1 Die Rezensentin ist trotz Namensgleichheit mit dem Buchautor weder verwandt noch verschwägert.

Dr. med. Susanne Lieb

Pfalzinstitut – Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie

Weinstraße 100

76889 Klingenmünster

Email: susanne.lieb@pfalzklinikum.de

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