PiD - Psychotherapie im Dialog 2011; 12(1): 75-76
DOI: 10.1055/s-0030-1266043
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Herzkranke Frauen gehen in gemischten Gruppen leicht unter …”[1]

Kristina  Orth-Gomer im Gespräch mit Christian  Albus
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Publication Date:
14 March 2011 (online)

PiD: Kristina, was hat dich zur Psychokardiologie gebracht?

Kristina Orth-Gomer: Ich habe bereits im Medizinstudium in den ersten Patientenkontakten ein lebendiges Interesse für psychosoziale Aspekte bei Herzkrankheiten entwickelt. Wir Studenten hatten vor allem die Aufgabe, Anamnesegespräche zu führen und ich habe immer Stunden gebraucht für meine Interviews und alles aufgeschrieben. Natürlich haben sich meine Dozenten beklagt, dass ich so viel aufgeschrieben hatte, aber ich fand es immer unglaublich spannend, was den Patienten vor dem Infarkt alles passiert war: Wie haben sie gelebt und was hat zu dem Infarkt geführt?

Also hat dich deine unmittelbare Erfahrung aus den Patientengesprächen zur Psychokardiologie gebracht. Wann hast du begonnen, dich dem Thema wissenschaftlich zuzuwenden?

Das war während der Facharztausbildung. Im Gegensatz zum Studium hatte ich dort einen Chef, der offen für dieses Thema war. Bei ihm durfte ich 1979 im Rahmen meiner PhD-Arbeit erste Untersuchungen zu psychischen Faktoren bei Herzrhythmusstörungen durchführen. Wir konnten dabei zum ersten Mal zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß depressiver Symptome und der Lown-Klassifikation (Anm.: Klinische Schwergradeinteilung von Herzrhythmusstörungen) gibt. Ich bzw. wir konnten diese Ergebnisse dann international publizieren und das war der Beginn meiner wissenschaftlichen Laufbahn.

Was waren danach deine wissenschaftlichen Schwerpunkte und wie haben sie sich entwickelt?

Tja, kurz nach der Doktorarbeit wurde mein damaliger Chef in den Reichstag gewählt und die Klinik hat sich sehr verändert. Das war natürlich eine schwierige Situation für viele von uns, aber in der Gruppe waren auch ziemlich ehrgeizige Leute, und viele haben später selber leitende Stellen übernommen. Auch für mich war der Wechsel eigentlich ein Glücksfall, weil ich danach zu Lennart Levi nach Stockholm an das Karolinska-Institut in ein neu gegründetes Institut für Stressforschung kam. Meine wissenschaftlichen Interessen passten gut in das Konzept und das ambulante Langzeit-EKG war etwas ganz Neues. Also haben wir Herzrhythmusstörungen beforscht, allerdings nur an bestimmten Berufsgruppen wie Polizisten und Lehrern und so weiter; also alles beruflicher Stress.

Wann hast du begonnen, dich mit „Stress in der Ehe” und Genderfragen zu beschäftigen?

Das kam daher, dass an Lennart Levis Institut alle auf Arbeit fokussiert waren. Aber ich fand das irgendwie unzureichend, denn die Arbeit ist höchstens ein Drittel unseres Lebens und ein weiteres, „waches” Drittel ist ja Familie und Freizeit. Also wieso hat man sich nicht auch auf Familie fokussiert? Trotzdem hatte ich zunächst eine Phase, wo ich einen vergeblichen Forschungsantrag nach dem nächsten über Stress in der Freizeit und in Beziehungen schrieb, aber es hieß immer „Soziale Beziehungen sind kein Teil der Arbeit”.

Das heißt, die Gutachter hatten den innovativen Charakter deiner Anträge gar nicht verstanden.

Genau, und ich kriegte keine Forschungsgelder. Bis ich dann persönlich zu einem der Chefs ging und dann kriegte ich eine kleine Summe und dann ging es los.

In dem Zusammenhang: Wie waren eigentlich deine persönlichen Erfahrungen als Frau in einem damals doch eher männlich dominierten wissenschaftlichen Umfeld?

Das war in der Tat nicht so einfach … Um es freundlich auszudrücken glaube ich, dass sich sehr viele Männer bedroht gefühlt haben. In meiner Generation mussten Frauen immer ein bisschen besser sein als Männer, um den gleichen Erfolg zu haben. Und das merkten die Männer natürlich und dann war man denen irgendwie suspekt. Und Frauen können ja sowieso kein richtiger „Kumpel” sein; auf jeden Fall konnte ich das nicht.

Was war deine persönlich beeindruckendste Erfahrung in Bezug auf das Forschungsfeld „Psychokardiologie”?

Tja, die beeindruckendste Erfahrung war Anfang der Neunzigerjahre die Bereitschaft der Europäischen Kardiologen, psychosoziale Aspekte in die Behandlungsleitlinien zur Prävention der KHK mit einzubeziehen. Das hat mich sehr beeindruckt, das muss ich schon sagen.

Worauf führst du den Erfolg zurück?

Als ich in den Achtzigerjahren anfing, mit meinen Studien zu den kardiologischen Meetings zu fahren, galt ich als „Mrs. Social Support”, weil ich Ergebnisse zur Bedeutung von sozialer Unterstützung bei Gesunden vorgestellt hatte. Und dann hatten wir erste Patientenstudien – damals alles noch Männer – und ich war jedes Jahr auf den Kongressen dabei und irgendwie hatte sich da ein gewisses Vertrauen aufgebaut. Und als ich dann merkte, dass die Kardiologen etwas brauchten, was sie nicht hatten, nämlich die Antwort auf die Frage: „Was können wir tun, dass Patienten auch umsetzen, was wir ihnen sagen?”, da habe ich vorgeschlagen, dass man vielleicht ein bisschen mit „Psychokardiologen” zusammenarbeiten könnte. Und dann wurden mir meine Vorschläge praktisch aus der Hand gerissen.

Die Zeit war aber auch reif für diesen Ansatz, und ich glaube, unsere Botschaft war klar und gut vorbereitet. Wir hatten zum Beispiel gleich zehn Experten vorgeschlagen, die jeder ihr Gebiet überzeugend dargestellt haben und damit konnten wir Einwände gut abwehren.

Ich würde gerne noch genauer auf das Gender-Thema eingehen. Was denkst du: Brauchen herzkranke Frauen eine andere Form von Psychotherapie als Männer?

Ich denke, sie brauchen in der Tat einen anderen Betreuungsansatz.

In welcher Art?

Man muss von Anfang an dafür Sorge tragen, dass Frauen über ihr Herzleiden frei reden können; dann kommt es beinahe von selbst zu einer guten Entwicklung. Wenn Frauen unter sich sind, können sie sehr offen über ihre Ängste sprechen und welches eigene Verhalten zur Entwicklung der Herzkrankheit geführt haben könnte. Bei Männern hingegen findet eher ein Verleugnungsprozess statt, wodurch gemischte Gruppen für Frauen schwierig werden, zumal sie meist in der Minderheit sind. Ich habe z. B. gerade wieder einen Bericht über eine Gruppenbehandlung bei KHK-Patienten gelesen, wo in der Gruppe nur eine Frau war und fünf Männer. Die Frau kam zum ersten Mal in der fünften Sitzung, dann blieb sie weg und kam erst zur zwölften Sitzung wieder. Der „harte Kern” war eine typische Männergruppe, und das ist glaube ich genau das, was bei gemischten Gruppen sehr leicht geschieht: Die Frauen fühlen sich nicht wohl und gehen unter.

Der konkrete Anlass, warum als wir angefangen haben, Gruppen für Frauen zu bilden, war übrigens die Anfrage von einigen KHK-Patientinnen, die etwas Neues nur für Frauen haben wollten.

Und mit diesem Ansatz habt ihr vor Kurzem mit der SWITCHD-Studie sehr schön zeigen können, dass ein Gruppenangebot nur für Frauen bemerkenswerte Effekte zeigen kann; auch in Bezug auf den Verlauf der Herzkrankheit.
Abschließend: Was liegt dir für die Zukunft der Psychokardiologie besonders am Herzen?

Die Zusammenarbeit mit den Somatikern ist absolut erforderlich. Wir dürfen uns nicht in kleine Gruppen zurückziehen und unsere eigenen Sachen betreiben, sondern wir müssen raus in die Kliniken. Wir müssen Kardiologen und andere Spezialisten einladen zur Zusammenarbeit. Die Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie ist auch sehr wichtig. Das sind unseren Chancen.

Kristina, vielen Dank für das Interview.

1 Das Gespräch wurde als Telefoninterview geführt.

1 Das Gespräch wurde als Telefoninterview geführt.

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