ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2010; 119(11): 535
DOI: 10.1055/s-0030-1270277
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Blick aufs Ganze

Cornelia Gins
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Publication Date:
03 December 2010 (online)

Im Rahmen des 58. Ärztekongresses im November in Berlin fand auch der 42. Deutsche Zahnärztliche Fortbildungskongress statt. Diese Fortbildung hat mir zum einen ausgezeichnet gefallen, mich zum anderen aber auch nachdenklich gestimmt.

Als Thema wurde die Gegenüberstellung von bewährten und zukünftigen Behandlungsmethoden und -techniken gewählt. Im Fokus standen Endodontie, Stiftverankerungen, Farbdifferenzierung, Abformung, elektronische Verfahren in der Funktionsdiagnostik und festsitzender Zahnersatz. Gebiete, auf denen vor allem technische Weiterentwicklungen die Therapiemöglichkeiten erweitert haben: In der Endodontie gilt es, neben der Aufbereitung die Reinigung der Kanäle durch zusätzliche Techniken zu optimieren. Die elektronische Farbbestimmung macht unabhängig von Tageslicht und individuellem Farbsehvermögen. Der digitale Abdruck ist eine interessante Option für die Zukunft, kann aber den klassischen Löffel noch nicht ersetzen. Und der metallfreie Zahnersatz gilt heute fast als Standard.

Die Vorträge gaben wirklich einen sehr guten, praxisrelevanten Überblick. Doch den ausschlaggebenden Input für dieses Editorial gab mir der Beitrag zum Thema Stiftverankerung. Neben Theorie und Praxis demonstrierte eine Fallsammlung zum Schluss die Grenzen der Zahnerhaltung: die Fehleinschätzung und -planungen auf vermeintlich prothetisch belastbaren, wurzelstiftversorgten Zähnen. Dass diese Versorgungen nicht funktionieren, weiß man natürlich erst durch die eigenen Erfahrungen, die man in seiner langjährigen Praxistätigkeit hat machen müssen. Die Zähne waren zum Teil von einem Spezialisten super endodontisch versorgt, hatten aber prothetisch überhaupt keine Relevanz mehr. Bei wem lag jetzt der Planungsfehler?

„Aha“, wird jetzt der aufmerksame Leser denken, das gibt Zündstoff für die Diskussion Spezialist – Generalist. In der Tat zeigten die dargestellten Fälle, dass bei der Planung nur sehr einseitig gedacht wurde: Zahnerhalt um jeden Preis. Bitte nicht falsch verstehen, ich bin sehr für Zahnerhalt, aber die Grenzen müssen doch erkannt werden. Hier scheint für mich der Knackpunkt zu liegen: die Grenzen erkennen. Sie richtig zu erkennen, gelingt natürlich nur, wenn auch die Alternativen bekannt sind. Was ist planbar, was ist machbar – auch immer im Hinblick auf die individuelle Situation des Patienten. Lehrt uns nur die Erfahrung diesen „Weitblick“ oder bestehen nicht doch in der Aus- und Weiterbildung einige Defizite?

Ich bin mitnichten ein Gegner von Zusatzausbildungen, mögen sie jetzt „Master of“ oder „Spezialist“ heißen. Alles was den dentalen Horizont erweitert, ist wertvoll für den Patienten.

Doch habe ich manchmal die Befürchtung, dass mit der zunehmenden Spezialisierung der Blick für das Ganze verloren geht. Der Vortrag zum Thema Stiftaufbauten konnte sie nicht zerstreuen.

Ihre

Cornelia Gins

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