Der Klinikarzt 2010; 39(12): 540-541
DOI: 10.1055/s-0030-1270620
Recht

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Fristlose Kündigung eines Chefarztes

Abrechnungsverstöße gegen die GOÄ bei Privatliquidation als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung
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Dr. iur. Isabel Häser

Rechtsanwältin

Ehlers, Ehlers und Partner

Widenmayerstr. 29

80538 München

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Publication Date:
10 January 2011 (online)

 
Table of Contents

Grundsätzlich kann der Sachverhalt einer Abrechnung, zu der ein Chefarzt nach der GOÄ nicht berechtigt ist, ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung durch das Krankenhaus sein. Dabei kann ein solcher wichtiger Grund nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten (z. B. ärztliche Leistungen) liegen, sondern auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, wie insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten sein. Jedoch muss Pflichtwidrigkeiten im Leistungs- oder Verhaltensbereich grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen, ehe sie zum Anlass einer fristlosen Kündigung genommen werden darf.

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Der Fall

Ein Chefarzt, der bereits seit 20 Jahren im Krankenhaus beschäftigt war und dem aufgrund seines Dienstvertrages das Liquidationsrecht für bestimmte (hier Labor-)Leistungen übertragen worden war, wurde ohne vorherige Abmahnung vom Krankenhaus fristlos gekündigt. Hintergrund für diese Kündigung war, dass aufgrund verschiedener Umstrukturierungen des Krankenhauses der Chefarzt einige Leistungen, die er bisher selbst erbracht hatte, nunmehr an ein Labor des Krankenhauses übersandte. Bei den betroffenen Leistungen handelte es sich um Laborleistungen, die nicht delegiert werden dürfen und daher nur von dem Arzt liquidiert werden können, der sie auch persönlich erbringt.

Das Krankenhaus ging davon aus, dass diese Leistungen ab einem gewissen Zeitpunkt von einem anderen Arzt liquidiert werden. Der Chefarzt behielt seine Liquidation dieser Leistungen jedoch bei. In der Folge kam es zu Doppelabrechnungen, die durch die Beschwerden eines Patienten aufgefallen waren. Dem Chefarzt wurde daraufhin Abrechnungsbetrug vonseiten des Krankenhauses vorgeworfen. Aufgrund dieses Sachverhalts wurde der Chefarzt fristlos gekündigt. Der fristlosen Kündigung ging keine Abmahnung voraus. Außerdem wurde der Personalrat nicht beteiligt. Gegen die fristlose Kündigung legte der Chefarzt Klage ein und klagte auf Weiterbeschäftigung.

Sowohl das erstinstanzlich zuständige Arbeitsgericht als auch die Berufungsinstanz (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.08.2009, Az.: 6 Sa 459/08) gaben dem Chefarzt Recht. Sein Arbeitsverhältnis ist durch die außerordentliche Kündigung nicht wirksam beendet worden und er muss weiterbeschäftigt werden.

Anhand der Urteilsgründe kann die Systematik der fristlosen Kündigung von leitenden Mitarbeitern plastisch nachvollzogen werden.

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Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung

Ein Arbeitsverhältnis kann aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (§ 626 Abs. 1 BGB). Hierbei ist zunächst generell zu überprüfen, ob der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Ist dies der Fall, wird die Prüfung dahingehend fortgeführt, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.

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Falschabrechnung kann fristlose Kündigung rechtfertigen

Das Berufungsgericht macht zunächst deutlich, dass der grundsätzliche Sachverhalt einer Abrechnung, zu der ein Chefarzt nach der GOÄ nicht berechtigt ist, an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung zu liefern. Dabei stellt es darauf ab, dass ein wichtiger Grund nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten (z. B. ärztliche Leistungen) liegen kann, sondern auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, wie insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten, ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein kann. Dies soll nach Auffassung des Gerichts umso mehr gelten, wenn berechtigte Belange des Arbeitgebers erheblich gestört werden, weil das Verhalten des Arbeitnehmers geeignet ist, den Ruf des Arbeitgebers im Geschäftsverkehr zu gefährden. Der konkrete Inhalt der Rücksichtnahmepflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis. Hierbei sind insbesondere Arbeitnehmer in leitender Position verpflichtet, zur Förderung des Vertragszwecks ihr Verhalten in der Weise einzurichten, dass es das Ansehen des Arbeitgebers nicht beschädigt.

Nach Auffassung des Gerichts hat der Chefarzt daher seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzt, indem er dazu beigetragen und es im Weiteren hingenommen hat, dass zu seinen Gunsten Leistungen abgerechnet wurden, die nach der GOÄ für ihn nicht abgerechnet werden durften. Indem der Kläger trotzdem die Abrechnung der Leistungen veranlasst hat, hat er nach Auffassung des Gerichts erheblich gegen die vertragliche Rücksichtnahmepflicht verstoßen; denn er hat alles zu unterlassen, was das Ansehen und den Ruf des Krankenhauses schädigen kann. Nach Auffassung des Gerichts ist eine gegen die GOÄ verstoßende Abrechnung negativ für den Arbeitgeber. Dieser setzt das Krankenhaus dem Verdacht aus, durch seine Mitarbeiter würden Patienten betrogen. Aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung und seiner herausgehobenen Position als Chefarzt hätte der Kläger in besonderem Maße um eine korrekte Liquidation bemüht sein müssen. Nicht erfolgreich war der Einwand des Chefarztes, dass ihm durch das Krankenhaus die Liquidationsbefugnis gemäß Dienstvertrag eingeräumt wurde. Nach Auffassung des Gerichts versteht es sich von selbst, dass die zugestandene Privatliquidation nur im Rahmen des geltenden Rechts, hier in den Grenzen der GOÄ, erfolgen durfte und darf. Daran kann auch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung nichts ändern. Diese kann insbesondere nicht zu einer unzulässigen Abrechnung berechtigen.

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Fehlende Abmahnung rettet den Chefarzt

Obwohl also grundsätzlich ein Verstoß des Chefarztes im Raum steht, der zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, war diese im konkreten Fall nicht wirksam. Vielmehr hätte das Krankenhaus vorher eine Abmahnung aussprechen müssen, die der Chefarzt nicht beachtet hätte haben müssen. Pflichtwidrigkeiten im Leistungs- oder Verhaltensbereich muss grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen, ehe sie zum Anlass einer fristlosen Kündigung genommen werden darf. Eine Abmahnung ist erforderlich, wenn es sich um ein steuerbares Verhalten handelt, das bisherige vertragswidrige Fehlverhalten noch keine klare Negativprognose zulässt und deswegen von der Möglichkeit zukünftigen vertragsgerechten Verhaltens ausgegangen werden kann. Regelmäßig wird nämlich erst nach einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht vertragstreu verhalten wird. Mit der Abmahnung soll vor allem dem Einwand des Arbeitnehmers begegnet werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht erkennen bzw. nicht damit rechnen können, der Arbeitgeber werde sein vertragswidriges Verhalten als kündigungsbegründend ansehen. Das Landesarbeitsgericht war der Überzeugung, dass eine einschlägige Abmahnung bei dem Kläger den gewünschten Erfolg gehabt haben würde. Sie wäre das geeignete Mittel gewesen, sowohl eine Änderung seines Verhaltens als auch eine Wiederherstellung der erforderlichen Eignung und Zuverlässigkeit für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung herbeizuführen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger in der Vergangenheit seine Tätigkeit beanstandungsfrei durchgeführt hat. Der Kläger ging fälschlicherweise davon aus, weiterhin zur Abrechnung der streitgegenständlichen Leistungen befugt zu sein. Ihm war das Unrecht seines Verhaltens jedoch nicht bewusst. Unter diesen Umständen konnte das Krankenhaus nicht davon ausgehen, dass der Ausspruch einer Abmahnung erfolglos sein würde, so das Gericht.

Im Anschluss wägt das Gericht die Interessen des Krankenhauses gegenüber denen des Chefarztes ab und kommt auch dabei zu dem Ergebnis, dass das Fehlverhalten des Chefarztes die außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigte. Dabei berücksichtigte es zugunsten des Krankenhauses, dass es sich bei der Falschabrechnung objektiv um eine schwere Pflichtverletzung handelt, die erhebliche negative Auswirkungen haben kann. Dabei ging das Gericht davon aus, dass die doppelte Abrechnung von Laborleistungen zulasten einer größeren Anzahl von Patienten geeignet ist, das Ansehen des Beklagten zu schädigen. Beim Patienten entsteht der Verdacht des Abrechnungsbetrugs. Dieser Abrechnungsbetrug wiederum fällt auf das Krankenhaus, für das der abrechnende Arzt tätig ist, zurück. Demgegenüber stellte das Gericht aber unter anderem die Dauer der beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Chefarztes. Der Chefarzt war bei Zugang der streitgegenständlichen Kündigung bereits mehr als 20 Jahre bei dem Krankenhaus beschäftigt. Abmahnungen hat er während dieser Zeit nicht erhalten. Darüber hinaus fiel für das Gericht ins Gewicht, dass das Krankenhaus aufgrund der vertraglich üblichen Abführungspflicht eines Honoraranteils des Chefarztes aus dem Arbeitsvertrag an dessen Liquidationserlösen teilgehabt hatte. Eine Überprüfung der Richtigkeit der Abrechnung durch das Krankenhaus hätte daher nahe gelegen. Dies insbesondere, als die Einziehung der Honorare vertragsgemäß durch den Krankenhausträger zu erfolgen hatte.

Abschließend stellte das Landesarbeitsgericht auch noch fest, dass die Kündigung bereits deshalb unwirksam gewesen sei, weil das Krankenhaus sie ohne Zustimmung des bei ihm gewählten Personalrats ausgesprochen hatte.

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Fazit

Jedem liquidationsberechtigten Chefarzt sollte anhand dieser Urteilsgründe deutlich vor Augen geführt werden, dass eine regelmäßige Überprüfung der in die Abrechnung gegebenen Leistungen auf tatsächliche Abrechenbarkeit von erheblicher Bedeutung ist. Denn grundsätzlich besteht kein Zweifel daran, dass ein Verstoß gegen die GOÄ zu einer fristlosen Kündigung berechtigen kann.

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