manuelletherapie 2011; 15(3): 135-136
DOI: 10.1055/s-0031-1273478
Fortbildungsbericht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dean Watson vom 7. – 9. April 2011 in Yverdon: The Role of C0 – C3 Segmental Dysfunction in Primary Headache

C. Engel
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Publication Date:
25 July 2011 (online)

Der 3-tägige, von der Association Suisse des Physiothérapeutes Indépendants (ASPI) organisierte Einführungskurs in das Konzept von Dean Watson wurde von einem detaillierten Skript begleitet und vereinte Theorie und Praxis in ausgewogener Form.

Watson (MappSc, MMPAA, MAPA Consultant Headache and Migraine Physiotherapist, Australia) beschäftigt sich seit Jahren ausschließlich mit dem Phänomen Kopfschmerz und hat in seiner Klinik (www.WatsonHeadacheInstitute.com) schon mehr als 7000 Migräne- und Kopfschmerzpatienten behandelt. Der drahtige, relativ kleine und bei all seiner Bescheidenheit sehr einnehmende Mann verstand es in seinem Kurs, die ganze Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf sein Thema zu lenken ([Abb. 1]).

Abb. 1 Kursteilnehmer in Yverdon/Schweiz.

In seiner theoretischen Präsentation ging Watson detailliert auf das medizinische Kopfschmerz- und Migränemodell ein, um es dann kritisch zu hinterfragen. Damit bewegte er sich gänzlich auf der klinisch orientierten Ebene, ohne evidenzbasiertes Denken auszulassen. Im Zentrum seines theoretischen Interesses steht der Nucleus trigeminocervicalis mit seinen vielfältigen Beziehungen. Befindet sich dieser inmitten seiner Afferenzen und Efferenzen nicht mehr im Gleichgewicht, ist er sensibilisiert und meldet entsprechend Schmerzen in Richtung Kopf. Dabei basiert die zervikogene nozizeptive Komponente auf folgender Hypothese: Am Anfang der zervikalen Dysfunktion steht ein irritierter Diskus C 2 / 3. Dies kann zur Folge haben, dass der M. obliquus inferior auf einer Seite hyperton wird und damit C 2 gegenüber C 1 und C 3 in eine rotatorische Fehlstellung bringt. Dies wiederum wirkt sich auf die Gelenke Okziput/C 1, C 1 / 2 und C 2 / 3 aus, die symptomatisch werden und so den Nucleus trigeminocervicalis sensibilisieren können.

Manualtherapeuten untersuchen, inwiefern die zervikalen Strukturen an der Sensibilisierung des Nucleus trigeminocervicalis beteiligt sind (und dies, welche auch immer die „Diagnose” sein mag!). Die subjektive Untersuchung ist sehr detailliert. Auf Red flags bei Kopfschmerz wird ausdrücklich hingewiesen, und zwar mit umfassenden anatomisch-physiologischen Erklärungen. Die Befragung auch bei „chronifiziert” erscheinender Symptomatik zielt auf die Etablierung überprüfbarer Parameter, um im Laufe der Behandlung einen brauchbaren Wiederbefund machen zu können.

Die Funktionsuntersuchung besticht durch ihre Einfachheit und ist trotzdem komplex: Das Ziel besteht aus der Reproduktion des typischen Kopfschmerzes. Um die zervikogene Beteiligung zu beweisen, reicht dies jedoch nicht aus: Der reproduzierte Schmerz muss während seiner Provokation abnehmen oder ganz verschwinden, erst dann lässt sich sicher das Syndrom behandeln. Die Untersuchung besteht aus manuellen für C 0 / C 1, C 1 / 2 und C 2 / 3 spezifischen Differenzierungstests (ein aus dem Maitland-Konzept bekanntes Prinzip). Auf die obligaten Instabilitätstests (modifiziert) folgt als einzige aktive Untersuchung die Retraktion (Dean verzichtet auf die aktiven Bewegungen der HWS, weil er damit nur in seltenen Fällen den Kopfschmerz reproduzieren kann). Die Retraktion (mit Sitzkorrektur) wird aktiv ausgeführt, darauf folgt Überdruck (bis Grad 4 + ), um das Verhalten von Present pain (Kopfschmerz!) zu evaluieren oder ein vergleichbares Zeichen zu finden. Eine erste Differenzierung zwischen C 2 / 3 und den kranialen Gelenken geschieht dabei durch Fixierung von C 2.

Die weitere Untersuchung beinhaltet die segmentale rotatorische Differenzierung durch gehaltene posterior-anteriore Techniken plus/minus Rotation bzw. gehaltene Rotationsstellungen plus posterior-anteriore Technik. Für die exakte Ausführung dieser feinen, nicht ganz einfachen Techniken wurde genügend Zeit eingesetzt.

Die Behandlung ergibt sich unmittelbar aus dem Befund: Bei Reproduktion wird die Technik in einem Grad 4 bis 4 +  für 10 – 15 Sekunden gehalten: Der Widerstand nimmt zusammen mit dem Schmerz ab. Durch Angulation wird nach weiterem lokalen Widerstand (einschließlich Schmerzreproduktion) gesucht und so behandelt, bis die Bewegungsrichtung widerstands- und schmerzfrei ist.

Es war eindrücklich zu sehen, wie Dean bei verschiedenen Kursteilnehmern deren typische (auch früher einmal gehabte) Kopfschmerzen auslösen und behandeln konnte.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses sehr klinische Konzept für einen palpationssicheren, im Differenzierungsdenken geschulten Therapeuten für die Beurteilung und Behandlung von Kopfschmerzen von größtem Wert sein kann: höchst empfehlenswert!

Dank gebührt auch den Organisatoren der ASPI (www.physiosuisse.ch), denen es immer wieder gelingt, namhafte Referenten einzuladen.

Christoph Engel

PT OMTsvomp

Email: christoph. h.engel@gmail.com

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