Dtsch Med Wochenschr 2011; 136(12): 600
DOI: 10.1055/s-0031-1274548
Korrespondenz | Correspondence
Leserbriefe
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Hohe Strahlenbelastung durch die Myokardszintigraphie: Ist die Dosis ein Problem?

High radiation exposure by myocardial scintigraphy: Is there a dosage problem?O. Lindner, W. Burchert, M. Schäfers
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Publication Date:
16 March 2011 (online)

Zum Beitrag Dtsch Med Wochenschr 2011; 136: 63

In Heft 3 der DMW wird ein im JAMA publizierter Artikel zur Strahlenexposition durch die Myokardszintigraphie in den USA vorgestellt [3]. In dieser Studie werden für deutsche und europäische Verhältnisse äußerst hohe Strahlendosen aufgeführt, die sich durch die Natur der verwendeten Radiopharmaka, die Untersuchungsprotokolle und die Frequenz der Wiederholungsuntersuchungen ergeben. Die Daten spiegeln die Notwendigkeit der aktuellen Diskussion über Strahlendosen wider. Das Referat impliziert, dass die US-amerikanischen Verhältnisse auf deutsche Verhältnisse übertragbar sind. Dies ist nicht der Fall! Daher erscheinen uns einige Anmerkungen zur Strahlenexposition in Deutschland dringend notwendig:

Mit Inkrafttreten der neugefassten Strahlenschutzverordnung im Jahr 2001 wurden vom Bundesamt für Strahlenschutz diagnostische Referenzwerte für nuklearmedizinische Untersuchungen verbindlich festgesetzt, die außerdem regelmäßig von den Ärztekammern überprüft werden. Die definierten Aktivitätsmengen für die Myokardszintigraphie in Deutschland sind deutlich niedriger als in den USA 1. In Deutschland werden rund 90 % der Myokardszintigraphien mit Tc-99m-Perfusionsradiopharmaka (Halbwertszeit 6 h) durchgeführt, die eine deutlich niedrigere Strahlenexposition haben als die in den USA häufigen Untersuchungen mit Thallium-201 (Tl-201-Halbwertszeit 72 h) [4,5] (Abb.  1). Die Strahlenexposition für einen normgewichtigen Patienten liegt in Deutschland bei der Myokardszintigraphie mit Tc-99m-Perfusionsradiopharmaka je nach Protokoll bei 6 bis 8 mSv 6. Zum Vergleich: die natürliche Strahlenexposition beträgt abhängig vom Wohnort 2–4 mSv im Jahr. Der Ausschluss einer KHK gelingt mit Tc-99m-Perfusionsradiopharmaka bereits mit einer Dosis von 2 mSv (!), wenn aufgrund eines unauffälligen Belastungsszintigramms auf die Ruheuntersuchung verzichtet wird 6. Die höchsten Strahlendosen fallen bei Untersuchungen mit Tl-201 an. Die Dosen betragen auf Basis der deutschen Referenzwerte etwa 16 mSv. Die Zahl der Tl-201-Untersuchungen ist in den letzten Jahren deutlich rückläufig und beträgt nur noch 10 % 4 5. In den USA werden häufig Hybridprotokolle mit einer Tl-201-Ruheszintigraphie und einer Tc-99m-Belastungszintigraphie durchgeführt, deren Strahlenexposition besonders hoch ist. Diese sind in Deutschland ohne klinische Relevanz 4. Der Dosismedian der Myokardszintigraphien in der JAMA-Studie lag bei 28,9 mSv und somit fast doppelt so hoch wie beim strahlenhygienisch ungünstigen und selten genutzten Tl-201-Protokoll in Deutschland. Außerdem liegt er sogar 3- bis 4-mal höher als bei der Standard-Stress-Rest-Untersuchung mit Tc-99m-Radiopharmaka. In den USA werden ca. 10-mal mehr Myokardszintigraphien pro 100 000 Einwohner als in Deutschland durchgeführt. Wiederholungsuntersuchungen sind bei uns die Ausnahme. Wir sind seit Jahren „Weltmeister” bei der invasiven Diagnostik in Gestalt der Koronarangiographie, deren Strahlendosis nicht unter der einer Myokardszintigraphie liegt 2. Die kardiale PET hat mit 1 bis 2 mSv die niedrigsten Strahlendosen in der Nuklearkardiologie. Ein Grund mehr, dieses Verfahren in den Leistungskatalog der GKV aufzunehmen.

Fazit: Wenn die Indikation gerechtfertigt ist, ist die Dosis kein Problem.

Abb. 1 Strahlendosen bei der Myokardszintigraphie in den USA und bei verschiedenen Untersuchungsprotokollen in Deutschland [3, 7]. Angegeben sind die mittleren Dosiswerte für 70 kg schwere Patienten und in Klammern die Nutzungsfrequenz der Untersuchungsprotokolle [4] .

Literatur

  • 1 Bundesamt für Strahlenschutz .Bekanntmachung der diagnostischen Referenzwerte für radiologische und nuklearmedizinische Untersuchungen. 10. Juli 2003
  • 2 Bruckenberger E. Herzbericht 2009 mit Transplantationschirurgie (22. Bericht). 
  • 3 Einstein A J, Weiner S D, Bernheim A, Kulon M, Bokhari S, Johnson L L. et al . Multiple testing, cumulative radiation dose, and clinical indications in patients undergoing myocardial perfusion imaging.  JAMA. 2010;  304 2137-2144
  • 4 Lindner O, Burchert W, Bengel F M, Zimmermann R, Vom Dahl J, Schäfers M. Myocardial perfusion scintigraphy in Germany in 2009: Utilization and state of the practice.  Eur J Nucl Med Mol Imaging. 2011; in press; 
  • 5 Lindner O, Burchert W, Bengel F M, Zimmermann R, Vom Dahl J, Schäfer W. et al . Myocardial perfusion scintigraphy 2008 in Germany – results of the fourth query.  Nuklearmedizin. 2010;  49 65-72
  • 6 Schäfers M, Bengel F, Büll U. et al . Positionspapier Nuklearkardiologie.  Kardiologe. 2009;  3 283-289

PD Dr. Oliver Lindner
Prof. Dr. W. Burchert

Institut für Radiologie, Nuklearmedizin und Molekulare Bildgebung
Herz- und Diabeteszentrum NRW

Georgstr. 11

32545 Bad Oeynhausen

Prof. Dr. M. Schäfers

European Institute for Molecular Imaging – EIMI Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Mendelstr. 11

48149 Münster

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