manuelletherapie 2011; 15(4): 179-181
DOI: 10.1055/s-0031-1281695
Kongressbericht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

2. Mulligan Konferenz in Porto

M. Bühler1
  • 1Körper-Konzept Physiotherapie, Spaichingen
Further Information

Publication History

Publication Date:
15 September 2011 (online)

Vom 11.–14. Juni 2011 fand nach 2009 (in Chicago) die 2. internationale Mulligan-Konferenz dieses Mal in Porto (Portugal) statt. Nachdem ich im Mai die Mulligan-Kurse mit der Prüfung zum Certified Mulligan Practitioner (CMP) abgeschlossen hatte und Brian Mulligan bereits letztes Jahr in Ulm beim Day with Brian Mulligan kennenlernen durfte, wollte ich diese Chance nutzen, um Brian zu erleben und den aktuellen Stand der Mulligan-Forschung zu erfahren ([Abb. 1]).

Abb. 1 Brian Mulligan (vorne 2. von links; Quelle: Johannes Bessler).

Zur Konferenz trafen sich weit über 100 Teilnehmer aus der ganzen Welt, darunter etwa 30 Mulligan-Lehrer, viele CMP und Mulligan-Therapeuten, aber auch einige Teilnehmer ohne Erfahrung mit dem Mulligan-Konzept ([Abb. 2]).

Abb. 2 Teilnehmer beim Mulligan-Kongress (Quelle: Johannes Bessler).

Am Tag vor der eigentlichen Konferenz war Brian Mulligan beim Day with Brian Mulligan live zu erleben, der es trotz seiner 78 Jahre hervorragend verstand, die Zuhörer mit seinem Witz und Wissen in seinen Bann zu ziehen und seine jahrzehntelange Erfahrung mit ihnen zu teilen. Zuerst stelle er den „Konzeptfremden” die Grundprinzipien seines Konzeptes anhand der wichtigen Begriffe PILL und CROCKS vor. PILL steht für Painfree (völlige Schmerzfreiheit), Instant Change (sofortige Veränderung der eingeschränkten Funktion) und Long Lasting (lange anhaltender Therapieerfolg) und CROCKS für Contraindications, Repetitions, Overpressure, Communication, Knowledge und Sustain.

Das eigentliche Hauptprinzip des Konzepts, die in den 1980er-Jahren von ihm entwickelte Mobilisation with Movement (MWM) erläuterte er am Beispiel des Interphangealgelenks am Finger. Der Therapeut korrigiert einen Positionsfehler (Mulligans primäre Hypothese) mit einer gehaltenen Zusatzbewegung. Ist diese Position schmerzfrei, bewegt der Patient in seine zuvor eingeschränkte bzw. schmerzhafte Bewegungsrichtung und gibt – wenn schmerzfrei möglich – selbst einen Überdruck. Die Zusatzbewegung des Therapeuten wird während der gesamten Aktivität des Patienten aufrechterhalten.

Anschließend wurde es auch für die Teilnehmer praktisch: Mulligan demonstrierte Behandlungen am Handgelenk, einschließlich Skaphoideum, Lunatum und distalem Radioulnargelenk, die die Teilnehmer unter der Aufsicht der zahlreich anwesenden Lehrern übten. Dies war eine überaus willkommene Möglichkeit, sein Handling durch Tipps und Korrekturen der erfahrenen Kollegen zu verbessern und zu verfeinern. Um eine „Mulligan-fachfremde” Teilnehmerin ihr erstes Miracle unter Mulligans Anleitung erleben zu lassen, holte er diese direkt zu sich auf die Bühne.

Weiter ging es zu Ellenbogen und Schulter: Die schmerzhafte Schulter eines Teilnehmers behandelte Mulligan mit einer Spinal Mobilisation with Arm Movement (SMWAM) an C 4. Nach einer speziellen MWM-Technik für die HWS, bei der 2 Wirbel gegeneinander rotiert werden und der Patient die zuvor eingeschränkte Richtung bewegt, folgten Techniken für den Schultergürtel. Hier korrigierte Mulligan die Position von Skapula und Klavikula in bis zu 4 Ebenen, um eine schmerzfreie Funktion der Schulter zu erreichen.

Am Ende des Tages widmete sich Mulligan dann ganz speziell den CMP-Therapeuten. Er demonstrierte Übungen und Tape-Anlagen für Einschränkungen des Kalkaneus und beantwortete Fragen der Teilnehmer zu C 1-Behandlungen und zu einer Technik bei eingeschränktem Straight Leg Raise (SLR). Wie die HWS wird die Wirbelsäule passiv durch den Therapeuten korrigiert, und der Patient bewegt in die eingeschränkte Richtung (hier der SLR).

Die Teilnehmer ließen diesen spannenden Tag beim Willkommenscocktail auf dem Sonnendeck des Kongresshotels ausklingen und genossen die Atmosphäre sowie die anregenden Gespräche mit teils bekannten und teils neu kennengelernten Kollegen.

Den 1. Konferenztag eröffnete Rick Crowell aus den USA, Chairman der Mulligan Concept Teachers Association (MCTA). Er begrüßte die Teilnehmer und bedankte sich für das zahlreiche Kommen.

Danach stellten namhafte international bekannte und anerkannte Therapeuten ihre Untersuchungsergebnisse und Thesen in Bezug auf das Mulligan-Konzept vor. Zu den besonderen Highlights zählte beispielsweise Dr. Bill Vincenzino, der über The Art and its Evidence von MWM referierte. Er präsentierte ein durch viele Studien erarbeitetes theoretisches Modell, das dafür spricht, dass die hypoalgetische Wirkung von MWM sowohl auf einem mechanischen als auch neurophysiologischen Mechanismus basiert.

Am 2. Tag sprach Vincenzino über laterale Epikondylopathie und die relevante Evidenz in der Physiotherapie. Ein qualitativ hochwertiger Randomised Controlled Trial (RCT) belegt, dass die Kombination aus Übungen und MWS einen ähnlich schnellen Erfolg erzielt wie Kortisoninjektionen, jedoch zeigen MWS im Gegensatz zu den Injektionen einen länger anhaltenden Effekt. Vicenzino wies außerdem darauf hin, dass bei histologischen Untersuchungen keine Entzündungszeichen im Gewebe vorliegen und der Ausdruck Epikondylitis demnach besser durch laterale Epikondylopathie ersetzt werden sollte.

Sue Reid widmete sich der manuellen Behandlung von zervikogenem Schwindel und Schmerzen. Sie präsentierte erste Erkenntnisse ihres aktuellen RCT. Die Patienten wurden entweder mit Sustained Natural Apophyseal Glides (SNAG) und Self-SNAG oder passiver Gelenkmobilisation nach Maitland behandelt. In beiden Gruppen reduzierten sich Schmerz und Schwindel direkt nach der Behandlung und nach 6 und 12 Wochen Follow-up, während sich in der Placebogruppe keine Veränderung einstellte. Ich bin gespannt auf die endgültigen Ergebnisse in Bezug auf den langfristigen Erfolg der Techniken.

Mithilfe fluoroskopierender Bilder untersuchte Jack Miller aus Kanada den Unterschied zwischen einer globalen manuellen und einer semispezifischen Traktion an der HWS, wie sie Mulligan bei seinen Kursen unterrichtet. Die semispezifische Traktion erzeugte im gewählten Segment (C5 / 6) mehr Separation im Intervertebralforamen, in den oberhalb liegenden Segmenten wurde die Bewegung nicht limitiert, was man aber erwartet hatte.

Dr. Toby Hall referierte über Kopfschmerzen und die Notwendigkeit, durch eine gezielte Diagnose zervikogene (Cervicogenic headache, CGH) von Kopfschmerzen anderer Art zu unterscheiden. Aufgrund vieler fehlerhafter Diagnosen ist es unmöglich, eine adäquate Behandlung durchzuführen. Hier bietet der Flexions-Rotations-Test eine gute und valide Möglichkeit, eine Bewegungsdysfunktion der oberen HWS (C0 – C2) zu identifizieren. So lassen sich Patienten herausfiltern, die unter CGH leiden. Zervikogene Kopfschmerzen können sehr gut und effizient mit dem Mulligan-Konzept behandelt werden.

Professor Darren Rivett brachte bei seinem Vortrag die MWM in den Kontext des Clinical-Reasoning-Prozesses. Er stellte Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten Studie vor, die Hinweise darauf geben, dass das „Mustererkennungsmodell” eher eine akkurate Diagnose liefert als das hypothetisch-deduktive Modell. So sind MWM stimmig, fördern das fachmännische Reasoning und sind nicht nur ein Kochrezept, das einfach abgearbeitet wird.

Der MCTA-Lehrer Mark Oliver hob die Anwendung und den Nutzen der MWM am Kiefer- und Iliosakralgelenk hervor, für die er eine Vielzahl von weiteren MWM-Techniken entwickelt hat.

Einen für alle ebenfalls spannenden Vortrag hielt Dr. Jeremy Lewis. Er nahm die Untersuchungs- und Diagnosemöglichkeiten einer Rotatorenmanschettentendinopathie der Schulter genauer unter die Lupe. Kompromisslos stellte er fest, dass es eigentlich unmöglich ist, die unterschiedlichen Strukturen wie Sehnen und Bursen selektiv zu testen und untermauerte dies durch vorhandene Literatur. Laut Lewis liegt bisher auch kein Referenztest (Goldstandard) vor, mit dem die klinischen Tests verglichen werden können. Die Referenztests können zwar eine strukturelle Pathologie identifizieren, jedoch gibt es keine Evidenz dafür, dass die strukturellen Veränderungen mit den Symptomen korrelieren. Am 2. Tag der Konferenz erläuterte er ein Behandlungsmodell für alle Phasen einer Rotatorenmanschettenpathologie und zeigte entsprechende Übungen.

Associate Professor Dr. Wayne Hing aus Neuseeland untersuchte den von Brian Mulligan angenommenen Positionsfehler des Glenohumeralgelenks an gesunden Probanden mithilfe von Ultraschall. Er stellte eine gute Reliabilität der Ultraschalluntersuchung für diesen Zweck fest. Außerdem konnte er eine signifikante Positionsveränderung der akromiohumeralen Distanz bei Anwendung von MWM nachweisen.

Positionsfehler: Fakt oder Fiktion? Diesem Thema widmete sich Hing am 2. Tag. Er zeigte eine Übersicht der Positionsfehlerhypothese in Bezug auf die Existenz eines Positionsfehlers und dessen Messung oder Erkennung und lieferte eine Erklärung, wie ein Positionsfehler Schmerz und Behinderung erzeugen kann. Auch die Möglichkeiten der MWM, diese Fehler aufzuheben, wurden besprochen.

Am 3. Tag konnte man zwischen verschiedenen Workshops wählen. So zeigte Mark Oliver MWM-Techniken für das ISG, und Dr. Bill Vincenzino verfeinerte mit den Teilnehmern das Handling bei lateraler Epikondylopathie. Im Mittelpunkt stand das korrekte Einstellen der lateralen Gleitrichtung bei der Zusatzbewegung mit und ohne Therapiegurt. Außerdem wies Vincenzino auf die Notwendigkeit eines Griffdynamometers hin, mit dem die Behandlungserfolge einer verbesserten schmerzfreien Griffstärke valide festgestellt und protokolliert werden können.

Zum Abschluss des Kongresses widmeten sich Rick Crowell und Dr. Toby Hall mit ihren Workshop-Themen den Zuhörern. Während Crowell mit den Teilnehmern verschiedene Tape-Anlagen zur Korrektur eines Positionsfehlers besprach und übte, erläuterte Hall das Management von Kopfschmerzen nach den Prinzipien des Mulligan-Konzeptes. So wurden Techniken zur Untersuchung der oberen HWS, insbesondere der Flexions-Rotations-Test und dessen Alternative im Sitz demonstriert und von den Kursteilnehmern praktiziert. Die Differenzierung der einzelnen Segmente gehörte ebenso dazu wie die semispezifische Traktion mit Gurt. Die interessierten Teilnehmer nutzten während dieser Workshops die seltene Möglichkeit, den hoch qualifizierten Kollegen Fragen zu stellen und ihnen genau auf die Finger zu schauen.

Es waren sicher nicht nur für mich sehr lehrreiche und spannende Tage in Porto. Das Mulligan-Konzept zeigte sich als modernes und effektives Behandlungskonzept am Puls der Zeit, das vor allem durch die gute und stetig steigende Evidenz auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Manuellen Therapie spielen wird.

Eine Geschichte, die Brian Mulligan während des Kurses erzählte, spiegelt meiner Meinung nach die Bedeutung des gesamten Konzepts für die physikalische Therapie besonders gut wider. Als Mulligan während eines Kurses wieder einmal ein Miracle bei einem Patienten erzielte und in erstaunte Gesichter blickte, fragte er die Teilnehmer:

Would you have done this? Could you have done this? Should you have done this?

Vielleicht sollten auch wir mehr davon tun!

Mathias Bühler

Körper-Konzept Physiotherapie, Spaichingen

Email: physio@koerper-konzept.de

    >