Der Klinikarzt 2011; 40(08): 325
DOI: 10.1055/s-0031-1286557
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Heimatrecht für unsere Alten!

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Publication Date:
22 August 2011 (online)

 

Lange vorbei, dass Heilung als alleinige Tugend der Seele galt. Heil und gesund war derjenige, bei dem Leib und Seele in Einklang waren.

In unserer Zeit scheint Gesundheit als biologischer Prozess beliebig beeinflussbar. Dabei übersehen wir gern, dass wir längst zu einer Gesellschaft geworden sind, in der die meisten von uns längst chronisch krank oder wenigstens alt oder beides sind. Gesundheit und jugendliche Fitness werden als die wertvollsten unserer Güter höchstgepriesen. Das Paradoxon degradiert viele Alte zwangsläufig zu Menschen zweiter Klasse, mehr denn je.

Die Arbeiten des vorliegenden Heftes mit seinem Herausgeber Professor Günther Wiedemann (vgl. Einführung in das Thema Seite 339) belegen die Notwendigkeit und auch die vernünftigen Möglichkeiten einer kompetenten Altersmedizin eindrücklich.

Im Rahmen unseres Entwicklungsprojektes an der Universität Osnabrück "Optimierung der regionalen Palliativversorgung" (Remmers H, Hardinghaus W, Fachbereich Humanwissenschaften – Palliativversorgung, Universität Osnabrück) wurden über einen Zeitraum von 17 Monaten in Stadt und Landkreis Osnabrück 1023 Palliativpatienten ambulant behandelt. Von diesen wurden 424 (41,5 %) im Laufe dieser Zeit auf eine Palliativstation in ein Krankenhaus verlegt. Unabhängig von der formellen hausärztlichen Einweisung erfolgte dies auf Empfehlung bzw. Veranlassung folgender Berufsgruppen:

  • Sozialarbeiter zu 3,8 %

  • niedergelassene Ärzte 7,6 %

  • Ehrenamtliche 11,3 %

  • ambulante Pflegedienste 12,6 % sowie

  • stationäre Altenpflege mit 54,3 %.

Interessant, dass die meisten "Einweisungen" in eine stationäre Palliativstation im Krankenhaus also von den Mitarbeiter/innen in Altenheimen ausgehen, bedeutet es doch, im Alten- und Pflegeheimen ist der Bedarf an fachgerechter palliativmedizinischer Versorgung am höchsten.

Überhaupt werden uns die größten Probleme unserer Altenversorgung, so zeigt es der Trend, in den nächsten Jahrzehnten nicht die häusliche oder die stationäre Krankenhausversorgung bereiten, sondern das Heim!

Im letzten Zuhause angekommen, at home, kann Heim im umfassenden Sinn sehr wohl auch zum Heil beitragen, Geborgenheit untermauern und Heimat auch in soziokultureller Dimension sein.

Und bevor wir nur noch in Kategorien erneuerbarer Energien denken, bevor wir neben Babyklappen erste Altenklappen ausloben, gewähre unsere Gesellschaft für die Zukunft den schwächeren Alten stets ein hinlängliches Heimrecht, gerade so Heimatrecht.

Und eine Botschaft, die aber nicht überall (Beispiel Gunther Sachs) gleich gut ankommt, hat Andrea Fink so auf den Punkt gebracht:

"Alte Menschen sind wertvoll, ganz gleichgültig, in welchem Ausmaß sie verwirrt sind."

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Prof. Dr. med. Winfried Hardinghaus, Osnabrück