Dtsch Med Wochenschr 2011; 136(51/52): 2692-2695
DOI: 10.1055/s-0031-1292874
Weihnachtsheft | Commentary
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Die „Heidelberger Schule“

Über Anfänge der deutschen Psychosomatik„The Heidelberg school“: about the beginnings of German psychosomatic medicine
K. Engelhardt †
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Publication Date:
14 December 2011 (online)

In einer Ära zunehmender Technisierung und Spezialisierung der Medizin im ersten Drittel des 20.  Jahrhunderts erfolgte eine Rückbesinnung auf ihre Grundfragen wie das Arzt-Patient-Verhältnis und die psychophysische Einheit. Zu den Ärzten, die aus diesem Geist eine Reform der Medizin anstrebten, gehörten Ludolf Krehl (1861–1937) (Abb.  [ 1 ]) und seine Schüler Richard Siebeck (1883–1965) (Abb.  [ 2 ]) und Viktor Freiherr von Weizsäcker (1886–1957). In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts erfand der spanische Medizinhistoriker Pedro Laín Entralgo für dieses „Dreigestirn“ den Namen „Heidelberger Schule“ [13]. Die drei Genannten hatten Schüler, diese ebenfalls usw. Es ergibt sich somit eine fast unübersehbare Zahl von Persönlichkeiten, die im weiteren Sinne der „Heidelberger Schule“ angehören.

Der Autor dieser Zeilen war als Student und Assistenzarzt von 1955 bis 1958 in Heidelberg. Er begrenzt seinen Bericht auf wenige Personen, die er, mit der Ausnahme Krehls, selbst erlebt hat. Siebeck war viele Jahre für die Studenten des Evangelischen Studienwerks „Villigst“ sog. „Vertrauensdozent“. In regelmäßigen Abständen versammelten sich die „Villigster Studenten“ aller Fakultäten in seinem Haus an der Ludolf-Krehl-Straße und gaben durch Referate Einblick in ihr Fachgebiet, so dass das „Studium generale“ gepflegt wurde. Siebeck moderierte die anschließende Diskussion. Auch nach seiner Emeritierung hielt er vor einem kleinen Kreis spannende Seminare in der Ludolf-Krehl-Klinik ab, beispielsweise über die Arzt-Patient-Beziehung.

Wolfgang U. Eckart [5] macht auf die interessante Tatsache aufmerksam, dass sogar ein Pathologe, Paul Ernst (1859–1937), zur „Heidelberger Schule“ gezählt werden kann, indem er für eine Verbindung von Natur- und Geisteswissenschaften plädierte, da der Mensch, Mittelpunkt der Medizin, aus Natur und Geist besteht. Die „Heidelberger Schule“ gleicht einem weit verästelten Baum.

Die vorliegende Arbeit bezieht sich sowohl auf die wissenschaftliche Literatur als auch die persönlichen Erfahrungen des Autors in Heidelberg. Eines der Hauptmotive, weswegen sie verfasst wurde, ist die Trennung einer „spekulativen“ von einer „nichtspekulativen“ Linie der „Heidelberger Schule“. Diese führt auch heute zu einem besseren Arzt-Patient-Verhältnis und regt zu mehr Ganzheitlichkeit an, während jene in die Irre führt. Es ist eigentlich unnötig zu betonen, dass eine solche Kritik durch Begegnungen und individuelle Eindrücke in Heidelberg mitgeprägt wurden.

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Abb. 1 Ludwig von Krehl (1861–1937).