Einleitung
Frakturen in der Unterkiefermitte in Kombination mit dislozierten Frakturen beider
Kiefergelenkfortsätze sind als besonders schweres Gesichtsschädeltrauma einzustufen,
weil die Desintegration des Mandibularbogens zu einer weiter auseinander driftenden
Translation und höhergradigen Rotation der Fragmente führen kann als die Dislokationen
bei isoliert vorliegenden Frakturen in der Summe.
Nach der Aufsprengung des Mandibularbogens wird die beidseitige Aufweitung in der
Transversaldimension nicht von noch intakten Kiefergelenkstrukturen limitiert ([Abb. 1 ]). Stattdessen kann die Breitenzunahme im Untergesicht infolge der Medialkippung
der Gelenkfortsätze soweit gehen, dass die lateral stehenden Fragmentenden die Seitenränder
der Gelenkgruben bzw. die Jochbögen überragen. Durch die Höhenreduktion der aufsteigenden
Unterkieferäste entsteht neben der Kreuzbiss- oder seitlichen Vorbeibiss-Situation
gleichzeitig ein frontal offener Biss. Eine erfolgreiche Behandlung derartiger Unterkiefer-Dreifachfrakturen
ohne Reposition und Fixation der Gelenkfortsätze sowie ohne eine stabile Wiederherstellung
des Mandibularbogens in der Transversalen mit passgenauem Mittenschluss in der Symphyseal-/Parasymphysealregion
ist schwer zu erreichen. Sogenannte „geschlossene“ Behandlungsverfahren, die insbesondere
bei der Versorgung der Gelenkfortsatzfrakturen bis weit in die 1890er-Jahre dominierten,
sind daher heute als Behandlungsoption nahezu verlassen. Aktuell stehen verschiedene
OP-Techniken zur offenen Reposition und Osteosynthese zur Verfügung, deren Beschreibung
und Indikation Gegenstand des folgenden Beitrags sind.
Abb. 1 a bis c „Open book“-Fraktur des Unterkiefers mit Osteosynthesen in Fehlstellung fixiert.
Gleichzeitig haben Le-Fort-I- und -II-Frakturen sowie eine mediansagittale Gaumendachfraktur
vorgelegen. Die Okklusion wurde in Referenz zum aufgebogenen Unterkiefer eingestellt,
sodass kein Kreuzbiss vorhanden ist. a Ventralansicht: weit aufgebogene Untekieferhälften, Miniplatten über der Symphysenfraktur,
wobei der Bruchspalt geschlossen erscheint, nach medial dislozierte gelenktragende
Fragmente nach Gelenkhalsfrakturen beidseits. b Dorsalansicht: linguale Diastase in der Unterkiefersymphyse, Medialkippung der gelenktragenden
Fragmente. c Kaudalansicht: Breitenzunahme durch abgeflachten Mandibularbogen.
Frakturmuster „Open book“
Frakturmuster „Open book“
Das Muster einer dislozierten Unterkiefer-Dreifachfraktur im Symphysen-/Parasymphysenbereich
bzw. der Kinnregion und der Gelenkfortsätze beidseits gleicht einem aufgeschlagenen
Buch ([Abb. 1 ] und [2 ]). Die Bezeichnung „Open book“-Fraktur steht dabei plakativ für die um die Mitte
lateralwärts aufrotierten Unterkieferhälften, die im Extremfall fast so flach wie
Buchdeckel auf einer Tischplatte in der Frontalebene liegen können.
Abb. 2 a bis d „Open book“-Fraktur des Unterkiefers. a Schema von ventral: die Unterkieferhälften können umso weiter nach lateral aufklappen,
je weiter kaudal die Gelenkfortsatzfrakturen lokalisiert sind.
b Schema von kranial: beachte die Diastase auf der Lingualseite der Symphyse.
c 3-D-CT von dorsal (Fallbeispiel) mit Darstellung des Hautmantels: rechts Medialkippung
des Gelenkfortsatzes mit Luxation des Kopfes aus der Pfanne. d Offenes Buch als Metapher zur Beschreibung des Frakturmusters im Mandibularbogen.
Die „Open book“-Fraktur des Unterkiefers ist auch als „Guardsman Fracture“ oder „Parade
Ground Fracture“ bekannt, da Wachmänner und Paradesoldaten nach langem unbewegtem
Stehen (orthostatischer Stress) in der Sonne mitunter vasovagale Synkopen erleiden
und bei plötzlichem Verlust des Muskeltonus ohne Abfangmöglichkeit mit den oberen
Gliedmaßen der Länge nach „ungebremst“ auf das Kinn stürzen.
Biomechanik
Biomechanisch verhält sich der Unterkiefer bei Belastung in starker Vereinfachung
wie ein freistehender Rund- oder Halbkreisbogen mit frei drehbaren Enden, über dessen
Gesamtlänge sich die Kräfte als Druckspannungen verteilen ([Abb. 3 ]).
Abb. 3 Druck- und Zugzonen im Rundbogenmodell der Mandibula bei Krafteinwirkung von anterior.
Die Gelenkfortsätze sind beweglich und deshalb als Kugeln dargestellt. Die Frakturentstehung
mit Beginn auf der „Lingualseite“ der Symphyse und im Bereich beider Kiefergelenkfortsätze
ist vorprogrammiert, da hier maximale Zugspannungen auftreten.
In der Realität entspricht der Mandibularbogen aber nicht einer linearen Kurvenformation
aus homogenem Knochenmaterial, sondern ist diskontinuierlich aufgebaut und hat Schwachstellen
mit reduziertem Querschnitt und geringerer Knochendichte wie die Symphysen-/Parasymphysenregion,
den Abschnitt mit den Foramina mentalia, die Kieferwinkel sowie die Kiefergelenkfortsätze
mit den Kiefergelenkwalzen. An diesem „locus minores resistentiae“ konzentrieren sich
Zugspannungen, aus denen – wie es auch von langen Röhrenknochen bekannt ist – bevorzugt
Frakturen resultieren [1 ], [2 ], [3 ], [4 ], [5 ]. In welcher Lokalisation Brüche am Unterkiefer auftreten, wird vom Vektor der einwirkenden
Kraft bestimmt. „Open book“-Frakturen des Unterkiefers entstehen, wenn ein ausreichend
energiereicher Impuls (Aufprall, Schlag) auf die Kinnmitte gerichtet ist. In der Symphysen-/Parasymphysenregion
kommt es infolgedessen zur direkten Fraktur. Die Außen- bzw. Bukkalfläche des anterioren
Unterkieferkörpers wird dabei zunächst nur komprimiert, während die Zugkräfte die
Innen- bzw. Lingualseite des Unterkiefers so stark überdehnen, dass der Knochen hier
initial aufgesprengt wird und sich der Bruchspalt abrupt nach ventral ausbreitet [4 ].
Die Frakturen im Bereich der beiden Kiefergelenkfortsätze entstehen hingegen indirekt.
Die Lateralflächen der aufsteigenden Unterkieferäste werden durch den Impuls nach
außen konvex aufgebogen, bis die Zugspannung das Elastizitätsmodul des Knochens übersteigt
und die Brüche herbeiführt. Die Kiefergelenkköpfe sind relativ frei beweglich in den
Gelenkgruben gelagert. Neben der Rotationsbewegung werden die Gelenkköpfe auch axial
(z. B. nach anteromedial) ausgelenkt, woraus Rupturen des Kapsel- und Bandapparats,
Verlagerungen des Discus articularis, Luxationen und/oder Dislokationen in unterschiedlicher
Richtung der gelenktragenden Fragmente resultieren können.
Immer wieder wurde die Vermutung geäußert, dass Zusammenhänge zwischen der Bezahnung
im Molarengebiet und dem Typ, der Höhe und dem Ausmaß der Dislokation von Kiefergelenkfortsatzfrakturen
bestehen, die sich jedoch bisher nicht bestätigen ließen [6 ]. Die Öffnungsstellung des Unterkiefers im Moment der Verletzung hat dagegen verifizierbaren
Einfluss auf den Frakturtyp im Kiefergelenkfortsatzbereich [7 ], [8 ]. In weit geöffneter Unterkieferposition werden die zur Fraktur führenden Kräfte
bis in die Gelenkwalze oder den Gelenkhals weitergeleitet, in Schlussstellung ist
dagegen die Kiefergelenkfortsatzbasis betroffen [9 ].
Klassifikation Gelenkfortsatzfrakturen
Klassifikation Gelenkfortsatzfrakturen
Die bilateralen Gelenkfortsatzfrakturen bei einer „Open book“-Fraktur des Mandibularbogens
können sich auf unterschiedlichem Niveau des Ramushinterrands abspielen mit Symmetrie
oder Asymmetrie von Bruchhöhe und Dislokations- bzw. Luxationsgrad der gelenktragenden
Fragmente. Die aktuelle AO-Klassifikation unterscheidet folgende Frakturen des Processus
condylaris mandibulae:
Die Frakturspalten an der Gelenkfortsatzbasis und der Gelenkhalsregion (Kollum) sind
in der Horizontalebene orientiert und verlaufen zumeist in abfallender Richtung von
anterior-oben aus der Incisura sigmoidea nach dorsal-unten an den Ramushinterrand.
Bei der „Open book“-Fraktur kommt es durch den Biegungsmechanismus an der Frakturstelle
zur Achsabknickung ([Abb. 4 ]) nach medial, einer Seitwärtsverschiebung des kranialen Fragmentendes nach lateral
oder medial („medial oder lateral override“) und einer longitudinalen Kontraktion.
Der Gelenkkopf kann die Gelenkpfanne bei extremer Medialkippung des proximalen Fragments
unter Zerreißung der Kapsel- und Diskusstrukturen in toto verlassen und somit zu einer
echten Luxation führen. Der Zug des M. pterygoideus lateralis mit seinem Insertionsareal
unterhalb des Gelenkkopfs kann eine nach vorne und medial gerichtete Komponente zur
rein mechanisch verursachten Dislokation beitragen.
Abb. 4 a und b AO-Klassifikation der Kiefergelenkfortsatzfrakturen (in Anlehnung an Loukota et al.
2010 [10 ]). Zur Einteilung nach Höhe der Fraktur sind 2 Bezugslinien festgelegt, die senkrecht
auf der posterioren Ramuslinie stehen: die „Incisura-sigmoidea-Linie“ trennt Gelenkfortsatzbasisfrakturen
von Gelenkhals- bzw. Kollumfrakturen. Befindet sich die Fraktur zu mehr als 50 % unterhalb
dieser Linie, wird sie als Basisfraktur eingestuft, andernfalls als Kollumfraktur.
Zur Differenzierung von Walzenfrakturen und Kollumfrakturen wird eine Tangente kaudal
an einen Kreis gelegt, der den lateralen Pol der Gelenkwalze umgibt. Frakturen oberhalb
dieser Referenzlinie werden als Walzenfrakturen klassifiziert, darunter lokalisierte
sind wiederum den Kollumfrakturen zuzuordnen. a Lateralansicht des aufsteigenden Unterkieferasts.
b Dorsalansicht des Mandibularbogens mit dem Hinterrand des aufsteigenden Unterkieferasts
(Ramushinterrand).
Im Unterschied zu den Basis- und Kollumfrakturen liegen diakapituläre oder Walzenfrakturen
in der Sagittalebene [11 ], [12 ], [13 ], [14 ], wobei der Bruchspalt schräg von lateral-oben nach medial-unten geneigt ist ([Abb. 5 c ]). Funktionell relevant werden Walzenfrakturen, wenn sie den lateralen Pol einschließen
und zur Höhenreduktion des Ramus führen. Das mediale Walzenfragment bleibt mit dem
M. pterygoideus lateralis verbunden und kann durch den Muskelzug nach unten und vorne
disloziert werden, wobei es aus der Gelenkgrube luxiert wird ([Abb. 5 d ]). Ganz hohe horizontale Abbruchfrakturen werden ebenfalls den Walzenfrakturen zugerechnet.
Abb. 5 a bis d Typische Dislokations- und Luxationsformen bei Frakturen des Processus condylaris
mandibulae im Rahmen von „Open book“-Frakturen des Unterkiefers. a Gelenkfortsatzbasisfraktur rechts mit Dislocatio ad axim nach medial.
b Kollumfraktur links mit 45° Medialkippung des proximalen Fragments.
c Nicht dislozierte Walzenfraktur links unter Mitbeteiligung des lateralen Gelenkpols
rechts (Dorsalansicht).
d Dislokation einer den lateralen Pol einbeziehenden Walzenfraktur nach unten und vorne.
Klinische Symptomatik
Die Leitsymptome der Unterkiefer-„Open book“-Fraktur erklären sich aus dem Gesamtmuster
des Dreifachbruchs. Die Dislokation der 4 Fragmente führt zu einer typischen Okklusionsstörung:
frontal offener Biss durch Verlust der Ramushöhe und alleinigem Kontakt im Molarenbereich,
Kreuzbiss oder seitlicher Vorbeibiss im Seitenzahngebiet durch Abflachung bzw. Verbreiterung
des Mandibularbogens zusammen mit einer Rückwärtslage des abgeflacht deformierten
Unterkiefers.
Ein erster äußerlicher Hinweis sind Prellmarken oder eine quere Riss-/Quetschwunde
submental am Kinnunterrand. Im präaurikulären Wangen- bzw. Parotisbereich können deutlich
sichtbare Auftreibungen vorhanden sein, die bei Palpation sehr schmerzhaft sind, da
die Fragmentenden ins Weichgewebe ragen. Bei Luxationsfrakuren erscheint die Kiefergelenkgrube
darüber leer. Oft sind Vorschub- und Seitwärtsbewegungen sowie die Kieferöffnung (i. S.
einer Kieferklemme) eingeschränkt, da die Zugwirkung der lateralen Pterygoidmuskulatur
auf die Unterkieferspange unterbrochen ist. Die Rotations- und Vorwärtsbewegung des
lateralen Pols der Kiefergelenkwalze ist infolge von Medialkippung oder anterokaudaler
Dislokation des proximalen Fragments bei Öffnungsversuchen nicht mehr eindeutig durchzutasten.
Wenn die Vorderwand des äußeren Gehörgangs einschließlich der Haut perforiert ist,
blutet es aus dem Ohr.
Schon vorsichtiger Druck auf das Kinn intensiviert die Schmerzen im Gelenkbereich
und an den Bruchstellen erheblich. Gleichzeitig wird dabei die Deformierbarkeit in
der Mitte und an den Endausläufern des Mandibularbogens mit elastischer Rückstellung
sicht- und palpierbar.
Bei Inspektion der Mundhöhle finden sich regelmäßig Hämatome im Mundvorhof und im
anterioren Mundboden bzw. sublingual. Abhängig von der Größe der knöchernen Diastase
und/oder einer Stufenbildung im Mittenbereich der Mandibula ist die befestigte Gingiva
interdental und über dem Alveolarfortsatz aufgerissen und der Bruchspalt wird durch
die klaffende Wunde direkt einsehbar. Falls diese Wunden sich in den anterioren Mundboden
fortsetzen, treten nicht selten massive Blutungen auf, die durch eine rasche Reposition
der Fragmente und zirkumdentale Draht-umschlingungen effektiv zu beherrschen sind.
Bildgebende Diagnostik
Eine „Open book“-Fraktur des Unterkiefers mit ihren Dislokationen lässt sich mit Einschränkungen
in konventionellen Röntgenbildern darstellen. Als Minimalanforderung gilt die Diagnostik
in wenigstens 2 – besser 3 – aufeinander senkrechten Ebenen. Zum Screening wird vielfach
die Panoramaschichtaufnahme (PSA), oftmals auch als Orthopantomogramm (OPT) bezeichnet,
eingesetzt. Die Symphysen-/Parasymphysenregion wird in der PSA durch Tangential- oder
Summationsseffekte (z. B. Überprojektion von HWS oder Zungenbein) nur unklar wiedergegeben,
Seitwärtsverschiebungen der proximalen Fragmente nach medial oder lateral sind nicht
zu beurteilen.
Daneben werden zur der Beurteilung der Gelenkfortsätze die Unterkieferaufnahme im
occipitofrontalen Strahlengang (Projektion nach Clementschitsch) und Schädelbasisaufnahmen
zur Gelenkdarstellung (Parma und Schüller, Runström IV) angewandt. Die Aussagekraft
dieser Aufnahmen verliert schnell an Präzision, wenn die Frakturen weit kranial, d. h.
im Gelenkwalzenbereich, lokalisiert sind.
Mithilfe der Computertomografie oder der digitalen Volumentomografie wird eine detaillierte
multiplanare (koronal, axial, sagittal) Beurteilung aller Frakturzonen und die 3-dimensionale
Rekonstruktion des Mandibularbogens im Kontext zu den Fossae articulares, den Gehörgangswänden
und den skeletalen Strukturen des Mittelgesichts, möglich. Zu den modernen digitalen
Schnittbildgebungsverfahren gibt es daher strenggenommen keine Alternative mehr.
Behandlungskonzepte
Eine knöcherne Konsolidierung in originärer anatomischer Position der Fragmente, die
Wiederherstellung einer ungestörten Gelenkfunktion und die Reetablierung der prätraumatischen
okklusalen Verhältnisse sind wichtige Erfolgskriterien der Behandlung von „Open book“-Frakturen.
Konservative Therapieansätze für alle Frakturstellen sind von vorneherein nicht miteinander
vereinbar: zur Ausheilung der Fraktur in der Symphysen-/Parasymphysenregion wird nach
geschlossener Reposition eine starre Ruhigstellung des Unterkiefers zwischen 4–6 Wochen
Dauer notwendig. Die übliche starke Achsabweichung im Bereich der Kiefergelenkfortsatzbasis-
oder Kollumfrakturen, gegebenenfalls sogar bei Kontaktverlust der Fragmentenden, verlangt
hingegen eine Frühmobilisation nach einer vergleichsweise kurzen Immobilisationsphase
von maximal 1–2 Wochen, damit es zur Ausbildung von Nearthrosen [11 ] oder auch Pseudarthrosen unter muskulärer Führung kommen kann. Eine Reposition bei
einer Dislocatio ad axim ist konservativ nicht erreichbar und die Retention zur Konsolidierung
in Fehlstellung kontraproduktiv. Eine Wiederabstützung des Ramus in der vertikalen
Ausgangsdimension dürfte bei hoch lokalisierten Kollumfrakturen und Walzenfrakturen
leichter zu erreichen sein, jedoch auch nur nach sofortiger Mobilisation. Die konservative
Therapie von „Open book“-Frakturen des Unterkiefers durch Immobilisation und anschließende
Funktionsübungen ist wenig erfolgversprechend und allenfalls in besonderen Konstellationen
(nicht oder geringfügig dislozierte stabile Fragmente, OP-Kontraindikation aufgrund
schwerwiegender Allgemeinerkrankungen, operative Therapie wird vom Patienten abgelehnt)
zu rechtfertigen.
Als praktikables Konzept wird immer wieder eine Kombination von geschlossenen und
offenen Therapieverfahren deklariert. Die Reposition und stabile Osteosynthese der
ohne schwerwiegende Komplikationsmöglichkeiten angehbaren Fraktur in der Mitte des
Mandibularbogens gilt als Grundvoraussetzung für den frühzeitigen Beginn zur funktionellen
Behandlung der beiden Gelenkfortsatzfrakturen. Da sich bei beidseitigen Frakturen
trotz langwieriger mandibulo-maxillärer Einstellung/Führung mit Gummizügen und intensiver
Physiotherapie die Entwicklung eines frontoffenen Bisses regelhaft nicht verhindern
lässt, wird als präventive Strategie die Operation nur eines Gelenkfortsatzes empfohlen.
Die am meisten gefürchtete Komplikation bei der operativen Versorgung der Gelenkfortsätze
sind periphere Fazialisparesen beim Zugang oder durch Druck (Haken) oder Überdehnung,
die durch das einseitige Vorgehen minimiert werden sollen. Ob zur unilateralen anatomischen
Reposition und Fixation die mehr oder die minder schwer betroffene Seite ausgewählt
wird, soll unter Berücksichtigung des potenziell risikoärmeren operativen Zugangswegs
abgewogen werden. Da beide Kiefergelenke über den Mandibularbogen strukturell und
funktionell in Verbindung stehen, bedeutet die einseitige Reparatur eine Kompromisslösung,
nicht zuletzt weil bei Nearthrosenbildung in einem Gelenk, selbst bei anfänglich befriedigend
adaptierten Funktionsabläufen und Wiedereinstellung der Okklusion auch im reparierten
kontralateralen Gelenk längerfristig negative Auswirkungen (Arthrosis deformans) zu
erwarten sind.
Angesichts der technischen Fortschritte in der Frakturversorgung von Kiefergelenkfortsatzfrakturen
setzt sich die operative Versorgung aller 3 Brüche bei „Open book“-Frakturen des Unterkiefers
mittlerweile allgemein durch.
Eine randomisierte prospektive Multicenterstudie konnte für Kiefergelenkfortsatzfrakturen
auf allen Leveln die offene Reposition und interne Fixierung (ORIF) als die bessere
Option gegenüber einer geschlossenen Immobilisationsbehandlung mit elastischer mandibulo-maxillärer
Ruhigstellung belegen [15 ], wenn Achsabweichungen zwischen 10° und 45° und Verkürzungen der Ramushöhe ≥ 2 mm
vorlagen. Die ORIF war insbesondere bei Patienten mit bilateralen Frakturen vorteilhaft.
In einer retrospektiven Studie erwies sich ORIF im Vergleich zur geschlossenen Behandlung
von bilateralen dislozierten Kiefergelenkfortsatzbasisfrakturen ebenfalls als überlegen
[16 ].
OP-Sequenz
Zunächst sollten immer alle 3 Frakturzonen dargestellt werden, bevor irgendwo eine
Reposition und Fixation vorgenommen wird. Im Schrifttum [17 ], [18 ], [19 ] wird die Reparatur der Unterkiefermitte als der essenzielle Schritt in der Behandlung
von „Open book“-Frakturen betrachtet und deshalb dort mit der Wiederherstellung des
Mandibularbogens begonnen.
Die Versorgung der Kiefergelenkfortsatzfrakturen an den Anfang der OP-Sequenz zu stellen,
bietet bei starken Achsabweichungen, Luxationen der Walze und verkürzter Ramushöhe
jedoch offensichtliche Vorteile. So sind die Ramus-Korpusfragmente einzeln mobiler
und während der Reposition der Gelenkfortsätze leichter manipulierbar als eine bereits
zusammengefügte Unterkieferspange. Bei Luxationsfrakturen lässt sich der Gelenkkopf
in Verbindung mit einer ganzen Unterkieferhälfte zudem einfacher in die Fossa reponieren
als am kleineren proximalen Fragment allein.
Darüber hinaus erleichtern die beiden wieder intakten Unterkieferhälften die Okklusionseinstellung.
Durch die restituierte dorsokraniale Abstützung lässt sich die Bisslage auch bei Vorliegen
einer Retro- oder Prognathie zuverlässig finden. Gleichzeitig wird die Gefahr einer
Lateralrotation der Fragmente um die Sagittalachse vermindert. Diese Ausweichbewegung
kann klinisch zunächst unbemerkt bleiben, da sich die damit einhergehende Disklusion
auf die Innenseite der Okklusalflächen im Seitenzahngebiet beschränkt und sich einem
Einblick entzieht. Schließlich reduziert die exakt reetablierte Okklusionsbeziehung
die Stellungsvariablen beim Schluss der Bruchflächen in der Unterkiefermitte mit einem
geringeren Risiko für eine Diastase auf der Lingualseite des Knochens.
OP-Zugangswege
Symphysen-/Parasymphysenregion
Zur operativen Versorgung im anterioren Unterkieferabschnitt wird in aller Regel ein
transoraler Zugang verwendet. Im vorderen Vestibulum wird in ca. 10–15 mm Abstand
vor der befestigten Gingiva von Eckzahn zu Eckzahn eine bogenförmige Schleimhautinzision
angelegt und ein Mukosaläppchen in Richtung auf den Alveolarfortsatz bis an die Insertionsfläche
des M. mentalis gebildet ([Abb. 6 a ]). Im Sinne eines Wechselschnitts wird der Muskel ca. 5 mm unterhalb seines Oberrands
quer durchtrennt und die Kinnregion subperiostal freipräpariert. Die Muskelmanschette
dient später einem 2-schichtigen Wundverschluss.
Abb. 6 a und b Wechselschnitt im anterioren Unterkiefervestibulum zur Darstellung der Symphysenregion.
a Nach bogenförmiger Inzision wird ein Schleimhautläppchen in Richtung auf den Ansatz
des M. mentalis gebildet. Der Muskel wird in Querrichtung scharf durchtrennt und das
Kinn subperiostal freigelegt.
b Verlauf der Inzisionslinie bei lateraler Erweiterung des vestibulären Zugangs zum
Schutz des N. mentalis.
Wird eine laterale Erweiterung des Zugangs dorsal der Eckzähne notwendig, dann muss
zum Schutz des N. mentalis die Inzision in direkter Nähe zur Mukogingivalgrenze fortgesetzt
werden ([Abb. 6 b ]).
Der vestibuläre Zugang gestattet keine oder nur eine unzureichende Kontrolle der Innenkortikalis,
sodass man Gefahr läuft, nach der Fragmentreposition verbliebene linguale Diastasen
zu übersehen. Zur Einsichtnahme kann eine bereits bestehende Riss-/Quetschwunde im
Submentalbereich erweitert werden, eventuell ist man gezwungen, einen kleinen Hautschnitt
vorzunehmen [20 ].
Kiefergelenkfortsätze
Die Zugänge zur offenen Reposition von Frakturen im Kiefergelenkfortsatzbereich richten
sich nach der Höhenlokalisation des Bruchs und der Art der geplanten Osteosynthese:
(prä-)aurikuläre oder auch retroaurikulär transmeatale (d. h. unter temporärer Durchtrennung
des äußeren Gehörgangs) Zugangswege ermöglichen die Darstellung von sehr hoch gelegenen
Kollumfrakturen und der sagittal verlaufenden Walzenfrakturen
submandibuläre, perianguläre, retromandibuläre und transorale Zugänge eignen sich
zur Versorgung von Kiefergelenkfortsatzbasis- und Kollumfrakturen
(Prä-)aurikulärer Zugang
Die Inzision kann in einer Hautfalte vor dem Tragus und dem vorderen Helixschenkel,
auf der Tragus- und der Hinterkante des Crus helicis oder endaural transtragal erfolgen.
Kranial kann der Schnitt in die behaarte Schläfe erweitert werden. Entlang des Ohrmuschelknorpels
wird dann auf die äußere Lamina der Temporalisfaszie eingegangen. Die oberflächlichen
Temporalgefäße, der N. auriculotemporalis und die Stirnäste des N. facialis werden
mit dem Hautweichgewebelappen nach anterior retrahiert, während das Gewebe vom Jochbogen
nach ventral abgeschoben wird. Das äußere Faszienblatt wird auf Höhe der Fossa articularis
über und oberhalb des Jochbogens in einer Länge von ca. 3 cm schräg nach vorne inzidiert.
Auf der Oberfläche des temporalen Fettkörpers bzw. subperiostal lässt sich der Jochbogen
dann nach ventral freipräparieren. Nach kaudal wird anschließend die Gelenkkapsel
bis zum Übergang in den Gelenkhals dargestellt. Die Freilegung von Kollumfrakturen
erfolgt subperiostal ohne Eröffnung der Gelenkräume. Zur Darstellung der Lateral-
und Dorsalfläche der Übergangs- und Gelenkkopfregion wird bei walzennahen und Walzenfrakturen
eine T-förmige Inzision im unteren Gelenkspalt und in der Kapsel vorgenommen.
Der technisch aufwendige retroaurikuläre transmeatale Zugang soll eine bessere Übersicht
auf die Dorsalfäche der Gelenkkopfregion erlauben und weniger häufig mit Fazialisläsionen
einhergehen [21 ]. Nicht ganz unproblematisch ist hingegen die zwangsläufige sensible Denervation
auf der gesamten Ohrmuschelrückseite und Präventivmaßnahmen zur Vermeidung von Gehörgangsstenosen.
Submandibulärer und periangulärer Zugang
Die traditionelle Inzision für den submandibulären Zugang verläuft in einer Hautfalte
„2 Querfinger“ unterhalb des Kieferrands. Subkutis, Platysma und die obere Halsfaszie
werden schichtweise durchtrennt, das faziale Gefäßbündel ligiert und nach kranial
hochgeschlagen, um den lateral und kranial davon liegenden Ramus marginalis mandibulae
des N. facialis aus dem Operationsfeld zu liften. Nach Freilegung und Inzision des
Periosts über dem basalen Unterkieferrand wird dann der Masseteransatz scharf durchtrennt
und der Ramus ascendens vom Kieferwinkel beginnend bis zur Fraktur im unteren und
mittleren Gelenkfortsatzbereich freigelegt.
Der massetericomandibuläre Weichgewebemantel ist massiv und die Dissektionsstrecke
bis zum Kiefergelenkfortsatz lang, weshalb die submandibuläre Schnittführung über
6–8 cm ausgedehnt sein muss. Wie der Name sagt, biegt die perianguläre Inzision in
einer Länge von ca. 5 cm dorsal um den äußeren Kieferwinkel, liegt dabei nahe am Knochenrand
und kann gedanklich als Fortführung des nach hinten ansteigenden submandibulären Schnitts
gesehen werden. Die weitere Präparation wird über Wechselschnitte vorgenommen: zunächst
wird das Platysma nach kranial 1,5–2 cm über den Unterkieferrand freipräpariert und
im Faserverlauf nach dorsokranial eröffnet. Die in der Eigenfaszie des M. masseter
liegenden bukkalen Fazialisäste werden darunter wie beim SMAS- (das Superficial Muscular
Aponeurotic System geht in den Oberrand des Platysmas über) Face-Lift sichtbar. Zwischen
der Verzweigung dieser Nervenäste wird der M. masseter entweder im Vertikalverlauf
seiner Fasern [11 ] oder quer dazu und parallel zum Unterkieferrand [22 ] durchtrennt, um eine subperiostale Exposition des Ramus bis in die Kollumregion
anzuschließen. Der perianguläre Zugang führt auf vergleichsweise kurzem Weg an die
Kiefergelenkfortsatzbasis und in die Gelenkhalsregion, was das Handling und die Instrumentierung
bei Reposition und Osteosynthese vereinfacht.
Retromandibulär-transparotidealer oder retroparotidealer Zugang
Der retromandibuläre Zugang in seinen beiden Dissektionsvarianten – transparotideal
oder retroparotideal – hat sich nach unseren Erfahrungen zur einfachen und raschen
Darstellung der unteren und mittleren Kiefergelenkfortsatzregion besonders bewährt.
Der vertikale Hautschnitt beginnt etwa 0,5 cm unterhalb des Ohrläppchens und erstreckt
sich entlang des Ramus bis auf Höhe des Kieferwinkels ([Abb. 7 a ]). Für die retroparotideale Dissektion ist vorgeschlagen worden, die Inzision bis
zu 2 cm dorsal des Ramushinterrands zu platzieren, für die transparotideale Dissektion
sollte der Schnitt weiter anterior auf der Ohrspeicheldrüse bzw. direkt über den Ramusstrukturen
liegen.
Abb. 7 a bis e Retromandibulärer Zugang und seine Varianten. a Hautinzisionslinie.
b Inzision des SMAS zur transparotidealen Dissektion zwischen den Bukkalis- und Mandibularisästen.
c Exposition des Kiefergelenkfortsatzes nach Tiefersetzen der Wundhaken. Die Wundhöhle
kann auf der Knochenoberfläche hin- und herbewegt werden.
d Inzision des SMAS zur retroparotidealen Dissektion und dorsalen Umfahrung der Drüse.
e Unterschiedliche Expositionsmöglichkeiten der lateralen Ramusoberfläche bei retro-
versus transparotidealer Dissektion.
Beim transparotidealen Vorgehen [23 ] wird das SMAS subkutan freipräpariert und vertikal eingeschnitten ([Abb. 7 b ]), um auf die Parotiskapsel zu gelangen. Die Drüsenkapsel wird horizontal eröffnet
und das Drüsenparenchym parallel zur Verlaufsrichtung der Fazialisäste stumpf zur
Tiefe hin aufgespreizt. Die Dissektion bewegt sich dabei im Zwischenraum der Rr. buccales
und mandibulares. Falls überhaupt Nervenäste sichtbar werden sollten, können sie mit
dem Nervenstimulator identifiziert und abgedrängt werden. Sobald die Masseteroberfläche
erreicht ist, wird die Muskelschicht im Faserverlauf durchtrennt und bis in die Frakturzone
vom Knochen abgeschoben. Die Haken werden dann vom Hautrand aus tiefer gesetzt und
retrahieren die Nerven im Schutzmantel des Drüsenparenchyms ([Abb. 7 c ]).
Bei der retroparotidealen Dissektion wird die Ohrspeicheldrüse intakt gelassen und
von der Rückseite aus angehoben. Von der posterior lokalisierten Hautinzision aus
wird zuerst das SMAS freigelegt und über den dorsalen Ausläufern der Parotis schräg
inzidiert. Im nächsten Schritt wird die Kapsel der Parotis freigelegt und nach hinten
stumpf umfahren bis der Masseter erreicht ist. Die Drüse wird nach ventral etwas von
der Muskeloberfläche abgehoben, um den Muskel entlang des Ramushinterrands zu durchtrennen
und dann vom Gelenkfortsatz abzulösen. Der Passageweg bei der retroparotidealen Dissektion
verläuft zwischen den Ästen des N. auricularis magnus am Vorderrand des M. sternocleidomastoideus
und den Mandibularisästen des N. facialis, die von der Drüse umgeben sind ([Abb. 7 d ])
Mit einem transparotidealen Prozedere ist im Vergleich zur retroparotidealen Vorgehensweise
eine umfangreichere Exposition der Ramusregion möglich ([Abb. 7 d ]), weil die Distanz zur Knochenoberfläche kürzer ist und die abgelösten Gewebeschichten
besser über dem Knochen hin- und herbewegt werden können.
Transoraler (endoskopisch unterstützter) Zugang
Der transorale Zugang wurde erstmals von Silverman [24 ] als Zugangsweg zum Kiefergelenkfortsatz beschrieben und vermeidet das Risiko einer
Schädigung des N. facialis sowie eine äußerlich sichtbare Narbe. Allerdings muss dabei
anfänglich eine längere Operationszeit mit einem unübersichtlicheren OP-Situs in Kauf
genommen werden. Seit seiner Renaissance durch die endoskopisch unterstützte Modifikation
[25 ] hat er sich als alternativer operativer Zugangsweg bei Kiefergelenkfortsatzfrakturen
durchgesetzt und bei Vorhandensein eines Spezialinstrumentariums (90° gewinkelter
Bohrer/Schraubendreher, Lichthaken) und hinreichender Erfahrung des OP-Teams bewährt
[26 ], [27 ], [28 ].
Die typische Schnittführung beim transoralen Zugang erfolgt entlang der Vorderkante
des aufsteigenden Unterkieferasts über die Linea obliqua mit Fortsetzung ins laterale
Unterkiefervestibulum entlang der mukogingivalen Grenze bis auf Höhe des 1. Prämolaren.
Nach Inzision der Mukosa unter Schonung des N. buccalis ([Abb. 8 a ]) und nachfolgender scharfer Periostdurchtrennung erfolgt unter streng subperiostaler
Abpräparation die Darstellung der Lateralfläche des aufsteigenden Unterkieferasts
aus der Kieferwinkelregion bis in den Bereich der Incisura semilunaris ([Abb. 8 b ]). Dabei müssen inferiore Anteile des Ansatzes des M. temporalis vom Muskelfortsatz
des Unterkiefers abgelöst werden, um eine ausreichende Übersicht zu erreichen. Bei
streng subperiostaler Präparation werden Verletzungen des M. masseter vermieden und
eine Übersicht ohne Blutung bleibt erhalten. Das Einbringen von beleuchteten Wundhaken
mit Lichtleitern und speziellen Retraktoren führt zu einer deutlichen Verbesserung
der Übersicht ([Abb. 8 c ]). Nach Freilegung des Hinterrands des aufsteigenden Unterkieferasts und der Kiefergelenkfortsatzregion
erfolgt die vollständige Darstellung in Bereichen limitierter Exposition durch Verwendung
eines Endoskops (30° Optik) in Verbindung mit einer Xenonlichtquelle.
Abb. 8 a bis c a Schleimhautinzisionslinie.
b Exposition der Lateralfläche des aufsteigenden Unterkieferasts mit Kiefergelenkfortsatz
nach Einsetzen der Wundhaken unter streng subperiostaler Dissektion.
c Einsetzen der beleuchteten Wundhaken und Retraktoren zur Verbesserung der Übersicht
nach Exposition des Kiefergelenkfortsatzbereichs.
Mandibulo-maxilläre Fixation
Mandibulo-maxilläre Fixation
Die mandibulo-maxilläre Fixation (MMF) ist eine starre oder elastische Verbindung
des Unterkiefers mit dem Oberkiefer in einer für die Okklusion korrekten Position.
Da unabhängig von der Wahl des jeweiligen Therapiekonzepts (nicht operativ/operativ)
Maßnahmen zur Sicherung der Okklusion ergriffen werden müssen, sollen die beiden wichtigsten
Techniken der mandibulo-maxillären Fixation (MMF) kurz vorgestellt werden. Die Kieferbruchschiene,
die noch bis Anfang der Jahrtausendwende als Goldstandard der Okklusionssicherung
angesehen wurde [29 ], wird zunehmend durch die MMF-Schrauben abgelöst.
Drahtschienenverbände (sog. Kieferbruchschienen)
Es stehen eine Vielzahl von Drahtschienenverbänden, von individuell angefertigten
bis hin zu präfabrizierten, zur Verfügung. Dabei scheinen die Drahtbogen-Kunststoffschienen
nach Schuchardt, die Drahtschienung nach Obwegeser, die Sauer-Schiene und die Kappenschienen
im deutschsprachigen Raum am weitesten verbreitet zu sein. Allen Drahtschienenverbänden
gemein ist, dass ein Draht oder Drähte intraoperativ den Zahnreihen angebogen und
unterhalb des Zahnäquators an den Zähnen mit Draht fixiert wird. Dies erklärt auch
die ungünstige Auswirkung auf das Parodontium. Über die an den Drahtschienenverbänden
bestehenden Häkchen oder Ösen wird die MMF über straffe Gummis oder Draht vorgenommen.
MMF-(IMF-)Schrauben
Aufgrund der technisch einfachen, zeitsparenden Handhabung und der geringen Verletzungsgefahr
für den Operateur finden MMF-Schrauben zunehmend Verwendung. Die Methode der Fixation
über MMF-Schrauben wurde erstmals von Arthur und Berardo beschrieben [30 ]. Eine Vielzahl von unterschiedlichen MMF-Schraubentypen ist im Handel erhältlich.
Die selbstbohrende MMF-Schraube wird zwischen die Zahnwurzel zweier benachbarter Zähne
eingebracht, wobei die Position nach Frakturlokalisation und Wurzelabstand ausgewählt
wird. Zur temporären intraoperativen MMF bei einer operativen Frakturversorgung reicht
in der Regel ein sog. 4er-Muster, bei dem jeweils 1 MMF-Schraube in der prämolaren
Region jedes Kieferquadranten verwendet wird. Die Gefahr liegt in der Zahnwurzelverletzung,
wobei periphere Wurzelverletzungen wahrscheinlich folgenlos abheilen. Im Allgemeinen
erfolgt nach der Vorbereitung der jeweiligen MMF-Technik (Einligieren von Kieferbruchschienen
oder Insertion von MMF-Schrauben) die Darstellung der Frakturen zur anschließenden
offenen Reposition und Osteosynthese unter MMF.
Reposition
Die Herstellung der ursprünglichen Anatomie ist Ziel einer jeglichen Reposition der
Fragmente und die beste Voraussetzung zur Wiederherstellung der Funktion. Eine offene
exakte Reposition kann fast immer erreicht werden und ist bei nahezu allen Frakturtypen
möglich.
Nach Darstellung aller Frakturzonen bringt es Vorteile, die Reposition und Fixation
in der Reihenfolge Kiefergelenkfortsatzfrakturen zuerst, Kinnmitte zuletzt vorzunehmen.
Denn ein exakter Schluss der Frakturflächen in der Symphysen-/Parasymphysenregion
ohne linguale Diastase lässt sich mit 2 instandgesetzten Hemimandibeln leichter vollziehen,
da die Einstellung der prätraumatischen Okklusion sicherer wird, Rotationsfehler der
Korpusfragmente vermieden werden und sich der Mandibularbogen mithilfe von Repositionsklemmen
gut in Kongruenz bringen und halten lässt, bis eine stabile Osteosynthese durchgeführt
ist.
Reposition der Kiefergelenkfortsätze/-walze
Reposition der Kiefergelenkfortsätze/-walze
Die Reposition der Fragmente erfolgt unter Distraktion am Kieferwinkel. Um eine anatomisch
korrekte Position zu erreichen, ist eine Manipulation am proximalen Fragment mit geraden
und/oder abgewinkelten Raspatorien solange erforderlich, bis eine achsgerechte Fragmentstellung
erreicht ist. Vor der Osteosynthese ist die achsgerechte Stellung der Fragmente am
Hinterrand des aufsteigenden Unterkieferasts zu kontrollieren. Die Reposition im Bereich
der Gelenkwalze bedarf spezieller diamantierter Raspatorien und erfolgt in aller Regel
unter vollständiger Relaxation des Patienten, um den die Reposition behindernden Muskelzug
(M. pterygoideus lateralis) am proximalen Fragment zu reduzieren. Unzureichende nicht
achsgerechte Repositionen der Kiefergelenkfortsätze führen aufgrund der vertikalen
Verkürzung im Bereich der aufsteigenden Unterkieferäste zu einer Reduktion der hinteren
Gesichtshöhe mit der Folge eines frontal offenen Bisses.
Reposition Unterkieferhälften
Reposition Unterkieferhälften
Die Reposition der Unterkieferhälften erfolgt manuell und unter zusätzlicher Verwendung
einer Repositionszange, um Kompression auf den Bruchspalt auszuüben ([Abb. 9 ]). Es besteht aber die Gefahr, dass der Bruchspalt wegen gutem Schluss auf der Vestibulärseite
geschlossen erscheint, obwohl auf der Lingualseite eine Diastase vorhanden ist. Klinisch
bleibt diese Ausweichbewegung zunächst unbemerkt, da sich die damit einhergehende
Disklusion auf die Innenseite der Okklusalflächen im Seitenzahngebiet beschränkt und
sich einem Einblick entzieht. Die visuelle Kontrolle der Lingualseite ist über den
üblicherweise gewählten transoralen vestibulären Zugang kaum möglich und eine palpatorische
taktile Kontrolle mit dem Haken auf der Lingualseite gibt nur einen ungefähren Anhalt.
Abb. 9 Einbringen einer Repositionszange zur Kompression im Frakturbereich nach Reposition.
Dem Risiko einer Diastasenbildung auf der Lingualseite mit der Folge eines zu breiten
Mandibularbogens kann durch das Einsetzen einer transoral eingebrachten großen Repositionszange
([Abb. 10 ]) im Kieferwinkelbereich entgegengewirkt werden. Durch einen kräftigen Druck im Bereich
der Kieferwinkel bei gleichzeitigem ventralem Zug in der Symphysealregion lässt sich
die Gefahr einer lingualen Diastase nach Reposition ebenso reduzieren [17 ].
Abb. 10 Einsetzen einer weiteren Repositionszange im Kieferwinkelbereich zur Verhinderung
eines lingualen Spalts.
Osteosynthese der Kiefergelenkfortsätze/-walzen
Osteosynthese der Kiefergelenkfortsätze/-walzen
Zur Fixation der Kiefergelenkfortsatzbasis und des Kiefergelenkhalses hat sich die
Miniplattenosteosynthese durchgesetzt. Entsprechend der Untersuchung von Tillmann
und Mitarbeiter [31 ] über die Druck- und Zugbelastungszonen am Gelenkfortsatz- und Ramusbereich mit der
dicksten Kortikalis am lateralen Kiefergelenkfortsatz sollten 2 Miniplatten (vormals
Stellplatte) in kaudaler Divergenzstellung angebracht werden, von denen eine am Hinterrand
und die andere am Vorderrand des Kiefergelenkfortsatzes fixiert werden sollte ([Abb. 11 ], [14 ] und [18 ]). Um eine ausreichende Stabilität zu erreichen, sind mindestens 2 Schrauben pro
Fragment zu inserieren. Alternativ kann eine einzelne rigidere Osteosyntheseplatte
(vormals Kompressionsplatte) am Hinterrand des Kiefergelenkfortsatzes angebracht werden
[32 ], wenn die Konfiguration eines schmalen Gelenkhalses die Positionierung einer weiteren
2. Platte nicht zulässt. Eine monokortikale Fixationstechnik der Osteosyntheseplatten
ist dabei ausreichend. Mittlerweile stehen auch verschiedene spezielle für den Kiefergelenkfortsatz
entwickelte Osteosyntheseplatten (sogenannte 3-D-Platten) von diversen Herstellern
zur Verfügung ([Abb. 17 ] und [19 ]), die sich bei schmalem Kiefergelenkhals ohne Platz für eine weitere 2. Platte bewährt
haben. Die Zugschraubenosteosynthese im Kiefergelenkfortsatzbereich mit ihren Modifikationen
[33 ], [34 ] ist heutzutage als historisch anzusehen.
Abb. 11 Positionierung von 2 Miniosteosyntheseplatten am Vorder- und Hinterrand des Kiefergelenkfortsatzes.
Abb. 12 Optimale Position des Osteosynthesematerials (Zugschrauben bzw. Osteosyntheseplatten)
in der Unterkiefermitte entsprechend den Kraftlinien.
Abb. 13 a bis d a Optimale Position der Zugschrauben bei Unterkiefermittenfraktur.
b Kompression im Bruchspaltbereich durch Gleitlochprinzip am schraubenkopfnahen Fragment.
c Kompressionskräfte an Vestibulär- und Lingualfläche bei Zugschraubenosteosynthese.
d Kompression nach Applikation von zwei parallelen Zugschrauben bei schräger Unterkiefermittenfraktur.
Abb. 14 a bis d a Präoperative PSA einer „Open book“-Fraktur (rechtsseitig nach medial dislozierte
Kiefergelenkhals-, linksseitig stark dislozierte Kiefergelenkhals- und dislozierte
Unterkiefermedianfraktur). b Intraoperativer Situs mit 30°-Optik nach Reposition und Plattenosteosynthese des
Kiefergelenkfortsatzes rechts mit 2 Miniplatten bei endoskopischer Stellungskontrolle
bei transoralem Zugang. c Intraoperativer Situs nach Reposition und Osteosynthese des Unterkieferkörpers mit
2 parallelen Zugschrauben. d Postoperative PSA nach Reposition und Osteosynthese der Kiefergelenkfortsätze beidseits
mit jeweils 2 Miniplatten und der Unterkiefermitte mit 2 Zugschrauben.
Abb. 15 a und b a Kombination von Osteosyntheseplatte am Unterkieferunterrand und Zugschraube.
b Postoperatives PSA nach Reposition mit Fixation der Kiefergelenkfortsätze beidseits
durch Plattenosteosynthese und der Unterkiefermitte durch Kombination aus einer Osteosyntheseplatte
und einer Zugschraube.
Abb. 16 a und b a Plattenosteosynthese mit einer rigiden Osteosyntheseplatte am Unterkieferrand.
b Plattenosteosynthese mit 2 Osteosyntheseplatten am Unterkieferrand und unterhalb
der Zahnwurzeln.
Abb. 17 a bis d a Präoperative PSA einer „Open book“-Fraktur (beidseitige dislozierte Kiefergelenkfortsatzbasisfraktur
und dislozierte Unterkieferparamedianfraktur linksseitig). b Intraoperatives Situs nach Reposition und Osteosynthese mit einer rigiden Platte
am Unterkieferrand. c Intraoperatives Bild mit 30°-Optik nach Reposition und Osteosynthese des Kiefergelenkfortsatzes
links mit einer Subcondylar Trapezoid Plate unter endoskopischer Stellungskontrolle
bei transoralem Zugang. d Postoperative PSA nach Reposition und Plattenosteosynthese im Bereich der Kiefergelenkfortsätze
beidseits und Plattenosteosynthese am Unterkieferrand paramedian links.
Abb. 18 a bis e a Präoperative PSA einer „Open book“-Fraktur (beidseitige dislozierte Kiefergelenkfortsatzbasisfraktur
und dislozierte Unterkieferparamedianfraktur linksseitig) bei Z. n. Reposition und
Plattenosteosynthese des Jochbeins rechts bei Jochbeinfraktur. b Intraoperatives Bild nach Reposition und Plattenosteosynthese des Kiefergelenkfortsatzes
rechts mit 2 Miniplatten über transparotidealen Zugang. c Intraoperatives Bild nach Reposition und Osteosynthese der Unterkieferkörpers paramedian
links mit 2 Platten. d Intraoperatives Bild mit 30°-Optik nach Reposition und Plattenosteosynthese des Kiefergelenkfortsatzes
links mit 2 Miniplatten bei endoskopischer Stellungskontrolle über transoralen Zugang.
e Postoperative PSA nach Reposition und Fixation der Kiefergelenkfortsätze beidseits
mit jeweils 2 Miniplatten und der Unterkiefermitte paramedian links mit 2 Osteosyntheseplatten.
Abb. 19 a bis i a Präoperatives 3-D-CT von frontal: Aufsprengung des Unterkieferkörpers paramedian
rechts mit Aufweitung des Mandibularbogens. b Präoperatives 3-D-CT von dorsal: rechts laterale Dislokation mit Verkürzung des Gelenkfortsatzes,
links Medialkippung des Gelenkfortsatzes mit Luxation aus der Pfanne. c Präoperatives 3-D-CT von rechts: laterale Dislokation mit Verkürzung des Gelenkfortsatzes
rechts. d Präoperatives 3-D-CT von links: Medialkippung des Gelenkfortsatzes links mit Luxation
aus der Pfanne. e Intraoperativer Situs nach Reposition und Plattenosteosynthese des Kiefergelenkfortsatzes
rechts (Subcondylar Strut Plate) über transparotidealen Zugang. f Intraoperativer Situs nach Reposition und Plattenosteosynthese des Unterkieferkörpers
paramedian rechts. g Intraoperativer Situs nach Reposition und Plattenosteosynthese des Kiefergelenkfortsatzes
links (Subcondylar strut plate) über transparotidealen Zugang. h Intraoperativer Situs mit Okklusion der eingebrachten Ober- und Unterkieferprothesen
nach Reposition und Plattenosteosynthese der „Open book“-Fraktur. i Postoperative PSA nach Reposition und Osteosynthese der Kiefergelenkfortsätze beidseits
mit Subcondylar Strut Plate und des Unterkieferkörpers paramedian rechts mit 2 Osteosyntheseplatten.
Die Fixation der Gelenkwalze erfolgt über 2–3 Kleinfragmentschrauben von lateral nach
vorheriger arbiträrer Stellungsfixation der Gelenkfragmente mit einer Mikrostellplatte
([Abb. 20 ]). Dabei ist darauf zu achten, dass die Schrauben und Platten außerhalb der Gelenkfläche
liegen.
Abb. 20 a bis i a Präoperative Röntgenaufnahme nach Clementschitsch bei „Open book“-Fraktur, die Dislokation
der Gelenkwalze lässt sich kaum erkennen. b Präoperative Röntgenaufnahme nach Runström mit Dislokation der Gelenkwalze links
und des Kiefergelenkfortsatzes rechts. c Präoperatives CT koronal: medial dislozierte Kiefergelenkfortsatzfraktur rechts und
Walzenfraktur links mit Höhenverlust. d Präoperatives CT axial: Dislokation des Unterkieferkörpers paramedian links. e Plattenosteosynthese des Kiefergelenkfortsatzes rechts über transparotidealen Zugang.
f Plattenosteosynthese des Unterkieferkörpers paramedian links. g Osteosynthese der Gelenkwalzenfraktur (Stellplatte auf der Dorsalfläche in Kombination
mit Schrauben von lateral unten) über einen aurikulär transtragalen Zugang. h Postoperative PSA nach Reposition und Osteosynthese aller Frakturen. i Postoperatives 3-D-CT nach Reposition und Osteosynthese der Gelenkwalzenfraktur (Stellplatte
auf der Dorsalfläche in Kombination mit Schrauben von lateral unten).
Osteosynthese der Unterkieferhälften
Osteosynthese der Unterkieferhälften
Im Gegensatz zum Kiefergelenkfortsatz benötigt die Fixation der Unterkieferhälften
aufgrund der Biomechanik eine stabilere und rigidere Fixation. Diese kann entweder
mittels rigider Osteosyntheseplatten oder mittels Zugschrauben durchgeführt werden.
Die optimale Position des Osteosynthesematerials zur Fixation der Unterkieferhälften
ist in [Abb. 12 ] dargestellt und entspricht dem Verlauf der Trajektorien am Unterkiefer.
Zugschraubenosteosynthese
Die Zugschraubenosteosynthese zur Fixation der Unterkieferhälften ermöglicht eine
Kompressionsosteosynthese und bei anatomisch korrekter Reposition eine hohe Funktionsstabilität
[11 ]. Dabei ist die Insertion von mindestens 2 Zugschrauben erforderlich ([Abb. 13 a ] und [14 ]), um Torsionskräften entgegenzuwirken. Die Kompression am Bruchspalt entsteht durch
das Gleitlochprinzip im äußeren (schraubenkopfnahen) Fragment bei gleichzeitigem Fassen
der Schraube im schraubenkopffernen Fragment ([Abb. 13 b ]). Dabei treten Kompressionskräfte sowohl an der Vestibulär- wie an der Lingualfläche
([Abb. 13 b ] und [c ]) des Bruchspalts auf, durch die bei exakter Reposition eine linguale Diastase sicher
vermieden werden kann. Um ein Gleiten der Fragmente bei der Zugschraubenosteosynthese
zu vermeiden, sollten die Zugschrauben möglichst senkrecht zum Bruchspalt inseriert
werden ([Abb. 13 c ] und [d ]). Zur Vermeidung einer Torsion kann statt einer 2. Zugschraube eine Osteosyntheseplatte
am Unterkieferrand appliziert werden ([Abb. 15 ]). In ihrer retrospektiven Analyse konnten Tiwana und Mitarbeiter zeigen, dass eine
Zugschraube im Bereich des Unterkieferrands eine vergleichbare Stabilität hat wie
eine rigide Osteosyntheseplatte [35 ].
Plattenosteosynthese
Die günstigste Position der Osteosyntheseplatten am anterioren Unterkieferkörper wurde
von Champy und Mitarbeiter für die Miniplattenosteosynthese festgelegt [36 ]. Entsprechend dieser Kraftlinien sollten am interforaminären Unterkieferkörper 2
Osteosyntheseplatten verwendet werden, wobei eine am Unterkieferrand und die andere
unterhalb der Zahnwurzeln der Unterkieferfrontzähne angebracht werden sollte. Um eine
ausreichende Stabilität zu erreichen, sollten dabei jeweils mindestens 2 Schrauben
auf jeder Fragmentseite in die Osteosyntheseplatte eingebracht werden. Ein Abstand
von 5 mm zwischen den Platten hat sich als Optimum erwiesen, um Torsionsspannungen
aufzunehmen. Aufgrund der besonderen Biomechanik bei „Open book“-Frakturen sollten
zur Fixation der Unterkieferhälften rigidere Osteosyntheseplatten als sonst üblich
verwendet werden. Dabei haben sich winkelstabile Osteosyntheseplatten mit sogenanntem
Lockingsystem durchgesetzt und die Kompressionsplatten abgelöst. Die Osteosynthese
der Unterkieferhälften bei der „Open book“-Fraktur erfolgt entweder durch nur 1 rigide
bikortikal fixierte Platte am Unterkieferrand ([Abb. 16 a ] und [17 ]) oder aber durch 2 Osteosteosyntheseplatten ([Abb. 16 b ], [18 ] und [19 ]), von denen die rigidere am Unterkieferrand und die 2. unterhalb der Zahnwurzel
positioniert wird. Ellis stellte in einer kürzlich publizierten Studie fest, dass
die Komplikationsrate bei Verwendung einer rigideren Osteosyntheseplatte am Unterkieferrand
geringer ist als bei 2 Platten [19 ].
Resumée
In der Argumentation gegen operative Behandlungsstrategien von Unterkiefer-Dreifach-
mit Beteiligung beider Gelenkfortsätze und der Unterkiefermittenfrakturen werden im
Wesentlichen das Gefährdungspotenzial für den N. facialis bei den Zugängen zu den
Kiefergelenkfortsätzen und sichtbare Narben im Gesichtsbereich angeführt, oftmals
verknüpft mit der Behauptung, mit einer gezielten Physiotherapie gleich gute funktionelle
Ergebnisse erreichen zu können.
Dennoch wird die Therapie nur noch in seltenen Ausnahmefällen in einer geschlossenen
Therapie (Kieferbruchschienen zur MMF und Physiotherapie) bestehen. Auch ohne Dislokation
der 4 Fragmente wird im Allgemeinen die Symphysenregion osteosynthetisch versorgt,
um den raschen Beginn einer Physiotherapie zu gewährleisten. Wenn nicht mit einer
sekundären Dislokation der Kiefergelenkfortsätze gerechnet werden muss, erscheint
dies durchaus akzeptabel.
Bei den hier als „Open book“ titulierten stark dislozierten Unterkiefer-Dreifachfrakturen
kommen konservative – allein auf eine Funktionswiederherstellung ausgerichtete – Therapiekonzepte
prinzipiell aber nicht infrage, weil die Adaptationsleistung vorhersehbar nicht ausreichen
wird, um die massiven Fehlstellungen vollständig zu kompensieren. Eine operative Versorgung
der Symphysen-/Parasymphysenregion in Kombination mit nur 1 der beiden Kiefergelenkfortsatzfrakturen
führt ebenfalls nicht zu regulären anatomischen Verhältnissen des Mandibularbogens
und wird in funktioneller Hinsicht zwangsläufig kompromissbehaftet bleiben.
Nur eine aggressive operative Behandlungsstrategie mit Reposition und Fixation aller
3 Frakturen erscheint prognostisch aussichtsreich, denn das allein vermag die optimalen
morphologischen Voraussetzungen für eine funktionelle Rehabilitation zu liefern. An
vielen Kliniken haben sich die retromandibulären Zugangswege und dabei v. a. die transparotideale
Dissektion sowie bei Vorhandensein eines Spezialinstrumentariums und hinreichender
Erfahrung des OP-Teams der transorale Zugang zur Kiefergelenkfortsatzbasis und zum
Kiefergelenkhals bewährt.
Hohe Gelenkhals- bzw. Gelenkwalzenabbruch und sagittal verlaufende Walzenfrakturen
mit Höhenminderung des Ramus ascendens mandibulae sind nur über präaurikuläre oder
auch über retroaurikulär transmeatale Zugänge darstellbar, wobei diese Zugänge auch
einen intraartikulären Einblick ggf. mit Reposition des Discus articularis gestatten
[11 ], [37 ].
Nach Darstellung aller Frakturzonen bringt es Vorteile, die Reposition und Fixation
in der Reihenfolge Kiefergelenkfortsatzfrakturen zuerst, Kinnmitte zuletzt vorzunehmen.
Denn ein exakter Schluss der Frakturflächen in der Symphysen-/Parasymphysenregion
ohne linguale Diastase lässt sich mit 2 instandgesetzten Hemimandibeln leichter vollziehen,
da die Einstellung der prätraumatischen Okklusion sicherer wird, Rotationsfehler der
Korpusfragmente vermieden werden und sich der Mandibularbogen mithilfe von Repositionsklemmen
gut in Kongruenz bringen und halten lässt, bis eine stabile Osteosynthese durchgeführt
ist.
Seitdem die operative Versorgung von Kiefergelenkfortsatzfrakturen an Popularität
gewonnen hat, konnten mehrere Studien zeigen, dass die Raten an peripheren Fazialisparesen
[11 ], [38 ], [39 ], [40 ] gering sind und es sich immer um kurzfristig reversible Nervenläsionen gehandelt
hat. Bei Routineanwendung und steigenden Lernkurven dürfte sich die Häufigkeit der
Fazialisparesen weiter senken lassen. Durch Auswahl und Modifikation der OP-Zugangswege
lassen sich Narben im Gesichtsbereich darüber hinaus weitgehend kaschieren, sodass
die althergebrachten Ressentiments gegen ein umfassendes operatives Vorgehen bei „Open
book“-Frakturen des Unterkiefers entkräftet werden können. Führt man sich letztendlich
die Schwierigkeiten und Risiken von Sekundäreingriffen zur Korrektur in Fehlstellung
verheilter „Open book“-Frakturen ohne oder nach lediglich unilateraler operativer
Versorgung der Kiefergelenkfortsatzfrakturen vor Augen, so ist es durchaus gerechtfertigt,
die ORIF aller 3 Frakturen bei der „Open book“-Konstellation als absolute Indikation
zu betrachten.