ergopraxis 2012; 5(02): 16-17
DOI: 10.1055/s-0032-1304185
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Sensorische Integrationstherapie bei Autismus – Organisationstalent mit Liebe zur Natur

Simone Gritsch

Subject Editor:
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Publication Date:
03 February 2012 (online)

 

Obwohl SI als wenig evidenzbasiert gilt, greifen viele Therapeuten bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) auf sie zurück. Wie wirksam die Methode bei Kindern mit ASS tatsächlich ist, hat Nadine von Müller in ihrer Bachelorarbeit untersucht.


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(Foto: J. Baldauf)

Sensorische Integrationstherapie bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung

Die Bachelorarbeit

Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) können Gefühle in der Stimme ihrer Mitmenschen nicht interpretieren, was Unterhaltungen erschwert und die Beziehung zu anderen stark beeinträchtigt. Ihre Verhaltensmuster sind begrenzt, repetitiv und stereotyp. Sie halten an nichtfunktionalen Ritualen fest und interessieren sich stark für sensorische Eindrücke. All diese Symptome schränken ihre Teilhabe in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens ein, sowohl zu Hause als auch im Kindergarten oder in der Schule.

Werden Kinder mit ASS ergotherapeutisch behandelt, entscheiden sich die Therapeuten häufig für die Sensorische Integrationstherapie (SI) nach Ayres - obwohl sie als wenig evidenzbasiert gilt. Kritiker wie die Gesellschaft für Neuropädiatrie e.V. bemängeln, dass die Methode auf veralteten Annahmen beruht. Die Behandlung richte sich außerdem nur auf die Wahrnehmung und berücksichtige die eigentlichen Ziele der Ergotherapie wie größtmögliche Selbstständigkeit im Alltag nicht.

Dieser Kritik ging Nadine von Müller auf den Grund und suchte systematisch nach aktueller Literatur, welche die Effektivität der SI bei Kindern mit ASS bewertet. Ihr Ziel war es, herauszufinden, inwiefern sich repetitives und selbstverletzendes Verhalten sowie das zweckgerichtete Spiel und die Interaktion mit Gleichaltrigen und Erwachsenen durch SI verändert. Bei ihrer Recherche stieß sie auf fünf Studien aus den Jahren 1999 bis 2011. Die Arbeiten befanden sich auf Level II und III der Evidenzgrade und teilten sich auf in drei klinische Studien ohne Randomisierung und zwei randomisierte kontrollierte Studien.

  • von Müller N. Sensorische Integrationstherapie nach Jean Ayres bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung. Bachelorarbeit an der SRH Fachschule für Gesundheit Gera; 2011


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Ergebnisse

Nadine von Müller fand heraus, dass …

  • > die untersuchten Kinder ihre Spielaktivitäten durch SI zwar verbesserten, diese jedoch sehr variabel und unbeständig waren.

  • > die Kinder zwar neue Verhaltensweisen wie Augenkontakt entwickelten, diese jedoch nicht nur auf die SI zurückzuführen waren.

  • > sich die Interaktion mit anderen nicht oder kaum verbesserte.

  • > sich die sensorischen Probleme der Kinder nach der SI-Behandlung reduzierten. Diese Beobachtungen waren jedoch rein subjektiv und wurden nicht zusätzlich erhoben.


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Fazit

Zusammenfassend hält Nadine von Müller fest, dass...

  • > die fünf gefundenen Studien eine geringe Anzahl an Probanden aufwiesen (zweimal 4, 5, 30 und 37 Patienten).

  • > drei Studien nur mit Jungen durchgeführt wurden.

  • > die untersuchten Behandlungszeiträume für eine Behandlung nach SI zu gering waren (10 bis 84 Tage).

  • > die Behandlungsfrequenzen unterschiedlich und somit nicht vergleichbar waren (ein-und dreimal pro Woche).

  • > in allen Studien unterschiedliche Outcomes verwendet wurden (Interaktion, Wahrnehmungsverarbeitung, sozio-emotionale Faktoren). Damit ist ein Vergleich nicht möglich.

  • > keine Follow-up-Untersuchungen stattfanden, um die Wirkung nach dem Behandlungsende zu dokumentieren.

  • > die Behandlung nach SI nicht kontinuierlich stattfand, sondern zum Teil im Wechsel mit anderen Methoden.

  • > die Effektivität der Sensorischen Integrationstherapie bei Kindern mit ASS bislang unzureichend untersucht ist und man keine endgültige Aussage darüber treffen kann.

Nadine von Müller …

… ist seit 2007 Ergotherapeutin und war seither sowohl ambulant als auch stationär in den Fachbereichen Orthopädie, Neurologie und Pädiatrie tätig. „Nebenbei“ absolvierte sie ein berufsbegleitendes Ergotherapie-Bachelorstudium an der SRH Fachhochschule für Gesundheit in Gera und brachte eine Tochter zur Welt. Auch wenn die Kleine derzeit im Mittelpunkt steht, findet Nadine von Müller dennoch Zeit für die Familie, Freunde und ihre Hobbys. Dazu gehören Sport, Wandern, Lesen und der Garten. Mit dem Thema ihrer Bachelorarbeit hat sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Zum einen interessierte sich die Ergotherapeutin für das Krankheitsbild „Autismus“ und zum anderen konnte sie so herausfinden, ob sich eine Weiterbildung lohnt („erst mal nicht“).


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(Foto: J. Baldauf)