PiD - Psychotherapie im Dialog 2012; 13(3): 1
DOI: 10.1055/s-0032-1304987
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Kunst der Kurzzeittherapie

Barbara  Stein, Volker  Köllner
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Publication Date:
04 September 2012 (online)

Kurzzeittherapie hat in der heutigen psychotherapeutischen Versorgungsrealität einen festen Stellenwert. Unabhängig vom professionellen Hintergrund des Psychotherapeuten und von der Psychotherapieschule sind Kurztherapien in der ambulanten, stationären und teilstationären Versorgung ein häufig genutztes Interventionsverfahren. Laut dem jüngst veröffentlichten Psychotherapiegutachten der KBV unter Federführung von Kruse und anderen (2012) sind über die Hälfte der genehmigten ambulanten Psychotherapien Kurzzeittherapien von bis zu 25 Stunden. Es bleibt jedoch unklar, ob diese nicht später in eine Langzeittherapie überführt werden.

Ein PiD-Heft zum Thema Kurzzeittherapie ist daher schon lange überfällig. Wobei der Begriff Kurzzeittherapie vielfältig genutzt wird. Die Richtlinienpsychotherapie versteht darunter eine in sich abgeschlossene psychotherapeutische Intervention von bis zu 25 Stunden in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie oder Verhaltenstherapie. Andererseits haben sich aus systemischer und analytischer Richtung vielfältige Konzepte entwickelt, die ausschließlich oder überwiegend als Kurztherapie – häufig sogar mit nur wenigen Sitzungen – angeboten werden und spezifische Interventionen beinhalten. Die Verhaltenstherapeuten waren sicher dieser Entwicklung einen Schritt voraus, da verhaltenstherapeutisch orientierte Interventionsstrategien häufig ohnehin auf eine zeitlich kurze Therapiedauer ausgerichtet sind. Der Hintergrund dieser Entwicklungen ist nicht nur im ökomischen Druck im Gesundheitswesen zu möglichst kostensparenden aber effektiven Interventionsansätzen zu sehen, sondern auch in der zunehmenden Pluralität der Psychotherapiemethoden und dem Bestreben der Psychotherapeuten, ihre therapeutischen Angebote an die jeweiligen Erfordernisse und Bedürfnisse der Patienten und ihrer Praxis anzupassen.

Die Wartelisten auf einen ambulanten Psychotherapieplatz sind lang, die Gründe dafür sicher vielfältig. Durchschnittlich warten Ratsuchende über 2,5 Monate bis zu einem Erstgespräch bei einem Psychotherapeuten. Dann folgt in der Regel die Wartezeit auf einen Behandlungsplatz. Dies führt zur Verschlechterung der psychischen Befindlichkeit, Chronifizierung droht. Wir wissen, dass mit der Länge der Wartezeit das Risiko wächst, überhaupt keine adäquate psychotherapeutische Behandlung zu erhalten oder in Anspruch zu nehmen. Wäre Kurzzeittherapie nicht ein probates Mittel, diese Wartelisten zu verkürzen? Um die Unterversorgung durch einen erhöhten Durchlauf in den psychotherapeutischen Praxen zu verringern?

Natürlich ist Kurztherapie keine verkürzte, keine sozusagen „Miniversion“ einer Langzeittherapie. Sie bedient sich spezifischer Therapieelemente, erfordert spezifische gezielte Therapieplanungen und -ziele und natürlich auch ein spezifisches Training dieser Konzepte und der Nutzung dieser Strategien. Es muss in kurzer Zeit gelingen, eine tragfähige therapeutische Beziehung herzustellen, eine Motivations- und Zielklärung zu erreichen und die Ressourcen zur Bewältigung der Probleme zu aktivieren. Die Kunst der Kurzzeittherapie will gelernt sein!

Dieses Heft soll Ihnen, lieber Leser, liebe Leserin, einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Kurztherapie geben. Wir haben uns gefragt: Welche Kurztherapieansätze unterschiedlicher Therapieschulen gibt es? Wie wird Kurztherapie eingesetzt? Wann beginnt und wann endet sie? Welche Patienten profitieren von welchen Kurztherapieansätzen? Welche Modelle finden sich in der Versorgungspraxis?

Wir haben uns daher entschieden, in der Rubrik Standpunkte neben einem Verhaltenstherapeuten und einer Analytikerin die Psychotherapieforscher zu Wort kommen zu lassen, um so die Frage der differenziellen Indikation zu diskutieren. Es folgen Beispiele von Kurztherapieansätzen aus unterschiedlichen Psychotherapieschulen, der kognitiven Therapie, der Hypnotherapie, der tiefenpsychologischen Fokaltherapie und der systemisch-lösungsorientierten Paartherapie. Wie immer ist das Heft reich an Beiträgen, die die Umsetzung von Kurzzeittherapiekonzepten in die Praxis demonstrieren. Hier finden sich lesenswerte Beispiele aus dem stationären und ambulanten Bereich, bei Kindern und Jugendlichen, mit körperlich Kranken, in Zusammenarbeit mit Betrieben, oder Kurztherapie via Internet. Auch geht ein Beitrag der Frage nach, was zwischen den Therapiesitzungen passiert, sicher eine für die Kurztherapie wichtige Frage. Mit Alf Gerlach und Jürgen Markgraf vertreten in den spannenden Interviews zwei ausgewiesene Experten pointiert ihre Position zu unserem Thema.

Es ist kein „kurzes“ Heft geworden. Bei der Erstellung des Heftes wurden wir mit der Pluralität der unterschiedlichen Konzepte konfrontiert, der Strauß ist bunt und vielfältig geworden. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und freuen uns auf Ihre Reaktionen!