Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(23): 1241
DOI: 10.1055/s-0032-1305083
Editorial
Versorgungsforschung, Gesundheitsfachberufe
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Überlegungen zur Versorgungsforschung

Considerations about health services research
W. Kirch
1   Forschungsverbund Public Health Sachsen und Sachsen-Anhalt, Dresden
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. Mai 2012 (online)

Die drei Standbeine der medizinischen Forschung sind die Grundlagenforschung, die klinische Forschung und – in den letzten Jahren viel besprochen – die Versorgungsforschung. Sinn und Zielsetzung der Grundlagenforschung sind von vornherein klar und müssen hier nicht weiter diskutiert werden. In kontrollierten klinischen Studien wird prospektiv das Für und Wider medizinischer Maßnahmen geprüft. Dabei werden Ein- und Ausschlusskriterien im Versuchsprotokoll zugrundegelegt, und es wird gegen Placebo oder Referenzmaßnahmen geprüft. Wenn die vorgesehene Untersuchung Ein- und Ausschlusskriterien umfasst, die nicht von den zu prüfenden Personen erfüllt werden, so ist sie nicht lege artis durchführbar. Durch die Definition von Ein- und Ausschlusskriterien haben klinische Prüfungen in gewisser Weise immer einen artefiziellen Charakter.

Im Gegensatz dazu orientiert sich Versorgungsforschung stets an den tatsächlichen Praxisbedingungen, unter denen diagnostische und therapeutische Maßnahmen stattfinden. Versorgungsforschung spiegelt also die Realität des medizinischen Alltags wider. Sie gibt Auskunft über Qualität und Kosten der Versorgung, den sogenannten „Outcome“ des Patienten (sein „Ergebnis“) und somit die „letzte Meile zum Patienten“. Dabei sind keine Voraussetzungen für das formuliert, was geschieht. Dies ist es letztlich, was Arzt, Patient und die ganze medizinische Welt über diagnostische und therapeutische Maßnahmen wissen wollen. Deswegen ist Versorgungsforschung unverzichtbar. In dieser Wochenschrift wurde und wird diesem Thema seit vielen Jahren zu Recht schon einige Aufmerksamkeit gewidmet [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8].

Beim Thema Versorgungsforschung sollte man nicht nur an die ärztliche Tätigkeit und an das „Funktionieren“ neuer Medikamente denken: Die „letzte Meile zum Patienten“ hat selbstverständlich ganz wesentlich auch mit den Gesundheitsfachberufen zu tun. Sehr viele medizinische Maßnahmen werden nur in vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Arzt und beispielsweise Pfleger, Physiotherapeut, Ergotherapeut, Hebamme oder Logopäden erfolgreich sein.

Da wäre es fast schon fahrlässig, nicht auch bei Gesundheitsfachberufen Anstrengungen zu einer intensivierten Forschung zu unternehmen. Schließlich sind die Ressourcen begrenzt, und wir müssen sie ideologiefrei, fundiert und sachorientiert einsetzen.

Erfahrungen aus anderen Ländern können uns vielleicht in gewissem Umfang helfen, Fehler zu vermeiden (siehe Seite 1264). Wichtiger noch ist aber ein systematischer Ansatz zur Förderung der Forschung. Im Supplement zu diesem Heft (Suppl. 2/2012: Forschung in den Gesundheitsfachberufen) beschreibt eine Arbeitsgruppe des Gesundheitsforschungsrates mögliche Wege, die zu rationalen Entscheidungen im deutschen Gesundheitswesen der Zukunft führen können. Eines ist sicher: Die Versorgungsforschung wird auch hier ein unverzichtbarer Bestandteil sein.