Schlüsselwörter
Testosteron - Androgendefizit - Late-onset-Hypogonadismus - Gebrechlichkeit - Sarkopenie
Keywords
testosterone - androgen deficiency - late-onset-hypogonadism - frailty - sarcopenia
Androgendefizit – ein laborchemisch
geprägter Begriff
Androgendefizit – ein laborchemisch
geprägter Begriff
Eine der Menopause vergleichbare Andropause gibt es nicht. Während es bei der Frau
im Alter zwischen 40 und 55 Jahren physiologischerweise zu einem definitiven Erlöschen
der ovariellen Östradiol- und Progesteron-Produktion kommt, nimmt beim Mann die Testosteronproduktion
mit zunehmendem Alter allenfalls graduell ab [15]
[16]. Ungeachtet großer interindividueller Schwankungen kommt es damit statistisch zu
einer Linksverschiebung des altersspezifischen Referenzbereichs für das Gesamttestosteron
[27] (Abb.
[
1
]). Ein Androgendefizit wird jedoch altersunabhängig an der Untergrenze des Referenzbereiches
für Gesamttestosteron bei jungen Männern festgemacht [4]. Uneinigkeit herrscht dabei über den konkreten Schwellenwert, der zwischen 230 und
345 ng/dl (entsprechend 8–12 nmol/l) angesetzt wird. Demnach würden bei einem (in
praxi gängigen) Schwellenwert von 300 ng/dl (10,4 nmol/l) bereits etwa 30 % aller
über 80-jährigen Männer der Definition eines laborchemischen Androgendefizits genügen
[19].
Abb. 1 Der Begriff Androgendefizit ist laborchemisch definiert und orientiert sich an der
unteren Grenze des Referenzbereichs jüngerer Männer. Die hellblauen Balken kennzeichnen
die nach
Schatz et al. [27] altersadjustierten Referenzbereiche.
Im Plasma ist knapp die Hälfte des Gesamttestosterons an Sexualhormon-bindendes Globulin
(SHBG) gebunden und damit biologisch inaktiv. Das übrige Plasmatestosteron ist weitgehend
an Albumin gebunden und damit auch nur bedingt biologisch aktiv. Nur etwa 2 % des
Plasmatestosterons ist nicht Protein-gebunden und entspricht damit dem biologisch
aktiven – freien – Testosteron. Analyseverfahren, die selektiv entweder das sogenannte
biologisch verfügbare Testosteron (= Albumin-gebundenes plus freies Testosteron) oder
nur das freie Testosteron messen, sind für den klinischen Routinebetrieb methodisch
zu hinterfragen [36]
[37]. Es gilt aber formell auch ein freier Testosteronspiegel von weniger als 65 pg/ml
(entsprechend < 225 pmol/l) als hinreichend für die Diagnose eines laborchemischen
Androgendefizits [4]. Hiervon wäre dann rund die Hälfte aller über 80-jährigen Männer betroffen [19].
Bei der Präanalytik einer Testosteronbestimmung sind generell die Tageszeitenschwankungen
mit einer Differenz der Werte um bis zu 25 % bei morgendlich-nüchterner versus nachmittäglicher
Blutabnahme zu berücksichtigen. Auch wenn die tageszeitliche Varianz im fortgeschrittenen
Alter weniger stark ausgeprägt ist, sollte auch beim älteren Mann durch eine morgendlich-nüchterne
Blutentnahme (zwischen 7.00 und 11.00 Uhr) der zirkadiane Spitzenwert für die Diagnose
eines Androgendefizits zugrunde gelegt werden [6].
Zusammengefasst erscheint also beim älteren Mann der laborchemische Befund eines Androgendefizits,
wie er in den Leitlinien definiert wird [4], ziemlich häufig. Nicht nur in der sogenannten Anti-Aging-Medizin, sondern auch
in der Geriatrie stellt sich deshalb die Frage nach der therapeutischen Konsequenz.
Der Befund des Androgendefizits orientiert sich am Referenzbereich für junge Männern.
Die hierfür gängigen Schwellenwerte für Gesamttestosteron (< 300 ng/dl bzw. < 10,4 nmol/l)
oder freies Testosteron (< 65 pg/ml bzw. < 225 pmol/l) sind relativ hoch und beim
Mann in der dritten (60–79) und vierten Lebensphase (> 80 Jahre) nicht hinreichend
für die Indikationsstellung einer Testosteronsupplementation.
Androgendefizit – ein vermeidbares Mortalitätsrisiko?
Androgendefizit – ein vermeidbares Mortalitätsrisiko?
In zahlreichen Studien wurden niedrige Testosteronwerte des älteren Mannes mit erhöhtem
Mortalitätsrisiko in Zusammenhang gebracht [30]
[31]
[33]
[38]. Diese Erkenntnisse, die sich beispielsweise auch in einer jüngsten metaanalytischen
Auswertung widerspiegeln [1], basieren allerdings auf Observationsstudien. Eine Scheinkorrelation ist aufgrund
eines Konfundierungseffektes nicht ausgeschlossen und daher kann auch keine Kausalität
abgeleitet werden. Entsprechend könnte ein niedriger Testosteronspiegel beim älteren
Mann nur Surrogatparameter für einen schlechteren Gesundheitszustand und die assoziierte
erhöhte Mortalität ohne unmittelbaren Kausalitätszusammenhang sein. Gleiches gilt
auch für die kürzlich erschienenen Metaanalysen, die einen assoziativen Zusammenhang
zwischen niedrigem Testosteronspiegel einerseits und metabolischem Syndrom, Typ-2-Diabetes-mellitus
sowie kardiovaskulärer Morbidität andererseits nahelegen [7]
[9]
[10]
[24]. Da ebenso hier überzeugende, eine potenzielle Kausalität belegende Interventionsstudien
fehlen, sind jegliche praktisch-klinische Schlussfolgerungen verfrüht [25].
Die gefundenen assoziativen Zusammenhänge zwischen niedrigem Testosteron einerseits
und Mortalität, kardiovaskulärer Morbidität sowie metabolischen Störungen andererseits
belegen [noch] keinen Kausalitätsbezug und sind insofern nicht hinreichend für die
Indikationsstellung einer
Testosteronsupplementation.
Late-onset-Hypogonadismus – Krankheitsbild von geriatrischer Relevanz?
Late-onset-Hypogonadismus – Krankheitsbild von geriatrischer Relevanz?
Unabhängig von den eben erwähnten kardiometabolischen Implikationen wird dem Testosterondefizit
im höheren Lebensalter seit langem ein andrologischer Krankheitswert beigemessen und
nosologisch als sogenannter Late-onset-Hypogonadismus beschrieben [4]
[28]
[39]. Dieser ist dabei ein sowohl klinisch als auch laborchemisch definiertes Syndrom
und damit – zumindest theoretisch – nicht gleichzusetzen mit dem laborchemisch definierten
Androgendefizit, das formell nur einen Teilbefund des Late-onset-Hypogonadismus darstellt.
In den internationalen Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie, die in den Jahren
2008/2009 gleichlautend in 6 unterschiedlichen Fachjournalen publiziert wurden (z. B.
[39]), werden klinisch die immanente Verschlechterung der Lebensqualität und die mögliche
Beeinträchtigung von Organfunktionen bei Late-onset-Hypogonadismus betont. Die für
die Diagnose relevanten Symptome sind in diesen Empfehlungen sehr breit gefächert,
wobei neben (i.) sexualanamnestischen Aspekten (Libidoverlust, verminderte Erektionsfähigkeit, Veränderung
der Körperbehaarung) auch (ii.) Stimmungsauffälligkeiten (Depressivität, Schlafstörungen) und (iii.) eine Abnahme der körperlichen Fitness (inklusive Abnahme von Knochen- und Muskelmasse
sowie Zunahme der Fettmasse) berücksichtigt werden können. In Anbetracht dieser unspezifischen
Symptomenpalette mit breitem Deutungsspielraum erscheint der laborchemische Nachweis
eines Testosteronmangels mehr oder weniger als der einzig harte Befund bei der Diagnosefindung,
womit auch die o. g. Unterscheidung zwischen Androgendefizit und Late-onset-Hypogonadismus
akademisch wird.
Nach den internationalen Leitlinien wird eine Testosteronsubstitution (i.) bei Vorliegen stark erniedrigter Gesamttestosteronspiegel (< 250 ng/dl bzw. < 8 nmol/l)
oder (ii.) bei Vorliegen eines moderat erniedrigten Gesamttestosterons (< 350 ng/dl bzw. < 12 nmol/l)
bei zugleich erniedrigtem freien Testosteronspiegel (< 65 pg/ml bzw. < 225 pmol/l)
empfohlen [39].
Vor dem Hintergrund der im Jahre 2010 publizierten EMAS-Studie (European Male Aging
Study) erscheinen diese Leitlinienempfehlungen allerdings überholt und revisionsbedürftig
[40]: An ungefähr 3500 Männern im Alter zwischen 40 und 79 Jahren wurde das für Late-onset-Hypogonadismus
typische Symptomenspektrum der Vita sexualis, der Psyche und der körperlichen Fitness
durch einen ausführlichen Fragenkatalog unterfüttert. Die anschließende detaillierte
statistische Analyse erbrachte das ernüchternde Ergebnis, dass letztlich nur ein Zusammentreffen
der drei sexualanamnestischen Symptome (i.) Libidoverlust, (ii.) Impotentia coeundi und (iii.) Ausbleiben der morgendlichen Gliedtumeszenz (< 1×/Monat) in Kombination mit niedrigem
Gesamttestosteron (< 320 ng/dl bzw. < 11 nmol/l) und niedrigem freien Testosteron
(< 65 pg/ml bzw. < 225 pmol/l) die klinisch-laborchemische Syndromdiagnose eines Late-onset-Hypogonadismus
rechtfertigt (Abb.
[
2
]). Legt man diese strikten Diagnosekriterien zugrunde, wäre immerhin etwa jeder 20.
Mann über 70 Jahre von einem Late-onset-Hypogonadismus betroffen [15]
[35]. Als Folge der EMAS-Studie ist mittlerweile die proaktive Grundtendenz bei Diagnose
und Therapie, wie sie sich noch in den o. g. internationalen Empfehlungen aus den
Jahren 2008/2009 findet [39], einer eher vorsichtig zurückhaltenden Behandlungsstrategie gewichen [17]
[29].
Abb. 2 Der Begriff Late-onset-Hypogonadismus bezeichnet ein sowohl klinisch als auch
laborchemisch definiertes Syndrom. Die ehemals umfangreiche und unspezifische diagnostische
Symptomenliste muss vor dem Hintergrund der EMAS-Studie [40] gekürzt
werden und sich auf die sexualmedizinische Anamnese konzentrieren. Der Late-onset-Hypogonadismus
verliert damit an geriatrischer Bedeutung.
Der Late-onset-Hypogonadismus ist ein bislang eher über-
diagnostiziertes sexualmedizinisch akzentuiertes Syndrom des rüstigen älteren Mannes
und besitzt keine unmittelbare geriatrische Relevanz.
Testosteron – ein Medikament der Geriatrie?
Testosteron – ein Medikament der Geriatrie?
Während das revidierte Krankheitskonzept des Late-onset-Hypogonadismus eher der Lifestyle-
und Anti-Aging-Medizin zugeordnet werden muss, wird jedoch der Testosteronmangel seit
längerem auch unter spezifisch geriatrischem Fokus erforscht.
Anfangs interessierte dabei besonders die „anti-osteoporogene“ Wirkung von Testosteron,
die vornehmlich indirekt, d. h. durch Umwandlung (Aromatisierung) von Testosteron
zum direkt knochenaktiven Östradiol mediiert wird [11]
[22]. So war in einer großen Beobachtungsstudie an rund 2500 über 65-Jährigen ein stark
erniedrigtes Gesamttestosteron (< 200 ng/dl bzw. < 6,4 nmol/l) im Vergleich zu normalen
Testosteron-Spiegeln (> 400 ng/dl bzw. > 13,9 nmol/l) mit einem etwa 3,5-fach höheren
Osteoporoserisiko (sogenannte messtechnische Osteoporose mit T-WertHüfte ≤ -2,5) behaftet [13]. Dieselbe Studie legte allerdings auch nahe, dass das beim älteren Mann viel häufiger
vorkommende moderate Androgendefizit (Gesamttestosteron 200 – 400 ng/dl bzw. 6,4 –
13,9 nmol/l) nicht mit einem erhöhten Osteoporoserisiko einhergeht [13]. Folgerichtig ergab eine Metaanalyse, die den Einfluss einer Testosteronsupplementation
auf den Knochen untersuchte und dabei Studien an älteren Männern miteinbezog, keine
Verbesserung der Knochendichte [34]. Vor diesem Hintergrund verwundert es schließlich nicht, dass der Testosteronspiegel
beim älteren Mann keine Vorhersagekraft für osteoporotisch bedingte Frakturen besitzt
[22]. Lediglich bei Stürzen, die zusammen mit dem osteologischen Befund das Risiko einer
peripheren osteoporotischen Fraktur ausmachen, zeigte sich in einer Beobachtungsstudie
eine mögliche Gefahrenkonstellation durch verminderte Testosteronspiegel. So hatten
Männer mit einem Durchschnittsalter von 71 ± 5 Jahren und einem Androgendefizit (Gesamttestosteron
entsprechend niedrigster Quartile: < 377 ng/dl bzw. < 13,1 nmol/l) ein rund 4-fach
höheres Sturzrisiko im Vergleich zu Männern mit hohem Testosteronspiegel (Gesamttestosteron
entsprechend höchster Quartile der Kohorte: > 568 ng/dl bzw. > 19,7 nmol/l) [5].
Losgelöst vom Problemkreis Osteoporose/Sturz/Fraktur orientieren sich die geriatrisch
geprägten
Studien zu Testosteron in letzter Zeit zunehmend an den operationalisierten Begriffen
Frailty (engl.
„Gebrechlichkeit“) und „Sarkopenie“, d. h. einer Abnahme von Muskelmasse und -kraft.
Auf der Ebene
von Beobachtungsstudien ist der Zusammenhang zwischen (dem Risiko für) Frailty und
einem
Androgendefizit allerdings nicht komplett überzeugend: Wenn überhaupt, gibt es einen
solchen nur für
das freie Testosteron [8]
[18]
[21]
[23]. Im Jahre 2010 erschienen drei
randomisiert-kontrollierte Interventionsstudien, die im Zusammenhang mit Frailty und
Sarkopenie den
Nutzen und das Risiko einer Testosteronsupplementation näher untersuchten [3]
[20]
[32]
[35]:
-
In der ersten Studie von Srinivas-Shankar et al. [32] wurden rund 275 Männer im Alter über 65 Jahre (Durchschnittsalter 74 Jahre) aufgenommen,
die ein Androgendefizit aufwiesen (Gesamttestosteron < 12 nmol/l [≈ 375 ng/dl] und/oder
freies Testosteron < 250 pmol/l [≈ 70 pg/ml]) und mindestens ein sogenanntes Fried-Kriterium
[14] erfüllten. Die Fried-Kriterien bilden den biomedizinisch-phänotypischen Rahmen von
Frailty und umfassen dabei (i.) einen subjektiv empfundenen Erschöpfungszustand, (ii.)
einen ungewollten Gewichtsverlust, (iii.) eine Abnahme der Muskelkraft, (iv.) eine
Verlangsamung der Gehgeschwindigkeit sowie (v.) eine Abnahme körperlicher Aktivität
und des damit verbundenen Kalorienverbrauchs [14]. Bei dieser Studiengruppe zeigten sich nach 6-monatiger Testosteronsupplementation
(25–75 mg transdermales Testosteron) in der Verumgruppe Positiveffekte hinsichtlich
(i.) der Muskelkraft der unteren Extremität (isokinetische Kraftwerte bei der Kniestreckung),
(ii.) der Körperzusammensetzung (fettfreie Masse ↑/ Fettmasse ↓) und (iii.) der Lebensqualität.
Insgesamt waren diese Effekte jedoch relativ gering, sodass trotz Signifikanz die
Relevanz dieser Effekte hinterfragt werden kann. Darüber hinaus erscheint die isokinetische
Kraftmessung der Kniestrecker als primärer Outcome-Parameter eklektizistisch, insbesondere
vor dem Hintergrund der multiplen Testung diverser weiterer muskulo-skelettaler Parameter
mit Negativresultaten.
-
In der Studie von Kenny et al. [20] wurden rund 130 Männer im Alter über 57 Jahre (Durchschnittsalter 77 Jahre) mit
Androgendefizit (u. a. Gesamttestosteronspiegel < 350 ng/dl [≈ 12 nmol/l]) aufgenommen.
Die Rekrutierungspraxis dieser Studie ist verwirrend: Sie beinhaltete ursprünglich
Männer im Alter über 50 Jahre mit osteoporotisch bedingter Hüftfaktur. Diese Einschlusskriterien
wurden im Laufe der Studie umgeändert, in Hinblick auf (i.) Altersgrenze (≥ 60 Jahre),
(ii.) osteologische Kriterien (entweder T-Score-Hüfte ≤ -2,0 oder osteoporotisch bedingte Hüftfraktur innerhalb der letzten 5 Jahre) sowie
(iii.) Frailty (≥ 1 Fried-Kriterium [14]). Nach einjähriger transdermaler Testosteronsupplementation zeigte sich gegenüber
Placebo ein signifikanter Nutzen nur im Hinblick auf die Körperzusammensetzung (fettfreie
Masse ↑/ Fettmasse↓); die muskuloskelettalen Funktionsparameter verbesserten sich
nicht. Eine Unterscheidung zwischen primären und sekundären Outcome-Parametern wurde bei
dieser methodisch angreifbaren Studie gar nicht in Betracht gezogen.
-
Zu erheblichen Diskussionen führte schließlich auch die sogenannte TOM-Studie (Testosterone
in Older Men with Mobility Limitations) aus der Arbeitsgruppe um Shalender Bhasin
[3]
[35]. In dieser Studie wurden rund 200 Männer im Alter über 65 Jahre (Durchschnittsalter
74 Jahre) aufgenommen, die ein Androgendefizit (Gesamttestosteron < 12 nmol/l
[≈ 375 ng/dl] und/oder freies Testosteron < 155 pmol/l
[≈ 50 pg/ml]) aufwiesen und in ihrer Mobilität beeinträchtigt waren. Die Studie war
initial auf ein halbes Jahr ausgelegt; die Intervention bestand in der transdermalen
Applikation von 50–150 mg Testosteron täglich. Allerdings musste die Studie wegen
Häufung kardiovaskulärer Ereignisse in der Verumgruppe vorzeitig abgebrochen werden.
Bei den Probanden, die bis dahin mindestens eine 3-monatige Intervention durchlaufen
hatten, zeigten sich durch Testosteron allenfalls minimale – gleichwohl signifikante
– Verbesserungen in den isometrisch gemessenen Kraftwerten für die Knieextension („leg
press“, primärer Endpunkt) und das Bankdrücken („chest press“) sowie ferner beim Treppensteigen
mit Gewichten und bei der Körperzusammensetzung (fettfreie Masse ↑) (Abb.
[
3
]).
Abb. 3 Ernüchternde und zugleich aufrüttelnde Ergebnisse der TOM-Studie [35]. Männer mit Mobilitätsbeeinträchtigung und Androgendefizit, im
Durchschnitt 74 Jahre, erhielten in einer randomisiert-kontrollierten Studie Testosteron.
Der
geringfügige Testosteron-Effekt beim primären Outcome-Parameter (Kraft der unteren
Extremität
[Kniestreckung], Graph 3a) wurde durch eine starke Zunahme kardiovaskulärer Ereignisse
erkauft
(Graph 3b). NNH = number needed to harm.
Auf dem Boden dieser drei Interventionsstudien muss man zu dem ernüchternden Ergebnis
kommen, dass die Positiveffekte einer (alleinigen) Testosteronsupplementation bei
gebrechlichen Männern vernachlässigbar gering sind. Unter Einbeziehung einer weiteren,
morphologisch ausgerichteten Interventionsstudie [2] kann durch Testosteronsupplementation bei Frailty-gefährdeten Männern allenfalls
eine Zunahme der Muskelmasse erwartet werden, die sich aber funktionell kaum auszahlt.
Fairerweise sollten diese ernüchternden Ergebnisse zu Testosteron im geriatrischen
Bereich wissenschaftlich zunächst nur als Zwischenergebnis gewertet werden. So kann
es durchaus sein, dass Testosteron zwar nicht allein, jedoch synergistisch im Rahmen
eines kombinierten Therapieansatzes von Nutzen sein könnte [26]. Allerdings muss zuvor unbedingt die aktuell am heftigsten diskutierte Problematik
geklärt werden, welche das potenzielle intrinsisch-kardiovaskuläre Risiko einer Testosteronsupplementation
im Alter betrifft.
Geriatrisch akzentuierte Interventionsstudien mit Testosteron existieren im Zusammenhang
mit Knochendichte sowie Muskelmasse/-kraft. Sie tangieren damit die Entitäten Osteoporose
und Sarkopenie, überzeugen jedoch in beiden Fällen nicht.
Testosteronsupplementation im Alter –
eine Pandorabüchse?
Testosteronsupplementation im Alter –
eine Pandorabüchse?
Die bereits oben erwähnte, hochrangig publizierte TOM-Studie [3] erzielte ihre Aufmerksamkeit nicht aufgrund ihrer bescheidenen Ergebnisse im Hinblick
auf die Testosteron-bedingte Verbesserung der Muskelfunktion, sondern wegen des in
der Verumgruppe gehäuften Auftretens kardiovaskulärer Ereignisse. Das absolute Risiko
entsprach – je nach gewählter Kategorisierung – einer number needed to harm (NNH)
zwischen 5,5 und 11, sodass die eigentlich auf 6 Monate ausgelegte Studie vorzeitig
abgebrochen werden musste.
Die kardiovaskulären Komplikationen in der TOM-Studie kamen völlig unerwartet und
stehen überdies im Gegensatz zur eingangs erwähnten Assoziation zwischen kardiovaskulärem
Risiko und Androgendefizit. Ferner erschien noch kurz vor Veröffentlichung der TOM-Studie
eine entwarnende Metaanalyse, die sich mit den kardiovaskulären und Prostata-spezifischen
Nebenwirkungen einer mindestens 3 Monate andauernden Testosterontherapie auseinandersetzte
[12]. Die Autoren dieser Metaanalyse wiesen nur auf einen Testosteron-bedingten Abfall
des HDL-Cholesterins und einen Anstieg des Hämatokrits hin, der sich in der Subgruppenanalyse
bei den Über-65-Jährigen besonders stark zeigte [12]. Im Nachhinein könnte sich dahinter
ein Erklärungsansatz für die unerwarteten Ergebnisse der TOM-Studie verbergen (Blutviskositätsproblem).
Theoretisch könnten die Ergebnisse der TOM-Studie aufgrund der relativ kleinen Fallzahl
und/oder aufgrund der ungleichmäßigen Komorbiditätsverteilung bei arterieller Hypertonie
und Hyperlipidämie auch zufällig bzw. Testosteron-unabhängig zustande gekommen sein.
Dennoch sind die Daten existent und lassen sich nicht so leicht wegdiskutieren, sodass
bei der Verordnung von Testosteron zum jetzigen Zeitpunkt zur besonderen Vorsicht
geraten werden muss. Vor dem Hintergrund der TOM-Studie und ungeachtet der (vielleicht
überinterpretierten?) Assoziationsstudien zwischen Androgendefizit und kardiovaskulärem
Risikoprofil plädieren wir deshalb beim älteren Mann mit kardiovaskulärer Anamnese
für eine streng zurückhaltende Verordnung von Testosteron. Folgerichtig sollte eine
Behandlung nur als wohlbegründete Einzelfallentscheidung entweder nach fachärztlich
endokrinologischer Maßgabe oder im Rahmen überwachter klinischer Studien erfolgen.
In diesem Falle müssen dann auch die übrigen potenziellen Nebenwirkungen einer Testosteronsupplementation
bedacht und entsprechend engmaschig kontrolliert werden (Abb.
[
4
]).
Abb. 4 Kontrollbedürftige, potenzielle Nebenwirkungen einer Testosteronsupplementation,
die für den abwägenden Therapieentscheid beim Mann in der dritten (60–79 Jahre) und
vor allem
vierten Lebensphase (> 80 Jahre) von hoher Relevanz sind (modifiziert nach [41]). PSA = Prostata-spezifisches Antigen.
Dem Studienabbruch der sog. TOM-Studie lag das vermehrte Auftreten kardiovaskulärer
Ereignisse bei Testosteron-supplementierten älteren Männern zugrunde. Diese unerwartete
und bislang ungeklärte Nebenwirkung sollte eine wohlüberlegte und streng restriktive
Neuverordnung von Testosteron beim Mann ab 65 Jahren bedingen.
Fazit für Klinik und Praxis
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Ein Androgendefizit ist ein laborchemischer Befund und
begründet beim älteren Mann noch keine hinreichende
Indikation für eine Testosteronsupplementation.
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Assoziative Daten bringen niedrigere Testosteronspiegel mit einem erhöhten kardiometabolischen
Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko in Verbindung. Eine Kausalität allerdings ist bislang
nicht nachgewiesen, sodass sich hieraus keine unmittelbare Konsequenz auf die Verordnungspraxis
von Testosteron ergibt.
-
Das bisherige klinische Konzept des Late-onset-Hypogonadismus (LOH) birgt aufgrund
seiner weichen klinischen Klassifikationskriterien die Gefahr einer Überdiagnose und
Überbehandlung. Die vor dem Hintergrund aktueller Daten enggefasste Definition des
LOH als strikt sexualmedizinisches Syndrom mit Androgendefizit ist deshalb zu begrüßen.
-
Eine Testosteronsupplementation aus geriatrischer Indikation ist falsch. Dagegen sprechen
die insgesamt enttäuschenden Effekte im muskuloskelettalen Bereich und die ungeklärte
Frage nach kardiovaskulären Nebenwirkungen.