Der Klinikarzt 2012; 41(2): 63
DOI: 10.1055/s-0032-1307431
Editorial
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Analyse des menschlichen Genoms – die Zukunft ist jetzt

Achim Weizel
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Publication Date:
01 March 2012 (online)

Die erste vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms gelang im Jahre 2001 unabhängig sowohl durch die Forscher des Human Genome Projects wie durch die Forscher der Firma Celera. Diese Entwicklung kam überraschend, da eine Entschlüsselung des Erbgutes frühestens für das Jahr 2005 erwartet worden war. Die Kosten beliefen damals sich auf 2,7 Milliarden US-Dollar. Nach dem gefeierten Durchbruch verlief die technische Entwicklung rasant und führte zu einer rapiden Senkung der Analysekosten. Im Jahr 2010 wurden die Kosten schon mit 10 000 Dollar pro Analyse angegeben. Am 10. Januar 2012 gab die Firma Life Technologies in einer Presseerklärung bekannt, dass sie ein Gerät auf dem Markt anbietet, das in der Lage ist, eine Komplettsequenzierung des menschlichen Genoms innerhalb von 24 Stunden durchzuführen. Bei den bisherigen Methoden waren Analysezeiten von mehreren Wochen die Regel. Der technische Durchbruch erfolgte durch den Ersatz der optischen Methoden durch die Halbleitertechnik. Der Preis des Gerätes liegt bei 149 000 US-Dollar, eine Analyse kostet nur noch 1000 US-Dollar. Die Einführung des Gerätes wurde nicht nur in der medizinischen Presse kommentiert, ausführliche Analysen fanden sich auch in den Wirtschaftsseiten, der Aktienkurs der Firma stieg innerhalb weniger Tage deutlich an. Das Baylor College of Medicine und die Yale School of Medicine werden die ersten Universitäten sein, die das Gerät im täglichen Gebrauch einsetzen.

Mit einem Schlag ist die Bestimmung des menschlichen Genoms aus dem Bereich der Forschungslabors in der täglichen Praxis angekommen. Da einige etablierte Untersuchungsmethoden (PET) deutlich teurer sind als die Genanalyse, ist der Preis ist auch nicht mehr das entscheidende Kriterium.

Was bedeutet die Entwicklung für die Praxis der nahen Zukunft? Die Chancen und Risiken der Genanalysen wurden in den letzten 10 Jahren ausführlich diskutiert, nicht zuletzt unter dem ethischen Aspekt, ob man Patienten genetische Risiken mitteilen soll, ganz zu schweigen von der Frage, ob Arbeitgeber oder Versicherungen Zugang zu diesen Daten haben sollen. Ein entscheidender Punkt ist auch die Tatsache, dass diese Befunde nicht wie normale Befunde anhand von Normalwerten beurteilt werden können, sondern in vielen Fällen sollte eine Beratung durch speziell ausgebildete Ärzte erfolgen. Diese gibt es bisher nirgends in ausreichender Zahl.

Ein einfacher zu erreichendes Nahziel ist aber der Versuch der personalisierten Medizin beim Einsatz von Medikamenten. Das bedeutet, dass Medikamente sozusagen maßgeschneidert eingesetzt werden können. Durch einen vorausgehenden Test kann dann über den Einsatz entschieden werden. In einer viel zitierten Arbeit (Lancet 2010; 375: 1525) wurde bei einem Patienten eine komplette Genanalyse durchgeführt. Dabei fanden sich neben einigen Genvarianten, die mit der koronaren Herzerkrankung assoziiert sind, Genvarianten, die auf eine Clopidogrel-Resistenz hindeuteten, weitere Varianten brachten Hinweise auf mögliche Probleme bei der der Warfarin-Therapie. Bei einer Mutation des SLCO1B1-Genes findet sich bei den befallenen Patienten ein 15-fach höhere Frequenz der Myopathie bei Statin-Therapie. Durch Genomanalysen kann auch die mögliche Effektivität einiger biotechnologisch hergestellter Tumormedikamente vor ihrem Einsatz getestet werden, das wird heute schon praktiziert. Die Hoffnung besteht darin, dass durch diese Art der prämedikamentösen Diagnostik die Effektivität der Therapien erhöht, die Nebenwirkungshäufigkeit erniedrigt und die Kosten gesenkt werden können. Wir haben die Instrumente in der Hand, jetzt gilt es, sie auch sinnvoll einzusetzen.