Neuroradiologie Scan 2012; 02(02): 84-85
DOI: 10.1055/s-0032-1309407
Diskussion
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schlaganfallprophylaxe bei intrakranialer Arterienstenose – PTA-Stenting risikoreicher als aggressive Pharmakotherapie

Neben der bei Hochrisikopatienten mit intrakranialer Arterienstenose üblichen aggressiven Pharmakotherapie mit dualer Thrombozytenfunktionshemmung wurde in letzter Zeit vermehrt die perkutane transluminale Angioplastie mit Stenting (PTAS) zur Schlaganfallrezidiv-Prophylaxe angewandt. Ein randomisierter Vergleich beider Methoden bezüglich Sicherheit und Wirksamkeit steht jedoch noch aus.
Further Information

Publication History

Publication Date:
11 April 2012 (online)

N Engl J Med 2011; 365: 993–1003

Die atherosklerotisch bedingte intrakraniale Arterienstenose gehört zu den häufigsten Ursachen für die Entstehung eines Schlaganfalls. Besonders gefährdet, ein Rezidiv im Stenosebereich zu erleiden, sind Patienten mit einer kürzlich zuvor erlittenen TIA (transitorische ischämische Attacke) oder einem Schlaganfall mit hochgradiger Stenose. Das Schlaganfallrezidiv-Risiko innerhalb 1 Jahres liegt bei etwa 23 % trotz aggressiver medikamentöser Therapie und Vermeidung von Risikofaktoren. Alternative Therapieformen erscheinen daher dringend notwendig.

Im Rahmen der 2008 begonnenen multizentrischen randomisierten SAMMPRIS-Studie (Stenting and Aggressive Medical Management for Preventing Recurrent Stroke in Intracranial Stenosis) verglichen M. I. Chimowitz et al. aus den USA beide Methoden an 451 Patienten, die innerhalb von 30 Tagen vor Studieneinschluss eine TIA oder einen Schlaganfall mit 70 bis 99 %iger Stenose einer intrakranialen Hauptarterie erlitten hatten. Verglichen wurde die alleinige Pharmakotherapie mit einer Pharmakotherapie plus Stenting. Als Stent wurde der neuartige, sich selbst entfaltende Wingspan eingesetzt. Die Pharmakotherapie bestand aus der kombinierten täglichen Gabe von 325 mg ASS und 75 mg Clopidogrel über 3 Monate sowie der medikamentösen Therapie von Risikofaktoren, wie Diabetes, Hypertonus oder Hyperlipidämie.

Als primärer Endpunkt diente ein Schlaganfall oder Todesfall innerhalb von 30 Tagen nach Studieneinschluss und Schlaganfall oder Revaskularisation im betroffenen Stenosebereich nach 30 Tagen innerhalb der Nachbeobachtungszeit.

Die Studie musste aus Sicherheitsgründen im April 2011 abgebrochen werden, da die 30-Tages-Rate an Schlaganfall und Tod in der PTAS-Gruppe mit 14,7 % gegenüber der Pharmakotherapie-Gruppe mit 5,8 % signifikant erhöht war. In der Nachbeobachtungszeit über 30 Tage hinausgehend waren die Ereignisse vergleichbar: Es traten in beiden Gruppen jeweils 13 Schlaganfälle auf.

Fazit: Das zur aggressiven Pharmakotherapie zusätzlich angewandte PTA-Stenting mit einem Wingspan-Stent bei hochgradiger intrakranialer Arterienstenose bringt keinen Vorteil gegenüber der alleinigen medikamentösen Therapie. Laut den Autoren erhöht es das Risiko für Schlaganfall und Tod innerhalb der ersten 30 Tage.

Maria Weiß, Berlin

1. Kommentar

Zoom Image
Prof. Marius Hartmann, Helios Klinikum Berlin-Buch, Institut für Neuroradiologie, Schwanebecker Chaussee 50, 13125 Berlin

Eine optimierte medikamentöse Therapie mit dualer Plättchenhemmung plus Statine führt zu einer dramatischen Reduktion der 30-Tage-Rezidivschlaganfallsrate (5,8 %). Dieses Ergebnis ist das wesentliche Verdienst der SAMMPRIS-Studie [1]. Verglichen mit den historischen Kontrolldaten der WASID-Studie [2] ist die Morbidität-Mortalitäts-Rate im endovaskulären Arm der SAMMPRIS-Studie nur mäßig erhöht. In der SAMMPRIS-Studie wurde versucht, die Stentangioplastie als Therapie der 1. Wahl zu etablieren. Dieser Plan musste aus unterschiedlichen Gründen scheitern. An 1. Stelle stehen die Einschlusskriterien. Es wurden Patienten mit einer intrakraniellen Stenose von > 70 % eingeschlossen, die innerhalb der letzten 30 Tage symptomatisch waren. Kurze Zeit zurückliegende Schlaganfallsymptome sind aber ein Indiz für eine instabile Plaque, die ein erhöhtes Interventions-, d. h. Schlaganfallsrisiko birgt [3, 4]. Üblicherweise werden daher hierzulande intrakranielle Stenosen erst dann endovaskulär behandelt, wenn der Patient trotz medikamentöser Therapie symptomatisch bleibt oder eine deutliche Zirkulationsstörung vorliegt [5].

Die Fallzahlberechnungen und Erwartungswerte in der SAMMPRIS-Studie basieren im Wesentlichen auf den Daten der HDE-Studie [6]. Ein Vergleich mit dieser Studie ist problematisch. Ergebnisse von multizentrischen Registerstudien [7, 8] kommen dem klinischen Alltag näher und zeigen ebenfalls im Vergleich zur HDE-Studie höhere technische und prozedurale Komplikationsraten. Die Art der Komplikationen (Ischämie/Blutung) in der SAMMPRIS-Studie ist bislang unzureichend analysiert. Darüber hinaus sind Lokalisation und Komplexität der Stenose sowie Zugang zur Läsion wesentliche Faktoren, die den prozeduralen und klinischen Erfolg einer endovaskulären Therapie bestimmen [9–12]. In der SAMMPRIS-Studie war mit 41 % der Anteil an Media-Stenosen ausgesprochen hoch. Die Tatsache, dass 15 Patienten des endovaskulären Therapiearms keinen Stent erhielten, lässt darauf schließen, dass es sich häufiger um komplexe Stenosen und/oder eine schwierige Gefäßanatomie gehandelt haben muss. Auch mit optimierten Stent-Systemen ist es oft schwierig, manchmal unmöglich, distale Läsionen zu erreichen und erfolgreich zu behandeln. Eine Weiterentwicklung und technische Verbesserung der Stent-Systeme ist daher zwingend notwendig.

Bislang ist weniger als die Hälfte der Studienpatienten länger als 1 Jahr nachkontrolliert. Die Rezidivschlaganfallsrate jenseits 30 Tage liegt in beiden Behandlungsarmen gleich hoch. Ob die medikamentöse Therapie im Langzeitverlauf überlegen ist, bleibt noch abzuwarten.

Die bisher geltenden Indikationsstellungen zur intrakraniellen Stent-Angioplastie werden durch diese Studienergebnisse nicht beeinflusst. Eine pauschale Ablehnung der endovaskulären Behandlung symptomatischer intrakranieller Stenosen ist nicht gerechtfertigt und wird der Komplexität der Erkrankung nicht gerecht. Die SAMMPRIS-Studie zeigt einmal mehr, dass Patienten mit intrakraniellen Gefäßstenosen in spezialisierten neurovaskulären Zentren mit etablierten interdisziplinären Strukturen und erfahrenen endovaskulären Neuroradiologen behandelt werden müssen.

Literatur beim Verfasser

E-Mail: marius.hartmann@helios-kliniken.de


#

2. Kommentar

Zoom Image
Prof. Joachim Berkefeld, Klinikum der Goethe-Universität, Institut für Neuroradiologie, Schleusenweg 2–16, 60528 Frankfurt am Main

Die SAMMPRIS-Studie vergleicht bei Patienten mit symptomatischen intrakraniellen Stenosen > 70 % die Wingspan-Stent-Behandlung mit einer aggressiven medikamentösen Therapie mit Clopidogrel, ASS und einem Statin. Die Patientenrekrutierung wurde vorzeitig gestoppt, weil die Schlaganfall- und Todesfallrate nach 30 Tagen in der Stent-Gruppe mit 14,7 % deutlich höher war als erwartet, während die medikamentöse Therapie mit einer Ereignisrate mit 5,8 % signifikant besser abschnitt.

Die SAMMPRIS-Studie wurde zu einem Zeitpunkt begonnen, als die Effektivität der Wingspan-Behandlung durch hohe Restenoseraten infrage gestellt wurde. Auch deuteten Daten aus Fallserien und Registern bereits darauf hin, dass die Wingspan-Stent-Prozedur nicht immer so schonend und sicher ist, wie dies bei der Studienplanung angenommen wurde. Die Ballonangioplastie mit nachfolgendem Einwechseln eines selbstexpandierenden Stents über einen 3-m-Mikroführungsdraht ist komplex. Selbst in geübten Behandlungsteams kann es zu unkontrollierten Bewegungen der Führungsdrahtspitze mit dem Risiko einer Blutung kommen. Ebenso sind Ischämien durch nach der PTA aufgetretene und bis zum Einbringen des Stents das Lumen einengende Dissekate möglich. Leider wurden die 33 Schlaganfälle, in der SAMMPRIS-Publikation nicht näher charakterisiert, sodass deren Ursachen unklar bleiben.

Neben möglichen Problemen der Wingspan-Prozedur sind vor allem die Rahmenbedingungen der Studie zu kritisieren. Der undifferenzierte Einschluss aller Patienten mit hochgradigen symptomatischen Stenosen stellt eine Ausweitung der bisher üblichen Indikationen dar, die ohne ausreichenden vorherigen Nachweis einer niedrigen Komplikationsrate und Langzeiteffektivität problematisch ist.

Intrakranielle Stenosen können Schlaganfälle durch die Bildung von Thrombembolien, durch Verschluss von aus dem Plaque abgehenden perforierenden Arterien und durch hämodynamische Insuffizienz bei unzureichenden Kollateralen verursachen. Patienten mit emboligenen Stenosen oder Perforator-Ischämien sprechen gut auf eine medikamentöse Behandlung an, sodass die Risiken einer Intervention nicht gerechtfertigt oder im Fall der Perforator-Schädigung sogar erhöht sind.

Die in erfahrenen europäischen Zentren weitgehend übliche Beschränkung des intrakraniellen Stentings auf hämodynamisch bedrohte Patienten ohne adäquate Kollateralversorgung wäre auch für die SAMMPRIS-Studie sinnvoller gewesen. Bei hämodynamisch kompromittierten Patienten kommt auch eine aggressive medikamentöse Therapie an ihre Grenzen und die frühzeitige Stent-Implantation ist unter Umständen die einzige Behandlungsalternative, um rezidivierende oder progrediente Schlaganfälle zu verhindern. Nach SAMMPRIS sind viele Neurologen verunsichert und zögerlich, was für diese Patienten zu frustranen medikamentösen Therapieversuchen und Verzögerungen der interventionellen Revaskularisation mit erhöhten Blutungsrisiken führen kann. Es ist zu hoffen, dass die Intervention im Interesse dieser Patienten trotz negativer Studienergebnisse weiter entwickelt werden kann. Für diese wenigen Interventionen sind auch andere Zulassungskriterien als das eher für große Fallzahlen geeignete Setting einer randomisierten Studie zu diskutieren.

Literatur beim Verfasser

E-Mail: Berkefeld@em.uni-frankfurt.de


#