Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2013; 57(1): 34-37
DOI: 10.1055/s-0032-1314744
Praxis
© Karl F. Haug Verlag MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Carcinosinum: Colitis ulcerosa

Michael M Hadulla
,
Timo A Pfeil
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Publication Date:
18 March 2013 (online)

Vorgeschichte und Anamnese

Zur Vorstellung gelangt ein mittlerweile 11 Jahre altes Mädchen in Begleitung seiner Eltern, die einen Stapel Arztbriefe mitbringen. Das Kind sei in der gastroenterologischen Ambulanz der Universitätsklinik Heidelberg wegen einer Colitis ulcerosa seit 12/2010 in Behandlung. Da neben der Cortison- und Sulfasalazintherapie jetzt zusätzlich eine Zytostatikatherapie mit Imurek® geplant ist, will die Familie es mit einer homöopathischen Therapie versuchen.

Zunächst seien im Sinne eines Spontanberichts Auszüge aus Arztbriefen der Kinderklink zitiert:

Diagnose: Colitis ulcerosa (ED 12/2010)

Aktuell: Rektosigmoidoskopie am 21.02.2012

Anamnese: Die Vorstellung von H. erfolgte geplant zur Rektosigmoidoskopie am 21.02.2012 bei bekannter Colitis ulcerosa. H. ist eine bekannte Patientin in unserem Haus und wird in unserer gastroenterologischen Ambulanz betreut. Die ausführliche Anamnese dürfen wir daher freundlicherweise als bekannt voraussetzen. Momentan habe H. 2−3 × pro Tag Stuhlgang, jeden zweiten Tag mit Blutauflagerungen. Kein Erbrechen. Momentan keine Schmerzen oder Krämpfe. H. isst sehr selten Fleisch und kein Gemüse. Es besteht zudem eine ausgeprägte Anämie. H. gibt bei stärkeren Belastungen eine Dyspnoe an und dass ihre körperliche Belastbarkeit seit Dezember wesentlich abgenommen habe. Kein Fieber. Keine Schluckstörungen. Miktion unauffällig. Keine Allergien bekannt.

Medikamente bei Aufnahme: Mutaflor (0–1–1), Azulfidine 500 mg (2–1–1)

Therapie und Verlauf: Die stationäre Aufnahme von H. erfolgte zur geplanten Rektosigmoidoskopie am 21.02.2012 bei bekannter Colitis ulcerosa und Anämie. Bei initialem Hb-Wert von 6,3 g/dl transfundierten wir am 20.02.2012 ein EK. H. vertrug die Transfusion gut, und der Hb stieg darunter auf 8,3 g/dl an. Die Untersuchung konnte am 21.02.12 komplikationslos in Allgemeinanästhesie durchgeführt werden. Hierin zeigte sich erneut das Bild einer floriden Entzündung. Daraufhin wurde eine Therapie mit Decortin begonnen. Die Therapieoption mit Azathioprin wurde mit den Eltern besprochen und wird im Verlauf ggf. eingeführt werden.

Medikation bei Entlassung: Decortin (3 × 20 mg/Tag), Mutaflor (0–1–1), Azulfidine 500 mg (2–1–1)

Zu den Wesensmerkmalen und Charaktereigenschaften ihres Kindes befragt, berichten die Eltern im persönlichen Gespräch Folgendes wörtlich:

„H. ist sehr mitfühlend, denkt an andere, ist besonders rücksichtsvoll. Gerechtigkeit ist ihr sehr wichtig. Sie ist eine gute, intelligente Schülerin.“

Dann ergänzen die Eltern noch, dass ihre Tochter sehr ehrgeizig und ordentlich und auf Harmonie bedacht sei.

Im gelenkten Bericht ist ferner zu erfahren, dass H. sich gerne bewegt und eher die Wärme sucht. Sie bekommt leicht blaue Flecken. Die Beschaffenheit der Blutauflagen des Stuhls ist hellrot. Insgesamt gehe es ihr am Meer besser.

Unterdessen hat H. im Warteraum ein Haus-Baum-Mensch-Bild gemalt [Abb. 1].

Zoom Image
Abb. 1: Haus-Baum-Mensch-Zeichnung

Wir sehen hier ein sehr helles, freundliches Bild mit blauem Himmel und auf- bzw. untergehender Sonne, eher im Hintergrund zwei kleine Häuser, eins heller und größer als das andere. Aus dem Schornstein des größeren Hauses quillt Rauch, auf der Wiese blühen bunte Blumen, quer durch das Bild fließt ein kleiner Bach, über den eine Brücke führt. Neben dem rechten Haus steht ein Mensch, dessen lange, blonde Locken sein hervorstechendes Merkmal sind. Auffällig ist der Baum im Vordergrund, dessen Krone als grünes Herz dargestellt ist.

Der Wiener Homöopath Heinz Tauer führte die Tierfamilie in gekonnter Weise in die Homöopathie ein [7]. In der Kinderpsychiatrie spielen die Methoden „Haus-Baum-Mensch-Test“ und „Familie in Tieren“ seit längerer Zeit eine große Rolle, so zum Beispiel bei der Psychotherapeutin Annemarie Dührsen (Berlin) sowie bei dem bekannten Kinderpsychiater Manfred Müller-Küppers (Heidelberg). Auch Ursula Avé-Lallement und Luitgard Brem-Gräser versuchen, diese beiden Testmethoden für den praktischen Gebrauch zu adaptieren.

Bei der Nutzung im Rahmen der Homöopathie geht es weniger um eine psychoanalytische Herangehensweise oder gar testpsychologische Diagnostik, sondern um eine phänomenologische Betrachtungsweise, bei der die körperlichen, seelischen und geistigen Symptome unzensiert und unverstellt und zum Teil in überraschend deutlicher Weise zu Tage treten. In unserem Fall unterstreicht das fröhliche und farbenfrohe Bild der kleinen Patientin ihr freundliches Wesen. Mitunter sehen wir aber auch Bilder unserer Patienten, die unsere Anamnese nicht nur unterstreichen, sondern Stimmungen und Themen zum Vorschein bringen, die weder von den Eltern noch von den kleinen Patienten angesprochen wurden [5].

 
  • Literatur

  • 01 Appell RG. Editorial. AHZ 3/ 2008;
  • 02 Bleul G Hrsg. Weiterbildung Homöopathie. Bd. C: Einführung in die chronischen Krankheiten. Stuttgart: Sonntag; 2002
  • 03 Hadulla MM, Richter O, Fattahi N. 101 Krankengeschichten aus der Praxis für die Praxis. Uelzen: Medizinisch Literarische Verlagsgesellschaft mbH; 2006
  • 04 Hadulla MM. Carcinosinum und Medorrhinum bei der Behandlung von Schlafstörungen – Zwei Kasuistiken. AHZ 2008; 253: 1-5
  • 05 Hadulla MM, Pfeil TA. Kinderzeichnungen in der Homöopathie, Haus-Baum-Mensch-Test und Tierfamilie. ZKH 2009; 53: 192-196
  • 06 Hadulla MM, Richter O, Pfeil TA. Homöopathie in der Praxis, Homöopathie in Kunst und Literatur, 19 Homöopathische Schaubilder der Polychreste. Uelzen: ML-Verlag; 2009
  • 07 Hadulla MM, Richter O, Tauer H. Die chronischen Krankheiten – Miasmen – Nosoden. Uelzen: ML-Verlag; 2005
  • 08 Schroyens F Hrsg. Synthesis, Repertorium Homoeopathicum Syntheticum. Aus d. Engl. von Vint P. 9. Auflage. Greifenberg: Hahnemann Institut; 2005