Rofo 2012; 184(6): 585-587
DOI: 10.1055/s-0032-1314966
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Neubeurteilung nach Änderung der Weiterbildungsordnung? – Ausführung und Abrechnung interventionell-radiologischer Verfahren durch Angiologen

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Publikationsdatum:
01. Juni 2012 (online)

Inhaltsübersicht

Die Frage der Zulässigkeit der Ausführung und Abrechnung interventionell-radiologischer Verfahren durch therapeutische Fachgebiete, insbesondere durch Fachärzte für Innere Medizin und Angiologie, war seit einer Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 2005 (Az: L 11 KA 130/03) entschieden. Das Landessozialgericht NRW hatte in der Entscheidung eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für die selbstständige und eigenverantwortliche Durchführung eines interventionell-radiologischen Verfahrens durch Internisten mit dem Schwerpunkt Angiologie, aufgrund der Fachfremdheit dieser Leistung, abgelehnt. Interventionell-radiologische Verfahren sind danach nicht dem Gebiet der Angiologie zuzuordnen, sondern ausschließlich dem Gebiet der Radiologie (vgl. Fortschr Röntgenstr 2006; 178: 132–133).

Mit Wirkung ab 2012 wurden nun die ärztlichen Weiterbildungsordnungen (WBO) der Landesärztekammern in den einzelnen Bundesländern dahingehend geändert, dass nunmehr interventionelle Verfahren in dem Weiterbildungsinhalt des Fachgebietes der Inneren Medizin und Angiologie in größerem Umfang abgebildet worden sind. Inwiefern diese Änderung der WBO eine andere Beurteilung der Fachfremdheit dieser Leistungen für Angiologen erfordert und zudem Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Ausführung und Abrechnung interventionell-radiologischer Leistungen durch dieses Fachgebiet in der vertrags-ärztlichen Versorgung hat, soll in diesem Beitrag erörtert werden.

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Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie

Rechtsgrundlage für die Abrechnung von interventionell-radiologischen Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung ist die Vereinbarung von Qualitätsmaßnahmen nach § 135 Abs. 2 SGB V zur interventionellen Radiologie (Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie). Danach sind diese Leistungen grundsätzlich dem Gebiet der Radiologie zuzuordnen.

§ 3 Abs. 1 und 2 der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie enthalten für die diagnostischen Katheterangiografien und therapeutischen Eingriffe (Nummern 34283, 34284, 34285, 34286 und 34287 des EBM) eine, der Regelung in § 4 Abs. 1 Kernspintomografie-Vereinbarung (KernspinV) und § 3 Abs. 1 der Qualitätssicherungsvereinbarung zur MR-Angiografie vergleichbare, ausschließliche Zuordnung dieser Leistungen zum Gebiet der Radiologie. Ebenso wie für die Bereiche der KernspinV und der MR-Angiografie beruht diese ausschließliche Zuordnung der interventionellen Radiologie zum Fachgebiet der Radiologie auf der gesetzlichen Grundlage in § 135 Abs. 2 S. 4 SGB V, die vom Bundessozilagericht (BSG) und vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als rechtmäßig angesehen worden ist.

So hat das BVerfG bereits in seiner Entscheidung v. 16.7.2004 (Az.: 1 BvR 1127/01) festgestellt, dass für Kardiologen der Ausschluss von der Abrechenbarkeit kernspintomografischer Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung einen verfassungsrechtlich gerechtfertigten Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) darstellt. Das BSG hatte sich in seinem Urteil v. 11.10.2006 (Az.: B 6 KA 1/05 R) auf die vorhergehende Entscheidung des BVerfG gestützt und entschieden, dass „die Konzentration aller kernspintomografischen Leistungen bei speziell qualifizierten Ärzten“ zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zulässig sei.

Dem Wortlaut des Satzes 4 des § 135 Abs. 2 SGB V zufolge, welcher durch das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz [GMG] v. 14.11.2003, BGBl. I 2190) ergänzt wurde, können die Vertragspartner der Bundesmantelverträge zur Sicherung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung Regelungen treffen, nach denen die Erbringung bestimmter medizinisch-technischer Leistungen den Fachärzten vorbehalten ist, für die diese Leistungen zum Kern ihres Fachgebiets gehören. Demnach sind Fachärzte, die die betreffenden Untersuchungen zwar weiterbildungsrechtlich ausführen dürfen, die Untersuchungen jedoch für ihr Gebiet nicht wesentlich und prägend sind, sie daher die Untersuchungen nur bei eigenen Patienten und somit nicht regelmäßig fachgebietsübergreifend erbringen, bei Vorliegen einer Vereinbarung gem. § 135 Abs. 2 S. 4 SGB V von der Leistungserbringung ausgeschlossen.

Während § 135 Abs. 2 S. 2 SGB V vorgibt, dass einem Vertragsarzt die Erbringung besonderer Leistungen im Sinne des § 135 Abs. 2 S. 1 SGB V grundsätzlich zu erlauben ist, wenn diese Leistungen weiterbildungsrechtlich in allen Bundesländern inhaltsgleich zu seinem Fachgebiet gehören, enthält § 135 Abs. 2 S. 4 SGB V seinem Wortlaut nach ausdrücklich eine Lockerung dieser engen Bindung an das landesrechtliche Weiterbildungsrecht („abwei-chend von S. 2“) und erlaubt somit engere Vorgaben hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen. Hintergrund dieser Konzentration aufwendiger medizinisch-technischer Leistungen auf Fachärzte mit Spezialkenntnissen ist die vom Gesetzgeber gewollte Steigerung der Leistungsqualität sowie Vermeidung überflüssiger und damit unwirtschaftlicher Untersuchungen. Die Regelung soll sowohl der Gesundheit der Versicherten, als auch der finanziellen Stabilität und Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung dienen (vgl. Gesetzesbegründung zu § 135 Abs. 2 S. 4 SGB V, BT-Drs. 15/1525, S. 124; BSG Urt. v. 11.10.2006 – B 6 KA 1/05 R). Auch wenn die, auf der Grundlage von § -135 Abs. 2 S. 4 SGB V erlassenen, Vereinbarungen in die Berufsausübungsfreiheit betroffener Ärzte eingreifen, ist dieser Eingriff aus Gründen des vorrangigen Gemeinwohls unter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt (vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG v. 8.7.2010 – 2 BvR 520/07 sowie Nichtannahmebeschluss v. 16.07.2004 – 1 BvR 1127/01). Die Frage, ob sich aus aktuellen Änderungen des ärztlichen Weiterbildungsrechts Gesichtspunkte für die Zugehörigkeit interventionell-radiologischer Leistungen auch zum Fachgebiet der Angiologie ergeben, ist danach für die vertragsärztliche Versorgung ohne Bedeutung (vgl. BSG Urt. v. 10.11.2006 – B 6 KA 1/05 R).

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Keine „gleichwertige Befähigung“ nach der Qualitätssicherungsvereinbarung

Die Berechtigung zur Durchführung und Abrechnung von Leistungen der diagnostischen Katheterangiografien und therapeutischen Eingriffen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung hängt somit allein von der Erteilung einer Genehmigung nach der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie ab. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nach § 9 Abs. 2 und 3 der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie sind von dem antragstellenden Arzt Zeugnisse und Bescheinigungen vorzulegen, aus denen hervorgehen muss, dass die in § 3 bis § 6 genannten fachlichen, apparativen, räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen erfüllt sind. Gem. § 9 Abs. 5 S. 2 der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie kann die Genehmigung für die Ausführung und Abrechnung von Leistungen der diagnostischen Katheterangiografien und therapeutischen Eingriffen von der erfolgreichen Teilnahme an einem Kolloquium in den Fällen abhängig gemacht werden, in denen der antragstellende Arzt im Vergleich zu der Qualitätssicherungsvereinbarung eine abweichende, aber gleichwertige Befähigung nachweist.

Diese Regelung in § 9 Abs. 5 S. 2 der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie beinhaltet jedoch keine Möglichkeit, einem „Nicht-Radiologen“ die Ausführung und Abrechnung interventionell-radiologischer Leistungen zu genehmigen. Der Begriff der „gleichwertigen Befähigung“ bezieht sich ausschließlich auf die Regelungen in § 3 Abs. 1 Nr. 2 – 4 sowie Abs. 2 Nr. 2 – 4 und damit auf die nachzuweisende Anzahl der durchgeführten Eingriffe (Nr. 2), die Dauer der Tätigkeit im interventionell-radiologischen Bereich (Nr. 3) sowie Tätigkeiten in diesem Bereich, die während der Weiterbildung absolviert worden sind. Davon erfasst werden diejenigen Fälle, in denen aufgrund älterer Facharztbezeichnungen in der Radiologie abweichende Inhalte in den Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern enthalten waren. So hatte der Facharzt für Radiologie in der Vergangenheit unterschiedliche Bezeichnungen und Weiterbildungsinhalte (z. B. Facharzt für Radiologie, Facharzt für radiologische Diagnostik, Facharzt für diagnostische Radiologie). Würde man einem „Nicht-Radiologen“ über die Regelung in § 9 Abs. 5 S. 2 der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie die Ausführung und Abrechnung interventionell-radiologischer Leistungen gestatten, so würde dies die bereits oben dargestellte Zielsetzung der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie, nämlich diese Leistungen den Radiologen als Spezialisten vorzubehalten, und somit der vom Gesetzgeber niedergelegten Intention nach § 135 Abs. 2 S.4 SGB V unterlaufen.

In diesem Zusammenhang ist auf die bereits oben angesprochenen Entscheidungen des BSG und des BVerfG zur Berechtigung eines Kardiologen zur Abrechnung von Leistungen nach der KernspinV hinzuweisen. Wie das BSG (Urt. v. 11.10.2006 – B 6 KA 1/05 R -, a .a. O. S. 211) ausführt, ist im Einzelfall zwar nie auszuschließen, dass ein Arzt einer bestimmten Fachrichtung für eine bestimmte hochspezialisierte Leistung in besonderer Weise qualifiziert ist, die üblicherweise von Ärzten einer anderen Fachrichtung erbracht wird, und dass umgekehrt ein Facharzt im Rahmen seiner Weiterbildung mit einer ganz speziellen Leistung nur am Rande befasst worden ist. An derartig untypischen Situationen müssen sich jedoch die Normgeber weder auf der Ebene des Gesetzes, noch im Rahmen von Qualitätssicherungsvereinbarungen auf der Grundlage des § 135 Abs. 2 SGB V orientieren. Normsetzung darf von typischen Sachverhalten und Konstellationen ausgehen, und einem typischen Sachverhalt entspricht es, dass Ärzte, die langjährige Tätigkeit und Erfahrung in der Kernspintomografie haben, die erforderliche Qualifikation zur Durchführung zumindest derjenigen kernspintomografischen Untersuchungen der Herzregion besitzen, die derzeit bereits Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind. Diese Ausführungen des BSG sind aufgrund der identischen Genehmigungskonstellation in § 3 Abs. 1 und 2 der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie auf den Fall der Abrechnung interventionell-radiologischer Leistungen vollständig übertragbar, sodass die Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung an einen Angiologen nach der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie ausgeschlossen ist.

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Weiterbildungsrechtliche Zuordnung zur Angiologie zweifelhaft

Ungeachtet dessen, dass nach den obigen Ausführungen die Durchführung und Abrechnung von Leistungen der diagnostischen Katheterangiografien und therapeutischen Eingriffen, trotz Änderungen der WBO, allein Fachärzten der Radiologie vorbehalten ist, da im Rahmen der vertragsärztlichen Leistungserbringung im Sinne der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie weiterbildungsrechtliche Vorgaben ohne Bedeutung sind, stellt sich die Frage, ob durch die aktuellen Änderungen der WBO mit Wirkung zum 01.01.2012 überhaupt interventionell-radiologische Leistungen dem Fachgebiet der Inneren Medizin und Angiologie zugeordnet worden sind.

So spricht der neue Wortlaut in Abschnitt B Nr. 13.2.1 WBO, der das Fachgebiet der Inneren Medizin und Angiologie definiert, lediglich im Rahmen der Beschreibung des Weiterbildungsinhalts von „interventionellen Eingriffen“ und nennt diesbezüglich auch keine eigenen definierten Untersuchungs- und Behandlungsverfahren. Zudem enthalten auch die, nach Änderung der WBO, aktualisierten Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildung für das Fachgebiet der Angiologie keine Konkretisierung des Nachweises für erworbene Kenntnisse in „interventionellen Eingriffen“ und insbesondere keine Richtzahlen. Allein die Aufnahme des Begriffs „interventionelle Eingriffe“ in die Formulierung der Weiterbildungsinhalte lässt nicht darauf schließen, dass die Durchführung interventionell-radiologischer Verfahren zum Fachgebiet der Angiologie gehört. „Interventionell-radiologische Verfahren“ werden auch weiterhin ausdrücklich nur in Abschnitt B Nr. 29 WBO als Teil des Weiterbildungsinhaltes und der defi-nierten Untersuchungs- und Behandlungsverfahren für das Fachgebiet der Radiologie genannt. Folglich ist davon auszugehen, dass Leistungen der interventionellen Radiologie auch nach dem neuen Weiterbildungsrecht allein dem Fachgebiet der Radiologie zuzuordnen sind.

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Fazit

Die aktuellen Änderungen der WBO, die mit Wirkung ab 2012 in Kraft getreten sind, haben nicht dazu geführt, dass diese Leistungen nunmehr zum Fachgebiet der Inneren Medizin und Angiologie gehören. Sie bewirken insbesondere keine Zulässigkeit der Durchführung und Abrechnung interventionell-radiologischer Leistungen durch Angiologen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung. Im Gegenteil führen sie aufgrund ihrer ungenauen Formulierung und fehlenden Umsetzung in den Richtlinien zu weiteren Unklarheiten und Missverständnissen. Aufgrund dessen ist festzuhalten, dass auch nach Änderung der WBO allein Fachärzte der Radiologie interventionell-radiologische Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbringen und abrechnen dürfen, sofern sie im Besitz einer Genehmigung im Sinne der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie sind. Dies gilt nicht nur aufgrund der gesetzlichen Bestimmung in § 135 Abs. 2 S. 4 SGB V, wonach keine Bindung an das landesrechtliche Weiterbildungsrecht besteht, sondern auch aufgrund des eindeutigen Wortlauts in § 3 Abs. 1 und 2 der Qualitätssicherungsvereinbarung zur interventionellen Radiologie. Fachärzten für Innere Medizin und Angiologie kann daher auch zukünftig keine Genehmigung zur Abrechnung dieser Leistungen in der GKV erteilt werden. Aufgrund der nicht eindeutig erkennbaren weiterbildungsrechtlichen Zugehörigkeit dieser Leistungen zum Fachgebiet Innere Medizin und Angiologie dürfte darüber hinaus auch die Zulässigkeit einer privatärztlichen Abrechnung fraglich sein.

Dr. Ulrike Tonner
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