Diabetes aktuell 2012; 10(4): 147
DOI: 10.1055/s-0032-1322434
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

„şeker hastalığı“ – Diabetes bei Patienten mit Migrationshintergrund

Antje Bergmann
,
Peter Schwarz
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Publication Date:
02 July 2012 (online)

Die Diabetesprävelenz ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen. Nach aktuellen Schätzungen des Robert-Koch-Institutes sind zwischen 6–10 % der Gesamtbevölkerung Diabetiker. Schätzungen gehen von ca. 600 000 Migranten mit Diabetes mellitus in Deutschland aus. In Deutschland leben insgesamt 9 % „legale“ Ausländer, 10 % Deutsche mit Migrationshintergrund und 500 000 bis 1 Millionen „illegal“ in Deutschland lebende Personen (siehe Artikel Eva-Maria Beck).

Jeder Einzelne hat spezifische soziale und ökonomische, persönliche, religiöse, ethnische und regionale Faktoren in seiner Lebens- und Krankengeschichte. Eva-Maria Beck beschreibt ausführlich die besondere Herausforderung für das deutsche Gesundheitssystem bei der Versorgung von Diabetikern mit Migrationsgeschichte und die damit verbundenen Probleme und Hemmnisse. Transkulturelle Kompetenz ist erforderlich. Häufig mangelt es bei uns gerade daran. Tanskulturalität fordert nicht nur dazu auf, Unterschiede zu entdecken, sondern auch Gemeinsamkeiten zu finden. Durch ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen und Verstehen sollen Abgrenzungen und Ausgrenzungen aufgrund großer Differenzen vermieden werden. Transkulturelle Kompetenz sollte eine Grund-„Kompetenz“ unserer Gesellschaft sein und damit natürlich auch im modernem Diabetesmanagement.

Neben der Akutversorgung und der Betreuung bei Hausarzt und Diabetologen kommen Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund und Diabetes oft auch in stationäre Behandlungseinrichtungen, so auch in stationäre Rehabilitationsklinken. Die damit verbundenen Besonderheiten werden im Artikel von Frauke Huth und Peter Hübner beschrieben.

Erfahrungen aus dem Alltag zeigen, dass wichtige Anliegen türkischer Migranten mit Diabetes mellitus nicht immer ausreichend beachtet werden. Es gibt gravierende Unterschiede in Bildungshintergrund, krankheitsbezogenem Wissen, aber auch sozialen und religiösen Verhaltensweisen. Zur Behandlung von türkischstämmigen Diabetikern sind bikulturell kompetente und bilinguale Mitarbeiter für Schulung und Beratung erforderlich.

Ein entscheidender Schwerpunkt, der verbessert werden muss, ist die Ernährungsberatung von Migranten.

Was ist aber zum Beispiel bei Menschen mit muslimischem Glauben und Diabetes mellitus anders? Was ist mit der Diabetestherapie während des Ramadan? Letztendlich gilt aber im Umgang mit diesen Besonderheiten, dass unabhängig vom Migrationshintergrund auf jeden Patienten und seine Bedürfnisse individuell eingegangen werden muss. Evelin Sadeghian und Annika Bokelmann diskutieren dieses Thema intensiv. Wenn wir diese Besonderheiten verstehen und akzeptieren und in die Diabetesschulung und -therapie einfließen lassen, wird das zum Nutzen für den Patienten sein.

Was bedeutet das aber für die Praxis? Holger Russ von der Novitas BKK berichtet über die Schulungsinitiativen der BKK und Lilly Deutschland „Diabetes gemeinsam verstehen“. Anstelle von Vorträgen in Expertensprache wird dabei der Diabetes anhand von Bildern mit typischen Situationen aus dem Leben und dem Alltag der Migranten leicht verständlich besprochen. Mithilfe der „Conversation Maps“ konnten so diabetesspezifische Alltags- und Therapieprobleme einfach aufgearbeitet und den Patienten praktisch näher gebracht werden.

Zum Abschluss möchten wir auf eine Innovation eingehen, die möglicherweise die Diabetologie grundlegend verändern kann. An vielen Stellen gibt es noch Vorbehalte, aber es besteht das Potenzial, einen Großteil der Diagnostik und Therapie zu vereinfachen. Eckhard Salzsieder, Petra Augstein, Lutz Vogt und Andreas Thomas stellen das KADIS-Programm vor, welches Expertenwissen über Expertenunterstützung durch automatisiertes Management von kontinuierlich gemessenen Glukosedaten in die Alltagspraxis bringt. In den letzen Jahrzehnten hat sich die Diabetestherapie deutlich verändert. Ohne eine Verbesserung der Blutzuckermesstechnik ist das nicht denkbar. Ein neuer Ansatz ist das automatische Management von kontinuierlich gemessenen Glukosedaten. Dies ist mit dem KADIS-Programm möglich, welches in dem Artikel der oben genannten Autoren vorgestellt wird. Die Kombination von kontinuierlicher Glukosemessung und KADIS ist ein effektives Instrument zur Verbesserung der Stoffwechseleinstellung. KADIS schließt die Lücke zwischen den gemessenen CGM-Profilen und der darauf basierenden Stoffwechseloptimierung.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Beschäftigung mit diesen für die Diabetologie so relevanten Themen, hoffen, dass wir Ihnen damit wieder ein interessantes Heft zusammenstellen konnten und verbleiben mit herzlichsten Grüßen zur Sommerpause – verbunden mit dem Wunsch, dass Sie einen erholsamen Urlaub hatten oder haben werden.

Ihre Antje Bergmann und Peter Schwarz