Schlüsselwörter
berufliche Rehabilitation - Bürofachkräfte - Regionalklassifikation - Clusteranalyse
Key words
vocational rehabilitation - office specialists - regional classification - cluster
analysis
Einleitung
Die Eingliederung in nicht geförderte Beschäftigung ist das Kernziel für Leistungserbringer,
-träger und -empfänger der beruflichen Rehabilitation. „Arbeitsmarktorientierung“
ist dabei von zentraler Bedeutung. Das bedeutet, die Arbeitskräftenachfrage der Unternehmen
zu antizipieren und möglichst frühzeitig im Verlauf der Rehabilitationsmaßnahme ein
Matching mit dem Arbeitskraftangebot der Rehabilitanden herbeizuführen. Dies führt
zu 2 sich ergänzenden Marktzugängen: 1. die Förderung von frühzeitigem und zielgerichtetem
Bewerbungshandeln der Rehabilitanden sowie 2. die Akquise von Arbeitsplatzangeboten
über Kontakte zu und Kooperationen mit Unternehmen. Dies setzt u. a. Kenntnis über
die aktuelle Lage auf regional-beruflichen Teilarbeitsmärkten voraus. Denn Rehabilitanden
suchen in der Regel regional und in dem Berufsfeld, für das sie qualifiziert werden.
Verfügbare Informationen sind zwar kleinräumig, aber nicht nach Berufen [1]
[2]
[3], sondern nach Branchen disaggregiert (z. B. der regionale Arbeitsmarktmonitor der
Bundesagentur für Arbeit), oder sie sind zwar nach Berufen, aber zu großräumig [4] oder regional begrenzt. Praktikabel wären Regionalklassifikationen für berufliche
Teilarbeitsmärkte. Bezüglich eines Berufes sind Regionen eines Typs dabei untereinander
ähnlich und unterscheiden sich deutlich von den Regionen der anderen Typen. Es tritt
eine handhabbare Anzahl von Typen an die Stelle zahlreicher individueller regionaler
Einheiten und die Komplexität der Realität wird dadurch deutlich reduziert.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, a) Arbeitsmarktindikatoren auszuwählen, die
für den operativen Anwendungskontext bezüglich der Wiedereingliederung in nicht geförderte
Beschäftigung im Rahmen der beruflichen Rehabilitation am Beispiel der Berufsförderungswerke
(BFWs) geeignet sind, und b) eine empirische Regionalklassifikation für einen beruflichen
Teilarbeitsmarkt zu erstellen.
Der Teilarbeitsmarkt der Bürofach- und Bürohilfskräfte
Der Teilarbeitsmarkt der Bürofach- und Bürohilfskräfte
Bürofachkräfte führen im Kern Sekretariats- und Verwaltungstätigkeiten durch. In Deutschland
ist die Beschäftigung von Bürofach- und Bürohilfskräften in den vergangenen 10 Jahren
mit jeweils rund 4 Millionen relativ stabil; auffallend sind die kontinuierlich zunehmenden
Anteile der Personen mit akademischem Abschluss und der älteren Personen sowie der
konstant hohe Frauenanteil (Datenquelle: Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur
für Arbeit für Berufskennziffer 78). In der beruflichen Rehabilitation sind Büroberufe
insbesondere wegen der geringen körperlichen Anforderungen von herausragender Bedeutung,
zumal Büroberufe angesichts zunehmender Tertiarisierung allgemein als Zukunftsberuf
gelten und die Arbeitslosigkeit von Bürofachkräften im Vergleich zu anderen Berufen
relativ gering ist [5]. Allerdings entsteht für Fachkräfte mittleren Bildungsniveaus im Bereich Büro und
Verwaltung durch die zunehmende Anreicherung der klassischen Tätigkeiten mit komplexeren
Assistenzfunktionen eine wachsende Konkurrenz durch akademische Fachkräfte [6]. Letzteres offenbart zwar Chancen für alternde Belegschaften, aber Risiken für die
Wiedereingliederung. Nicht zuletzt ist das Lohnniveau angesichts des hohen Frauenanteils
in Büroberufen unterdurchschnittlich [7].
Funktionen einer Regionalklassifikation
Funktionen einer Regionalklassifikation
Im Rahmen der beruflichen Rehabilitation könnte eine Regionalklassifikation folgende
Funktionen haben. Zum einen wird die Komplexität der Wirklichkeit durch sparsame Ausformulierung
von Problemlagen reduziert. Damit werden den Rehabilitanden, den Leistungserbringern
respektive BFWs und den Sozialleistungsträgern ein geordneter Überblick und Basisinformationen
zu regionalen und beruflichen Teilarbeitsmärkten geboten (Transparenzfunktion). Zum
zweiten können diese Problemlagen und Strategien zwischen den handelnden Akteuren
verständlich und eindeutig mitgeteilt werden (Kommunikationsfunktion). So könnte die
Regionalklassifikation, grafisch als Landkarte aufbereitet, als Informationsmedium
im Rahmen von Bewerbungstrainings mit den Rehabilitanden eingesetzt werden. Des Weiteren
bietet die Typisierung den BFWs Ansätze zur differenzierten Marktbearbeitung (Gestaltungsfunktion).
Rehabilitanden können differenziert gefördert werden, z. B. gezielte Unterstützung
von Rehabilitanden aus Regionen mit Arbeitsmarkthindernissen, Bildung arbeitsmarkthomogener
Interventionsgruppen, Unterstützung der eigenverantwortlichen Entwicklung einer Bewerbungsstrategie
(z. B. durch Einsatz der Landkarte als Selbstlernmaterial). Auch die Nachfrageseite
kann zielgerichtet bearbeitet werden, indem z. B. in „problematischen“ Regionen die
Aktivitäten gegenüber Arbeitgebern forciert oder branchenspezifische Marketing-Strategien
eingesetzt werden.
Matching auf beruflichen Teilarbeitsmärkten
Matching auf beruflichen Teilarbeitsmärkten
Der Prozess der Zusammenführung von Stellensuchern und -anbietern wird als „Matching-Prozess“
bezeichnet. In der empirischen Analyse werden Matches (z. B. begonnene Beschäftigungsverhältnisse),
Arbeitslose und offene Stellen sowie weitere erklärende Variablen über Matching-Funktionen
in einen funktionalen Zusammenhang gebracht. Zu diesen erklärenden Variablen zählen
auf Seiten der Stellensucher z. B. Arbeitszeit, Lohnsatz, Arbeitsaufwendungen, Steuern,
nichtpekuniäre Arbeitsplatzeigenschaften, Lebenszyklus, familialer Kontext und auf
Seiten der Stellenanbieter z. B. Faktor- und Produktpreise, Produktionstechnik, Beschäftigtenanzahl.
Schätzungen gesamtwirtschaftlicher Matching-Funktionen sind zahlreich [8]
[9]. Analysen mit regionaler Ausrichtung [10]
[11]
[12], nach Branchen [13] sowie nach Qualifikationsniveaus und Berufsgruppen [4]
[14] kommen zu dem Schluss, dass von heterogenen regionalen, beruflichen und branchenspezifischen
Teilarbeitsmärkten auszugehen ist. In Europa ist das Ausmaß der Variation innerhalb
eines Landes ähnlich deutlich wie zwischen den Ländern [15]. Problematisch ist, dass mit zunehmender Disaggregierung oben genannte, erklärende
Variablen nicht in der notwendigen Genauigkeit verfügbar sind. Daher steht kein hinreichend
belastbares und getestetes Modell der regionalen Arbeitslosigkeit zur Verfügung [16].
Empirische Befunde zur Wiedereingliederung
Empirische Befunde zur Wiedereingliederung
Wiedereingliederung nach Maßnahmen in BFWs
Empirische Analysen zu Bestimmungsgründen der Wiedereingliederung nach Maßnahmen in
BFWs beziehen sich eher auf Personenfaktoren und ihr soziales Umfeld und weniger auf
den Arbeitsmarkt. Hetzel et al. [17] stellen fest, dass bislang nur die Arbeitslosenquote, die Branchenstruktur und die
Arbeitsmarkttypologie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die
wiederum auf der Arbeitslosenquote und der Einwohnerdichte basiert, empirisch relevant
sind.
Wiedereingliederung nach Arbeitslosigkeit
Rehabilitanden aus BFWs konkurrieren auf dem Arbeitsmarkt mit anderen Arbeitssuchenden.
Aus dem Bereich der Arbeitslosenforschung liegen zahlreiche Befunde zu Bestimmungsgründen
des Arbeitsmarktes vor. Auswahlkriterien sind die Matching-Theorie in Kombination
mit statistischer Selektion. Nachfolgend sind die relevanten Merkmale in absteigender
Bedeutung gelistet:
-
Unterbeschäftigungsquote, neue Bundesländer, Quote der Einstellungen in sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung [18];
-
Saisonspanne der Arbeitslosigkeit, Arbeitslosenquote, Bevölkerungsdichte, neue Bundesländer,
Quote der Empfänger von Hilfen zum Lebensunterhalt, Quote der offenen Stellen [18];
-
Arbeitslosenquote, Ausländeranteil SGB II, Bevölkerungsdichte, Bruttoinlandsprodukt
(BIP) pro Kopf, SGB-II-Kundenquote, Umgebungsvariable, Saisondynamik [19];
-
Arbeitslosenquote, Saisondynamik, Bevölkerungsdichte, Tertiarisierungsgrad, Arbeitsplatzbesatz,
Umgebungsvariable [1].
Wichtig ist, dass für Arbeitssuchende die Arbeitslosenquote von herausragender Bedeutung
ist. Im Gegensatz zu den Befunden im BFW-Kontext sind jedoch deutlich mehr Arbeitsmarktindikatoren
evident.
Auswahl der Klassifizierungsvariablen
Auswahl der Klassifizierungsvariablen
Die Auswahl der Klassifizierungsvariablen ist eine entscheidende Bedingung für das
Ergebnis einer empirischen Klassifikation. Dem Vorwurf der Beliebigkeit kann durch
theoretische und/oder empirische Fundierung entgegengetreten werden. Eine statistische
Variablenselektion und -gewichtung z. B. mittels Regressionsanalyse ist nicht umsetzbar,
da keine geeignete Zielvariable (z. B. die Wiedereingliederungsquote von Rehabilitanden
mit einer Qualifizierung als Bürofachkraft) vorliegt. Die Matching-Theorie liefert
zwar Ansätze zur Auswahl relevanter Variablen, ist aber für differenzierte Analysen
wenig konkret. Zudem ist die Datenverfügbarkeit limitierend. Kleinräumig und berufsbezogen
sind Arbeitslose, gemeldete Stellen und begonnene Beschäftigungsverhältnisse verfügbar.
Ferner ist das Arbeitsplatzangebot weiter differenzierbar, indem die Branchen-, Alters-
und Arbeitszeitstruktur der Beschäftigung berücksichtigt wird. Alternative, erklärende
Variablen für Stellensucher und -anbieter liegen regional bzw. berufsbezogen nicht
vor. Hinweise zur Variablenauswahl liefern ferner die empirischen Befunde zur Eingliederung
in der Arbeitslosenforschung. „Bevölkerungsdichte“, „Neue Bundesländer“ und „BIP pro
Kopf“ sind für BFWs jedoch nicht handlungsrelevant. Räumliche Pendlerverflechtungen
sind berufsspezifisch nicht verfügbar. „Saisondynamik“ als Maß für die Jahresdynamik
der Arbeitslosigkeit unterliegt der Problematik der zugelassenen kommunalen Träger
(zkT) (siehe unten). „Ausländeranteil SGB II“, „SGB-II-Kundenquote“ und „Quote der
Empfänger von Hilfen zum Lebensunterhalt“ betreffen einen spezifischen Kundenkreis.
Die auf dieser Basis getroffene Vorauswahl wird durch Überlegungen zur Handlungsrelevanz
insbesondere im Hinblick auf die Funktionen der Regionalklassifikation ergänzt und
in der Diskussion mit den Hauptanwendern (Vermittlungsexperten in BFWs) qualitativ
validiert. Auf diese Weise ist die Anwendungsorientierung sichergestellt. Um die Agenturbezirke
unabhängig von ihrer absoluten Größe klassifizieren zu können, sind ausschließlich
relative Daten die Berechnungsgrundlage. Die ausgewählten Variablen und Ankerfragen
sind als Tab. 1 beim Autor erhältlich.
Daten
Der Untersuchung liegen die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsstatistiken der Bundesagentur
für Arbeit für die Bürofachkräfte (Berufskennziffer 781) nach Arbeitsagenturbezirken
(n=178) zugrunde. Bei den Beschäftigungsdaten gilt das Arbeitsortprinzip. Es werden
jeweils Bestandsdaten zum Juni 2008 analysiert, weil seitens der Bundesagentur für
Arbeit der Juni als guter Schätzer für den Jahresdurchschnitt gilt. Problematisch
ist die Tatsache, dass die Daten zur Arbeitslosigkeit für von zkT betroffene Bezirke
untererfasst sind (64 von 178 Agenturbezirken, Stand Juni 2008). Das Ausmaß, wie stark
die Daten der globalen (nicht der berufsspezifischen!) Arbeitslosigkeit untererfasst
sind, ist bekannt und statistisch korrigiert [20]. Die Ergebnisse dieser Schätzungen werden in der vorliegenden Arbeit linear auf
den berufsspezifischen Arbeitslosenbestand der zkT übertragen. Dieses Vorgehen ist
gerechtfertigt, weil der Anteil der Bürofachkräfte-Arbeitslosigkeit an der gesamten
Arbeitslosigkeit in den Nicht-zkT-Agenturen relativ stabil (M=6,37; SD=1,14; n=114)
und die Varianz in allen Agenturen vergleichbar ist (F-Test (1,176)=0,009; p=0,925).
Außerdem ist der Anteil der Bürofachkräfte-Beschäftigung an der gesamten Beschäftigung
bei zkT-Agenturen und Nicht-zkT-Agenturen gleich (U-Test (63,115)=3268; p=0,281).
Der gesamte Arbeitslosenbestand der Bürofachkräfte (BFK) UBFKges,i für die i=1,…,64 von zkT betroffenen Agenturbezirke wird daher wie folgt ermittelt:
UglobzkT, i ist der globale Arbeitslosenbestand, der nur auf zkT beruht, Uglobges, i ist der von der Bundesagentur für Arbeit geschätzte globale und gesamte Arbeitslosenbestand
und UBFKohnezkT, i ist der Arbeitslosenbestand der Bürofachkräfte ohne zkT.
Methode
Mit der Clusteranalyse soll eine bestimmte Anzahl von Objekten bezüglich bestimmter
Merkmale (= Variablen) zu homogenen Gruppen (= Cluster, Typen) zusammengefasst werden.
Ausgangspunkt bildet eine Rohdatenmatrix mit i Objekten und j Merkmalen, die mittels
der quadrierten euklidischen Metrik,
mit xij (xi’j) Ausprägung des Merkmals j (j=1,…,p) bei Objekt i (i’), in eine quadratische ixi
Distanzmatrix überführt wird. Bias bei der Clusterbildung wird mit folgenden Maßnahmen
minimiert. Die hoch korrelierten Clustervariablen VZ55 und VZ55_JN werden eliminiert.
Die 3 Agenturbezirke Bremerhaven, Gelsenkirchen und Freising werden mittels Single-Linkage-Verfahren
als multivariate Ausreißer identifiziert und aus der weiteren Analyse ausgeschlossen.
Die Ausgangsdaten werden z-standardisiert, da die euklidische Metrik bei Maßstabsunterschieden
sonst zu verzerrten Distanzen führt. Auf eine Faktorisierung der verbliebenen 11 Merkmale
wird verzichtet, weil das Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium nur bei 0,68 („mittelmäßig“)
liegt. Die Ausgangsdatenmatrix enthält damit 11 Merkmale und 175 Objekte.
Zur Ermittlung der optimalen Clusteranzahl wird das hierarchisch-agglomerative Verfahren
nach Ward eingesetzt. Bei der Ward-Methode werden die Objekte bzw. Cluster fusioniert,
die die Streuungsquadratsumme innerhalb der Cluster SQin am wenigsten erhöhen. SQin für eine Lösung mit k=1,…,K Clustern wird wie folgt berechnet, mit xijk als Ausprägung des Merkmals j (j=1,…,p) bei Objekt i (i=1,…,q) in Cluster k sowie
x̅jk als Mittelwert über die Ausprägungen des Merkmals j in Cluster k:
Ferner werden die durch die k-Clusterlösung erklärte Streuung η² und der PRE-Koeffizient
als Kriterium der proportionalen Fehlerverbesserung gegenüber einer vorausgehenden
Lösung ermittelt [21]. Dabei gilt
Die optimale Clusteranzahl liegt vor bei überproportionalen Heterogenitätssprüngen
von SQin, bei η²>50% und bei einem bedeutsamen PRE-Koeffizienten. Ergänzend wird „Wishart’s
Bootstrap Validation“ mit 120 zufällig permutierten Hierarchien eingesetzt [22]. Für die optimale Clusterzuordnung, d. h. zur Minimierung von SQin, wird die partitionierende k-means-Methode eingesetzt, die wegen des Problems lokaler
Optima einer Monte-Carlo-Simulation [23] mit 500 Durchläufen unterzogen wird. Man akzeptiert die Lösung als globales Optimum,
die am häufigsten reproduziert wird und eine minimale SQin aufweist.
Die interne Validität der Clusterlösung wird durch eine vergleichende Betrachtung
der Clustervariablen untersucht. Die Stabilität der Clusteranzahl wird mittels Zentroid-Linkage-Hierarchie
für den Gesamtdatensatz und mittels Ward-Hierarchie für eine 50%-Zufalls-Stichprobe
(n=86) bestätigt (hier nicht dargestellt). Die Stabilität der Clusterzuordnung wird
neben der beschriebenen Monte-Carlo-Simulation durch diskriminanzanalytische Klassifikation
ermittelt. Bei letzterem wird die Zuordnungsrate von Objekten aufgrund ihrer Werte
in den Diskriminanzvariablen zu den Clustern als Indikator für die Güte der gefundenen
Lösung bestimmt. Zuletzt wird die externe Validität anhand von Zusatzvariablen überprüft.
Sämtliche Berechnungen werden mit den Statistikprogrammen PASW.18 und ClustanGraphics
[23] durchgeführt.
Clusterlösung
Clusteranzahl
Bei der Ward-Hierarchie liegt eine Übereinstimmung der Kriterien für k=6 vor, während
bei der isolierten Betrachtung einzelner Kriterien auch Alternativen vorstellbar sind
(s. [Tab. 2]). Die jeweiligen Änderungen von SQin legen eine 4- und 6-Clusterlösung nahe. Der PRE-Koeffizient ist für k≤6 auffällig.
Im Übergang von der 6- zur 7-Clusterlösung sinkt der Wert letztmals deutlich, und
zwar um 7,8%, und bleibt dann jeweils nahezu konstant bei etwa 5%. η²>50% wird für
k>6 erreicht. Die 6-Clusterlösung erklärt akzeptable 49,4% der Streuung und damit
etwa 9% mehr als k=4 und mehr als doppelt so viel wie k=2. Der Permutationstest identifiziert
k=6 als Optimallösung, k=4 ist nicht signifikant. Daher wird im Folgenden k=6 als
die optimale Clusteranzahl gesetzt.
Tab. 2 Verschmelzungsschema der Ward-Hierarchie.
k
|
SQin(k)
|
ΔSQin
|
η² (%)
|
PRE² (%)
|
Anm.: k=Clusteranzahl, SQin=Streuungsquadratsumme in den Clustern, η²=erklärte Varianz, PRE²=proportionale Fehlerverbesserung,
fett markiert sind bedeutsame Ausprägungen
|
(…)
|
|
|
|
|
10
|
72,46
|
3,41
|
58,4
|
4,5
|
8
|
75,87
|
3,56
|
56,4
|
4,5
|
8
|
79,43
|
4,05
|
54,3
|
4,9
|
7
|
83,48
|
4,60
|
52,0
|
5,2
|
6
|
88,08
|
7,44
|
49,4
|
7,8
|
5
|
95,52
|
7,75
|
45,1
|
7,5
|
4
|
103,27
|
12,53
|
40,6
|
10,8
|
3
|
115,80
|
20,55
|
33,4
|
15,1
|
2
|
136,35
|
37,65
|
21,6
|
21,6
|
1
|
174,00
|
–
|
0,0
|
–
|
Clusterzuordnung
Die 6er Partition (k-means) mit der minimalen Fehlerstreuung SQin (6)=83,94 wird in der Monte-Carlo-Simulation 24-mal reproduziert, d. h., die Reproduzierbarkeit
beträgt 24/500=4,8%. Die nachfolgenden Lösungen besitzen ein geringfügig schlechteres
Optimalitätskriterium (83,97, 84,00, 84,01, 84,01) [siehe Formel oben] und werden
seltener reproduziert (1,2%, 1,6%, 0,4%, 1,4%). Daher kann die erste Lösung als das
globale Optimum betrachtet werden. Allerdings fällt die geringe Reproduzierbarkeit
auf. Die Analyse der Verschiebungen zwischen dem globalen Optimum und der fünftbesten
Lösung zeigt, dass 5 Objekte aus Cluster 4 (globales Optimum) dem Cluster 6 (lokales
Optimum) zugeordnet werden (κ=0,96, ausgezeichnete Übereinstimmung). Für alle anderen
Objekte ist die Zuordnung stabil. Cluster 4 und 6 sind die beiden „Ost-Cluster“ (siehe
unten). Die Verschiebungen sind aufgrund der geografischen Nähe der Objekte erklärbar.
Die geringe Reproduzierbarkeit beruht demnach nur auf marginalen Verschiebungen. Die
erklärte Streuung des globalen Optimums beträgt η²=1–83,94/174,00=51,8% und ist damit
um 2,4% höher als k=6 der Ward-Hierarchie.
Beschreibung der 6-Clusterlösung
In [Abb. 1] sind für die 6-Clusterlösung die z-standardisierten Mittelwertprofile einschließlich
Standardabweichung dargestellt und in Tab. 3, die beim Autor erhältlich ist, interpretiert. Die Verteilung der Cluster ist in
[Abb. 2] kartografisch visualisiert.
Abb. 1Profildarstellung für k=6: Mittelwerte und Standardabweichungen.
Abb. 2Kartografische Darstellung der 6-Clusterlösung.
Interne Validität
Sowohl die Homogenität innerhalb der Cluster als auch die Heterogenität zwischen den
Clustern sind beeindruckend. Nur 3 der insgesamt 66 möglichen Zellen weisen eine geringfügig
höhere Streuung als in der Grundgesamtheit auf. Unterschiedsanalysen zwischen den
Clustern zeigen, dass alle verwendeten Merkmale einen global höchstsignifikanten Beitrag
zur Trennung der Cluster leisten (s. Tab. 4
, beim Autor erhältlich). Den größten Beitrag leistet der Anteil der Vollzeitbeschäftigten
in der Industrie (VZ_CF), den geringsten Beitrag die Quote der offenen Stellen (OST).
Jedes Cluster ist für mindestens ein Merkmal extrem bezüglich des mittleren Rangs
ausgeprägt. Es treten keine paarweisen Ähnlichkeiten über das Merkmalsprofil auf.
Stabilität
Die diskriminanzanalytische Klassifikation zeigt in der Kreuzvalidierung, dass 98,3%
der ursprünglich gruppierten Fälle korrekt klassifiziert wurden. Der Anteil in Bezug
auf die einzelnen Cluster beträgt bei Cluster 1, 4 und 6 jeweils 100%, bei Cluster
2 bzw. 3 bzw. 5 hohe 97,6% bzw. 95,0% bzw. 98,1%. Allerdings werten Wiedenbeck et
al. [24] den Nutzen der diskriminanzanalytischen Bestätigung als begrenzt, da erneut die
Clustervariablen verwendet werden und damit eine gewisse Tautologie besteht.
Externe Validität
Berufsspezifische und globale Arbeitslosigkeit sind voneinander abhängig. Das führt
zu Hypothese 1: Je höher die Bürofachkräfte-Arbeitslosigkeit in einem Cluster ist,
desto höher ist die allgemeine Arbeitslosigkeit in diesem Cluster. Der globale Unterschied
ist statistisch höchstsignifikant. Sie ist in den beiden „Ost-Clustern“ am höchsten.
Das Ost-West-Gefälle der Arbeitslosigkeit wird damit von der Clusterlösung erkannt.
In den beiden Industriebezirken ist die allgemeine Arbeitslosigkeit am niedrigsten.
Vergleicht man die beiden Unternehmensnahe-Dienstleistung-Cluster, dann fällt die
deutlich höhere Streuung der Arbeitslosigkeit im Westen gegenüber dem Osten auf. Diese
Streuung könnte durch das Nord-Süd-Gefälle der Arbeitslosigkeit in den alten Bundesländern
begründet sein, die jedoch hier nicht zu einer zusätzlichen Clusterdifferenzierung
führt.
Bürofachkräfte sind in allen Branchen beschäftigt. Das führt zu Hypothese 2: Die Cluster
mit der höchsten Bürofachkräfte-Beschäftigung in der Industrie haben den geringsten
allgemeinen Tertiarisierungsgrad. Der globale Unterschied ist statistisch höchstsignifikant.
Der allgemeine Tertiarisierungsgrad ist in den beiden Industrieclustern am niedrigsten
und in den beiden Unternehmensnahe-Dienstleistung-Clustern am höchsten. Dazwischen
liegen das Handelscluster und das Ost-Cluster „Öffentliche und private Dienstleistungen“.
Unternehmensnahe Dienstleistungen sind überwiegend in städtischen Regionen konzentriert.
Das führt zu Hypothese 3: Je höher die Bürofachkräfte-Beschäftigung in unternehmensnahen
Dienstleistungen in einem Cluster ist, desto städtischer (operationalisiert über
die Einwohnerdichte) sind die Regionen in diesem Cluster. Der globale Unterschied
ist statistisch höchstsignifikant. Die Einwohnerdichte ist in den beiden Unternehmensnahe-Dienstleistung-Clustern
im Mittel deutlich am höchsten, allerdings mit sehr hoher Streuung.
Die multivariate Überprüfung der Hypothese 1 und 3 ist möglich über die Kreuztabellierung
mit der IAB-Arbeitsmarkttypologie, die auf Einwohnerdichte und allgemeiner Arbeitslosigkeit
beruht. Es zeigen sich deutliche Übereinstimmungen. Mindestens etwa jeweils die Hälfte
der Agenturbezirke der hier entwickelten Clusterlösung findet sich auch in einem der
externen Cluster wieder. Dies ist ein Hinweis auf die externe Validität. Abweichungen
dürften darin begründet sein, dass beide Clusterlösungen unterschiedlichen Grundgesamtheiten
entstammen und wegen der Disparitäten zwischen Teil- und Gesamtarbeitsmarkt zwangsläufig
zu unterschiedlichen Clustern führen.
Die empirischen Nachweise sind als Tab. 5-7 beim Autor erhältlich. Resümierend sind Hinweise auf die externe Validität der ermittelten
Clusterlösung zu erkennen, auch wenn die Kriteriumsvariablen inhaltlich als relativ
schwach zu werten sind. Dies liegt darin begründet, dass über Disparitäten zwischen
dem beruflichen Teilarbeitsmarkt der Bürofachkräfte und dem allgemeinen Arbeitsmarkt
nur spekuliert werden kann. Hinweise zur Heterogenität beruflicher Teilarbeitsmärkte
bieten die eingangs zitierten Untersuchungen, jedoch nicht für den hier untersuchten
Teilarbeitsmarkt der Bürofachkräfte nach BKZ 781.
Implikationen für Berufsförderungswerke
Exemplarisch für den ersten Regionaltyp („Industriell geprägte Region mit älteren
BFK, gute Arbeitsmarktlage“) könnte die Marktbearbeitung durch BFWs wie folgt differenziert
werden. Bezüglich Arbeitgeber wären z. B. 1. Kooperationen mit Industriebetrieben
zu suchen (z. B. Ersatzeinstellungen, Alt-Jung-Tandems), um nicht ausgeschriebene
Stellen im Zusammenhang mit Erwerbsaustritt zu akquirieren; 2. wären Kooperationen
mit Arbeitgeberorganisationen zu vertiefen, um frühzeitig die offenen Stellen abzuschöpfen.
Bezüglich der Rehabilitanden bieten sich folgende Strategien an: 1. Arbeitsmarktchancen
thematisieren (geringe Arbeitslosigkeit bei durchschnittlich vielen offenen Stellen
und wenigen Neueinstellungen, regionaler Branchenmix), 2. Initiativbewerbungen forcieren
(weil wenige Neueinstellungen insgesamt und nicht ausgeschriebene Stellen in der Industrie)
und 3. Chancen von geringfügiger Beschäftigung vermitteln.
Limitationen
Die Auswahl der Klassifizierungsvariablen folgt eher praktischen Kriterien der Handlungsrelevanz
und Datenverfügbarkeit, weil die Matching-Theorie für die vorliegende Fragestellung
zu wenig konkret ist und eine statistische Selektion angesichts einer fehlenden Zielvariablen
ausscheidet. Stünde z. B. die beruflich-regionale Wiedereingliederungsquote von Rehabilitanden
zur Verfügung, könnte in Anlehnung an Blien et al. [3] eine Kombination von Regressions- und Clusteranalyse eingesetzt werden oder diese
Zielvariable als Kovariate berücksichtigt werden [25]. Angesichts dieser Kritik wird die Clusterdiagnose ausführlich fundiert und im Ergebnis
die 6-Clusterlösung als intern und extern valide bewertet.
Mit der Regionalklassifikation werden vielfältige Einsatzmöglichkeiten erschlossen,
die dem Ziel der effektiven und effizienten Wiedereingliederung in nicht geförderte
Beschäftigung dienen. Sie erlaubt (wie jede Typisierung) jedoch nicht, einer Region
in der vollen Individualität der Situation gerecht zu werden. Möglichkeiten zur Überwindung
dieser Grenze werden bei Blien et al. [18] dargestellt.
Die Regionalklassifikation basiert auf Niveaugrößen für einen ausgewählten beruflichen
Teilarbeitsmarkt und dient daher vor allem der Lagebeschreibung. Daraus ergeben sich
weitere Forschungsfragen: Wie stabil sind Clusteranzahl und Clusterzuordnung bei aktualisierten
Daten? Wie sind mögliche Wanderungsbewegungen zu erklären? Können auch für andere
berufliche Teilarbeitsmärkte valide Clusterlösungen ermittelt werden?
Anhand der Regionalklassifikation mit 6 Clustern wird die Komplexität der Wirklichkeit
deutlich reduziert und es werden vielfältige Einsatzmöglichkeiten im Rahmen arbeitsmarktorientierter
beruflicher Rehabilitation erschlossen.
Ergänzendes Material
Die Tabellen 1, 3–7 über den Autor zu beziehen
Die im Beitrag „Psychologische Interventionen in der Rehabilitation von Patienten
mit koronarer Herzerkrankung: Zusammenfassung der Evidenz und der Empfehlungen aus
systematischen Übersichtsarbeiten und Leitlinien“ von Reese, Spieser und Mittag (veröffentlicht
in Heft 6/2012, S. 405 ff .)
eingeschlossenen Leitlinien und systematischen Übersichtsarbeiten, nach Identifikationsnummer
(IDN) geordnet, finden Sie online unter www.thieme-connect.de/ejournals/toc/rehabilitation.