PPH 2012; 18(05): 275-276
DOI: 10.1055/s-0032-1327020
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Publikationsdatum:
09. Oktober 2012 (online)

Gewalt gegen ältere pflegebedürftige Menschen: MDS veröffentlicht Broschüre zur Prävention

Gewalt gegen ältere und pflegebedürftige Menschen ist ein Thema, das hinter verschlossenen Türen stattfindet und in der Öffentlichkeit kaum beachtet wird. Anlässlich des World Elder Abuse Awareness Day, der jedes Jahr am 15. Juni stattfindet, veröffentlicht der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) Rahmenempfehlungen zur Prävention von Gewalt gegen alte und pflegebedürftige Menschen. Diese Rahmenempfehlungen sind Ergebnis des Projekts „Monitoring in Long-Term-Care – Pilot Project on Elder Abuse“ (MILCEA), das der MDS gemeinsam mit Partnern aus Luxemburg, Österreich, den Niederlanden und Spanien durchgeführt hat. Das Projekt wird mit Mitteln der Europäischen Kommission gefördert.

Die Misshandlung alter Menschen ist ein Problem von erheblichem Ausmaß. Darüber berichtet auch der aktuelle WHO-Bericht zur Vermeidung von Gewalt gegen alte Menschen (2011). In Europa werden jedes Jahr 8.300 Menschen getötet, die 60 Jahre und älter sind. Die Fälle von Gewalt gegen alte Menschen, über die in den Medien berichtet wird, sind dabei nur der Gipfel eines Eisbergs: Auf eine registrierte Misshandlung kommen in der Regel fünf Gewalttaten, die im Dunkeln bleiben. Dazu zählen in erster Linie körperliche und psychische Misshandlungen, Vernachlässigung und finanzielle Schädigung.

„Das Thema Gewalt gegen Pflegebedürftige und Senioren allgemein wird in Deutschland noch immer verharmlost und stößt an Tabugrenzen. Beim Kinderschutz haben wir eine klare Zuständigkeit bei den Jugendämtern. Für den Schutz von vulnerablen alten Menschen fehlt es an vergleichbaren Strukturen und Zuständigkeiten“, sagt der Projektleiter Uwe Brucker. Ziel des MILCEA Projektes war es deshalb, die Prävention von Gewalt gegen pflegebedürftige ältere Menschen voranzutreiben und zu einem gesamtgesellschaftlichen Auftrag zu machen.

Rahmenempfehlungen fordern Monitoring-System zur Gewaltprävention

Wer aufgrund von Krankheit oder Hinfälligkeit pflegebedürftig wird, verliert häufig seine Eigenständigkeit und die Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Viele dieser Menschen können ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht mehr äußern. Sie sind plötzlich abhängig vom guten Willen und den Fähigkeiten der Pflegeperson. Ist diese ungeeignet oder überfordert, kann das eine Gefahr für den Patienten bedeuten.

Die im MILCEA-Projektverbund entwickelten Rahmenempfehlungen formulieren klare Anforderungen an ein Monitoring-System zur Gewaltprävention. Dazu zählen zu allererst vom Gesetzgeber zu schaffende klare und verbindliche Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Zudem müssen Handlungsabläufe auf allen Ebenen verbindlich festgelegt werden, so dass Personen und Organisationen, die mit alten und pflegebedürftigen Menschen arbeiten (beruflich oder ehrenamtlich) wissen, an wen sie sich im Verdachtsfall wenden können. Eine nationale Telefonhotline, bei der (Verdachts-) Fälle gemeldet werden können, soll die Zugangsschwelle für externe Hilfen senken. Ein erster Schritt ist es, Personen und Organisationen, die beruflich oder ehrenamtlich mit möglichen Opfern von Gewalt in der Pflege in Kontakt kommen, für das Thema zu sensibilisieren. Sie müssen das Vorkommen von Gewalt in ihrem Umfeld für möglich halten und entsprechende Anzeichen erkennen können. Daher sollte das Thema auch in den Aus- und Fortbildungen aller Gesundheits- und Sozialberufe sowie im Qualitätsmanagement der Pflegeorganisationen und bei den externen Prüfungen von Heimaufsicht und MDK verankert werden. Und nicht zuletzt sollten auch die alten und pflegebedürftigen Menschen selbst einbezogen werden, wenn es um die Planung und Ausgestaltung ihres Schutzes und Wohles geht. „Ähnlich wie bei der Aids-Kampagne müssen wir endlich dafür sorgen, dass das Thema Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen enttabuisiert und ins Licht der öffentlichen Wahrnehmung gerückt wird“, fordert Brucker. Eine regelmäßige Erhebung und Auswertung der Daten zur Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen und darauf aufbauend eine nationale Berichterstattung, aus der Präventionspläne abgeleitet werden, können weitere Schritte zur Aufklärung über dieses Thema sein.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie unter www.milcea.eu.

Broschüren-Download unter www.mds-ev.de.


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Hintergrund

Gewalt gegen ältere Menschen kann unterschiedliche Formen annehmen und von körperlicher und emotionaler Misshandlung bis zur finanziellen Ausbeutung älterer Menschen reichen. Die meisten Fachleute unterschieden vier Erscheinungsformen von Gewalt gegen Ältere:

  • physische Gewalt (körperlicher Schaden durch z. B. Treten oder Schlagen)

  • psychische Gewalt (z. B. durch Aggressivität)

  • finanzielle Ausbeutung (z. B. Diebstahl)

  • sexueller Missbrauch

  • Vernachlässigung

Nicht nur aktive Handlungen sind Ausdruck von Gewalt. In der Langzeitpflege ist besonders die Vernachlässigung (neglect) als eine Form von Gewalt relevant. Vernachlässigung bedeutet in diesem Zusammenhang die Unterlassung einer gebotenen Handlung, die zur Aufrechterhaltung des Wohlbefindens eines älteren Menschen dient.

Das Projekt MILCEA (Monitoring in Long-Term-Care – Pilot Project on Elder Abuse, deutsch: Pilotprojekt zur Vermeidung von Gewalt gegen ältere und pflegebedürftige Menschen – Monitoring-System in der Langzeitpflege) wird vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. – MDS – koordiniert und mit Mitteln der Europäischen Kommission gefördert. Beteiligt sind die Niederlande, Luxemburg, Österreich und Spanien. Anhand von Indikatoren und Risikofaktoren analysierten die Projektpartner die jeweiligen Strukturen in ihrem Land zum Erkennen und Erfassen von Gewalt. Leitfragen waren: Welche Akteure gibt es in der Langzeitpflege? Welchen Zugang haben diese zu den pflegebedürftigen älteren Menschen? Welche Möglichkeiten und Grenzen haben sie zur Erkennung und Erfassung von Gewalt gegen Ältere? Welchen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen sie? Welche Anforderungen sind an eine systematische Erfassung von Gewalt gegen ältere Menschen zu stellen?

Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) ist der Medizinische Dienst des GKV-Spitzenverbandes. Er berät den GKV-Spitzenverband in allen medizinischen und pflegerischen Fragen, die diesem qua Gesetz zugewiesen sind. Er koordiniert und fördert die Durchführung der Aufgaben und die Zusammenarbeit der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) auf Landesebene in medizinischen und organisatorischen Fragen.

Pressekontakt:

MDS, Pressestelle

Christiane Grote, Tel. 0201 8327-115, c.grote@mds-ev.de


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