Einleitung
Distale Radiusfrakturen sind sowohl im Kindes- als auch im Jugendalter häufige
Frakturen. Zum einen liegt dies an der Tatsache, dass die Hände im Fallen zum
Abfangen des Sturzes eingesetzt werden, zum anderen daran, dass sich bis zum
Verschluss der distalen Wachstumsfuge des Radius sowohl innerhalb des
Knorpel-Knochen-Übergangs der Fuge selbst als auch im Bereich zwischen metaphysärer
Spongiosa und diaphysärem Kortex ein biomechanischer Schwachpunkt (locus minoris
resistentiae) befindet.
Grundsätzlich ist diese Frakturlokalisation, die ja mehrere, sich deutlich
voneinander unterscheidende Frakturtypen (s. u.) aufweist, bei noch vorhandenem
Längenwachstum der Fuge (mindestens noch 2, besser 5 Jahre) eine Domäne der
konservativen Therapie.
Dies gilt insbesondere für die stabilen Wulst- und Kompressionsverletzungen, aber
auch für die in diesem Bereich selteneren Grünholzbrüche. Bei letzteren ist dann
allerdings des Öfteren die primäre Reposition in Narkose mit anschließender
Ruhigstellung im Unter- oder Oberarm-Cast, eventuell auch mit nachfolgender Keilung
des Casts am 5.–7. Tag, erforderlich.
Es gibt jedoch auch in diesem Bereich eine Vielzahl von Situationen, alters- und/oder
frakturmorphologisch bedingt, die eine operative Versorgung erforderlich machen.
Diese sollen im Folgenden ebenfalls näher beleuchtet werden und Empfehlungen
ausgesprochen werden, welche OP-Technik sich bei welcher Fraktur gut einsetzen lässt
und welche Verfahren eher nicht zum Erfolg führen werden.
Diagnostik und Klassifikation
Begleitverletzungen können insbesondere im Bereich des Ellenbogens bei der distalen
Radius- bzw. Unterarmfraktur im Kindes- und Jugendalter für den weiteren
Behandlungsverlauf entscheidende Bedeutung haben.
Es empfiehlt sich grundsätzlich nach genauer Anamnese und Untersuchung eine
Standardröntgenaufnahme des Unterarms mit angrenzenden Gelenken in 2 Ebenen.
Je nach Befund können dann zusätzliche Zielaufnahmen des Ellenbogens und/oder des
Handgelenks durchgeführt werden. Selbstverständlich sollten alle erforderlichen
Aufnahmen „kindgerecht“, d. h. nach den Richtlinien der Kinderradiologie,
angefertigt werden.
Es ist für den Behandler ein eindeutiger Vorteil, die Fraktur, die er therapieren
will, „verstanden“ zu haben. Damit ist neben Kenntnis des Unfallmechanismus, des
Weichteilstatus und Frakturverlaufs auch die Erfassung des Skelettalters des
Patienten und eine Einschätzung der Stabilität der Fraktur gemeint.
Klassifikationen helfen für dieses Verständnis. Für den klinischen Alltag ist die
Einteilung nach Dislokationsrichtung des distalen Fragments (also Extensions- oder
Flexionsverletzung) und Grad der Dislokation in der Frontal- und Sagittalebene
hilfreich, aber alleine nicht ausreichend. Sinnvoll, weil therapeutisch relevant,
ist eine Einteilung der metaphysären Frakturen in stabile vs. instabile Frakturen
(Wulstbruch vs. Grünholzbruch vs. komplette Fraktur beider Kortizes) [12] ([Abb. 1]). Für die
Frakturen mit Beteiligung der Wachstumszone haben sich die Einteilungen nach Salter
und Harris bzw. Aitken bewährt. Diese sind auch in die ausführlichere und
umfassendere Klassifikation der Pediatric Expert Group (PAEG) der
Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) eingeflossen, die sich für
wissenschaftliche Fragestellungen und Frakturregister eignet [13] ([Abb. 2]).
Abb. 1 a bis d Die 4 Haupttypen der distalen Radiusfraktur im
Kindes- und Jugendalter: a Wulstbruch, b Grünholzbruch,
c komplette, bikortikale Fraktur, d Epiphyseolyse mit metaphysärem
Keil. Aus: Randsborg E, Sivertsen E. Classification of distal radius fractures
in children: good inter- and intraobserver reliability, which improves with
clinical experience. BMC Musculoskeletal Disorders 2012; 13: published ahead of
printing
Abb. 2 Frakturklassifikation der AO Pediatric Expert Group (PAEG) für den
distalen Unterarm.
Metaphysäre Extensions- und Flexionsbrüche
Je nach Alter des Patienten und Grad der Krafteinwirkung kommen hier unterschiedliche
Frakturformen vor, die sich bezüglich ihres sekundären Dislokationspotenzials zum
Teil deutlich unterscheiden.
Radiuswulstbruch (23 r-M/2.1 nach AO)
Diese Kompressionsverletzung ist stabil und disloziert nahezu nie sekundär.
Dementsprechend ist die Therapie in der Regel konservativ. Bis zur Vollendung
des 3. Lebensjahrs, bei etwas voluminöseren Unterarmen auch bis zum
Vorschulalter, wird der Oberarm-Cast aufgrund des besseren Halts empfohlen. Je
nach Schwellung kann er als Schiene, als Sandwich-Cast oder zirkulär gespalten
angelegt werden. Ab dem Schulalter ist der Unterarmcast ausreichend.
Da diese Frakturen stabil sind und bleiben, kann auf Röntgenkontrollen im
Verlauf verzichtet werden.
Nach der Cast-Abnahme nach 2–3 Wochen je nach Alter wird die Funktion des
Handgelenks klinisch untersucht und dokumentiert [2].
Sollten die Eltern oder Zuweiser auf eine Röntgenkontrolle drängen, kann der
Ultraschall die Frage nach der Frakturkonsolidierung ebenso zuverlässig und ohne
Strahlenbelastung beantworten [6].
Grünholzfraktur
Ist nur eine Kortikalis, meist auf der Zugseite der Fraktur, unterbrochen,
spricht man von einer Grünholzfraktur. Auch eine komplette, bikortikale Fraktur,
bei der das Periost noch nahezu zirkulär erhalten ist, ist biomechanisch als
Grünholzbruch zu sehen. Sie sind im Schaftbereich deutlich häufiger als
metaphysär. Die deutlich selteneren Flexionsfrakturen dislozieren häufiger
sekundär als Extensionsfrakturen. Grünholzbrüche heilen zum Teil verzögert, bzw.
dorsal und ventral unterschiedlich schnell. Sie haben dadurch ein erhöhtes
sekundäres Dislokationspotenzial und haben daher im Gegensatz zum Wulstbruch
auch radiologischen Kontrollbedarf im Verlauf (nach Reposition, 5., 10. und
20. Tag).
Je näher die Fraktur an der Wachstumsfuge liegt, umso höher ist das
Korrekturpotenzial bezüglich einer Achsabweichung.
So können sich Fehlstellungen in der Sagittalebene von bis zu 30° bis zum
10. Lebensjahr problemlos in einem akzeptablen Zeitraum korrigieren. Bei
höhergradigen Achsabweichungen in der Sagittalebene, Fehlstellungen in der
Frontalebene über 10° und Seit-zu-Seit-Versatz über einem Drittel der
Schaftbreite sowie bei Patienten in der Adoleszenz sollte in Narkose reponiert
werden [5]. Ein Überführen dieser Fraktur in eine
rotationsinstabilere, komplette Fraktur mit dem sog. „Durchbrechen“ der noch
stehenden Kortikalis ist nicht erforderlich. Bei guter Dreipunktabstützung
([Abb. 3]) im korrekt, also sparsam gepolsterten
Cast kann auch diese Fraktur durch konservative Maßnahmen zur Ausheilung
gebracht werden [1], [10].
Auch die Technik der Gips- bzw. Cast-Keilung ist bei den sekundär oft
dislozierenden Frakturen hilfreich und kann ab dem 5.–7. Tag nach Fraktur in der
Regel ohne Narkose durchgeführt werden.
Abb. 3 a bis d Grünholzbruch des Radius mit kompletter,
bikortikaler Fraktur der Ulna bei intaktem Periost.
a, b Unfallaufnahmen. c, d Nach Reposition und
Oberarmcastanlage in leichter Flexionsstellung im Handgelenk und dadurch
guter Dreipunktabstützung.
Die Refrakturrate ist im Vergleich zum Wulstbruch und zur kompletten Fraktur
bei Grünholzbrüchen erhöht. Daher sind ausreichend lange
Ruhigstellungszeiten (3–4 Wochen) und Sportkarenzen (4–8 Wochen je nach
Sportart) wichtig.
Bewegungseinschränkungen des Handgelenks auch nach längerer Ruhigstellung lösen
sich in diesem Alter nahezu immer von selbst, d. h. ohne die Notwendigkeit von
physiotherapeutischen Maßnahmen, auf.
Komplette, bikortikale Fraktur (23 r-M/3.1 nach AO)
Diese Brüche treten im Kleinkindalter bei höherer Gewalteinwirkung und bei
älteren Kindern und Jugendlichen vermehrt auf. Sie sind bei zerrissenem Periost
naturgemäß instabiler als die o. a. Frakturformen und führen daher auch häufiger
zu einer OP-Indikation. Offene Frakturen sowie Gefäß- und Nervenbeteiligung, vor
allem des N. medianus, sind nicht selten und stellen eine Notfallindikation dar.
Isolierte, vollständig dislozierte Radiusfrakturen sind selten, meist ist die
Ulna mitfrakturiert.
Nach Reposition in Narkose nach den klassischen Repositionsprinzipien nach Böhler
[1] bzw. Charnley [3]
kann bei radiologisch im Bildwandler kontrollierter, stabiler Situation, also
z. B. beim Querbruch, auch wieder konservativ behandelt werden ([Abb. 4]).
Abb. 4 a bis c Komplette, bikortikale, distale, diaphysäre
Radiusfraktur mit Grünholzbruch der Ulna (bikortikal, aber intaktes
Periost). a Unfallaufnahme. b, c Nach Reposition und
Oberarmweißgipsanlage.
Ist die Fraktur nach Reposition instabil, sollte in gleicher Sitzung eines
der folgenden Osteosyntheseverfahren zum Einsatz kommen.
a) Bikortikale K-Draht-Osteosynthese
Sie eignet sich naturgemäß eher für die distaleren, fugennahen Frakturen.
Hierbei muss darauf geachtet werden, nach Eingehen über den Processus
styloideus die Wachstumsfuge möglichst nur einmal zu perforieren, um das
Risiko einer iatrogenen Wachstumsstörung gering zu halten. Auch ein
Startpunkt metaphysär ist manchmal möglich und fugenschonend, wenn der
Ranvierʼsche Schnürring der Wachstumsfuge nicht tangiert wird. Ist das
distale Fragment in der Frontalebene stabil und redisloziert nur in der
Sagittalebene, reicht ein K-Draht aus. Bei instabileren Frakturen oder einer
größeren Trümmer- bzw. Stauchungszone müssen dann mindestens 2 Drähte
eingebracht werden, um Rotationsstabilität zu erreichen ([Abb. 5]).
Abb. 5 a bis d Komplette, bikortikale, distale,
metaphysäre, grob dislozierte Unterarmfraktur.
a, b Unfallaufnahmen. c, d Versorgung mit metaphysär
eingebrachten K-Drähten.
b) Intrafokale K-Draht-Osteosynthese n. Kapandji
Je weiter proximal die Fraktur liegt, umso schwerer wird die klassische
Platzierung der K-Drähte. In der Technik nach Kapandji wird das distale
Fragment nicht direkt angebohrt, sondern durch eine fächerförmige Anordnung
der K-Drähte um das Fragment herum mit kortikaler Verankerung im proximalen
Hauptfragment indirekt gehalten [7]. Auf den
Verlauf der Strecksehnen der Langfinger und des Daumens muss hierbei
besonders geachtet werden.
c) Transepiphysäre, intramedulläre K-Draht-Osteosynthese nach Py bzw.
Desmanet
In der Technik nach Py wird epiphysär über den Processus styloideus und das
Tuberculum Listeri eingegangen und der Draht dann im proximalen
Hauptfragment möglichst weit nach intramedullär vorgeschoben [11]. Die Desmanet-Technik modifiziert dieses
Vorgehen dadurch, dass statt des Tuberculums die dorsoulnare Kante des
Radius als Eintrittspunkt für den 2. K-Draht gewählt wird [4]. Auch hier sind Strecksehnenverletzungen primär
sowie sekundäre Rupturen als Komplikationen beschrieben. Beide Techniken
sind ebenso wie die Kapandji-Technik ursprünglich zur Versorgung
extraartikulärer distaler Radiusfrakturen des Erwachsenen entwickelt bzw.
modifiziert worden. Sie haben sich aber gerade bei dieser
Frakturlokalisation auch im Kindesalter bewährt [9].
Ebenso wie bei der Kapandji-Technik muss die Osteosynthese durch eine
Unterarm-Cast-Schiene ergänzt werden ([Abb. 6]).
Mit freundlicher Genehmigung Dr. Lieber, Tübingen.
Abb. 6 a bis d Komplette, bikortikale, distale,
metaphysäre, grob dislozierte Unterarmfraktur.
a, b Unfallaufnahmen. c, d Versorgung mit metaphysär
eingebrachtem K-Draht.
d) Radialer, nicht gelenkübergreifender Fixateur externe
Vor allem bei offenen Frakturen, aber auch bei geschlossen nicht reponibler
Fraktur kann der Fixateur externe eine gute Wahl sein. Je nach Lage der
Fraktur können die Pins distal epi- oder metaphysär platziert werden,
natürlich unter sicherer Schonung der Wachstumsfuge ([Abb. 7]).
Abb. 7 a bis d Komplette, bikortikale, distale
Radiusfraktur mit intaktem radialem Periost.
a, b Unfallaufnahmen. c, d Intraoperative Durchleuchtung
bei Versorgung mit Fixateur externe.
e) Plattenosteosynthese
Bei jugendlichen Patienten, bei Refrakturen, aber auch primär, z. B. als
Rückzugsosteosynthese nach gescheitertem Versuch der K-Draht-Osteosynthese,
ist eine in der Regel von streckseitig eingebrachte Kleinfragmentplatte in
bestimmten Fällen eine sinnvolle Alternative. Nachteilig ist die
Notwendigkeit der Metallentfernung in Narkose, Vorteil die sofortige
Übungsstabilität ([Abb. 8]).
Abb. 8 a bis d Komplette, bikortikale, isolierte, distale
Radiusflexionsfraktur. a Unfallaufnahmen. b Postoperativ
nach Plattenosteosynthese, 3,5er-LCP. c Konsolidiert, vor
Metallentfernung (ME). d Nach ME.
f) Modifizierte ESIN-Osteosynthese nach Metaizeau
Je weiter nach proximal die Frakturzone gelegen ist, umso verführerischer
wird dieses Osteosyntheseverfahren, das ja die Therapie der Wahl für die
Schaftfrakturen im Kindesalter darstellt. Durch entsprechendes Vorbiegen des
elastischen Marknagels bzw. einen modifizierten Eintrittspunkt von dorsal
über das Tuberculum Listeri kann auch bei metaphysären Frakturen die
zwingend notwendige Dreipunktabstützung mit dem mittleren Abstützpunkt im
distalen Fragment erreicht werden ([Abb. 9])
[9]. Gelingt dies nicht, so bleibt die
Osteosynthese rotationsinstabil, es muss zusätzlich ruhiggestellt werden und
der Vorteil der sofortigen Übungsstabilität dieses Verfahrens geht verloren.
In solchen Fällen ist dann der Fixateur externe oder die
Plattenosteosynthese, vor allem beim jugendlichen Patienten, eher
indiziert.
Abb. 9 a bis c Komplette, bikortikale, dislozierte, distale
Unterarmfraktur. a Unfallaufnahmen. b Postoperativ nach
ESIN. c Konsolidiert, vor Metallentfernung (ME).
Frakturen mit Beteiligung der Wachstumsfuge
Reine Epiphyseolyse (23 r-E/1 nach AO)
Diese Verletzung ist eher selten, meist ist ein metaphysärer Keil vorhanden. Je
kleiner der Patient ist, umso kleiner ist auch der Knochenkern der distalen
Radiusepiphyse, was die Diagnose in diesem Alter erschweren kann. In der Regel
sind die Patienten jedoch über 10 Jahre alt und die Verletzung ist bereits
klinisch sichtbar.
In der Pubertät lockert sich die Wachstumsfuge insgesamt auf und stellt dann
einen biomechanischen Schwachpunkt dar.
In diesem Alter werden dann Frakturen mit Wachstumsfugenbeteiligung häufiger,
metaphysäre Frakturen seltener.
Der N. medianus kann bei dieser Verletzung kompromittiert sein, die schonende
Reposition im Aushang oder durch leichten Zug ist die Therapie der Wahl. Eine
Osteosynthese ist selten erforderlich, wenn doch, reicht ein K-Draht,
eingebracht über den Processus styloideus, immer aus. Die Inzidenz von
Wachstumsstörungen ist gering, meist ist die für das Wachstum verantwortliche
Zellschicht des Fugenknorpels unverletzt.
Wiederholte Manipulationen und forcierte Repositionsmanöver können zu einer
iatrogenen Schädigung der Wachstumszone führen. Verlaufskontrollen bis zu 2
Jahre nach Trauma sowie eine Sicherungsaufklärung vom Behandler über die
Möglichkeit eines solchen Folgeschadens müssen erfolgen.
Epiphyseolyse mit metaphysärem Keil (23 r-E/2.1 und 2.2 nach AO)
Diese Verletzung stellt den Löwenanteil der Frakturen im Bereich der
Wachstumsfuge dar. Der metaphysäre, bei der Extensionsverletzung dorsale Keil
kann unterschiedlich groß sein. Je weicher die Metaphyse in diesem Bereich ist,
umso instabiler ist diese Fraktur nach Reposition und umso wahrscheinlicher wird
eine K-Draht-Osteosynthese. Auch hier ist in der Regel 1 K-Draht ausreichend, da
die Fraktur meist nur in der Sagittalebene redisloziert ([Abb. 10]). Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.
Abb. 10 a und b Distale Radiusepiphyseolyse mit dorsalem,
metaphysärem Keil. a Unfallaufnahmen. b Postoperativ nach
schonender Reposition und transepiphysärer K-Draht-Osteosynthese.
Wachstumsstörungen treten hier aus den o. g. Gründen selten auf. Das empfindliche
Stratum germinativum der Wachstumsfuge befindet sich epiphysär, die Fraktur
verläuft metaphysär.
Isoliert epiphysäre Fraktur (23 r-E/3)
Diese Frakturform stellt eine absolute Rarität dar. Es kann der Processus
styloideus radii betroffen sein oder im Sinne eines knöchernen Bandausrisses des
distalen Radioulnargelenks die ulnare Kante des Radius. Meist ist die
Wachstumsfuge beim Jugendlichen bereits verschlossen. Diese intraartikulären
Verletzungen müssen stufenlos reponiert und meist durch kanülierte Schrauben
retiniert werden. Ein partieller, vorzeitiger Verschluss der Wachstumsfuge ist
theoretisch möglich und kann bei entsprechendem noch vorhandenem
Wachstumspotenzial zu einem asymmetrischen Wachstum oder zu einem
Wachstumsarrest mit ulnarem Vorschub führen. Daher sind auch hier
Verlaufskontrollen über 2 Jahre zu empfehlen.
Epi-/metaphysäre Fraktur (23 r-E/4.1 und 4.2 nach AO)
Ebenfalls eine äußerst seltene Verletzung, die nahezu immer im Adoleszentenalter
bei bereits verschlossener Fuge auftritt. Auch hier gelten die Prinzipien für
eine intraartikuläre Verletzung und die bereits genannten
Wachstumskomplikationen, falls noch Restwachstum in der Fuge stattfinden
sollte.
Crush-Verletzung der Epiphysenfuge (23 r-E/5)
Diese Verletzungen sind initial schwer zu diagnostizieren, da im ersten
Röntgenbild meist nichts zu sehen ist. Allenfalls können metaphysäre
Stauchungszeichen mit Verdichtung der Trabekelstruktur erkennbar sein. Bei
entsprechender Anamnese (Hochrasanztrauma) und Klinik (Schmerzen, Schwellung)
kann diese Verletzung früh nur mittels MRT – und dann auch noch nicht sicher –
ausgeschlossen werden.
Erst im Verlauf zeigen sich dann die Folgen dieser Verletzung mit Wachstumsarrest
und posttraumatischer Deformität mit Radiusverkürzung. Da diese Patienten häufig
jung sind und noch lange wachsen, werden nach dieser Verletzung oft mehrfache
Verlängerungsoperationen am distalen Radius notwendig ([Abb. 11]).
Abb. 11 a bis e Dreidimensionale Korrektur nach
Crush-Verletzung der distalen Radiusepiphysenfuge im Kleinkindalter.
a Erstvorstellung 10 Jahre nach Trauma mit aufgehobener
Palmarflexion im Handgelenk. b Anlage unilateraler Fixateur externe
mit Distraktionseinheit. c Radiusverlängerung um 4 cm, dann
Durchblutungs- und Sensibilitätsprobleme. d Überbrückende
Plattenosteosynthese zur Kallusreifung bei höherem Komfort und
Ulnaepiphyseodese. e Derzeitiger Stand vor Ulnaverkürzungsosteotomie
und freier Funktion.
Auch an dieser Stelle sei daher nochmals auf die Notwendigkeit eines
ausführlichen und gut dokumentierten Aufklärungsgesprächs über die Art der
Verletzung, den weiteren Verlauf, notwendige Nachkontrollen und
Möglichkeiten der Behandlung im Fall einer posttraumatischen
Wachstumsstörung hingewiesen.