physiopraxis 2012; 10(09): 24-25
DOI: 10.1055/s-0032-1328785
physiowissenschaft
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Number needed to treat – Die Effektivität der Therapie einschätzen

Jan Mehrholz

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Publication Date:
13 September 2012 (online)

 

Wie viele Patienten behandelt werden müssen, damit einer von der dafür angewandten Therapieform profitiert, zeigt die Number Needed to Treat (NNT). Sie zu berechnen ist erstaunlich einfach.


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Jan Mehrholz

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Professor Dr. habil. Jan Mehrholz arbeitet an der Klinik Bavaria Kreischa. Er ist Professor an der SRH Fachhochschule für Gesundheit in Gera und Privatdozent an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden.

Mit der Number Needed to Treat (NNT) kann man berechnen, wie viele Menschen in einem gewissen Zeitabschnitt mit einer bestimmten Methode behandelt werden müssen, damit einer von ihnen davon profitiert. Je niedriger die NNT einer Therapie ist, desto effektiver ist diese. Anhand eines fiktiven Beispiels lässt sich erklären, wie man die NNT berechnet:

Allgemeine Risikoreduktion kalkulieren

Ein Medikament zur Diabetesprophylaxe bei Risikogruppen soll auf den Markt kommen. Die Firma testet es an 300 Menschen, die potenziell gefährdet sind, einen Diabetes zu entwickeln: 150 bekommen Tabletten mit Wirkstoff, die anderen 150 ein Plazebopräparat. Am Ende der Studie zeigt sich, dass 7,2 % der Probanden in der Plazebogruppe an Diabetes erkrankt sind, in der Medikamentengruppe nur 3,7 %. Das Risiko einer Erkrankung hat sich in der Verumgruppe also um 3,5 % reduziert. Diese Differenz nennt man auch absolute Risikoreduktion (ARR). Mathematisch ganz korrekt geschrieben wäre das in diesem Fall: 0,072 - 0,037 = 0,035.

Diese Berechnung ist verhältnismäßig einfach, lässt allerdings noch keinen Schluss zu, ob das Ergebnis nun als „gut“ zu werten ist. Einen besseren Vergleich bietet die Number Needed to Treat, die sich wiederum mithilfe der ARR berechnen lässt.


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Erkennen, wie viele profitieren

Die NNT kalkuliert man mit der Formel „1 geteilt durch ARR“. In dem Beispiel also durch 1/3,5 % beziehungsweise in der mathematisch korrekten Schreibweise: 1/0,035. Das Ergebnis ist 28,57. Das bedeutet: Nur rund jeder 29. Patient, der das Medikament nimmt, profitiert davon. Anders formuliert: 29 Patienten müssen das Medikament nehmen, damit einer von ihnen (welcher weiß man nicht) vom Diabetes verschont bleibt. Oder: 28 Betroffene nehmen das Präparat umsonst. Das Ergebnis wird bei der Berechnung der NNT übrigens grundsätzlich aufgerundet, um zu vermeiden, dass der Therapieeffekt womöglich überschätzt wird. Die NNT lässt sich im Prinzip bei allen kontrollierten Studien berechnen, ganz egal aus welchem Fachgebiet. Einzige Voraussetzung ist, dass in der Arbeit Raten wie die Erfolgsrate (zum Beispiel Schmerzfreiheit) oder Komplikationsraten beschrieben werden.

Die Number Needed to Treat lässt sich bei fast allen Studien berechnen.

Ein anderes Beispiel: In einer randomisierten kontrollierten Studie von Watt und Kollegen aus dem Jahr 2000 erhielten neun Patienten nach Radiusfraktur und Gipsruhigstellung Physiotherapie, weitere neun bekamen ein Heimübungsprogramm. Nach sechs Wochen verglichen die Autoren bei beiden Gruppen die Handgelenkbeweglichkeit in Dorsalextension. Als „Erfolgsrate“, also ein „gutes Ergebnis“, definierten die Forscher ein Bewegungsausmaß von mindestens 45° Dorsalextension im Handgelenk. In der Physiotherapiegruppe hatten acht der neun Patienten (89 %) ein positives Ergebnis erreicht, in der Heimübungsgruppe vier von neun (44 %). Auch hier lässt sich die NNT berechnen:

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Die allgemeine Risikoreduktion beträgt in diesem Fall 45 % (89 % minus 44 %) beziehungsweise 0,89 - 0,44 = 0,45. Daraus resultiert eine NNT von 3 (1/0,45 = 2,22. Es wird aufgerundet). Übersetzt heißt das: Bei jedem dritten Patienten, der mindestens 45° Dorsalextension im Handgelenk erreicht hat, ist dieses positive Ergebnis aufgrund der Physiotherapie entstanden.


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Erfolg einschätzen

Nun stellt sich die Frage, ab wann eine NNT gut ist. Leider gibt es dazu bislang keine allgemein gültigen Referenzwerte. Insgesamt kann man sagen, dass sie - selbstverständlich - umso besser ist, je niedriger sie ist. Die NNT von 2,22 beziehungsweise 3 in der oben genannten physiotherapeutischen Studie kann man somit als exzellent bezeichnen. In dem Cochrane-Review mit dem Titel „Electromechanicalassisted training for walking after stroke“ konnte ein Autorenteam kürzlich zeigen, dass durch roboterassistierte physiotherapeutische Behandlung der Gehfähigkeit nach Schlaganfall eine NNT von 7 möglich ist - ein ebenfalls sehr gutes Ergebnis.

Bei Arzneimittelstudien wird die NNT eher selten angegeben. So soll es angeblich Untersuchungen zu einem antiviralen Medikament gegeben haben, das Jugendliche und Erwachsene davor bewahren sollte, aufgrund der Vogelgrippe ins Krankenhaus eingewiesen werden zu müssen. Dessen - nicht veröffentlichte - NNT war 96. Damit waren also 95 Patienten ins Krankenhaus gekommen, obwohl sie die Tabletten geschluckt hatten. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie hilfreich die Berechnung der NNT ist, um den Nutzen von Interventionen beurteilen zu können.


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