Der Klinikarzt 2012; 41(10): 447
DOI: 10.1055/s-0032-1330942
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Patient als Partner des Arztes – Eine Fata Morgana?

Matthias Leschke
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Publication Date:
07 November 2012 (online)

Vom mündigen Patienten reden heute viele. Ich habe den Eindruck, man will sich auf diese Weise elegant vor der Einsicht drücken, dass ein Patient ärztliche Kompetenz und menschliche Zuwendung dringend nötig hat. Natürlich ist es vorteilhaft, wenn der Patient über seine Krankheit, über Therapieoptionen Bescheid weiß.

Partner verfügen über einen identischen Wissensstand. Partner sind gleichberechtigt und nehmen sich gegenseitig ernst. Jedoch: Ein Patient ist krank, chronisch krank, schwer erkrankt. Er fordert unmittelbare, schnelle, optimale Hilfe. Er leidet unter Schmerzen und Angst, oft sogar unter Todesangst, er bangt um sein Leben, und seine Angehörigen ebenso. Da kann man nicht lange verhandeln. Ein Patient mit einem Herzinfarkt muss nach der Diagnose schleunigst ins Herzkatheterlabor. Da geht es um Minuten. Eine ungleiche Partnerschaft. Dieser Patient muss seinem Arzt vertrauen. Dem Arzt, dem er meist per Zufall und Rettungswagen angeliefert wird.

Das sind Situationen, in denen es mit der Partnerschaft niemals funktionieren kann. Wer sich verschönern lassen will, die Nase oder die Brüste, und mit seinem plastischen Chirurgen über das Behandlungsziel diskutiert, der nimmt schon eher die Rolle eines Partners ein. Im Idealfall hat sich dieser Patient (man könnte ihn auch Kunden nennen) ausgiebig informiert – im Internet, in Büchern, in Zeitschriften. Auf demselben Wissensstand wie sein potenzieller Arzt ist er dennoch nicht. Kann er nicht sein. Doch zumindest kann man in solch einer Situation diskutieren und nachdenken; man steht nicht unter Zeitdruck. Auch bei ernsthafteren elektiven Eingriffen bleibt die Zeit zum Abwägen, etwa bei einer Hüftgelenksprothese. Da hat der Patient auch Zeit, noch eine Zweitmeinung einzuholen. Oder im Internet nach Vor- und Nachteilen diverser operativer Vorgehensweisen zu forschen.

Wir Ärzte wünschen uns alle den wissenden, diskutierfreudigen, neugierigen, den fragenden Patienten. Wer Vorwissen in die ärztliche Sprechstunde mitbringt, kann manchem Kollegen zwar schon hin und wieder lästig werden, vor allem, wenn die Zeit drängt; doch mit einem informierten Menschen lässt sich besser über Behandlungsoptionen reden. Die Zeiten, in denen der Patient wie ein Opferlamm beim Arzt erschien und diesem gläubig an den Lippen hing, diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei.

Der Arzt – das steht außer Frage – weiß nun einmal mehr über Medizin als jeder Patient. Deshalb soll er erklären, Ratschläge geben, dem Patienten seine Erkrankung, die Diagnostik und die Therapieoptionen erläutern. Mehr zu wissen, heißt aber nicht, das Bestimmungsrecht auf seiner Seite zu haben.

Der Patient als Partner des Arztes – das bedeutet auch, dass der Patient auf Augenhöhe mit seinem Arzt agiert. Das kann aber auch problematisch sein, denn der verantwortliche Umgang mit knappen Ressourcen – zu Deutsch: dem Geld – wäre damit nicht nur eine Angelegenheit des Arztes, sondern auch des Patienten. Der soll auch mitentscheiden, was seine Therapie kosten darf. Der normale Kunde, der Verbraucher berücksichtigt natürlich die Grenzen seines eigenen Geldbeutels.

Der Patient dagegen wird sich, wenn er frei entscheiden kann, immer für die beste Behandlung entscheiden, egal was sie kostet. Mit einem preiswerteren Auto kann man sich abfinden, mit einer preiswerteren Behandlung aber nicht, denn da geht es um Schmerzen, um Leiden, um Leben oder Tod. Unter dem wirtschaftlichen Aspekt ist die Partnerschaft zwischen Arzt und Patient schon deshalb ein Problem. Der Patient hat wenig Interesse daran, die Effizienz des Gesundheitssystems zu verbessern; das individuelle Patienteninteresse ist vom Streben danach bestimmt, die bestmögliche Behandlung zu erhalten. Egal was sie kostet. Und viele Patienten treten dem Arzt auch mit einem Anspruchsdenken gegenüber, das die Arzt-Patienten-Beziehung schwierig werden lässt: Sie fordern Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ein, die vielleicht in den Medien gerade hochgejubelt werden (und meist auch sehr teuer sind), im speziellen Fall dieses Patienten aber gar nichts nützen würden und vielleicht sogar kontraproduktiv sind.

Dem Arzt fällt dann die schwierige Aufgabe zu, seinem Patienten das klarzumachen und ihn von seiner überzogenen Anspruchshaltung herunterzuholen. Denn natürlich sind die Mittel unseres Gesundheitssystems begrenzt, und der Arzt muss in jedem Fall genau abwägen, welche Diagnostik- und Therapiemaßnahme sinnvoll ist und welche nicht. Nur so kann unser Gesundheitssystem zukunftsfähig bleiben.

Außerdem frage ich mich, ob überhaupt alle Patienten dem Ideal des verantwortungsbewussten, aktiven, gut informierten Patienten entsprechen können, der gleichzeitig auch noch gesundheitsbewusst, effizient und kostensparend handelt. Da gibt es nämlich noch ein weiteres grundsätzliches Problem: Bildung und Einkommenssituation spielen eine enorme Rolle bei der Frage, welche Partnerrolle ein Patient einnehmen kann. Einkommensunterschiede, Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund bestimmen, zu welchem Grad der Partnerschaft ein Patient in der Lage ist.

Das Internet, die Datenflut und nachkommende Generationen, die sich ohne das digitale Gedächtnis die Welt nicht mehr vorstellen können, verändern auch unsere Patienten radikal. Sie werden uns schon auf die Nerven gehen, sie werden unser Wissen und unsere Geduld strapazieren, aber sie sind mehr oder weniger mündige Patienten. Wir müssen sie ernst nehmen und ihnen helfen, ihr manchmal abenteuerliches medizinisches Halbwissen zu bereinigen. Dazu brauchen wir Zeit. Wir müssen unseren Patienten ehrliches Verständnis entgegenbringen, ihnen zuhören und mit ihnen diskutieren.