Psychiatr Prax 2013; 40(02): 107
DOI: 10.1055/s-0032-1332957
Mitteilungen der BDK
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen aus der Bundeskonferenz Deutscher Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie (BDK)

Manfred Wolfersdorf
1   Bayreuth
,
Thomas Pollmächer
2   Ingolstadt
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Publication History

Publication Date:
04 March 2013 (online)

 

    Die Neuregelung der Behandlung einwilligungsunfähiger Patienten gegen ihren natürlichen Willen im Betreuungsrecht, die aufgrund mehrerer BGH-Entscheidungen vom Sommer 2012 notwendig wurde, hat im Januar 2013 sowohl den Bundestag als auch den Bundesrat passiert. Entgegen der früheren Fassung des § 1906 BGB ist nunmehr eine solche Behandlung unter bestimmten Umständen explizit durch das Betreuungsgericht genehmigungsfähig. Der Gesetzgeber ist weitgehend den Empfehlungen gefolgt, die eine gemeinsame Task Force von BDK und ACKPA im Herbst 2012 erarbeitet hat (http://www.bdk-deutschland.de/aktuelles/aktuelles-recht/612-stn-2012-10- 28) und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass einwilligungsunfähige Patienten sowohl ein Recht auf Behandlung als auch ein Recht auf Schutz vor Willkür und Missachtung ihrer Wünsche haben.

    Deshalb ist das Genehmigungsverfahren aufwendig, es ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers und die Erstellung eines Gutachtens durch einen Arzt, der nicht in die Behandlung des Patienten involviert ist, vorgeschrieben. In dringlichen Fällen ist auch eine vorläufige Genehmigung durch das Gericht möglich.

    Diese Neuregelung ist insgesamt begrüßenswert, allerdings bleiben offene Fragen. Unklar bleibt, in welchen Situationen und auf welcher rechtlichen Grundlage im Notfall auch ohne vorläufige richterliche Genehmigung eine Behandlung gegen den natürlichen Willen eines Patienten möglich ist und unklar bleibt auch wie widersprüchliche aktuelle und historische (z. B. Patientenverfügung) Willensäußerungen des Patienten rechtlich gegeneinander abgewogen werden sollen. Durch das Junktim zwischen betreuungsrechtlicher Unterbringung und Behandlung gegen den natürlichen Willen ist eine entsprechende Behandlung einwilligungsunfähiger Patienten in somatischen Krankenhäusern betreuungsrechtlich wahrscheinlich nicht genehmigungsfähig.

    Unbeschadet der neuen betreuungsrechtlichen Regelungen muss dringend eine Überarbeitung der Regelungen zur Zwangsbehandlung in den Landespsychiatrie- und Maßregelvollzugsgesetze erfolgen, von denen mehrere vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden. BDK und ACKPA haben diesbezüglich vorgeschlagen, bundeseinheitliche Regeln zu finden, entweder im Rahmen eines Bundesgesetzes oder durch eine enge Absprache der Länder untereinander.

    Neue gesetzliche Regelungen sollen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen. Darüber hinaus muss aber die lebhafte und kontroverse Diskussion, die in den beiden letzten Jahren um Patientenautonomie, Selbstbestimmtheit und das Recht auf Behandlung begonnen hat, auf moralischer, gesellschaftlicher und fachlicher Ebene weitergeführt werden. Ziel muss es sein, Zwangsmaßnahmen auf ein Minimum zu reduzieren und gleichzeitig den betroffenen einwilligungsunfähigen Patienten ein Maximum an Hilfe zuteil werden zu lassen, um ihr Recht auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zu schützen. Aus fachlicher Sicht bedarf es klarer Standards zur Erkennung von Einwilligungsunfähigkeit, zur Behandlung einwilligungsunfähiger Patienten gegen ihren natürlichen Willen und zur Dokumentation dieser Behandlung. Es Bedarf aber auch wissenschaftlicher Daten in diesem Feld, weshalb ein bundeseinheitliches Register zur Erfassung von Zwangsmaßnahmen und -behandlungen eingerichtet werden sollte. In diesem Register sollen in anonymisierter, aber personenbezogener Weise nicht nur Art und Umfang dieser Maßnahmen, sondern auch ihre positiven und negativen Folgen erfasst werden. Dieses Register soll Maßnahmen in allen Krankenhäusern sowie Pflege- und Betreuungseinrichtungen erfassen. Zusätzlich müssen präventive Ansätze zur Vermeidung der Entstehung von krankheitsbedingter Einwilligungsunfähigkeit gestärkt werden, z. B. durch Adherence- und Antistigmakampagnen, Behandlungsvereinbarungen, offene Stationen, Deeskalationsschulungen in Krankenhäusern, ausreichend ambulante Behandlungsressourcen bis hin zum Hometreatment, psychiatrische Konsiliar-Liaisondienste in Krankenhäusern und Heimen.

    Die Mitteilungen der BDK in der Psychiatrischen Praxis werden seit nunmehr 15 Jahren von Prof. Dr. Dr. h. c. Manfred Wolfersdorf als Herausgeber betreut. In dieser Zeit waren die Mitteilungen stets eine wichtige Informationsquelle für unsere Mitglieder, nicht zuletzt deshalb, weil Manfred Wolfersdorf immer Interessantes aufspürte und die Hartnäckigkeit besaß, Autoren von der Notwendigkeit präziser Arbeit und rechtzeitiger Fertigstellung ihrer Beiträge zu überzeugen. Manfred Wolfersdorf zieht sich nun von dieser Aufgabe zurück, was uns Anlass ist, ihm für die an dieser Stelle geleistete Arbeit herzlich zu danken. Als Mitglied des Beirats des Vorstands bleibt er der BDK weiter treu. Die Herausgeberschaft unserer Mitteilungen wird Herr Prof. Dr. Gerhard Längle (gerhard.laengle@zfp-zentrum.de) übernehmen.

    Thomas Pollmächer, Vorsitzender der BDK


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