Dtsch Med Wochenschr 2013; 138(13): 658
DOI: 10.1055/s-0032-1333005
Editorial
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Welche Bedeutung hat „individualisierte Medizin“ heute?

What does individualized medicine mean today?
E. Erdmann
1   em. Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin, Herzzentrum der Universität zu Köln
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Publication Date:
19 March 2013 (online)

Die Walter-Siegenthaler-Gesellschaft für Fortschritte in der Inneren Medizin (früher „Ludwig-Heilmeyer-Gesellschaft“) ist zur Förderung von Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der Inneren Medizin und ihrer Grenzgebiete gegründet worden. Regelmäßig alle zwei Jahre findet in Köln ein fachübergreifendes wissenschaftliches Symposium statt. Das 32. Symposium vom 15. bis 17.11.2012 unter der Leitung des Tagungspräsidenten Prof. Dr. Thomas Eschenhagen, Hamburg, hatte „Neue Entwicklungen in der Pharmakologie“ zum Thema. Die Einführungsvorträge über „Individualisierte Therapiestrategien – wo stehen wir heute?“ wurden derart kontrovers und mit akademischer Verve diskutiert, dass wir uns entschlossen, die Redner um ein kurzes Manuskript für die DMW zu bitten. Wir meinen, dass die bislang schlecht definierten Begriffe wie „personalisierte“ oder „individualisierte“ Medizin teilweise zu erheblicher Verwirrung, aber auch zu teilweise emotional geführter Kritik geführt haben, und wollen deshalb zu einer Versachlichung beitragen.

Einerseits sind Ärzte schon immer bemüht gewesen, Patienten mit einer möglichst speziell auf sie bzw. ihre Krankheit zugeschnittenen Therapie zu behandeln. Dementsprechend wurden und werden z. B. genetisch fixierte Polymorphismen arzneimittelmetabolisierender Enzyme bei der pharmakologischen Therapie selbstverständlich ebenso berücksichtigt (siehe Beitrag Eichelbaum S. 659) wie der differenzierte Einsatz von neuen Biomarkern bei verschiedenen Erkrankungen (siehe Beitrag Schnabel und Blankenberg, S.  662). Andererseits führt der „Greifswald Approach to Individualized Medicine“ (GANI_MED) (siehe Beitrag Lieb et al. S. 665) zweifellos zu derart umfangreichen klinischen und molekulargenetischen Datensätzen von Patienten, dass dem Datenschutz zur Wahrung von Persönlichkeitsrechten eine zentrale Bedeutung beikommt. Und hier entzündet sich auch ein gewichtiger Teil der Kritik, die nicht einfach von der Hand zu weisen ist. Wenn darüber hinaus behauptet wird, dass der Nutzen der meisten pharmakogenetischen Marker gar nicht belegt und die extrem kostenintensive „personalisierte Medizin“ ein Etiketten-Schwindel (mit dem Ziel einer Umverteilung der Ressourcen) sei, da die Entwicklung bisher nicht gehalten habe, was der Name verspricht, dann bedürfen wir einer aktuellen Wertung bzw. einer medizinethischen Reflexion (siehe Beitrag Bergdolt S. 667).

Der Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Frau Professor Dr. Elisabeth Märker-Hermann, bin ich außerordentlich dankbar, dass sie dieses für uns alle so wichtige und aktuelle Thema sowohl in das vorliegende DMW Schwerpunktheft aufgenommen hat, das zum 119. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) erscheint, als auch als eigenes Symposium in das Kongressprogramm einfügen konnte. Damit wird die gute kollegiale Zusammenarbeit zwischen der Walter-Siegenthaler-Gesellschaft und der DGIM hervorgehoben.

Prof. Dr. Erland Erdmann
Präsident der Walter-Siegenthaler-Gesellschaft