Sportverletz Sportschaden 2012; 26(04): 185-187
DOI: 10.1055/s-0032-1333364
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Trainingsmethoden – Muskelkraftsteigerung durch Ganzkörpervibration – Kraft mit Hertz

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Publication Date:
07 January 2013 (online)

 

Die Versprechen der Industrie zu Ganzkörpervibrationsgeräten sind faszinierend. Einfach draufstellen oder -setzen und schon werden Muskeln stimuliert und geformt und der Kreislauf angeregt. Dass das nicht ganz so einfach funktioniert, wissen Slavko Rogan und Roger Hilfiker. Sie beschäftigen sich im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten mit Canzkörpervibrationen und zeigen hier, wie mit dieser Muskelkräftigung funktionieren kann.

Ganzkörpervibration (GKV) ist eine relativ neue Form der Bewegungstherapie, die für das Krafttraining in den Bereichen der Gesundheit, der Prävention, der Rehabilitation sowie im Training eingesetzt wird. Ziel ist es, die Muskelkraft zu steigern. Man sagt dem GKV-Training Vorteile in der "Skilling-up-Phase" bei Gebrechlichen nach [32], Schnellkraftsteigerung der Beckenbodenmuskulatur im Kampf gegen Inkontinenz und das Ermöglichen von Zusatzreizen bei sehr austrainierten Athleten. Nicht all diese Effekte sind jedoch wissenschaftlich untermauert.

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Bei der sinusförmigen Ganzkörpervibration führen die Vibrationen zu konzentrischen und exzentrischen Kontraktionen der Muskulatur. (©wildworx / fotolia.com)

Mittlerweile werden Physiotherapeuten mit zahlreichen Daten über die Wirkung nach einem Ganzkörpervibrationstraining auf die Muskelkraft überschwemmt. Als forschende Physiotherapeuten sehen wir es als unsere Aufgabe, Erkenntnisse aufzubereiten und für die Praxis zugänglich zu machen, und führten daher eine Literatursuche zum Thema "Ganzkörpervibration und Muskelkraft" durch. Die Literatursuche führten wir in den Datenbanken von Medline und Cochrane durch und formulierten die Frage nach dem sogenannten PICO-Schema (Participant, Intervention, Comparison, Outcome). Unsere Forschungsfrage hieß daraufhin: "Zeigen sich nach GKV-Training Effekte auf die Muskelkraft in allen Altersgruppen?"

Ganzkörpervibration unterstützt Krafttraining

Die Ganzkörpervibration erfährt immer mehr Aufmerksamkeit, da sie ein breites Anwendungsspektrum bietet, ökonomisch und zeiteffizient ist. Je nach Gerätetyp unterscheidet man zwei Arten von Schwingungen. Es gibt Geräte mit einer Platte, die sinusförmig vertikal schwingen oder sinusförmig wippend. Und es gibt einen Gerätetyp, der dreidimensionale und stochastische (ungeordnete) Vibrationen generiert. Im Gegensatz zu den oben erwähnten Geräten steht man hier auf zwei Standplatten. Untersuchungen mit stochastischer Ganzkörpervibration wurden bisher vorwiegend für Gleichgewichtsund Inkontinenztraining sowie für die Behandlung von muskuloskelettalen Beschwerden durchgeführt [3, 10, 13, 14, 19, 20, 28, 29, 33].

Sinusförmige Ganzkörpervibration kann nach Auffassung zahlreicher Wissenschaftler dagegen auch die Muskelkraft verbessern [6, 9, 24, 31, 35]. Dabei steht der Trainierende entweder statisch mit angewinkelten Kniegelenken (zwischen 10 und 100 ° Kniegelenkflexion) auf einer Standplatte oder er bewegt sich dynamisch. Die Vibrationen führen zu rhythmischen, konzentrischen und exzentrischen Kontraktionen der Muskulatur mit entsprechenden Entladungen der Muskelspindeln, die über mono-und polysynaptische Bahnen einen exzitatorischen Effekt auf die α-Motoneurone ausüben. Dies hat einen passageren, reflektorischen Kraftanstieg zur Folge. Durch die sehr hohe Wiederholungszahl von Reizen innerhalb einer GKV-Trainingseinheit ist es möglich, die Muskelkraft innerhalb kürzerer Trainingszeiten (< 30 Minuten) zu steigern, als dies mit herkömmlichen Methoden möglich ist. Ausgelöst wird dieser Effekt durch eine erhöhte Rekrutierungs-, Frequentierungs- und Synchronisationsrate in der Muskulatur.


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Die Krux der Terminologie der Kraftfähigkeit

Im Rahmen dieser Literatursuche fanden wir zahlreiche Veröffentlichungen über die Wirkung von GKV-Trainingseinheiten auf die Muskelkraft. Es erschien uns ratsam, die Informationsflut aus den vielen neuen Publikationen zu bündeln, zu ordnen, zu komprimieren und schlussendlich die Erkenntnisse als "Leitlinie für die Anwendung eines Ganzkörpervibrationstrainings als Krafttrainingsmethode" zusammenzufassen.

Dabei mussten wir feststellen, dass dies kein leichtes Unterfangen ist, da sich die deutschsprachige von der angelsächsischen Nomenklatur deutlich unterscheidet. In der deutschsprachigen Nomenklatur sind die Kraftfähigkeiten vorwiegend in Maximalkraft und Schnellkraft mit den Unterformen Explosiv-, Start- und Reaktivkraft und in Kraftausdauer aufgeteilt. Englischsprachige Studien verwenden dagegen unter anderem physikalisch orientierte Begriffe wie "Force" und "Power" für die Definition der Kraft. Zudem nutzen sie den Begriff "Power" synonym für die Schnellkraftfähigkeit und auch für Muskelleistung. Und wenn sie von "Power-Training" reden, meinen sie oft ein Training der Muskelleistungsschwelle (Training im Bereich des Watt-Maximums). Im deutschsprachigen Raum wird hingegen unter Power die Muskelleistung (in Watt oder Joule) verstanden, zum Beispiel während eines Sprunges oder Transfers.

Nachdem wir diese Sprachbarriere gemeistert hatten, konnten wir folgende Bausteine für die Anwendung eines GKVTrainings zur Muskelkräftigung extrahieren: Kraftfähigkeit, Belastungsparameter, Ausgangsstellung und Effekte. Im Folgenden finden sich die Empfehlungen zu diesen Bereichen aus unserer Recherche in den vier relevantesten Studien [4, 5,16, 27].

RISIKEN DER GANZKÖRPERVIBRATION

Nebenwirkungen sind selten

In einem Review mit 112 eingeschlossenen Studien zum Thema CKV beschreiben die Autoren bei einer Gesamtzahl von 83.596 Interventionen lediglich 100 Nebenwirkungen (23 schwere und 77 leichte) [15]. So erwähnt eine Studie beispielsweise einen Einzelfall, bei dem der Trainierende nach dem Training unter starken Schmerzen und hohem Fieber litt, da sich ein Nierenstein gelöst hatte. Bei zwei älteren Frauen kam es zu einer vibrationsbedingten Verschiebung der intraokularen Linse (Katarakt-Operation), und ein Mann erlitt eine Glaskörperblutung. Die mit Abstand häufigsten Nebenwirkungen sind Verspannungen oder leichte, juckende Rötungen der Beine und somit vollkommen harmlos.

Doch vor allem bei Geräten, die sinusförmig schwingen, besteht möglicherweise die Gefahr der Resonanzkatastrophe. Das heißt: Falls die Vibrationsfrequenz des Geräts mit der Eigenfrequenz eines Organs übereinstimmt, kann es aufgrund der Überlagerung der Frequenzen zu unkontrollierten, heftigen Schwingungen bis hin zur Zerstörung des Organs kommen. Der Rumpf hat eine Eigenfrequenz von circa 4–7 Hz, während die der Augen 20–30 Hz beträgt. Einige Autoren raten deshalb besonders bei älteren Menschen bei einem Training in diesen Frequenzbereichen zur Vorsicht. Letztlich ist allerdings noch nicht bewiesen, ob die Resonanzerscheinungen genügend stark ausfallen, um Schäden zu verursachen, oderob es sich um Zufallsbefunde handelt.

Nutzen und Risiko abwägen

Die Weiterleitung der potenziell gefährlichen Vibrationen in Richtung Kopf lässt sich durch eine entsprechende Anpassung der Ausgangsstellung deutlich vermindern. Abercrombie et al. zeigten, dass eine Vergrößerung der Kniegelenkflexion von 10 ° auf 30 ° die Durchlässigkeit für Vibrationen zum Kopf halbiert [1]. Nochmals besser funktioniert die Dämpfung, wenn der Trainierende zusätzlich auf dem Vorfuß steht. Da es bisher allerdings zu keinen gravierenden Nebenwirkungen kam, sollten Therapeuten Risiko und Nutzen abwägen. Denn viele Autoren berichten, dass die Trainierenden die Behandlung sehr genießen und sich bei jungen Erwachsenen kaum Nebenwirkungen zeigen.


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Kraftfähigkeit untergliedern

Je nach Trainingsziel sowie zur Verlaufskontrolle sollte beim Ganzkörpervibrationstraining eine Unterscheidung der Kraftfähigkeiten in Maximalkraft, Schnellkraft, Muskelleistung (z. B. Drop Jump) und funktioneile Leistung (Sitz-zum- Stand-Test) erfolgen [30]. Nur mit dem Wissen darüber, welchen Bereich ich trainieren will, lässt sich die perfekte Trainingsfrequenz ermitteln.


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Belastungsparameter beachten

Die wichtigsten primären Trainingsparameter beim GKV-Training setzen sich aus den Belastungsparametern Reizintensität, Reizdauer, Reizumfang, Reizdichte, Trainingshäufigkeit und Trainingsdauer zusammen [16]. Zudem spielen die Ausgangsstellung des Trainierenden, dessen individuelle Konstitution und eventuelle Zusatzübungen eine Rolle. In der Literatur unterscheiden sich die Trainingsmethoden sehr stark voneinander. Das mag zum einen daran liegen, dass man immer noch nicht ganz genau versteht, was die Vibrationen im Körper bewirken. Und zum anderen liegt es wohl daran, dass jeder Mensch individuell auf die Intervention anspricht.


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Langzeiteffekte belegt, Kurzzeiteffekte fraglich

Das Training auf einem Ganzkörpervibrationsgerät hat unmittelbare Effekte sowie Langzeiteffekte. So geben Studien nach einem GKV-Training mit Frequenzen zwischen 20–30 Hertz Kraftsteigerungen von 5–30 Prozent der Maximal- oder Schnellkraft an [7, 8, 9]. Es finden sich allerdings auch Studien, die bei GKV-Training mit diesen Frequenzen keine spontanen Verbesserungen der Maximalkraft der Beinstrecker zeigen [18,34]. Diese Aussage bestätigen zwei Metaanalysen aus den Jahren 2007 und 2010 [22,23 ]. Die Forscher untersuchten darin die unmittelbaren und die langfristigen Effekte auf die Maximalkraft und die Schnellkraft nach GKVTraining bei trainierten und untrainierten gesunden Probanden. Beide Metaanalysen konnten keine signifikanten Resultate für unmittelbare Effekte ermitteln. Jedoch zeigten sie für länger dauernde GKV-Trainingseinheiten signifikante Steigerungen der Maximalkraft und der Muskelleistung. Anzumerken ist, dass diese Effekte nur auf vertikal vibrierenden GKV-Geräten zu sehen waren.

Auch die Arbeitsgruppe um den Schweden Borje Rehn konnte keine unmittelbaren Effekte nachweisen [26]. Anders bei Langzeitinterventionen: Für die Steigerung der Maximalkraft der Beinstrecker älterer Frauen durch Ganzkörpervibration fanden sie mäßig bis starke Evidenz. Dies bestätigt eine weitere Metaanalyse, die die Wirkung von GKV-Training auf die Muskelkraft bei Betagten untersucht hat.

Die Autoren konnten Langzeiteffekte der Maximalkraft und der Muskelleistung nachweisen [30].

Welche Belastungsparameter Physiotherapeuten nun berücksichtigen sollten, um besonders erfolgversprechend zu behandeln, zeigt ‣ Tab. [ 1 ].

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Tab. 1 Empfohlene Belastungsparameter für Krafttraining mittels Ganzkörpervibration.

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Ausgangsstellung an Zielmuskeln anpassen

Neben der Kenntnis über die richtigen Frequenzen ist es wichtig, dass Therapeuten den Einfluss der Ausgangsstellungen auf das GKV-Training kennen und über Risiken Bescheid wissen ("Risiken der Ganzkörpervibration"). Eadric Bressel und sein Team [2] konnten ebenso wie ein Forscherteam um den Niederländer Johan Pel [25] zeigen, dass der Vibrationsstimulus abhängig von der Entfernung der Körpersegmente zueinander unterschiedlich stark übertragen wird. Die Beschleunigung nimmt vom Fuß über das Knie bis zur Hüfte um den Faktor 10 ab. Diese Tatsache lässt vermuten, dass die Muskeln unterschiedlich stark belastet werden. So zeigt sich, dass die Standposition des Körpers nach Veränderungen des Kniewinkels und der Fußstellung unterschiedliche Auswirkungen auf die Extremitätenmuskulatur hat [11]. Liegt nun der Fokus auf dem Quadrizeps, sollte man das Vibrationstraining in gebeugter Kniegelenkposition durchführen. Liegt der Fokus auf der Unterschenkelmuskulatur, so sollte man vermehrt im Vorfußstand ohne Fersenkontakt trainieren.

Neben der richtigen Ausgangsstellung beeinflusst wohl auch der Vibrationstyp die Effekte: Während eines seitenalternierenden GKV-Trainings (= sinusförmig wippend) konnten Forscher eine bis zu 60 % höhere EMG-Aktivität im Vergleich zu einer vertikalen Ganzkörpervibration feststellen [11]. Diese Erkenntnis ist vor allem dann interessant, wenn man mit Zusatzgewichten trainieren möchte. Hier sollte ein seitenalternierendes GKV-Gerät zum Einsatz kommen, da durch die Vibration und die Zusatzlast eine erhöhte neuromuskuläre Aktivierung denkbar ist.

Fazit

Als Fazit können wir aus unseren Recherchen ziehen, dass sich das GKV-Training als Krafttrainingsmethode für gesunde Sportler, Nichtsportier und Betagte vor allem dazu eignet, die Maximalkraft und die Muskelleistung langfristig zu verbessern. Zudem ist zu erwähnen, dass unmittelbar nach einem GKV-Training der Physiotherapeut die Vorinnervation des Nerv-Muskel-Systems ausnutzen sollte, da der Patient effektiver funktionelles Krafttraining oder funktionelle Bewegungen durchführen kann.

Slavko Rogan, MSc, Physiotherapeut, Dozent im Fachbereich Gesundheit an der Fachhochschule Bern & Roger Hilfiker, MSc, Physiotherapeut und Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz

Literatur

Die Literatur finden Sie online unter:
https://www.thieme-connect.com/media/physiopraxis/201210/supmat/lit-10-1055-s-0032-1329732.pdf

Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in der physiopraxis 2012; 10: 40–43.


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Bei der sinusförmigen Ganzkörpervibration führen die Vibrationen zu konzentrischen und exzentrischen Kontraktionen der Muskulatur. (©wildworx / fotolia.com)
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Tab. 1 Empfohlene Belastungsparameter für Krafttraining mittels Ganzkörpervibration.