Drug Res (Stuttg) 2013; 63(S 01): S6
DOI: 10.1055/s-0033-1346706
Symposium der Paul-Martini-Stiftung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie lösen T-Zellen eine Autoimmunerkrankung des Zentralnervensystems aus?

A. Flügel
Institut für Multiple-Sklerose-Forschung, Abteilung Neuroimmunologie, Universitätsmedizin Göttingen
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Publication Date:
15 November 2013 (online)

 

    Die verschiedenartige Krankheitssymptomatik, die unterschiedlichen Verlaufsformen und Ansprechweisen auf Therapien lassen die Multiple Sklerose (MS) als eine sehr heterogene Erkrankung erscheinen. Dennoch weisen die Läsionen des Zentralnervensystems (ZNS) zumindest in der Frühphase der Erkrankung sehr ähnliche pathologische Veränderungen auf. Die MS-Plaques sind nämlich durch eine Ansammlung von T-Zellen und Monozyten/Makrophagen gekennzeichnet, die regelmäßig um postkapilläre Venolen herum gruppiert sind. Bislang konnte keine infektiöse oder toxische Ursache gefunden werden. Daher geht man davon aus, dass die MS durch einen Autoimmunprozess ausgelöst wird, nämlich durch T-Zellen, die fälschlicherweise gegen das eigene Hirngewebe gerichtet sind. Dieses Krankheitsszenario wird durch tierexperimentelle Befunde gestützt. Immunisierung mit Hirneiweißen induziert in Tieren eine autoimmune Entzündung des ZNS, die experimentelle Autoimmunenzephalomyelitis (EAE). Diese geht mit starken Lähmungserscheinungen einher und ähnelt in der Zusammensetzung der entzündlichen ZNS-Läsionen der MS. Der Beweis, dass T-Zellen die entscheidenden Auslöser dieser Autoimmunentzündung sind, konnte im Tiermodell zweifelsfrei erbracht werden: Die Erkrankung kann durch Übertragung Hirnantigen-spezifischer T-Zellen auf gesunde Tiere ausgelöst werden. Das Gehirngewebe ist durch die Bluthirnschranke von schädlichen Einflüssen aus der Peripherie abgeschottet. Immunzellen und -faktoren sind daher im gesunden Nervengewebe selten anzutreffen. Was befähigt nun Hirnantigen-spezifische T-Zellen dazu, in das Gehirn einzudringen und eine zerstörerische Entzündung anzufachen? Dieser Frage gehen wir in dem EAE-Modell der Lewisratte nach. Dabei werden die krankmachenden Myelin-reaktiven T-Zellen durch Einbringen eines Fluoreszenzmarkers sichtbar gemacht und durch 2-intravitale Photonenmikroskopie im lebenden Organismus direkt verfolgt. Dieser methodische Ansatz ermöglichte es uns, die Wanderungswege und Funktionszustände der T-Zellen im Verlauf der Erkrankung zu charakterisieren. Es zeigte sich, dass die T-Zellen in der obligatorischen Prodromalphase der Erkrankung einer bestimmten Wanderungsroute durch den Körper folgen, bevor sie in ihr Zielgewebe, das ZNS, eindringen. Diese Tour führt die T-Zellen durch die Lunge, mediastinale Lymphknoten und die Milz. Auf ihrem Weg durchlaufen die Zellen eine grundlegende Umprogrammierung, die für die Wanderungseigenschaften der Zellen von wesentlicher Bedeutung ist. So werden Membranmoleküle, z. B. Integrine und Chemokinrezeptoren, die für das Durchdringen der Bluthirnschranke wichtig sind, in den Zellen hochreguliert. Unsere augenblickliche Arbeit ist darauf fokussiert, die Funktionsweise dieser Faktoren für die einzelnen Wanderungsschritte an der Bluthirnschranke zu verstehen und damit auch mögliche therapeutische Ziele für die Behandlung der MS zu identifizieren.


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    Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass er in keinem Interessenkonflikt steht.