Unsere pathogenetischen Vorstellungen zur Entstehung primärer Hirntumoren sind
grundsätzlich durch die Konzepte der neuronalen Stammzellen und Tumorstammzellen
bzw. der molekularen Neuroonkologie und Neuroimmunologie geprägt. Nicht ausreichend
kontrollierte Tumorangiogenese und Migration ins gesunde ZNS sind mit
Therapie-Versagen bei unseren Patienten assoziiert. Die Wiederentdeckung des
Tumor-Metabolismus kann bei der Entschlüsselung basaler Fehlsteuerungen und deren
Korrektur einen wesentlichen Beitrag leisten. Molekulare (Bio-)Marker haben in der
Neuroonkologie – wie kaum in einem anderen Bereich solider Tumoren – eine enorme
klinische Bedeutung erlangt und die klinische Studienkultur verändert. Hierbei ist
v. a. die epigenetisch charakterisierte Methylierung des MGMT-Promotors zu nennen,
wodurch ein Enzym für den Abbau klassischer alkylierender Chemotherapeutika in den
betroffenen Tumorzellen inaktiviert wird. Neue Befunde aus einer möglichen viralen
Co-Pathogenese – insbesondere bei den WHO-Grad IV-Tumoren – lassen in diesem Kontext
unser bisheriges Verständnis in einer völlig neuen positiven Therapie-Perspektive
erscheinen. Parallel dazu hat die strukturelle und molekulare Bildgebung mit einem
Höchstmaß an Standardisierung in der Neuroonkologie einen beispiellosen Siegeszug
für Diagnostik und Therapie hinter sich, der die klinische Umsetzung vieler neuer
pathogenetischer Erkenntnisse jetzt äußerst wirksam unterstützt und beschleunigt.
Die internationale Vernetzung ist hierbei von unschätzbarer kultureller Bedeutung
in
der neuroonkologischen Wissenschafts-Community.
Im Vortrag werden zunächst die aktuellen Vorstellungen zur molekularen Pathogenese
und zur klinischen Relevanz des Tumorstammzell-Konzeptes diskutiert. Hierbei wird
auch versucht, einen Überblick über den augenblicklichen Stand der Tumor-Immunologie
und einer möglichen viralen Co-Pathogenese durch Cytomegalievirus-Reaktivierung zu
geben. Die aktuellen Entwicklungen der Standardtherapie in den großen Tumorentitäten
sowie die Gründe für ein mögliches Therapie-Versagen werden referiert. Besonders
hervorgehoben werden hierbei die überraschend positiven Langzeit-Therapie-Ergebnisse
bei speziellen Subgruppen maligner Gliome (z. B. anaplastischen Oligodendrogliom),
die erstmals in dieser Form durch systematische molekulare Stratifizierung erreicht
werden konnten. Neue Herausforderungen in der Rezidiv-Therapie – insbesondere mit
den neuen Möglichkeiten der Antiangiogenese – werden erörtert. Die Rolle
neuroradiologischer und nuklearmedizinischer Diagnostik (FET-PET) in der Operations-
und Strahlentherapieplanung wird zukünftig für die primäre Therapieplanung,
insbesondere aber auch in der Rezidivsituation von entscheidender Bedeutung sein;
hierzu ist eine Finanzierung durch die Kostenträger zu erreichen.
Die Wachoperation von Patienten mit Tumoren in kritischen Cortexarealen (sogenannte
eloquente Areale, wie Sprachzentrum, motorischer Kortex etc.) hat sich zunehmend
durchgesetzt, zumal der enorme prognostisch günstige Effekt einer sogenannten
makroskopisch kompletten Tumorresektion bewiesen werden konnte.
Ethische und gesundheitspolitische Aspekte in der Neuroonkologie zeigen, dass sich
dieses früher eher bedrückende Fachgebiet zu einem Paradigma unserer aktuellen
gesundheitspolitischen Herausforderungen und riesigen Chancen entwickelt hat. Die
internationale Vernetzung der so sehr unterschiedlichen beteiligten Disziplinen hat
dies in einem kurzen Zeitraum ermöglicht. Die lokale Vernetzung zu Therapiezentren
entlang des nationalen Krebsplanes und der Richtlinien der DKG hat bereits jetzt
einen konkreten Überlebensvorteil für die betroffenen und so behandelten Patienten
bewirkt. Nicht zuletzt hat sich die Neuroonkologie auch deshalb zu einem zentralen
Knotenpunkt für translationale Studien und zum Testfeld modernster pharmazeutischer
Entwicklungen in der internationalen Therapie-Entwicklung für solide Tumoren
entwickelt.