Suchttherapie 2013; 14(03): 110-111
DOI: 10.1055/s-0033-1349110
Schwerpunktthema
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Evidenzbasierung der Suchtprävention – Pro

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Publication Date:
30 July 2013 (online)

Pro
Aus Wissenschaft, Politik und von Kos­tenträgern im Gesundheitswesen wird seit geraumer Zeit die Evidenzbasierung der Suchtprävention gefordert. Ist das der richtige Weg für die Qualitätssicherung der Suchtprävention?

Evidenzbasierung im ursprünglichen Sinn bedeutet die Beurteilung von Erkenntnissen darüber, ob mit bestimmten Maßnahmen die angestrebten Ziele auch tatsächlich erreicht werden können. Anfang der 1990er Jahre wurde das Konzept der Evidenzbasierten Medizin entwickelt. Darunter kann man eine moderne, wissensbasierte Medizin verstehen, die ra­tionale Entscheidungen zwischen verschiedenen Behandlungsalternativen zum ­Wohle des Patienten anstrebt. Zwischenzeitlich wurde der Begriff auf andere Bereiche, so auch die Suchtprävention, übertragen.

Das Konzept der Evidenzbasierung hat ganz wesentlich zur Professionalisierung und Qualitätssicherung der Suchtprävention beigetragen. Dies verdeutlicht schon ein Rückblick in die Anfänge der Suchtprävention. Noch in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Suchtprävention zum großen Teil dem Konzept der Aufklärung durch reine Wissensvermittlung und Abschreckung verpflichtet. In Schulen wurden beispielsweise Broschüren über die Gefahren des Drogenkonsums verteilt, im Biologieunterricht angsteinflößende Filme über die mög­lichen gesundheitlichen Konsequenzen des Rauchens gezeigt oder Polizeibeamte kamen mit einem sog. „Drogenkoffer“ in die Klasse und zeigten den Schülerinnen und Schülern, wie verschiedene psychotrope Substanzen aussehen. Heute wissen wir, dass reine Wissensvermittlung oft unzureichend ist und dass Abschreckung allein ebenfalls meistens nicht ausreichend ist, um das Experimentieren mit verschiedenen legalen und illegalen Drogen und vor allem deren Missbrauch zu verhüten. Es besteht Konsens darüber, dass beispielsweise die Förderung von (Lebens-)Kompetenzen und die Beeinflussung von Normen der Peer-Gruppe wirksame Komponenten der Suchtprävention darstellen können. Dieses Wissen wurde durch empirische Studien gewonnen, dem Herzstück der wissenschaftlichen Evidenzbasierung.

Der Evidenzbasierung (d. h. der Ergebnisqualität) einen hohen Stellenwert in der Suchtprävention beizumessen, bedeutet gleichwohl nicht, dass es sich dabei um die einzige Qualitätssicherungsmaßnahme handelt. Andere Aspekte wie die Struktur- und Prozessqualität sind ebenfalls zu berücksichtigen.

Trifft die vom medizinischen Konzept der Level of Evidences abgeleitete Annahme, dass sich Evidenz am besten durch signifikante Befunde randomisierter Kontrollgruppenstudien belegen lasse, auch auf die pädagogisch ausgerichtete, verhaltensbezo­gene Suchtprävention zu?

Suchtprävention sollte auf Basis der besten verfügbaren Evidenz erfolgen. Diese Evidenz kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise generiert werden, z. B. durch Expertenwissen aber auch durch empirische Studien. Die Hierarchie der wissenschaftlichen Evidenz in Abhängigkeit vom zugrundeliegenden Studiendesign wird in [Tab. 1] beschrieben. Demnach werden randomisiert-kontrollierte Studienergebnisse mit einer höheren wissenschaftlichen Evidenz versehen als beispielsweise reine Expertenmeinungen.

Tab. 1 Hierarchie der wissenschaftlichen Evidenz.

Evidenzklasse

Beschreibung

I

Randomisiert-kontrollierte Studien

II

Kontrollierte Studien ohne ­Randomisierung

III

Nicht-experimentelle, deskriptive Studien

IV

Expertenmeinungen

Aus dieser Rangreihe folgt jedoch nicht, dass Wissen nur mit der höchsten Evidenzklasse generiert werden kann. So sind Beobachtungsstudien (Evidenzklasse III) hilfreich oder sogar unerlässlich zur Identifizierung von Risiko- und Schutzfaktoren des Substanzkonsums. Durch Beobachtungsstudien wissen wir beispielsweise, dass der Peer-Gruppe eine große Bedeutung im Hinblick auf Einstellungen gegenüber psychotropen Substanzen und deren Konsum zuzumessen ist. Aufbauend auf Modellen und Theo­rien der Suchtentwicklung und unter Berücksichtigung der aus Beobachtungsstudien gewonnenen Erkenntnisse zu Ri­siko- und Schutzfaktoren werden ­rationale suchtpräventive Interventionen entwickelt.

Vor allem verhaltenspräventive Maßnahmen der Suchtprävention lassen sich durchaus mit sehr hochwertigen Studienansätzen, die der Evidenzklasse I (randomisiert-kontrolliert) und II (kontrolliert) entsprechen, untersuchen. So können die Wirkungen schulbasierter Präventionsprogramme mithilfe randomisiert-kon­trollierter Studien geprüft werden, indem Schulen zufällig der Interventions- oder der Kontrollbedingung zugeordnet werden. In der Interventionsbedingung wird dann das zu testende Präventionsprogramm umgesetzt, in der Vergleichsgruppe nicht. Ergeben sich nun Änderungen in den Konsummustern zwischen den Gruppen über die Zeit, können diese mit relativ großer Sicherheit auf die präven­tive Intervention zurückgeführt werden.

Ein Verzicht auf die Rekrutierung einer Referenzgruppe würde die Ergebnisinterpretation erheblich erschweren. Die Zu- oder Abnahme des Konsums psychotroper Substanzen über die Zeit könnte nicht mehr ohne weiteres in Verbindung zur präventiven Intervention gebracht werden, die in der Schule umgesetzt wurde. Zudem bleibt bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit von empirischen Wirksamkeitsnachweisen in der Suchtprävention häufig unberücksichtigt, dass es nicht nur darum geht, die Wirksamkeit einer Maßnahme zu überprüfen, sondern auch ihre potentielle Schädlichkeit. Ein Aspekt, der die ethische Dimension der Notwendigkeit einer Evidenzbasierung unterstreicht. Aber auch aus rein rationaler Perspektive wäre nicht nachvollziehbar, warum die Suchtprävention weniger ­gesichertes Wissen benötigt als andere ­Bereiche der Medizin.