Suchttherapie 2013; 14(03): 102
DOI: 10.1055/s-0033-1351246
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Qualitätssicherung und Evidenzbasierung in der Suchtprävention

Quality Assurance and Evidence Based Addiction Prevention
Hermann Schlömer
,
Jens Kalke
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Publication Date:
30 July 2013 (online)

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Hermann Schlömer
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Dr. Jens Kalke

Im Internetportal „prevnet“ sind etwa 470 verschiedene Programme der bundesdeutschen Suchtprävention beschrieben. Die allermeisten wurden nie extern evaluiert. Und wenn das geschah, ging es zumeist um Prozess- und Struktur­evaluationen. Hinzu kommt: Fast wöchentlich werden neue Projekte aus der Taufe gehoben. Dieser anhaltenden „Projektitis“ steht gegenüber, dass es in Deutschland schon länger eine intensive Diskussion zur Qualitätssicherung und Evidenzbasierung der Suchtprävention gibt. Seit 2009 fanden 3 große Tagungen zur Qualität in der Suchtprävention statt, die von der Bundeszentrale für Gesundheitsförderung (BZgA) und anderen Institutionen organisiert wurden. Die dort geführten Debatten zeigen, dass es nicht am mangelnden Willen der Beteiligten liegt, für mehr Qualität in der Suchtprävention zu sorgen. Aber der richtige Weg dahin ist strittig.

Wie der Dokumentation der ersten BZgA Fach­tagung in Düsseldorf zu entnehmen ist, lehnt beispielsweise Baumgärtner eine einfache Übertragung suchtmedizinischer Effektmessung ab, weil kurzfristige kurative Ziele besser zu messen seien als langfristige, auf Nachhaltigkeit angelegte Ziele der Suchtprävention. Deshalb reichen aus seiner Sicht auch Annahmen der theoretischen Plausibilität sowie die Akzeptanz bei den Beteiligten für die Durchführung von Programmen aus. Jüngling sieht in einem „Evaluationsdogma“ sogar die Gefahr, dass unter einer ausschließlichen Wirkungsorientierung die Durchführungsqualität suchtpräventiver Maßnahmen leiden könnte. Dagegen haben Hanewinkel & Morgenstern erst kürzlich im Jahrbuch Sucht 2013 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) wieder ein Plädoyer für eine Suchtprävention gehalten, die sich an den Levels of Evidence suchtmedizinischer Wirkungsmessung orientiert, weil nur dadurch die Ressourcen effizient gesteuert werden könnten.

Mit dem Themenschwerpunkt dieser Ausgabe soll die fachliche Diskussion zur Qualitätssicherung und Evidenzbasierung in der Suchtprävention vertieft werden. Dafür haben wir wichtige Protagonisten gewinnen können.

Evidenzbasierung ist ein Bestandteil von Qualitätssicherung. Wie diesbezüglich die Suchtprävention in den letzten Jahr vorangekommen ist, welche Schwachstellen und Herausforderungen für die Weiterentwicklung bestehen, beschreibt Hallmann, Ausrichter der ersten Fachtagung der BZgA zur „Qualität in der Suchtprävention“, vor dem Hintergrund seiner langjährigen Praxiserfahrungen mit der Suchtprävention in einem Überblicksbeitrag.

Es folgen 2 Beiträge, die die aktuelle wissenschaftliche Kontroverse um die Evidenzbasierung der Suchtprävention mit einem Pro und Kontra auf den Punkt bringen. Die in der Suchtprävention namhaften Forscher Hanewinkel und Morgenstern vom IFT Nord in Kiel (Pro) sowie Uhl (Kontra) vom Anton Proksch Institut in Wien nehmen zu 4 aktuellen Schlüsselfragen hinsichtlich der Anwendbarkeit des aus der Medizin stammenden Konzeptes der Evidenzbasierung auf die Suchtprävention Stellung.

Angestoßen durch die Studie von Babor und anderen (2010) zur Wirksamkeit der Alkoholpolitik in Europa sowie dem HTA-Bericht von Korczak (2012) wird nicht nur in Deutschland heftig da­rüber gestritten, ob die Verhältnisprävention die Verhaltensprävention überflüssig macht. Die Ergebnisse seines HTA Berichts zur Wirksamkeit der Alkoholprävention in Deutschland fasst Korc­zak in einem Beitrag zusammen. Konträr dazu resümieren Thrul und Bühler, die im Auftrag der BZgA ein großes, demnächst erscheinendes ­Update der „Expertise zur Prävention des Sub­stanzmissbrauchs“ (2006) durchgeführt haben, in ­einem Interview vorliegende Forschungsbefunde und beantworten Fragen zum Nutzen der Alkoholprävention.

Die zunehmende Anzahl von Angeboten zur Suchtprävention, deren Qualität oft unklar ist, erfordert Qualitätsprüfungen. Schlömer und Kalke stellen in ihrem, das Schwerpunkthema abschließenden Beitrag 4 Instrumente zur Bewertung oder bewertenden Klassifikation vor, die für deutschsprachige Programme zur Verfügung stehen und verschiedene Positionen der Diskussion zur Evidenzbasierung der Suchtprävention oder Kompromisse wiedergeben. Die Stärken und Schwächen dieser Instrumente werden analysiert, Optimierungsnotwendigkeiten beschrieben.

Außerdem referieren Haevelmann u. a. die Ergebnisse ihrer Evaluation des Gruppenangebots „Trampolin“ für Kinder aus suchtbelasteten Familien und veranschaulichen so beispielhaft die ­Bedeutung von Prozessevaluation. Frank und Bermejo berichten in ihrem Beitrag über die ­Befunde ihrer Studie zum Alkoholkonsum älterer Menschen mit Migrationshintergrund.

Wir hoffen mit diesen Beiträgen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, einen guten Überblick über den Stand der Debatte verschafft sowie Anregungen für die erforderliche Verständigung zur Qualitätssicherung der Suchtprävention geliefert zu haben.

Hermann Schlömer und Jens Kalke