Z Sex Forsch 2013; 26(4): 388-389
DOI: 10.1055/s-0033-1356160
Nachruf
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Gerlinde Galedary (1950–2013)

Reinhardt Kleber
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Publication Date:
21 December 2013 (online)

Unsere Kollegin Gerlinde Galedary ist am 09. Juli 2013 verstorben. Wir aus der Gemeinde der PsychotherapeutInnen, die mit ihr über Jahrzehnte gearbeitet haben, mögen es immer noch nicht recht begreifen, dass uns so ein Schatz von Mensch verlassen musste. Nach der Diagnose (ohne vorherige Symptome) blieben ihr nur noch acht Wochen.

Sie hinterlässt drei Töchter, Carolin, Lilian und Gwendolyn, deren Leid gemildert wurde durch die Gefasstheit und Sorge um sie, mit der ihre Mutter ihnen noch alles, was sie konnte, zum Guten auf den weiteren Lebensweg mitgab. So von der ältesten Tochter auf der Trauerfeier in einer bewegenden Rede kund getan. Unser Beileid gilt den Dreien und ihrer Schwester Gudrun.

Am 02. März 1950 wurde Gerlinde Galedary in Fassberg in der Nordheide als Tochter des Kapitäns zur See, Ernst Röbbeling und der Lehrerin Lydia Röbbeling geboren. Bald zog die Familie nach Hamburg, wo Gerlinde 1970 das Abitur ablegte, um dann bei Frau Prof. Müller-Luckmann in Braunschweig zu studieren. Nach dem Examen 1975 arbeitete sie dann bei Müller-Lückmann und in der Marktforschung. Bald hatte sie ihre Passion für die Verhaltenstherapie entdeckt, arbeitete – zurück in Hamburg – auf der verhaltenstherapeutischen Station der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf.

Ihre Begeisterung für das Metier und ihre therapeutischen Erfolge blieben nicht unentdeckt. Dies war das erste Mal, dass ich von einer bemerkenswerten jungen Therapeutin in dem damaligen Arbeitsbereich Verhaltenstherapie unter Prof. Iver Hand hörte, damals auf demselben Flur wie die Abteilung für Sexualforschung gelegen. Nachdem erste Arbeitskontakte zur Sexualforschung entstanden waren, widmete sie sich über Jahre dieser Arbeit mit einem immer praktisch-therapeutischen Ansatz.

An der Hamburger Abteilung für Sexualforschung herrschte zu jener Zeit eine rührige und pionierhafte Atmosphäre. So wurden 202 Paare mit sexuellen Störungen einer Paartherapie unterzogen und forscherisch begleitet. Die Ergebnisse finden sich in dem in mehreren Auflagen erschienen Lehrbuch „Sexuell gestörte Beziehungen. Konzept und Technik der Paartherapie“, herausgegeben von Gunter Schmidt und Gerd Arentewicz, das in der Folge letztlich zur Gründung des erstarkenden sexualtherapeutischen Zweiges der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) beitrug. Friedemann Pfäfflin erinnert sich, dass er damals schon mit Gerlinde Galedary eines der Paare therapiert habe.

Markanter zeigte sich ihre Mitarbeit in dem damals vom Sonderforschungsbereich 115 und einer Stiftung geförderten Forschungsprojekt, das sich der ambulanten Therapie von Sexualstraftätern widmete. Zusammen mit Eberhard Schorsch, Antje Haag, Margret Hauch und Hartwig Lohse gab sie das Buch „Perversion als Straftat“ heraus, in dem diagnostisch und therapeutisch hochdifferenziert die Problematik der ambulanten Therapie von Sexualstraftätern beschrieben wurde. 169 Patienten waren einer Therapie unterzogen worden, mit bis dahin nicht erwarteten Erfolgen. Das Buch lässt sich heute als ein weiterer Klassiker bezeichnen. Das Neue an der Arbeit war, dass der damals gültigen Überzeugung, dass diese Tätergruppe nicht motivierbar sei zu einer ambulanten Therapie, grundlegend und beweiskräftig widersprochen wurde.

In den 1980ern lernte ich Gerlinde dann näher kennen und schätzen als Kollegin in der Sexualberatungsstelle (SBS) der Abteilung für Sexualforschung, einem ursprünglich sozialpsychiatrischen Modellprojekt, das sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Ergebnisse der Forschungsarbeiten in die Versorgungspraxis zu überführen. Sie hatte sich früh dem Gründerteam mit Johanna Dorsch und Martina Christlieb sowie mit Ulrich Clement angeschlossen, zu dem dann Margret Hauch und der Verfasser stießen.

Gerlinde war ein vitalisierendes Element, auch in den therapeutisch aufwendigen sog. Sommerfortbildungen (einem Paartherapiesetting, das sich kompakt über drei Wochen erstreckt und sich über 30 Jahre lang prächtig eignete, in dieser Therapieform unerfahrene Therapeuten und Therapeutinnen anzulernen).

Mit ihren kleinen Kindern ging sie dann ein paar Jahre aufs Land und züchtete Pferde, die ihr zeitlebens wichtig waren, um danach in Hamburg verhaltenstherapeutisch in eigener Praxis zu arbeiten. In diesen Jahren fungierte sie auch als Beisitzerin im Vorstand der DGfS (2003 – 2007).

Damals gab es immer wieder kleine Begegnungen, auch mal einen gemeinsamen Vortrag, bis sie initiativ wurde bei der Verfassung eines weiteren Buches, an dem sie einen wesentlichen Anteil hatte: Es ging dabei um eine Weiterentwicklung des Paartherapiekonzeptes in Form eines Lehrbuchs, herausgegeben von Margret Hauch. Die zweite Auflage dieses Buches erschien an dem Tag, an dem sie ihre Diagnose erfuhr.

Wer die Erfahrung machen durfte, mit ihr gearbeitet, mit ihr gefeiert zu haben, mit ihr traurig gewesen zu sein oder gekämpft zu haben, hat einen Menschen kennen gelernt, der einem Schwung gab, der echt war, unprätentiös, energisch. Sie konnte glucksen vor Freude, unmissverständlich streng sein im Ärger und sie liebte es, Gäste zu verwöhnen. All diese Eigenschaften machten es für mich zu einem Erlebnis, mit ihr und dem befreundeten Ehepaar Stange vor zwei Jahren eine neue Praxengemeinschaft zu gründen. Wieder war da ihre vorurteilsfreie Offenheit den PatientInnen gegenüber. Sie war nach wie vor eine passionierte Verhaltenstherapeutin, die auch nie zögerte, sehr schwierige Menschen zu therapieren.

So sehr wir sie in unserer Praxis vermissen – irgendwie ist sie noch da. Sie war ein Geschenk.