Z Gastroenterol 2013; 51(10): 1206-1209
DOI: 10.1055/s-0033-1357028
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Schwerpunktpraxis für CED – Versorgungsqualität vor und während der Betreuung

Andreas Sieg
,
Kilian Friedrich
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Publication Date:
22 October 2013 (online)

Durch die steigenden Arzneimittelkosten der Krankenkassen rückt die noch junge Versorgungsforschung von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) mehr und mehr in den Vordergrund. Die Patienten werden weitgehend nicht nach den aktuellen Leitlinien behandelt (Preiß JC et. al 2009, Blumenstein I et. al 2008, Blumenstein I et. al 2011, Preiß JC et. al 2008, Scherer M et. al 2011), was nicht nur erhebliche Kosten verursacht sondern auch mit einer erheblichen psychischen und physischen Belastung dieser Patienten einhergeht.

Kontinuierliche Datenerhebung in der Schwerpunktpraxis

Neueste Daten zeigen, dass durch individuelle und leitliniengekoppelte Therapiestrategien zwar die Medikamentenkosten minimal steigen, die Gesamtkosten (z. B. stationäre Kosten, AU-Tage (Arbeitsunfähigkeitstage) jedoch durch eine erhöhte Versorgungsqualität der CED Patienten sinken (Blumenstein I et. al 2013). In Vorbereitung unseres „Hamburger CED Modells“ haben wir daher eine monozentrische Befragung von CED Patienten vorgenommen. Es handelt sich bei dem Zentrum um eine Schwerpunktpraxis, die ausschließlich CED Patienten versorgt und aufgrund des Tertiärzentrum-Charakters überdurchschnittlich viele schwerkranke Patienten versorgt. Angekoppelt ist ein Forschungsinstitut, welches sich ebenfalls ausschließlich mit klinischen Studien an CED Patienten beschäftigt.

Im Zeitraum zwischen März 2012 bis Juni 2013 wurden Ersterhebungs- und Folgefragebögen von insgesamt 591 CED-Patienten (Colitis ulcerosa: 42,8 %, Morbus Crohn: 55,3 %, Colitis indeterminata: 1,9 %) gesammelt und ausgewertet. Pro Patient wurden mehrere Folgebögen (Median 3, Spanne: 1–7) angelegt, so dass eine longitudinale Auswertung möglich war. Nach der ersten Vorstellung in unserer Schwerpunktpraxis sowie in regelmäßigen Abständen während der Behandlung wurden Patientenangaben zu Diagnostik, Informationsstand, Krankschreibungen, stationären Aufenthalten und Operationen sowie Therapie und Lebensqualität (QoL) vor und nach Aufnahme der Behandlung in der Schwerpunktpraxis erhoben.


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Erstdiagnose oft erst nach vielen Arztbesuchen

Die Erstdiagnose der Erkrankung wurde in fast der Hälfte der Patienten (46,3 %) im Krankenhaus gestellt [Abb. 1] und nur zu 15,1 % beim behandelnden Internisten. Insgesamt 37,1 % der Patienten mussten mehr als sechs Mal, und weitere 14,5 % 5–6 Mal den Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchen, bevor eine Diagnose gestellt werden konnte. Die Patienten berichteten häufig, dass die Symptome erst viel zu spät vom Arzt als organisch erkannt wurden und dann eine solche Steigerung in der Intensität erfuhren, dass eine Krankenhausbehandlung notwendig wurde. Dort wurde dann häufig bei Patienten mit Morbus Crohn bereits bei der Erstdiagnose eine Operation notwendig. Cirka ein Drittel (34,2 %) der Patienten erhielten die Diagnose durch die Endoskopie beim Gastroenterologen [Abb. 2].

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Abb. 1 Umfeld der Erstdiagnosestellung der CED-Patienten.
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Abb. 2 Arbeitsunfähigkeitszeiten der CED-Patienten in den vergangenen Monaten nach Übergang in die Schwerpunktpraxis.

Nachdem die Diagnose der Erkrankung nicht selten (28 %) erst mehr als 18 Monate nach Auftreten der ersten Symptome erfolgte und die Patienten bis zur richtigen Diagnosestellung mehrfach einen Arzt (> 6 Arztbesuche: 37,1 %) aufsuchen mussten, fühlten sich 78,9 % der Betroffenen nach dem Aufklärungsgespräch nicht ausreichend über ihre Erkrankung informiert. Die durchschnittliche Dauer für dieses erste Gespräch betrug bei mehr als der Hälfte der Patienten (51,9 %) lediglich fünf bis zehn Minuten.

In der Schwerpunktpraxis wurde sich bei 33,3 % der Patienten zehn bis 20 Minuten oder bei 40,3 % insgesamt 20 bis 30 Minuten Zeit für das Patientengespräch genommen, so dass nachfolgend 96,8 % der Patienten angaben, sich in Bezug auf ihre CED ausreichend informiert zu fühlen.


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Rückgang des stationären Versorgungsbedarfs

Nach Aufnahme in die Schwerpunktpraxis konnte bei der Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten und chirurgischen Eingriffen ein deutlicher Rückgang verzeichnet werden. So mussten lediglich 14,9 % der Patienten im Vergleich zu 79,7 % in den vergangenen zwölf Monaten aufgrund ihrer Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden, und bei nur 4,6 % der Patienten erfolgte ein chirurgischer Eingriff. Zusätzlich kam es nach dem Übergang dieser Patienten in die Schwerpunktpraxis zu einem deutlichen Rückgang an Arbeitsausfällen. So fehlten 91,4 % der Patienten in den vergangenen drei Monaten weniger als eine Woche bei der Arbeit. Vor der Behandlung in der Schwerpunktpraxis fehlten 23,8 % der Patienten sogar mehr als acht Wochen und lediglich 25,8 % weniger als eine Woche. Vermutlich kann dieser drastische Rückgang der sozioökonomisch wichtigen Parameter auf eine leitliniengerechte Behandlung, mehr Zeit für Gespräche mit den Patienten (Complianceerhöhung) und den früheren Einsatz von Immunsuppressiva und Biologika zurückgeführt werden.

So zeigte sich, dass die Therapie vor der Aufnahme in die Schwerpunktpraxis weitgehend aus Mesalazinen und Cortison bestand, während im Rahmen einer zunehmend personalisierten Medizin im Tertiärzentrum häufiger moderne Therapieoptionen wie die Behandlung mit Immunsuppressiva und Biologika zum Einsatz kamen.

Die Lebensqualität der Patienten steigerte sich durch die Behandlung im Tertiärzentrum insgesamt deutlich. Im Vergleich zur Ersterhebung war nur ein geringer Prozentsatz der Betroffenen nach wie vor unzufrieden oder sogar sehr unzufrieden mit seiner Lebensqualität [Abb. 3].

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Abb. 3 Lebensqualität der Patienten vor und nach Aufnahme der Behandlung in einem CED-Spezialzentrum.

Diese Daten verdeutlichen die Notwendigkeit einer strukturellen Weiterentwicklung in der Versorgung von CED-Patienten. Eine Behandlung in einer CED-Schwerpunktpraxis, u. a. mit Einsatz von Biologika, bietet den schwerkranken CED Patienten eine hohe Versorgungsqualität (ausgedrückt in der QoL der Patienten) und verringert krankheitsbedingte Folgekosten für die Krankenkassen (Krankenhausaufenthalte, Operationen und Krankenausfalltage). Allerdings bildet das gegenwärtige Vergütungssystem der GKV die von den Leistungserbringern zu übernehmenden Leistungen keineswegs adäquat ab. Insbesondere wird der für die Kommunikation und Aufklärung der Patienten aufgewendete Zeiteinsatz, welcher deutlich zur Steigerung der Lebensqualität, des Aufklärungsstatus über die Erkrankung und damit auch der Compliance beiträgt, nicht (angemessen) honoriert.

Auch die personal-, zeit- und überwachungsintensive intravenöse Biologikatherapie wird nicht annähernd kostendeckend vergütet und ist daher in den meisten KVen mit einem finanziellen Verlust des niedergelassenen Leistungserbringers verbunden. Dieses wird bei Einführung von weiteren neuen und potenten Substanzen, wie z. B. den Integrin Antikörpern weiterhin ein Hemmschuh für den Einsatz dieser Therapeutika werden. Es ergibt sich aus sozioökonomischer Sicht bei adäquater Betreuung der Patienten ein erhebliches Einsparpotential für die Kostenträger, da sowohl die Arbeitsunfähigkeitszeiten deutlich gesenkt werden als auch die Krankenhausaufenthalte und Operationen einen Rückgang aufweisen. Vermutlich hat auch der frühere Einsatz von neueren Therapieverfahren, wie Biologika einen erheblichen Anteil an der Reduzierung der AU-Tage und Krankenhausaufenthalte.

Durch die stetig wachsende Zunahme der Behandlungsoptionen wird die Behandlung von CED Patienten immer komplexer und aufwendiger. Daher muss einerseits eine enge Kooperation der verschiedenen Leistungserbringer (Hausarzt / Gastroenterologen / Tertiärzentren) (Raspe H et. al 2008) und andererseits eine (bessere) Honorierung durch die Kostenträger gefordert werden.

Die Literaturliste finden Sie im Mitgliederbereich der bng-Homepage bei der Fachgruppe CED.

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Dr. Stefanie Howaldt
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Dipl.-Ing. Jens Borchardt

Dr. Stefanie Howaldt
(Hamburgisches Forschungsinstitut für CED)
Dipl.-Ing. Jens Borchardt
(Onkotrakt AG, Hamburg)


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