Keywords Ernährung - vegetarisch - vegan - Diabetes - Adipositas - Hypertonie - Krebs - kardiovaskuläre
Erkrankungen - ernährungsassoziierte Erkrankungen
Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Gesundheit verursachen
ernährungsmitbedingte chronische Erkrankungen etwa 30 % aller
Krankheitskosten in Deutschland – dies entsprach etwa 88 Mrd. Euro im
Jahr 2011 (hochgerechnet nach [[1 ], [2 ]]). Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen,
dass Vegetarier und Veganer ein deutlich verringertes Risiko für diese
Erkrankungen aufweisen [[3] ]. Diese Befunde
gelten unabhängig von der insgesamt gesünderen Lebensweise. Zwar muss
bei vegetarischer und veganer Ernährung auf die ausreichende Zufuhr
bestimmter Nährstoffe geachtet werden. Mit vielen Nährstoffen sind
Vegetarier und Veganer jedoch genauso gut oder sogar besser versorgt als
Fleischesser. In diesem Übersichtsartikel wird der aktuelle Stand der
Wissenschaft zur Krankheitsprävention sowie zur Nährstoffversorgung bei
vegetarischen Ernährungsformen dargestellt.
Studien mit Vegetariern
Gesicherte Informationen zum unterschiedlichen Erkrankungs- und
Sterberisiko von Vegetariern und Nicht-Vegetariern stammen aus
prospektiven Kohortenstudien. Dabei werden die ermittelten Ergebnisse
für zahlreiche Störfaktoren (confounder) adjustiert, um beobachtete
Zusammenhänge soweit wie möglich auf die unterschiedliche
Ernährungsweise der Untersuchungsgruppen zurückführen zu können.
Wichtige Störfaktoren in ernährungsepidemiologischen Studien sind
Körpergewicht bzw. BMI, Tabak- und Alkoholkonsum sowie körperliche
Aktivität.
Aktuelle Daten liefern die derzeit laufende EPIC-Oxford-Studie (über
65 000 Teilnehmer) sowie die Adventist Health Study 2 (über 96 000
Teilnehmer). Einen Überblick über die bisher durchgeführten
Kohortenstudien mit Vegetariern gibt [Tab.
1 ].
Tab. 1 Prospektive Kohortenstudien mit Vegetariern.
Aktualisiert nach [[45] ]
Prospektive Kohortenstudien mit Vegetariern
Studie
Land
Beginn [Jahr]
Letzter Follow-up [Jahr]
Untersuchte Gruppen (Anzahl der Teilnehmer, gerundet)
(Haupt)Untersuchungsziel: Zusammenhänge zwischen
Ernährungsmuster und …
* Deutsches Krebsforschungszentrum; ** davon etwa 10 %
Veganer; *** davon etwa 1 % Veganerinnen; **** European
Prospective Investigation into Cancer and Nutrition
Adventist Mortality Study
USA
1960
1986
Lakto-Ovo-Vegetarier (7920) Nicht-Vegetarier (6960)
Sterblichkeit
Adventist Health Study
USA
1976
1988
Lakto-Ovo-Vegetarier (7190) Nicht-Vegetarier (7460)
Häufigkeit chronischer Erkrankungen, Sterblichkeit
Vegetarierstudie des DKFZ*
Deutschland
1978
1999
Lakto-Ovo-Vegetarier (1170) Veganer (60) Gesundheitsbewusste
Nicht-Vegetarier (680)
Sterblichkeit
Oxford Vegetarian Study
Großbritannien
1980
2000
Vegetarier** (4670) Nicht-Vegetarier (6370)
Sterblichkeit, Häufigkeit chronischer Erkrankungen
EPIC****-Oxford
Großbritannien
1993
2007 wird fortgeführt
Fleischesser (33 880) Fischesser (10 110)
Lakto-Ovo-Vegetarier (18 840) Veganer (2600)
Häufigkeit chronischer Erkrankungen, Sterblichkeit,
Nährstoffzufuhr
UK Womens' Cohort Study
Großbritannien
1995
2004 wird fortgeführt
Fleischesserinnen (24 740) Fischesserinnen (4160)
Vegetarierinnen ***(6480)
Krebshäufigkeit, Nährstoffzufuhr
Adventist Health Study 2
USA und Kanada
2002
- wird fortgeführt
Fleischesser (45 200) Selten-Fleischesser (5900) Fischesser
(11 000) Lakto-Ovo-Vegetarier (30 500) Veganer (4190)
Häufigkeit chronischer Erkrankungen, Sterblichkeit
(insbesondere Krebs)
Prävention
Übergewicht/Adipositas
Körpergewicht und Body-Mass-Index (BMI) von Vegetariern und
Veganern liegen im Durchschnitt niedriger als bei Mischköstlern. In
der Adventist Health Study 2 steigt der BMI von Veganern über
Lakto-Ovo-Vegetarier und Fischesser hin zu Fleischessern
kontinuierlich an [[4] ]. Nach Ansicht der
Autoren der Studie weist der Unterschied von 5 BMI-Einheiten zwischen
Veganern und Fleischessern auf ein erhebliches Potenzial des
Vegetarismus hin, vor Übergewicht zu schützen. Entsprechend ist auch
der Anteil Übergewichtiger bei Vegetariern deutlich geringer als bei
Nicht-Vegetariern [[3] ].
Verantwortlich dafür ist v. a. der niedrigere Energiegehalt
pflanzlicher Kost. Sie enthält mehr komplexe Kohlenhydrate und
Ballaststoffe sowie weniger Protein und Gesamtfett und liefert dadurch
bei gleichem Volumen weniger Energie als Mischkost. Die höhere
Ballaststoffzufuhr sorgt zusätzlich für eine schnellere und länger
anhaltende Sättigung. Vegetarische Ernährungsformen können somit
aufgrund ihrer hohen Nährstoff- und niedrigen Energiedichte zur
Gewichtsregulation bzw. für den Erhalt eines gesunden Körpergewichts
empfohlen werden [[5] ].
Diabetes mellitus Typ 2
Vegetarier erkranken deutlich seltener an Typ-2-Diabetes als
Nicht-Vegetarier. In einer Auswertung der Adventist Health Study 2 (n
= 41 387) lag das Risiko, erstmalig an Diabetes mellitus (Typ 1 und 2)
zu erkranken, bei Lakto-Ovo-Vegetariern um etwa 38 % und bei Veganern
um etwa 62 % niedriger als bei Fleischessern (jeweils nach
Adjustierung für BMI und zahlreiche weitere Störfaktoren) [[6] ]. Auch weitere Studien zeigen für Vegetarier
und Veganer ein niedrigeres Diabetesrisiko [[3] ].
Als Hauptursache für diese Befunde gelten das geringere
Körpergewicht und die höhere Ballaststoffzufuhr bei pflanzenbasierter
Ernährung. Ballaststoffe sowie die bei Vegetariern und Veganern
übliche geringere Zufuhr von Gesamtfett, insbesondere von gesättigten
Fettsäuren, wirken der Insulinresistenz entgegen. Vegetarier weisen
auch bei gleichem Körpergewicht wie Nicht-Vegetarier niedrigere
Blutglukose- und Insulinwerte im Nüchternblut sowie eine höhere
Insulinsensitivität auf [[7] ]. Mit
steigendem Fleischverzehr erhöht sich – unabhängig von weiteren
Ernährungsfaktoren – das Diabetesrisiko [[8 ], [9 ]].
Verantwortlich dafür werden insbesondere gesättigte Fettsäuren, der
hohe Eisengehalt (Hämeisen), Stickstoffverbindungen (u. a. aus
Nitritpökelsalz) sowie zugesetztes Kochsalz in Fleisch und
Fleischprodukten gemacht [[10] ].
Hypertonie
Vegetarier und Veganer sind seltener von Hypertonie betroffen als
Mischköstler. Zudem haben sie, insbesondere Veganer, durchschnittlich
niedrigere Blutdruckwerte [[11 ], [12 ]]. Eine Ursache dafür liegt in der
überdurchschnittlichen Zufuhr von Kalium und Magnesium bei Vegetariern
und Veganern – beide Mineralstoffe kommen reichlich in Gemüse und Obst
vor [[13] ]. Auch pflanzliches Protein
wirkt, vermutlich aufgrund seiner Aminosäuren-Zusammensetzung,
blutdrucksenkend [[14] ]. Dagegen ist
Fleischverzehr meist mit einer erhöhten Zufuhr von Fett (v. a.
gesättigte Fettsäuren) und Cholesterin verbunden, was sich
blutdrucksteigernd auswirkt [[15] ].
Insbesondere der Konsum von rotem Fleisch und Fleischprodukten ist mit
erhöhtem Blutdruck assoziiert [[16] ].
Kardiovaskuläre Erkrankungen
Das Risiko, an ischämischer Herzkrankheit zu sterben, ist für
Vegetarier im Vergleich zu Nicht-Vegetariern um etwa ein Viertel
geringer [[17 ], [18 ]]. Vegetarier und Veganer weisen deutlich
seltener die typischen ernährungsbedingten Risikofaktoren für
Atherosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf. Hierzu zählen
insbesondere Dyslipidämien wie die Hypercholesterinämie (v. a.
LDL-Cholesterin). Da pflanzliche Lebensmittel kein Cholesterin
enthalten sowie weniger gesättigte und mehr einfach und mehrfach
ungesättigte Fettsäuren liefern, weisen vegetarisch lebende Menschen
meist einen deutlich geringeren Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegel
auf. Bei veganer Ernährung zeigt sich dies noch deutlicher [[19] ]. Auch weitere kardiovaskuläre
Risikofaktoren, wie Übergewicht und Adipositas, Diabetes mellitus Typ
2 und Hypertonie kommen bei Vegetariern und Veganern deutlich seltener
vor [[3] ].
Für diese positiven Wirkungen sind verschiedene pflanzliche
Lebensmittelgruppen verantwortlich. So verringert ein hoher Obst- und
Gemüseverzehr das Erkrankungsrisiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten um
15–35 % [[20 ], [21 ]] und der Konsum von Vollkornprodukten das
Risiko um etwa 20 %, im Vergleich mit einem niedrigen Verzehr [[22] ]. Besonders protektiv wirkt Nussverzehr:
Stehen mindestens 5 Portionen Nüsse pro Woche auf dem Speiseplan, kann
das kardiovaskuläre Sterberisiko um bis zu 37 % gesenkt werden [[23] ]. Diese protektiven Wirkungen gehen auf den
hohen Gehalt an Vitaminen, Mineralstoffen, Ballaststoffen und
sekundären Pflanzenstoffen in pflanzlichen Lebensmitteln zurück, wobei
das natürliche Zusammenwirken der einzelnen Stoffe eine entscheidende
Rolle spielt.
Studien zeigen, dass Fleischkonsum ein unabhängiger Risikofaktor
für die Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen ist [24–26],
ebenso wie ein hoher Verzehr von Eiern (≥ 7 Stück/Woche) das Risiko
für Herzinsuffizienz steigert [[27] ].
Krebs
Bei der Entstehung von Krebs spielt neben weiteren
Lebensstilfaktoren (v. a. Rauchen) die Ernährung eine entscheidende
Rolle: Schätzungsweise 35 % aller Krebserkrankungen gehen auf
Ernährungseinflüsse zurück [[28] ]. So
werden bspw. ein geringer Obst- und Gemüseverzehr, eine
ballaststoffarme Kost sowie der häufige Konsum von rotem und/oder
verarbeiteten Fleisch als Risikofaktoren für die Krebsentstehung
diskutiert [[29 ], [30 ]]. Pflanzenbasierte Ernährungsweisen liefern
reichlich Antioxidanzien, sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe,
was sich günstig auf das Krebsrisiko auswirkt [[28 ], [30 ]].
Vegetarier und Veganer sind im Durchschnitt besser mit diesen
gesundheitsfördernden Substanzen versorgt [[31 ], [32 ]].
Fleischkonsum, v. a. von rotem und verarbeitetem Fleisch, erhöht
hingegen mit überzeugender Evidenz das Risiko, an Dickdarm- oder
Mastdarmkrebs zu erkranken [[29 ], [30 ], [33 ]].
Die derzeitige Studienlage deutet darauf hin, dass Vegetarier und
Veganer ein geringeres Krebsrisiko aufweisen als Fleischesser. In der
Adventist Health Study 2 wurde bei Lakto-Ovo-Vegetariern ein
geringfügig niedrigeres Gesamt-Krebsrisiko (- 7 %) gegenüber
Nicht-Vegetariern ermittelt, bei Tumoren des Verdauungstrakts lag das
Risiko von Lakto-Ovo-Vegetariern 24 % niedriger. Veganer wiesen ein um
16 % niedrigeres Risiko für alle Krebsarten auf und ein 34 %
niedrigeres Risiko für Frauen-spezifische Krebsarten [[34] ]. Eine Meta-Analyse von 7 Studien (etwa 125
000 Teilnehmer) kam zu dem Ergebnis, dass das Erkrankungsrisiko für
Krebs (alle Tumorarten) bei Vegetariern etwa 18 % geringer ist als bei
den omnivoren Vergleichsgruppen [[35] ].
Begriffsbestimmung vegetarisch/vegan
Vegetarisch: kein Verzehr von Nahrungsmitteln, die von
toten Tieren stammen, einschließlich daraus hergestellter
Erzeugnisse (Fleisch, Wurst, Fisch und andere Meerestiere,
gelatinehaltige Gummibärchen u. ä.)
Vegan: Meiden aller von Tieren stammenden Nahrungsmittel,
Erzeugnisse und Inhaltsstoffe (Fleisch, Wurst und Fisch; außerdem
Milch und Milchprodukte, Eier, Honig; Milchschokolade, Backwaren mit
Eiern, mit Gelatine geklärte Getränke [z. B. Wein] usw.; Leder,
Wolle, Seide, Federbetten, Reinigungsmittel mit Molke, Kosmetika mit
Lanolin u. ä.)
Weitere Erkrankungen
Auch bei Hyperurikämie und Gicht, Divertikulose, Gallen- und
Nierensteinen sowie Katarakt wird in den wenigen vorliegenden Studien
ein niedrigeres Erkrankungsrisiko für Vegetarier berichtet.
Indifferent ist die Studienlage bei Demenzerkrankungen [[3] ].
Therapie
Verschiedene Interventionsstudien mit vegetarischen Kostformen
zeigten therapeutische Erfolge.
Diabetes Typ 2
In mehreren Studien konnte durch eine fettarme vegane Ernährung
(Dauer 22 und 74 Wochen) im Vergleich zu einer konventionellen
Ernährungstherapie bei Typ-2-Diabetikern eine wirkungsvollere
Verbesserung der Blutzuckerkontrolle und der Blutfettwerte erreicht
werden. Auch die Dosis der medikamentösen Behandlung konnte bei der
veganen Gruppe nachhaltig reduziert werden [[36] ] (siehe auch zkm 2013; 3: 42).
Hypertonie
Interventionen mit lakto-ovo-vegetarischer Kost (Dauer 6 Wochen)
führten sowohl bei normotensiven Personen als auch bei Personen mit
leicht erhöhten Blutdruckwerten zu einer Senkung des systolischen
Blutdrucks um 5–6 mmHg [[37] ]. Bei 500
Teilnehmern einer 12-tägigen Interventionsstudie bewirkte eine
fettarme vegane Kost, in Kombination mit moderater körperlicher
Aktivität und Stressmanagement, eine durchschnittliche
Blutdrucksenkung von 6 % [[38] ].
Kardiovaskuläre Erkrankungen
Bei 151 Herzpatienten wurden die Auswirkungen einer
lakto-vegetarischen Kost sowie einer fettmodifizierten und
cholesterinreduzierten Mischkost auf Blutparameter verglichen. Während
des stationären Beobachtungszeitraums von 24 Tagen sanken bei der
vegetarischen Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe Gesamtcholesterin
(31,1 vs. 16,9 mg/dl) und LDL-Cholesterin (27,7 vs. 11,8 mg/dl) in
signifikant höherem Ausmaß. Die HDL-Cholesterinkonzentration war
unverändert [[39] ]. Ein Review über 14
Interventionsstudien ergab, dass sich die Triglyzerid- und
LDL-Cholesterinkonzentrationen bei überwiegend pflanzlichen bzw.
lakto-ovo-vegetarischen Interventionen um durchschnittlich 10–15 % und
bei veganen Interventionen um 15–25 % verringerten [[40] ].
Rheumatoide Arthritis
Bei rheumatoider Arthritis führte die Umstellung auf eine
vegetarische oder vegane Kost in verschiedenen Untersuchungen zur
Symptomverbesserung [[41 ], [42 ]].
Nährstoffversorgung von Vegetariern und Veganern
Nährstoffversorgung von Vegetariern und Veganern
Die vorliegenden Erkenntnisse zur Nährstoffzufuhr und -versorgung bei
vegetarischer Ernährung stammen überwiegend aus Querschnitts- und
teilweise aus Kohortenstudien. Während zu bestimmten Nährstoffen (z. B.
Eisen) und Personengruppen (z. B. Erwachsene) zahlreiche Untersuchungen
durchgeführt wurden, besteht bei anderen Nährstoffen und
Bevölkerungsgruppen noch erheblicher Forschungsbedarf (z. B. Selen,
Omega-3-Fettsäuren; vegetarische und vegane Ernährung bei Schwangeren,
Stillenden, Kindern und Sportlern).
Vegetarier und Veganer liegen bei der Zufuhr der Hauptnährstoffe
Protein, Fett und Kohlenhydrate deutlich näher an den Empfehlungen der
Fachgesellschaften als die Durchschnittsbevölkerung. Am ehesten
erreichen Veganer die Empfehlungen, sowohl relativ (Energie %) als auch
absolut (Zufuhr in g/d) [[3] ]. Allerdings
wurden, insbesondere bei vegan lebenden Frauen, auch teilweise
unzureichende Nahrungsenergie- und Proteinaufnahmen beobachtet.
Mit vielen Mikronährstoffen sind Vegetarier und Veganer besser
versorgt als Mischköstler, insbesondere mit Provitamin A (β-Carotin),
den Vitaminen B1 , C, E, Biotin, Pantothensäure und Folat
sowie dem Mineralstoff Magnesium, außerdem mit Ballaststoffen und
sekundären Pflanzenstoffen [[3] ].
Auf die Zufuhr potenziell kritischer Nährstoffe sollte bei
vegetarischen Ernährungsformen jedoch geachtet werden (potenziell
kritisch bedeutet, dass eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, die
empfohlene Zufuhr zu unterschreiten). Hierzu zählen bei
lakto-ovo-vegetarischer Ernährung Eisen, Zink, Omega-3-Fettsäuren, Jod
und Vitamin D, bei veganer Ernährung außerdem Vitamin B12 ,
Vitamin B2 und Kalzium. Jod und Vitamin D (zwischen Oktober
und März) betreffen – unabhängig von der Ernährungsweise – die
Gesamtbevölkerung. Auch Eisen und Kalzium sind kritische Nährstoffe in
Teilen der Allgemeinbevölkerung.
Häufiger als bei nicht-vegetarischen Vergleichsgruppen wurde eine
niedrige Versorgung beobachtet bei [[3] ]:
Eisen: vegetarisch lebende Kinder, Teenagerinnen und Schwangere;
Veganerinnen
Zink: vegetarisch lebende Teenagerinnen
Vitamin B12 : > 50 % der vegan lebenden Personen;
teilweise auch bei Lakto-Ovo-Vegetariern
Vitamin B2 : lakto-ovo-vegetarisch lebende
Teenagerinnen, Veganer
Kalzium: Veganer (durchschnittliche Zufuhr 40–50 % niedriger als
bei Nicht-Vegetariern und Lakto-Ovo-Vegetariern)
langkettige Omega-3-Fettsäuren (EPA, DHA): Lakto-Ovo-Vegetarier
und Veganer.
Vegetarier und Veganer sollten daher auf eine ausreichende Zufuhr der
potenziell kritischen Nährstoffe achten. Voraussetzung dafür ist eine
abwechslungsreiche und gut zusammengestellte Lebensmittelauswahl auf der
Basis naturbelassener, möglichst gering verarbeiteter frischer
Lebensmittel. Vitamin B12 muss bei veganer Ernährung durch
angereicherte Lebensmittel, Supplemente oder
Vitamin-B12 -Zahnpasta – möglicherweise auch in Kombination –
aufgenommen werden. Eine Orientierung, auch für die ärztliche Beratung,
bietet die Gießener vegetarisch-vegane Ernährungspyramide (Abb.
1 ). Weitere Unterstützung bieten Lebensmitteltabellen mit
Nährstoffangaben (siehe Beispiel [Tab. 2 ]).
Abb. 1 Gießener vegetarisch-vegane Ernährungspyramide. Nach
[[3] ]
Tab. 2 Kalziumgehalt verschiedener Lebensmittel. Nach
[[3] ]
Beispiel Nährwerttabelle für Kalzium
Lebensmittel
Kalzium (mg/100 g)
* TVP = textured vegetable protein; ** abhängig von Produkt
und Hersteller
hoher Gehalt (> 500 mg/100 g)
Emmentaler (45 % Fett i. Tr.)
1029
Sesamsamen, Sesammus (Tahin)
bis 780
mittlerer Gehalt (100–500 mg/100 g)
Mandeln
252
„Sojafleisch“ (TVP*)
250
Haselnüsse
225
Grünkohl (roh)
212
Feigen (getrocknet)
190
Rucola (roh)
160
Paranüsse
130
Spinat (gekocht)
126
Kuhmilch (3,5 % Fett)
120
Sojamilch, Reismilch, Hafermilch (mit Kalzium
angereichert)
bis 120**
Tofu
105
niedriger Gehalt (< 100 mg/100 g)
Oliven, grün (mariniert)
96
Speisequark (40 % Fett i. Tr.)
95
Brokkoli (gekocht)
87
Walnüsse
87
unterschiedlicher Gehalt
Mineralwasser (verschiedene Sorten)
2 bis > 800 mg/l
Weitere Aspekte vegetarischer Ernährungsformen
Weitere Aspekte vegetarischer Ernährungsformen
Neben dem gesundheitlichen Nutzen haben vegetarische Ernährungsformen
zahlreiche weitere positive Auswirkungen. Eine pflanzenbasierte Kost
verbraucht in ihrer Erzeugung weniger Energie und Rohstoffe, ist
wassersparender, belegt weniger Landfläche und verursacht deutlich
weniger Klimagase [[3] ]. Da weniger oder keine
sog. Veredelungsverluste auftreten, ist sie ein wichtiger Beitrag zur
Sicherung der Welternährung. Nach Berechnung des Umweltprogramms der
Vereinten Nationen (UNEP) entspricht allein die Menge an Getreide, die
im Jahr 2050 in die Tierfütterung gehen wird, dem Nahrungsenergiebedarf
von 3,5 Mrd. Menschen [[43] ]. Und nicht
zuletzt schont eine zunehmende Verbreitung vegetarischer
Ernährungsweisen auch die sog. Nutztiere, die in der industrialisierten
Landwirtschaft ein alles andere als tiergerechtes Leben fristen. Im
Laufe seines Lebens verzehrt jeder Deutsche über 1000 Tiere – Fische und
andere Meerestiere nicht eingerechnet [[44] ].
Fazit und Ausblick
Vegetarische Ernährungsformen, einschließlich der veganen Ernährung,
bieten ein großes Potenzial zur Prävention und Therapie
ernährungsassoziierter chronischer Krankheiten. Dieses Potenzial wird
bisher kaum genutzt. Die Fokussierung auf potenziell kritische
Nährstoffe verkennt die gute bis sehr gute Versorgung von Vegetariern
und Veganern mit den meisten Nährstoffen. Entsprechend werden
pflanzenbasierte Kostformen – trotz gegenteiliger Studienlage – in
Ärztekreisen, der Ernährungswissenschaft und den Medien noch immer meist
unter dem Aspekt der vermeintlichen Mangelernährung diskutiert.
Fachliche Weiterbildung zum Thema vegetarische und vegane Ernährung
fördert die ärztliche Kompetenz, hier sachgerecht zu beraten. Patienten
und Ratsuchende sollten ermutigt werden, vegetarische Ernährungsformen
zu praktizieren.
Zum Weiterlesen
Leitzmann C, Keller M. Vegetarische Ernährung. 3. Aufl. Stuttgart:
Ulmer; 2013