Erfahrungsheilkunde 2014; 63(1): 42-47
DOI: 10.1055/s-0033-1357602
Arterielle Hypertonie
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Homöopathische Behandlung der Hypertonie

Zwei Fallbeispiele aus der Praxis
Ursula Eder
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Ursula Eder
Praxis für Homöopathie,
Akupunktur und Regulationsmedizin
Münchner Str. 66a
85221 Dachau
URL: www.dreder.de   

Publication History

Publication Date:
21 February 2014 (online)

 

Zusammenfassung

Patienten mit arterieller Hypertonie suchen oft erst nach jahrelanger schulmedizinischer Behandlung eine alternativmedizinische Praxis auf. Homöopathisch arbeitende Ärzte stehen dann vor einer großen Herausforderung, denn sie sind auf eine genaue Symptomenbeschreibung angewiesen. Anhand von 2 Fällen aus ihrer Praxis stellt die Autorin die Herangehensweise der klassischen Homöopathie vor und zeigt die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Regulationstherapie.


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Abstract

It often takes several years of conventional treatment before patients suffering from arterial hypertension consult a physician of alternative medicine. In this case, homeopathic physicians face a great challenge, because they are dependent on an exact description of the symptoms. By means of 2 cases from her practice, the author presents the approach of classical homeopathy and shows the options as well as the limits of regulation therapy.


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Die arterielle Hypertonie − nicht grade ein leichtes Behandlungsgebiet der klassischen Naturheilverfahren. Als Therapeut weiß man, dass man hier oftmals vor größeren Schwierigkeiten steht. Diese kommen aus vielen unterschiedlichen Richtungen.

Sehr oft ist die homöopathische Behandlung der Hypertonie nicht banal, weil die Patienten meist erst nach einer längeren Krankheitsphase zu uns kommen. Man hört Berichte von einem seit 15 Jahren bestehenden Bluthochdruck und jahrelanger Medikamenteneinnahme. Oft kommen Patienten mit Hypertonie zu mir in die Praxis, weil ihr Hausarzt zu den beiden schon seit Längerem verordneten Antihypertonika nun noch ein drittes verschrieben hat. Dem Patienten wird klar, dass man über eine so reichhaltige Tabletteneinnahme zumindest einmal nachdenken sollte [Abb. 1]. Dann liest er in der Packungsbeilage, was bei Einnahme der Tabletten alles passieren kann. Vieles davon steht schon in den Packungsbeilagen der Mittel, die er seit Langem einnimmt. Aber beim dritten Medikament wird er kritisch. Muss das sein? Gibt es da keine Alternativen?

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Abb. 1: Wenn der Hausarzt das dritte Medikament gegen den hohen Blutdruck verordnet hat, beginnen viele Patienten über alternative Behandlungsmethoden nachzudenken. © Stefan Redel/Fotolia

Erschwerte Mittelfindung

Als homöopathisch arbeitender Arzt habe ich zunächst ein Problem mit einem solchen Patienten. Warum? Die Regeln der Homöopathie fordern für das Finden des Simillimums einen unvoreingenommenen, analysierenden Blick auf die Gesamtheit der Symptome des Kranken, so wie sie er sie uns zeigt. Nach einer 15 Jahre bestehenden medikamentösen antihypertensiven Therapie kann in den meisten Fällen keine genaue Symptomenbeschreibung mehr stattfinden, zumindest nicht die der Ursprungssymptome. Das liegt zum einen daran, dass vom Besuch bei mir zum Ausgangszustand der Erstverschreibung zu viel Zeit verstrichen ist und der Patient sich an die Symptome von früher nicht mehr erinnert; schon gar nicht in Einzelheiten. Eine detaillierte Schilderung der Beschwerden bzw. des Zustands ist aber für die homöopathische Mittelfindung unablässig. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass die chemisch-medikamentöse Therapie die Symptome verschleiert bzw. neue Symptome verursacht, die der Patient ohne Medikation nicht hätte. Dieses Problem betrifft natürlich jede homöopathisch zu behandelnde Erkrankung, die zusätzlich unter allopathischer Beeinflussung steht. Bei der Behandlung der Hypertonie hat man es allerdings sehr oft mit einer seit Jahren bestehenden Vorgeschichte und den oben beschriebenen Situationen zu tun.


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Herangehensweise der klassischen Homöopathie

Die Komplexhomöopathie hat manches an blutdruckwirksamen Medikamenten zu bieten. Aber stellen wir das im Moment hinten an und werfen einen Blick auf die klassische Homöopathie. Wie kann man den oben beschriebenen Fall angehen?

Im Laufe der Jahre sammelt man als Therapeut gute und weniger gute Erfahrungen. In der Ausbildung zum Homöopathen hat man in der Theorie vieles gelernt, was sich in der Praxis als sehr kompliziert oder nicht machbar erweist, meist aus sehr menschlichen Gründen. Auf der anderen Seite ist es aber zum Glück so, dass unsere Patienten − so wie sie zu uns kommen − unsere besten Lehrer sind.

Hin und wieder kommt es vor, dass man mit dem Erlernten in der erfolgreichen Behandlung nicht richtig weiterkommt. Weil wir unserem Patienten aber helfen wollen, lassen wir uns manchmal zu Abweichungen des „normalen“ Weges hinreißen und verschreiben vielleicht ein homöopathisches Mittel, das eigentlich nicht so gut passt.

Dabei ist es meist gar nicht so schwer, den roten Faden in einer Persönlichkeit und damit in einem Fall und dem dazu passenden Mittel zu finden. Der Patient sagt uns alles selbst: durch Worte, Gestik und Mimik, durch seine Geschichte und wie er diese erzählt und nicht zuletzt auch dadurch, was er nicht sagt. Wir müssen nur hinschauen, wahrnehmen, das Wahrgenommene umsetzen in homöopathische Sprache und dann das richtige Mittel finden. Klingt nicht ganz einfach − ist es auch nicht. Aber letztendlich ist es nicht schwer, wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert.


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Aus der Praxis

Im Laufe der Zeit bemerkt man als Homöopath, dass es die unterschiedlichsten Typen für die Hypertonie gibt. Was die allopathische Behandlung überhaupt nicht berücksichtigt, ist für den Homöopathen geradezu zwingend wichtig und führt zur Therapieentscheidung:

  • Wer steht da vor mir?

  • Wie ist derjenige in seinem Leben unterwegs?

  • Welche Glaubenssätze treiben ihn an?

  • Wie verhält es sich mit seinen Allgemeinsymptomen?

  • Wie ist seine Gemütslage?

Kasuistik 1: Ein scheinbar klassischer Fall?

Klassischerweise betritt der Herr Ende 40 im Anzug die Praxis. Sein erster Blick geht zur Uhr, der zweite aufs Handy. Er berichtet von seiner Situation und uns scheint alles klar:

Zweite Ehe, junge Frau, kleine Kinder, Haus gebaut, Schulden, Alleinverdiener, beruflich erfolgreich und entsprechend eingespannt, auf der Karriereleiter der Firma auf dem Weg nach oben. Sein Schlaf ist schon seit Jahren gestört, er vermutet, das liegt an den täglichen Belastungen mit Arbeit und Familie. Alkohol und Zigaretten helfen ihm abends, in den Schlaf zu finden. Um morgens frisch und munter in der Firma antreten zu können, benötigt er 2−3 Tassen Kaffee, was sich den Tag über dann auch noch weiter fortsetzt. Zusätzlich zum erhöhten Blutdruck hat er geringes Übergewicht, Verdauungsprobleme und unterm Strich so gut wie keine Bewegung.

Erster Therapieversuch

Ganz klar, sagt der Homöopath und greift zur Dose Nux vomica. Das klassische homöopathische „Managermittel“. All das, was wir hier in recht kurzer Zeit herausgefunden haben, berechtigt uns zu einer solchen Verschreibung. Komischerweise ändert sich aber durch die Einnahme von Nux vomica in verschiedensten Potenzen nicht viel an den Symptomen des Patienten. Vielleicht bessern sich die Verdauungsprobleme ein wenig, aber das war es auch schon. Selbst nach 3 Monaten gibt es keine wesentliche Veränderung, nicht des Blutdrucks und nicht der anderen Beschwerden wie Schlaf, Angespanntheit usw.

Als Behandler frage ich mich, warum das so ist und packe weiter aus meiner „Trickkiste“ aus:

  • Labordiagnostik,

  • Mikronährstoffe in Form von Infusionen und/oder Tabletteneinnahme,

  • Aderlässe,

  • Beratung zum Thema Ernährung und Bewegung,

  • Messung der Herzratenvariabilität,

  • Akupunktur

  • usw.

All das ist gut und richtig und führt insgesamt sicher auch zu einer Verbesserung des Gesamtsystems, trotzdem bleiben Zweifel − Zweifel an der homöopathischen Therapie.

Warum wirkt mein scheinbar gut gewähltes Mittel nicht umfassend regulierend, wenn es doch so deutlich auf der Hand liegt, um welches es hier geht? Das ist doch der Anspruch der Homöopathie. Ist sie vielleicht nicht geeignet die arterielle Hypertonie zu behandeln?

Diese Frage steht genau so lange im Raum, bis man seinen ersten Patienten nur mit homöopathischen Medikamenten erfolgreich behandelt. Wenn selbst ein langjährig bestehender, scheinbar therapieresistenter Blutdruck deutlich nach unten geht, dabei auch auf anderen Ebenen des Patienten „Heilung“ eintritt, und das nur mit einer einzigen Mittelverschreibung, dann ist man versöhnt mit der Frage, ob die Homöopathie vielleicht die Hypertonie nicht behandeln kann. Es ist einfach so, wie schon Hahnemann uns gelehrt hat. Beim Finden des Simillimums kann die Krankheit gar nicht anders, als zu verschwinden. Wir müssen nur ganz genau hinsehen, den Menschen, der da vor uns sitzt im Detail erfassen und richtig verschreiben.


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Die Lösung des Falls

Im o. g. Fall kam die Lösung durch eine genaue Nachfrage der Situation in der Arbeitswelt des Patienten. Zunächst hatte ich nicht genau nachgefragt, was ihn dort so sehr stresst. Auch hier ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, was den Menschen, der hier um Rat bittet, antreibt und ausmacht. In diesem Fall saß ein männlicher Patient vor mir. Allein das ist schon eine sehr wichtige Information. Eine Frau hätte mir das Kernproblem, um das es geht, schon beim ersten Gespräch berichtet. Hier musste ich energisch und genauer nachfragen.

Es stellte sich heraus, dass sich mein Patient in einem inneren Konflikt befand. Je höher er die Karriereleiter nach oben stieg, desto unmenschlicher wurde auf den oberen Etagen agiert. Aktuell steckte er in dem Dilemma, dass man von ihm erwartete, einige Mitarbeiter aus seinem Team mit zur Not auch unlauteren Methoden aus der Firma zu bringen. Er sollte Berichte über angeblich falsches Verhalten schreiben, um diese Mitarbeiter loszuwerden. Dieser Konflikt war für ihn nicht lösbar und setzte ihn extrem unter Druck. Es stellte sich heraus, dass er ein extrem mitfühlender und gerechtigkeitsliebender Mensch war, der einer solchen Aufgabe in keiner Weise gewachsen war. Sie widersprach seinem zutiefst empfundenen Gerechtigkeitssinn. Da ihm aber seine private Situation nicht erlaubte, einfach zu kündigen und er bisher keine andere Lösung für sein Problem hatte, steckte er fest in diesem Konflikt und reagierte mit erhöhtem Blutdruck und den oben beschriebenen Symptomen. Diese entsprachen tatsächlich einem Nux-vomica-Zustand, aber darunter fand sich ein mitfühlendes, sensibles, gerechtigkeitsliebendes Wesen.

Mit Causticum C 200 ließ sich der Fall zumindest soweit verbessern, dass der Patient regulierter mit seinen Anforderungen und Emotionen und damit auch mit Schlaf und Kaffeekonsum umgehen und etwas gelassener werden konnte.

Hier noch ein weiteres faszinierendes Beispiel aus meiner Praxis, bei dem sich nur durch Verschreibung eines homöopathischen Mittels der Blutdruck senken ließ.


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Kasuistik 2: 52-jähriger Patient mit arterieller Hypertonie

Anamnese

Aktuelle Situation
In der Krankengeschichte gab es schon seit Längerem Phasen mit erhöhtem Blutdruck. Aktuell hatte sich die Situation seit ca. 10 Wochen verschlechtert. Er hatte nun einen manifesten arteriellen Hypertonus. Schon ein Jahr zuvor hatte er gelegentlich erhöhte Blutruckwerte. Bis dahin war es aber so, dass er diese mit Sport sofort wieder nach unten regulieren konnte. Eine Langzeitblutdruckmessung vor einem Jahr brachte unauffällige Ergebnisse.

Er ist 182 cm groß und wiegt 108 kg. Seit 10 Jahren läuft er Marathon, was man ihm bei seiner Statur nicht ansieht. Beruflich ist er immer unterwegs, er braucht eigentlich keine Wohnung. Den beruflichen Stress wechselt er ab mit Lauftraining und Marathons − er liebt es, so zu leben.

Er beschreibt folgendes Gefühl:

„Ich stehe ständig unter Gas und kann nicht schlafen deshalb, ich muss immer weitermachen. Dann folgt ein plötzliches Absacken der Energie, die totale Erschöpfung. Ich brauche dann sofort Schlaf. Nach ein paar Stunden Tiefschlaf bin ich dann wieder voll da und sofort wieder unter Vollgas. Zurzeit geht es beim Sport immer schlechter. Dieser ist für mich aber überlebenswichtig.“

Dazu beschreibt er Folgendes:

„Beim Sport habe ich meine Ruhe und den Kopf voller Sauerstoff − so kann ich denken, was sonst nicht geht. Ich laufe los, komme ins Atmen und nach einiger Zeit spüre ich, wie mein Kopf voll Sauerstoff ist. Dann kommen die Gedanken und damit die Problemlösungen wie von selbst.“

Von Beruf ist er so etwas wie ein Manager in einer Firma, die einerseits Produkte verkauft, andererseits große Events organisiert. Er ist dort nicht der Chef, was für ihn eigentlich gar nicht infrage kommt. Er findet sich immer wieder in der Situation, dass er Dinge tun muss, die sein Chef von ihm erwartet, obwohl er alles viel besser weiß und auch viel besser kann als sein Chef.

Körperlich berichtet er von einem starken Schwitzen beim Sport und im Alltag, das seit etwa 8 Wochen verschwunden ist. Außerdem fühlt er einen inneren Unruhezustand. Er muss immerzu etwas tun, raus, wegfahren. Wenn er irgendwo ein gutes Geschäft wittert, macht ihn das kribbelig und ist für ihn extrem spannend.

Wir vereinbarten einen Termin zur homöopathischen Erstanamnese eine Woche später.

Vorgeschichte
Die Probleme mit dem Blutdruck haben schon vor 5 Jahren begonnen. Er stellte damals einen plötzlichen Leistungsknick mit Schwindel fest. Der Internist diagnostizierte den arteriellen Hypertonus und verordnete ein Kombipräparat, einen ACE-Hemmer mit Diuretikum.

Bis vor 3 Wochen waren die gemessenen Blutdruckwerte bei 150/100 mmHg. Nun waren sie bei seinem Internisten unter der o. g. antihypertensiven Therapie bei 210/120 mmHg. Laut seinem Internisten sollte er nun noch Amlodipin dazu einnehmen.

Vor 12 Jahren hatte der Patient ein Hodenkarzinom links. Der linke Hoden wurde zusammen mit den befallenen Lymphknoten operativ entfernt. Es folgten 3 Zyklen mit Chemotherapie über 7 Monate. Seit einigen Jahren gilt er nach eigener Aussage als geheilt. Zu dieser Zeit hielt er sich für unbesiegbar. Er war bis dahin immer gesund gewesen. Die Beschwerden, mit denen er zum Urologen gegangen war, waren nur sehr gering. Die Diagnose Hodenkrebs hatte ihn eher herausgefordert als resignieren lassen. Von da an war er nach dem Motto: „Jetzt packen wir’s an!“ unterwegs.

Zehn Jahre nach der Hodenoperation entstand eine inkarzerierte Narbenhernie supraumbilikal im Bereich der Lymphadenektomienarbe. Die Therapie erfolgte mit einer weiteren Operation mit Bruchsackabtragung und Netzplastik. Diese Netzplastik macht ihm immer wieder unangenehme Schmerzprobleme.

Allgemeinanamnese
Der Patient schätzt seinen Appetit als normal ein, früher hat er sehr viel mehr gegessen. Er hat bayerisches Verlangen nach Fettem, wie Schweinebraten, nach Kartoffeln, Knödeln, Maggi und Bier. Auffällig ist ein extremes Verlangen nach Essigsaurem. Abneigung hat er eigentlich nur auf Kokosmilch. Verdauung hat er regelmäßig 1 × tgl. Er schläft zu wenig und wacht morgens unerfrischt auf. Die Schlafposition ist auf dem Rücken.

Kopf-zu-Fuß-Schema
Hier verneint er fast alle Fragen, nur Folgendes lässt sich erfahren: Irgendein Arzt hat irgendwann etwas von einer Fettleber gesagt. Er hat ca. 3 × pro Jahr einen Herpes labialis. Früher hatte er Warzen an den Füßen. Über erfolgte Impfungen weiß er nichts mehr. Sexuell hat er trotz eines fehlenden Hodens keine Probleme.

Gemüt
Seiner Selbsteinschätzung nach hat er ein hohes Selbstvertrauen, ist intuitiv, erfahren, genau und gewissenhaft. Bei der Frage nach Ängsten gibt er an, er hätte nur Angst zu sterben, denn „beim Sterben bist du ganz allein“. Mit Ärger kann er nach seiner Aussage gut umgehen, Laufen ist ein Ventil für ihn.

Wörtliche Aussagen: „Ich kann es nicht ertragen, wenn jemand besser ist als ich. Das gilt v. a. im Beruflichen, wenn jemand ranghöher ist als ich. Ich muss immer kämpfen, der Beste sein, das Beste geben. Ich weiß auch besser Bescheid als alle anderen. Trotzdem das tun zu müssen, was der Chef sagt, ist fast unerträglich.“

Er steht immerzu unter Hochspannung, als ob er dauernd auf Hochtouren laufen müsse, um nicht energetisch abzustürzen. Er hat einen genauen Plan, wie er das Beste erreicht. Wenn ihm jemand in die Quere kommt, wird z. T. auch rücksichtslos weiteragiert. Das Ziel ist weitaus wichtiger als die Personen, die daran beteiligt sind. Er ist sehr gruppensympathisch, immer der Mittelpunkt und Unterhalter einer Gruppe. Er gibt den Ton und die Richtung an, ist immer zum Spaßen aufgelegt, auffällig laut und immer schlagfertig. Es schwingt aber auch etwas sehr Verletzliches und Angstbesetztes mit.

Er ist ein „mächtiger“ Mann, der beim Hereinkommen energetisch den ganzen Raum ausfüllt. Er hat einen sehr aufrechten Gang. Optisch ist er ein dunkler Typ mit dunklen, vollen Haaren und vielen, buschigen, dunklen Augenbrauen.

Familienanamnese
Der Vater hatte einen Apoplex, die Mutter leidet an Diabetes mellitus.

Labor

  • CK 211 (bis 190 U/l)

  • GLDH 6,1 (bis 4,0 U/l)

  • Cholesterin gesamt 229 (bis 200 mg/dl)

  • Triglyzeride 275 (bis 200 U/l)

  • HDL 39 (ab 40 mg/dl)

  • LDL 138 (bis 190 mg/dl)

  • alle anderen Werte sind im Normbereich


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Erster Therapieversuch

Nach Repertorisation kam es zu einem ersten Therapieversuch mit Arsenicum album C 30 1 × pro Woche für 6 Wochen. Die geplante antihomotoxische Infusionsbehandlung konnte aufgrund der verheerenden Venensituation durch die Chemotherapie vor 12 Jahren nicht durchgeführt werden.

Verlauf
Zwei Monate nach der Mittelgabe kam der Patient zur Folgeanamnese und berichtete Folgendes: Am Abend der Mitteleinnahme hatte er das Gefühl, Kopfschmerzen zu bekommen, was aber nicht eingetreten ist. Seit der Mitteleinnahme hat er durch auffällig viele Blähungen einen aufgetriebenen Bauch, der sich nur ertragen lässt, wenn die Kleidung nicht zu eng ist. Ansonsten sieht er keine Veränderungen, auch nicht bei den gemessenen Blutdruckwerten.


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Erneute Repertorisation

Dieser Bericht des Patienten veranlasste mich, noch einmal zu repertorisieren. Nach einer Zeitspanne von 2 Monaten sollte sich wenigstens auf irgendeiner Ebene eine Verbesserung eingestellt haben. Da das nicht der Fall war, musste nach einem neuen, passenderen Mittel gesucht werden (Kasten 1).

Kasten 1

Repertoriumsrubriken von Ignis alcoholis (Feuer) zu diesem Fall

Gemüt

  • Verlangen nach Aktivität

  • eigensinnig

  • diktatorisch, Machtliebe

  • verträgt es nicht, behindert zu werden

  • schnell im Handeln

  • viele Wahnideen

  • Zorn durch Widerspruch

Abdomen

  • Auftreibung, Essen nach und Lockerung der Kleidung bessert (nach erster, falscher Mittelgabe verstärktes Symptom)

Allgemein

  • Anstrengung, körperliche bessert

  • Gehen im Freien bessert

Schon bei der ersten Repertorisation war Ignis alcoholis unter den ersten 10 Mitteln vertreten gewesen, mir aber nicht weiter aufgefallen, weil ich mich zunächst auf die „großen Mittel“ konzentriert hatte. Bei erneuter Berechnung stand es nun ganz vorne [Abb. 2]. Beim Studieren des Mittels erkannte ich einen passenden „roten Faden“, der sich sowohl durch die Dynamik des Mittels Ignis alcoholis (Feuer) als auch durch die Dynamik des Patienten zog. So kam es zur Verschreibung von Ignis alcoholis LM 6 tgl. 5 Tr. und C 200 1 × pro Woche 5 Glob. (Kasten 2)

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Abb. 2: Bei der erneuten Repertorisation stand Ignis alcoholis ganz vorn; grafische Darstellung mithilfe des Computerrepertoriums RADAR [1].

Kasten 2

Herstellung von Ignis alcoholis (Feuer)

Alkohol wird mit einer Kerze im Dunkeln entzündet. Das Gefäß wird vorsichtig geschwenkt, sodass der gesamte Alkohol mit dem Feuer in Kontakt kommt. Wenn annähernd alles verbrannt ist, wird 1 Tr. des Alkohols mit 99 Tr. Alkohol verdünnt und geschlagen, das ergibt die C 1.

Zum Verbrennen irgendeines Stoffes wird in jedem Fall Sauerstoff benötigt. Ein Fall, in dem ein Patient erzählt, es ginge ihm auf bestimmten Ebenen besser, wenn er viel Sauerstoff bekommt, verlangt nach einem Mittel, das existenziell mit der Zufuhr von Sauerstoff zu tun hat.

Verlauf
Nach etwa 8-wöchiger, halbwegs regelmäßiger Mitteleinnahme kam der Patient erneut zur Folgeanamnese in die Praxis. Er hatte keine weitere blutdrucksenkende Medikation dazu genommen, wie es ihm sein Internist angeraten hatte und berichtete von folgender Entwicklung der Blutdruckwerte in letzter Zeit:

  • 210/116 mmHg

  • 186/105 mmHg

  • 178/104 mmHg

  • 158/100 mmHg

  • 150/98 mmHg

  • 182/105 mmHg

  • 176/106 mmHg

  • 167/98 mmHg

Seine Blutdruckwerte waren deutlich niedriger geworden, ohne dass er sonst etwas verändert hatte. Insgesamt fühlte er sich bei Weitem nicht mehr so getrieben, nicht mehr so unter Hochspannung wie in den letzten Jahren. Sein Schlaf war auch deutlich besser. Er fiel nicht mehr nach diesen überaktiven, getriebenen Phasen in einen komatösen Schlaf, sondern alles war regulierter. Das Getriebene hatte sich gebessert, der Schlaf war entsprechend normaler.

Es kam aber zu einem für ihn neuen Problem: Er hatte jetzt das Gefühl, nicht mehr so viel Motor zur Arbeitsleistung zu haben. Seit Jahren hatte er sein Leben und seine berufliche Kompetenz in einem unglaublich schnellen Tempo und mit einer enormen Energie gelebt. Jetzt war das anders. Das bekannte Gefühl, allem gewachsen zu sein, war ihm verloren gegangen. Das beunruhigte ihn, er kannte das so nicht und konnte nicht glauben, dass das gut für ihn sein kann. Er befürchtete, ohne dieses getriebene Gefühl unterm Strich nicht das gleiche Erfolgsergebnis haben zu können, wie in den letzten Jahren. Darauf kam es ihm aber am meisten an.

Außerdem kam es noch zu einem weiteren Problem, das man auch aus der Therapie mit allopathischen Antihypertensiva kennt: zu Erektionsstörungen. Verständlicherweise war der Patient von dieser Entwicklung nicht begeistert. Ein aufklärendes Gespräch darüber, dass das eine tolle Mittelwirkung war und sich mit etwas Geduld vermutlich auf allen Ebenen − also auch auf der sexuellen Ebene − mit einer so umfassenden Wirkung eine ausgeglichene Regulation einstellen könne, hatte leider keinen Erfolg.

Aufgrund der Bedenken bez. seiner Leistungsfähigkeit im Job und seiner Erektionsprobleme brach der Patient die Behandlung an diesem Punkt ab und erhöhte die Blutdruckmedikation des Internisten. Bisher kam es zu keiner Wiedervorstellung in meiner Praxis.


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Diskussion

Dieser Fall hat viele Aspekte, über die man nachdenken kann. Der Therapieabbruch seitens des Patienten ist sehr schade, zeigt uns aber auf eine spezielle Weise, wo die Grenzen der Therapien sind. Der Patient hatte hier eine hervorragende Möglichkeit, Gesundung und Regulation auf vielen Ebenen zu erfahren, was er aber am Ende abgelehnt hat. Auf der anderen Seite ist seine Reaktion auf das, was er in der Therapie erlebt hat, verständlich und sehr menschlich.

Unsere Patienten haben nicht unseren Wissenshintergrund, wie Regulationsmedizin funktioniert. Man kann als Therapeut diese komplexen umfassenden anderen Denkansätze nicht in 2 Gesprächen in der Praxis vermitteln. Dafür sind die Techniken der „wissenschaftlichen“, allopathischen Medizin der letzten 100 Jahre einfach zu sehr in den Köpfen verankert. Das Einzige, was man tun kann, ist Möglichkeiten eines anderen Weges aufzuzeigen. Gehen muss der Patient diesen Weg aber selbst.

Mich hat dieser Fall trotz allem sehr versöhnlich gestimmt. Meine Zweifel an der klassischen Homöopathie und der Behandlung der Hypertonie durch sie haben sich in Luft aufgelöst. Wenn wir das Simillimum finden, das den gesamten Fall und den gesamten dazugehörigen Menschen im Auge hat, löst sich am Ende alles in gesunder Regulation auf. Bei der Behandlung dieser beiden Patienten habe ich wieder einiges von ihnen gelernt.


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Ursula Eder, Medizinstudium, Promotion 1994, Master für Kulturwissenschaften & Komplementäre Medizin; ärztl. Tätigkeit in Anästhesie/Chirurgie/Allgemeinmedizin, Zusatzbez. für Homöopathie & Akupunktur, Homöopathie-Diplom; seit 2006 eigene Praxis; Dozentin für die IGHH und an der Europauniversität Viadrina für Komplementärmedizin; Vorstandsmitglied der IGBM.

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Interessenkonflikte: Die Autorin erklärt, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen bestehen.

  • Literatur

  • 1 RADAR Version 10 5.003 für Windows/Synthesis Treasure Edition. Assesse: Archibal Homeopathic Software. 2009.
  • 2 Eising N. Feuer (Ignis alcoholis). Die Prüfung. Zweibrücken: Müller; 1998.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Ursula Eder
Praxis für Homöopathie,
Akupunktur und Regulationsmedizin
Münchner Str. 66a
85221 Dachau
URL: www.dreder.de   

  • Literatur

  • 1 RADAR Version 10 5.003 für Windows/Synthesis Treasure Edition. Assesse: Archibal Homeopathic Software. 2009.
  • 2 Eising N. Feuer (Ignis alcoholis). Die Prüfung. Zweibrücken: Müller; 1998.

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Abb. 1: Wenn der Hausarzt das dritte Medikament gegen den hohen Blutdruck verordnet hat, beginnen viele Patienten über alternative Behandlungsmethoden nachzudenken. © Stefan Redel/Fotolia
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Abb. 2: Bei der erneuten Repertorisation stand Ignis alcoholis ganz vorn; grafische Darstellung mithilfe des Computerrepertoriums RADAR [1].