Notfallmedizin up2date 2014; 9(2): 171-190
DOI: 10.1055/s-0033-1357947
Rettungsdienst
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wasserunfälle

Jan Wnent
,
Holger Maurer
,
Christian Treder
,
Wolfgang Baumeier
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Publication History

Publication Date:
10 June 2014 (online)

Kernaussagen
  • Nach der international empfohlenen Definition spricht man von Ertrinken, wenn eine Person unter eine Flüssigkeitsoberfläche gerät (Submersion) oder zumindest Gesicht und Atemwegsöffnungen in eine Flüssigkeit eintauchen (Immersion) und es deshalb zu einer primär respiratorischen Beeinträchtigung kommt. Eine Flüssigkeits-Luft-Grenzfläche liegt am Eingang des Atemwegs vor, sodass keine Luft geatmet werden kann. Diese Definition ist unabhängig vom Outcome.

  • Die Ursache für einen Kreislaufstillstand im Rahmen des Ertrinkens ist die Hypoxie. Sie entsteht durch initiale Apnoe, Lungenemphysem, Lungenödem und akutes Lungenversagen. Sofern nicht bereits während des Ertrinkungsunfalls die Rettung stattfindet, aspirieren nahezu alle Ertrinkenden Flüssigkeit.

  • Bei jedem Ertrinkungsunfall müssen Begleitverletzungen ausgeschlossen werden.

  • Bei einer Körperkerntemperatur von unter 35 °C liegt eine Hypothermie vor. Bestimmte Personen (Kinder, Alte, Kranke, bewusstseinsgetrübte Personen) haben ein erhöhtes Risiko für eine Hypothermie. Im Wasser tritt eine Hypothermie deutlich schneller ein als in trockener, windstiller Umgebung.

  • Wichtige klinische Unterscheidungsparameter zur Beurteilung einer Hypothermie sind das Kältezittern, das Bewusstsein und einfache Vitalfunktionen. Nach dem gebräuchlichen Swiss Staging System bedeutet eine Hypothermie I die Unterkühlung einer bewusstseinsklaren Person mit Frieren und Kältezittern, bei Hypothermie II wird der Patient schläfrig und das Shivering verschwindet. Hypothermie III impliziert hypothermiebedingte Bewusstlosigkeit, Hypothermie IV einen Atem- und Kreislaufstillstand und Hypothermie V den Tod.

  • Zur exakten Bestimmung der Körperkerntemperatur eignet sich die ösophageale Messung; eine Alternative ist die epitympanale Messung. Es muss ein Thermometer verwendet werden, das auch niedrige Temperaturen genau anzeigen kann. Man kann zwischen milder (35–32 °C), moderater (32–28 °C) und schwerer (unter 28 °C) Hypothermie unterscheiden.

  • Bei einem Afterdrop sinkt die Körperkerntemperatur nach Ende der Kälteexposition weiter.

  • Dem Bergungskollaps (kaltes Schalenblut gelangt in den zentralen Kreislauf, gleichzeitiger Verlust des hydrostatischen Drucks) sollte durch sachgemäße, schonende und waagerechte Rettung vorgebeugt werden.

  • Die Rettung in küstennahen Abschnitten wird gemeinhin durch ausgebildete Rettungsschwimmer und Wasserretter wahrgenommen. Die Ausbildung umfasst neben der Rettungstechnik auch notfallmedizinische Kenntnisse. Die technische Ausstattung reicht von einfachen Rettungsbrettern über Jet-Skis bis zu Booten. Durch Gefährdungsanalysen, Einsatzplanung und Training sollte das Risiko für den Helfer so gering wie möglich gehalten werden.

  • Auf hoher See sind zunehmend Rettungsgeräte im Einsatz, die eine waagerechte und passive Rettung ermöglichen, um einen Bergungskollaps zu vermeiden. Die Anforderungen an die Geräte sind vielfältig und berücksichtigen neben der Sicherheit von Helfer und zu rettender Person auch die durch widrige Wetterumstände etc. gegebenen Besonderheiten.

  • Die Therapie der pulmonalen Schädigung beim Ertrinkungsunfall soll je nach Schwere des Krankheitsbildes (Lungenödem bis Lungenversagen) durch Sauerstoffgabe, CPAP oder invasive Beatmung erfolgen. Auch primär asymptomatische Patienten können sich im Verlauf respiratorisch verschlechtern.

  • Eine Hypothermie I kann durch warme Umgebung, Bekleidung und Getränke sowie Bewegung gebessert werden. Sobald kein Kältezittern mehr vorhanden ist und sich Bewusstseinstrübung zeigt, wird ein kontinuierliches Kreislauf- und Atmungs-Monitoring erforderlich. Für das Erwärmen stehen zunächst nichtinvasive, bei noch niedrigerer Körperkerntemperatur auch invasive Maßnahmen zur Verfügung. Ab Hypothermie II sind aktive und passive Bewegungen des Patienten zu vermeiden. Das Risiko maligner Herzrhythmusstörungen steigt bei sinkender Temperatur an.

  • Jede Form von Herz-Kreislauf-Stillstand erfordert die zügige und hochqualitative Reanimation, bei der insbesondere Wert auf die Basismaßnahmen (unterbrechungsfreie Herzdruckmassage und Beatmungen) gelegt werden soll.

  • Beim Ertrinken steht die Behebung der Hypoxie im Vordergrund der erweiterten Maßnahmen der Reanimation. Häufig benötigen die Patienten intravenöse Flüssigkeitsgaben.

  • Bei hypothermiebedingtem Kreislaufstillstand muss fortwährend kardiopulmonal reanimiert werden. Die Wiedererwärmung soll, ab einer Körperkerntemperatur unter 28 °C, wenn möglich, an einer Herz-Lungen-Maschine oder ECMO erfolgen. Die Defibrillation sollte bei Patienten mit einer Körperkerntemperatur unter 30 °C nur maximal 3-mal versucht werden und erst nach Erreichen dieser Temperatur erneut durchgeführt werden. Auch die Medikamentengabe ist unter 30 °C nicht zielführend, zwischen 30 °C und 35 °C sollten verdoppelte Dosierungsintervalle gewählt werden.

  • Auch nach erfolgreicher Reanimation bei Ertrinken und akzidenteller Hypothermie sollte eine therapeutische Hypothermie (32–34 °C für 12–24 Stunden) erwogen werden.

 
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