Abkürzungen
CT:
Computertomografie
NO:
Stickstoffmonoxid
NANC:
nonadrenerg, noncholinerg
POI:
postoperativer Ileus
Definition
Die Definition des Ileus ist leider sehr unscharf und subsumiert eine Reihe von Störungen.
Im angloamerikanischen Sprachgebrauch wird der Begriff Ileus lediglich für Paralyse
des Darms gebraucht. Der mechanische Ileus wird hier als Obstruktion bezeichnet. Im
folgenden Artikel soll vor allem auf die mechanische Obstruktion eingegangen werden. Allerdings ist der paralytische Ileus häufig eine Komponente der mechanischen Obstruktion und der sich im Verlauf entwickelnden
Ileuskrankheit. Um beide Begriffe scharf voneinander trennen zu können, werden im gesamten
Text die Begriffe mechanische Obstruktion oder paralytischer Ileus konsistent verwendet.
Der postoperative Ileus, als weitere Sonderform der Erkrankung, ist im weitesten Sinn ein paralytischer Ileus,
welcher durch das operative Trauma von z. B. abdominalchirurgischen Eingriffen verursacht
wird. Die Pathophysiologie dieser Sonderform des Ileus ist experimentell in den letzten
Jahren gut untersucht worden und wird im letzten Abschnitt ausführlich beschrieben.
Ätiologie
Die mechanische Obstruktion wird in der Regel durch ein mechanisches Hindernis ausgelöst, welches schließlich
zur Okklusion des Darmlumens führt. Als Ursache kommen z. B. Briden, Adhäsionen, Tumoren, Fremdkörper sowie Gallensteine in Betracht.
Eine mechanische Obstruktion kann aber auch durch eine Einklemmung des Darms im Rahmen
einer inkarzerierten Hernie, eines Volvulus oder einer Invagination entstehen. Die
Patienten, die diese Form der mechanischen Obstruktion entwickeln, zeigen häufig das
Bild eines akuten Abdomens.
Eine weitere Möglichkeit der Differenzierung kann anhand der Lokalisation erfolgen. So können wir zwischen Obstruktionen, die den Dünndarm oder den Dickdarm
betreffen, unterscheiden. Inkarzerierte Hernien oder Briden nach vorangegangenen chirurgischen
Eingriffen führen häufig zu einer Obstruktion im Bereich des Dünndarms. Als weitere
wichtige Ursache für eine mechanische Dünndarmobstruktion ist die Peritonealkarzinose zu nennen. Diese ist häufig mit Tumoren des kolorektalen
Karzinoms, Ovarialkarzinoms oder auch des Magenkarzinoms vergesellschaftet. Da der
Dünndarm dem Dickdarm vorgeschaltet ist, kann auch eine Dickdarmobstruktion konsekutiv zu einem Dünndarmproblem führen.
Verwachsungen und Briden
Es ist anzunehmen, dass die Zahl an Verwachsungen und Briden aufgrund des Einsatzes
laparoskopischer Operationstechniken in Zukunft abnehmen wird. Dieser Effekt wird
höchstwahrscheinlich durch eine Zunahme an Obstruktionen durch Tumorerkrankungen in
einer alternden Gesellschaft wieder ausgeglichen werden.
Pathophysiologie
Der paralytische Ileus zeichnet sich durch eine verminderte Funktion der Darmwandmuskulatur aus, was in
einer verringerten oder aufgehobenen Motilität resultiert. Die primäre Form des paralytischen Ileus ist selten und kommt bei Myopathien oder Neuropathien vor.
Die wesentlich häufigere sekundäre Form kann neben der mechanischen Obstruktion eine Vielzahl von Ursachen haben (Tab. [1]).
Tabelle 1 Ursachen des paralytischen Ileus.
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Art der Ursache
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Ursachen
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reflektorisch
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postoperativ nach abdominellen oder retroperitonealen Operationen, retroperitoneales
Hämatom, Frakturen (z. B. Wirbelkörper), Harnverhalt, Gallenkolik, Nierensteine, Stieldrehung
des Ovars, Hodentorsion, Ogilvie-Syndrom
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infektiös
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intra- oder retroperitoneale Infektionen (z. B. bakterielle Peritonitis, intraabdominelle
Abszesse), pseudomembranöse Kolitis, entzündliche Darmerkrankungen, bakterielle oder
parasitäre Darminfektionen, Pankreatitis
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medikamentös
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Opioide, Katecholamine, Antidepressiva, Neuroleptika mit anticholinerger Wirkung
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metabolisch
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Urämie, Elektrolytstörungen (insbesondere Hypokaliämie), diabetische Azidose
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toxisch
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Endstadium des mechanischen Ileus, Megakolon bei Colitis ulcerosa, Pankreatitis, Bleivergiftung
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vaskulär
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arterielle mesenteriale Ischämie (Mesenterialinfarkt), nicht okklusive mesenteriale
Ischämie
|
Krankheitsverlauf bis zum Vollbild der Ileuskrankheit. Dem paralytischen Ileus liegt eine herabgesetzte oder ungeordnete Aktivität von Myozyten
der Darmwand zugrunde. Die resultierende Dysmotilität führt zu einer Stase von Flüssigkeit
und Darminhalt. In Folge entsteht ein erhöhter intraluminaler Druck mit intestinaler
Dilatation. Es kommt zu einer inflammatorischen Reaktion mit Invasion neutrophiler
Granulozyten in die Muskulatur der Darmwand und zu einer Freisetzung von Stickstoffmonoxid
(NO). Durch die dadurch hervorgerufene Schädigung der Myozyten wird die intestinale
Dilatation im Sinne eines Circulus vitiosus weiter verschärft. Der Anstieg der Darmwandspannung
führt zur Schädigung der Mikrozirkulation und zu einem Darmwandödem. Flüssigkeit strömt
in das Darmlumen und führt zur Hypovolämie und Elektrolytstörungen. Die intestinale
Stase führt zudem zu einer vermehrten bakteriellen Überwucherung. Aufgrund des hypoxiebedingten
Zusammenbruchs der Mukosabarriere findet eine vermehrte bakterielle Dislokation, systemische
Endotoxineinschwemmung und Durchwanderungsperitonitis statt. Es kann sich schließlich
das Vollbild der Ileuskrankheit mit
Hypovolämie, septischem Schock und Multiorganversagen entwickeln. Die Flüssigkeits-
und Elektrolytverluste werden durch das hypomotilitätsbedingte Erbrechen weiter verstärkt.
Die Folgeprobleme der Ileuskrankheit können verschiedene Organsysteme betreffen:
-
hämodynamische Instabilität durch Hypovolämie
-
abdominelles Kompartmentsyndrom
-
erhöhter intrathorakaler Druck infolge der abdominellen Distension mit verschlechterter
Atemmechanik
-
Minderperfusion der Leber durch venöse und portalvenöse Druckerhöhung
-
renale Minderperfusion mit Niereninsuffizienz
-
Aspirationspneumonie bei Erbrechen
Postoperativer Ileus
Eine Sonderstellung nimmt der postoperative Ileus ein. Durch die Manipulation bei
einer Laparotomie wird eine Entzündungskaskade aktiviert, die eine transiente Verminderung
der muskulären Kontraktilität bewirkt. Diese Form des paralytischen Ileus tritt regelmäßig
nach größeren abdominellen, retroperitonealen, neurochirurgischen und orthopädischen
Operationen auf und sollte innerhalb von 72 Stunden selbstlimitierend sein. Die Pathogenese
des postoperativen Ileus wurde in den letzten Jahren umfassend grundlagenwissenschaftlich
untersucht und würde den Umfang dieser Abhandlung
sprengen.
Klinische Symptomatik
Typische Zeichen der mechanischen Obstruktion sind kolikartige abdominelle Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen sowie Stuhlverhalt.
Es gilt jedoch zu beachten, dass, je nach Lokalisation der mechanischen Obstruktion,
Übelkeit und Erbrechen oder aber auch der Stuhlverhalt fehlen können. So kann bei
einem hohen Dünndarmileus die Darmpassage noch intakt sein, dagegen bei einer mechanischen
Obstruktion im Bereich des distalen Kolons Übelkeit und Erbrechen fehlen.
Beim paralytischen Ileus findet man gehäuft Singultus, schwallartiges Erbrechen und Stuhlverhalt. Das Abdomen
ist meist distendiert. Auskultatorisch fehlt die Peristaltik (sog. Totenstille). Im
Gegensatz zum mechanischen Ileus liegen keine kolikartigen Schmerzen vor, sondern
es überwiegt häufig ein diffuser Bauchschmerz. Die Bauchdecke kann weich sein, oder
aber bei bereits stattgefundener Durchwanderung oder einer auslösenden Peritonitis
bretthart sein.
Die zugrunde liegenden Ursachen der mechanischen Obstruktion und des paralytischen Ileus können unterschiedlich sein. Sie haben jedoch gemeinsam, dass sie, sollte nicht rechtzeitig
interveniert werden, in die gemeinsame Endstrecke der Ileuskrankheit münden. Dabei
kommt es unter Vermittlung des intrinsischen und extrinsischen Nervensystems des Gastrointestinaltrakts
zu Elektrolytstörungen, die nachfolgend zu Hypovolämie mit Tachykardie und Hypotonie
führen können.
Im weiteren Verlauf sind die Symptome der Folgeprobleme zu beobachten, wie Anurie,
Kreislaufinstabilität oder Dyspnoe. Bei Persistenz der Passagestörung kommt es zu
Translokation von Darmkeimen durch die Darmwand oder noch gravierender zur Perforation
des Darms, was zu einer massiven Entzündungsreaktion, generalisierter Peritonitis
bis hin zum Vollbild des septischen Schocks führen kann.
Diagnostisches Vorgehen
Aufgrund der Schwere des Krankheitsbilds benötigen Patienten, die sich mit dem Bild
einer mechanischen Obstruktion oder des paralytischen Ileus präsentieren, eine dringliche
Abklärung. Die Diagnostik beider Krankheitsbilder ist im Wesentlichen identisch. Hierzu
zählen Blutuntersuchungen, interventionelle Untersuchungen sowie bildgebende Verfahren.
Spezifische Laborparameter existieren nicht. Die typische Labordiagnostik umfasst ein Blutbild (Hämatokrit, Leukozytose), Elektrolyte (insbesondere Hypokaliämie),
Kreatinin und Harnstoff (Niereninsuffizienz, Urämie), Gerinnung und eine Blutgasanalyse
(Säure-Basen-Status, Laktat).
Laboruntersuchungen
Laboruntersuchungen helfen bei der Diagnosefindung kaum, stellen jedoch einen wichtigen
Bestandteil des Workups dar. Insbesondere lässt sich damit der Schweregrad der Erkrankung
abschätzen.
Die Abdomenübersicht im konventionellen Röntgen hat eine hohe Sensitivität von bis zu 98 % in der Diagnosestellung. Die Untersuchung
wird typischerweise stehend oder in Linksseitenlage durchgeführt. Als klassischer
Befund zeigen sich Spiegel und stehende Dünndarmschlingen bei überwiegender Dünndarmbeteiligung
sowie ein überblähtes Zökum bei Fokus im Kolon (Abb. [1]).
Abb. 1 Ileus mit stehenden Schlingen und Flüssigkeitsspiegeln in der konventionellen Röntgen-Abdomen-Übersicht.
a Röntgenübersicht des Abdomens im Stehen. b Röntgenübersicht des Abdomens in Linksseitenlage.
Cave. Eine Unterscheidung zwischen mechanischer Obstruktion und paralytischem Ileus
ist in der Abdomenübersicht nicht sicher möglich.
Hilfreich in der Differenzierung der mechanischen Obstruktion vom paralytischen Ileus
kann die Sonografie des Abdomens sein. Bei abdominellen Notfällen ist die Sonografie oft die Methode
der ersten Wahl. Bei Darmpassagestörungen kann der Ultraschall des Abdomens flüssigkeitsgefüllte
Darmschlingen nachweisen. Freie Flüssigkeit im Abdomen kann ein Hinweis für eine stattgehabte
Darmperforation sein. Fehlende Peristaltik deutet auf eine Paralyse des Darms hin.
Allerdings ist die Beurteilbarkeit insbesondere im späteren Stadium durch Darmgasüberlagerung
eingeschränkt. Die Untersuchung ist darüber hinaus sehr untersucherabhängig und schlecht
demonstrierbar. Sie ist trotz flächendeckender Verfügbarkeit in dieser Situation nicht
als Standard anzusehen.
Die Computertomografie (CT) des Abdomens kann neben der Diagnose der mechanischen Obstruktion und der des
paralytischen Ileus auch in der Differenzialdiagnose und in der Abklärung möglicher
Ursachen hilfreich sein. So spricht ein definierter Passagestopp (z. B. enge Ileumschlinge
mit oral davon gelegener Distension) differenzialdiagnostisch für ein mechanisches
Problem, ein ubiquitär dilatierter Dünndarm eher für einen paralytischen Ileus. Auslösende
Faktoren für einen paralytischen Ileus können dargestellt werden, z. B. ein retroperitoneales
Hämatom oder eine
Pankreatitis (Abb. [2]).
Abb. 2 Computertomografie des Abdomens mit oralem und intravenösem Kontrastmittel derselben
Patientin. Es zeigt sich ein ausgedehntes retroperitoneales Hämatom rechtsseitig als
Ursache des paralytischen Ileus. Auslösend war eine spontane Lumbalarterienblutung
unter oraler Antikoagulation. a Koronale Schnittführung. b Axiale Schnittführung.
Zudem können mit der CT die mesenteriale Perfusion und die Durchblutung der Darmwand
beurteilt werden. Die Untersuchung sollte deshalb wenn möglich immer mit oralem und
intravenösem Kontrastmittel durchgeführt werden. Die rektale Kontrastmittelapplikation ist zur Beurteilung des
Kolons ebenfalls hilfreich. Die in der Vergangenheit durchgeführten Kolonkontrasteinläufe
mit wasserlöslichem Kontrastmittel sind aufgrund der nur sehr eingeschränkten Aussagekraft
eigentlich obsolet, zumal das heute in der Breite verfügbare CT bei rektaler Füllung
deutlich mehr Informationen
liefert.
Die Magnetresonanztomografie spielt in der Akutdiagnostik der mechanischen Obstruktion sowie des paralytischen
Ileus derzeit noch keine Rolle. Allerdings wird die mit endoluminal appliziertem Kontrastmittel
kombinierte MR-Sellink-Untersuchung bei subakuten Stenosen des Dünndarms bei Morbus-Crohn-Patienten regelhaft eingesetzt.
Eine Koloskopie kann im Einzelfall für die Diagnosesicherung ebenfalls sinnvoll sein. Dieses diagnostische
und gleichzeitig interventionelle Verfahren bietet den Vorteil, eine bestehende mechanische
Obstruktion im distalen Kolon mittels Entlastungssonde oder Stent versorgen zu können.
Beim paralytischen Ileus kann es notwendig sein, das Kolon durch Absaugung zu entlasten.
Therapeutisches Vorgehen
Mechanische Obstruktion und paralytischer Ileus
Die Therapie der mechanischen Obstruktion und des paralytischen Ileus verfolgt zwei
Ziele:
Therapeutisches Vorgehen beim paralytischen Ileus
Der paralytische Ileus wird meist konservativ behandelt. Eine Indikation zur chirurgischen Intervention ergibt sich bei
-
ausgeprägter Darmdistension mit Gefahr der Ischämie und Ruptur (Zökumdurchmesser > 10 cm),
-
operativ zu behandelnden auslösenden Faktoren (z. B. intraabdomineller Abszess, Anastomoseninsuffizienz)
sowie
-
toxischem Megakolon infolge einer Colitis ulcerosa.
Die konservative Therapie des paralytischen Ileus umfasst folgende wesentliche Punkte:
-
Anlage einer Magensonde zur Entlastung des Magens und oberen Dünndarms sowie zur Vermeidung
einer Aspiration
-
Anlage eines Urinkatheters zur Bilanzierung. Über den Blasenkatheter kann zudem der
intraabdominelle Druck gemessen und ein Kompartmentsyndrom rechtzeitig erkannt werden.
-
Volumentherapie, Ausgleich der Elektrolytstörung und des Säure-Basen-Haushalts, intensivmedizinische
Therapie eventueller Sepsisfolgen
-
antibiotische Therapie bei bakterieller Translokation (z. B. Cephalosporin der dritten
Generation, Metronidazol)
-
ggf. das koloskopische Einbringen einer Entlastungssonde zur Dekompression des Kolons
(zur Vermeidung von Drucknekrosen nicht länger als 72 Stunden belassen)
-
prokinetische Therapie, laxierende Maßnahmen
-
Beseitigung auslösender Faktoren, z. B. Absetzen einer auslösenden Medikation oder
Therapie einer Urämie
-
Aufnahme auf Intensivstation
Für die peristaltikanregende Therapie wird eine Vielzahl von Medikamenten verwendet, deren Nutzen in der Regel jedoch nicht
hinreichend evidenzbasiert belegt ist. Die Applikation (Dosierung, Anwendungsdauer)
ist zudem klinikindividuell sehr unterschiedlich. Es werden vor allem Cholinergika
intravenös verwendet wie Neostigmin, welches die Kontraktilität von Dünn- und Dickdarm
steigert (0,4–0,8 mg in 24 h oder 2,5 mg über 5–60 min). Unter der Therapie können
Krämpfe und Erbrechen auftreten. Als weitere prokinetische Substanzen werden Dopaminantagonisten
wie
Metoclopramid oder Serotoninagonisten wie Cisaprid eingesetzt. Als Motilinagonist
wird Erythromycin, ein Makrolidantibiotikum, verwendet (Off-Label-Use, 3–4-mal 200–250 mg
i. v. oder 3-mal 0,5 g p. o.).
Therapeutisches Vorgehen bei mechanischer Obstruktion
Bei einer mechanischen Obstruktion hingegen ist die Therapie der Wahl meist die Operation oder die bereits oben beschriebenen interventionellen Verfahren. Letztere dienen dabei häufig nur dem Bridging. Eine Operation kann in der Regel
nicht vermieden werden. Sollte der klinische Befund soweit fortgeschritten sein, dass
bereits eine Abwehrspannung vorliegt, ist die sofortige Operation indiziert. Korrespondieren
die abgenommenen Laborparameter und die angefertigte Bildgebung mit dem klinischen
Befund, so ist der Patient akut gefährdet und muss umgehend operiert
werden. Dann muss befürchtet werden, dass bereits eine Peritonitis bzw. Strangulation
mit Durchblutungsstörung vorliegt (Abb. [3]).
Abb. 3 Mechanische Obstruktion. a Mechanische Obstruktion durch Strangulation des Dünndarms durch eine innere Hernie.
b Resektat mit bereits nekrotischen Dünndarmanteilen.
Allgemeingültige Regeln, wann operiert werden soll, gibt es jedoch nicht. In Zusammenschau
aller klinischen und apparativen Befunde muss für jeden einzelnen Patienten eine individuelle
Entscheidung getroffen werden.
Prognose
Die Prognose der mechanischen Obstruktion und des paralytischen Ileus ist sowohl von
der Grundkrankheit als auch von den systemischen Folgen der Krankheit abhängig. Generell
wird bei Dünndarmbeteiligung eine Letalität von 5 % angegeben, für den Dickdarm von
15–35 %, allerdings ohne Unterscheidung zwischen mechanischem und paralytischem Ileus.
Problematisch sind die teilweise schwierige Differenzialdiagnose und das häufig schwer
verlaufende und intensivpflichtige Krankheitsbild.
Postoperativer Ileus
Einleitung
Der postoperative Ileus (POI) ist eine Sonderform des paralytischen Ileus, die nach
operativen Eingriffen, vor allem in der Bauchhöhle, auftreten kann.
Er führt – selbst ohne das Auftreten der weiter oben beschriebenen schwerwiegenden
Komplikationen – zu einer gesteigerten postoperativen Morbidität, hat meist einen verlängerten Krankenhausaufenthalt zur Folge und führt zu einem nicht unerheblichen Anstieg der Behandlungskosten.
In den USA wurde für das Jahr 2000 angenommen, dass Motilitätstörungen nach Operationen
im Bauchraum zu einem finanziellen Mehraufwand von einer Milliarde Dollar pro Jahr
führen. Auch in Deutschland dürfte eine dreistellige Euro-Millionensumme pro Jahr
überschritten werden, insbesondere, wenn auch indirekte Kosten wie beispielsweise
die verlängerte Arbeitsunfähigkeit mit einbezogen werden. Dieser Aspekt der Behandlung
gewinnt erheblich an Bedeutung, da nach Einführung der Diagnosis related Groups in
Deutschland der wirtschaftliche Druck, zumindest kostenneutral zu
arbeiten, zunimmt.
Aus diesen finanziellen Kostenüberlegungen ergibt sich die Notwendigkeit, die postoperativen
Liegezeiten weiter zu verkürzen und den postoperativen Ileus frühzeitig zu behandeln
oder möglichst ganz zu vermeiden – ganz abgesehen von den schwerwiegenden Beeinträchtigungen
des Wohlbefindens der betroffenen Patienten, die weiterhin im Zentrum ärztlichen Handelns
stehen.
Die Remission des postoperativen Ileus erfolgt bei leichtem Verlauf (unkomplizierter postoperativer Ileus) spontan innerhalb
von zwei bis drei Tagen und stützt sich auf die Wiederherstellung und Normalisierung
der physiologischen gastrointestinalen Peristaltik, die sich häufig durch das Auftreten
von Darmgeräuschen und Flatulenz ankündigt sowie durch die Toleranz oraler Nahrungszufuhr
gekennzeichnet ist.
Die Erholung der gastrointestinalen Motilität folgt dabei einem relativ gut vorhersagbaren zeitlichen Muster: Die Wiederherstellung
der Dünndarmfunktion erfolgt am schnellsten und durchschnittlich bereits fünf bis
zehn Stunden nach dem chirurgischen Eingriff, wohingegen sich die Funktion des Magens
erst nach 24–48 Stunden erholt und der Dickdarm sogar erst nach drei bis vier Tagen
wieder vollständig funktionsfähig wird.
Die Wiederherstellung der Funktion des Dickdarms stellt somit den limitierenden Faktor
innerhalb der Remission des postoperativen Ileus dar.
Ergibt sich eine Erholung der Magen-Darm-Funktion nicht spontan, sondern zeigen sich
im Gegenteil Symptome, die einen schweren paralytischen Verlauf des postoperativen
Ileus vermuten lassen, müssen weitergehende therapeutische Konsequenzen ergriffen
werden.
Neben der postoperativ standardmäßig durchgeführten Schmerztherapie kommt der Dekompression des Magen-Darm-Trakts eine besondere Bedeutung zu. Bei fortgeschrittener Darmatonie bzw. bei länger bestehendem
POI mit Übelkeit und Erbrechen erfolgt das Legen einer Magensonde, um eine Entlastung des Magens und Dünndarms zu erreichen und weitere Komplikationen
wie eine drohende Aspiration zu vermeiden. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und der Ausgleich von Elektrolytimbalancen stehen nach wie vor an erster Stelle der
Therapie. Darüber hinaus können
Prokinetika und Abführmaßnahmen eingesetzt werden.
Generell haben alle beschriebenen Maßnahmen weitgehend einen eher supportiven Charakter.
Diese Tatsache liegt darin begründet, dass nach wie vor ein nur unvollkommenes Verständnis
des Krankheitsbilds existiert, sowohl hinsichtlich der einzelnen pathophysiologischen
Mechanismen, die bei der Entstehung des postoperativen Ileus eine Rolle spielen, als
auch hinsichtlich deren jeweiliger Gewichtung im zeitlichen Verlauf der Erkrankung.
Grundlagen der Pathophysiologie des postoperativen Ileus
In den letzten Jahren hat sich das Spektrum möglicher Ursachen für die Entstehung
des postoperativen Ileus stark erweitert.
Neben einer Beteiligung sympathisch vermittelter Reflexe wurde auch die Wirkung inhibitorischer humoraler Substanzen diskutiert, ebenso die Freisetzung von Noradrenalin aus der Darmwand, die Wirkung von zur Anästhesie eingesetzten Medikamenten und letztendlich auch die im Rahmen des postoperativen Ileus auftretenden Entzündungsvorgänge.
Seit der Einführung laparoskopischer Techniken erscheinen vermehrt Veröffentlichungen
von Berichten, welche eine Verbindung zwischen minimalinvasiven Techniken mit einer verkürzten postoperativen Ileuserkrankung aufzeigen. Diese Ergebnisse legen
nahe, dass der operative Eingriff per se wie auch die nachfolgende Schmerzmedikation
eine wichtige Rolle bei der Verursachung des postoperativen Ileus spielen.
Drei hauptsächliche Mechanismen werden im Rahmen der Entstehung des postoperativen
Ileus als ursächlich beteiligt angesehen und diskutiert: neurogene, inflammatorische
und pharmakologische Mechanismen.
Im Rahmen der Frühphase des postoperativen Ileus scheint vor allem die Aktivierung spinaler wie auch supraspinaler adrenerger und nonadrenerger Signalwege eine Rolle zu spielen.
Ergänzend dazu konnte in erst kürzlich veröffentlichten Studien gezeigt werden, dass
die ausgedehnte Spätphase des Ileus durch eine molekulare Entzündungsreaktion innerhalb der Darmwand verursacht wird, die in der Folge durch die Rekrutierung von
Leukozyten in die Tunica muscularis der betroffenen Darmsegmente gekennzeichnet ist
(Abb. [4]). Diese Entzündungsreaktion beeinträchtigt die lokale neuromuskuläre Funktion und
führt zur Aktivierung neurogener inhibitorischer Signalwege, durch die eine Hemmung
der Motilität des gesamten
Gastrointestinaltrakts vermittelt wird.
Abb. 4 Die Abbildung zeigt einen lichtmikroskopischen Ausschnitt der Dünndarmmuskularis.
Man sieht deutlich die massive Wanderung von Neutrophilen (Punkte) in die Darmwandmuskulatur
als Zeichen einer ausgeprägten Entzündungsreaktion. a Beim postoperativem Ileus neun Stunden nach einer Operation. b Kontrolle in 200-facher Vergrößerung.
Die Anwendung von Opioiden zur postoperativen Schmerzkontrolle leistet ebenfalls einen nicht zu vernachlässigenden
Beitrag, wenn man die Verringerung der propulsiven gastrointestinalen Motilität nach
abdominalchirurgischen Eingriffen betrachtet.
Die verschiedenen erwähnten Mechanismen können nicht unabhängig voneinander betrachtet
werden. Vielmehr besteht eine enge Kooperation zwischen ihnen, wobei die Gewichtung
eines jeden einzelnen Faktors im Verlauf der Erkrankung sicherlich variieren kann
und eine beträchtliche Überlappung wie auch Interaktion zwischen den verschiedenen
Mechanismen besteht.
Die Wirkung von Anästhetika
Alle bekannten Substanzklassen von Anästhetika entfalten eine Wirkung auf die gastrointestinale
Motilität. Dabei können sie ihren stärksten Einfluss auf Darmregionen nehmen, die
in großem Maße von externer neuraler Steuerung abhängig sind wie der Dickdarm, der
keine interzellulären Gap Junctions aufzuweisen hat und somit eine größere Anfälligkeit
für die Wirkung inhibitorischer Anästhetika zeigt.
Eine Verzögerung der Magenentleerung kann ebenfalls nach Exposition gegenüber Anästhetika beobachtet werden, unabhängig
davon, ob es sich nun um Atropin, Halothan oder Enfluran handelt. Die Konsequenzen
einer verzögerten Magenentleerung sind mannigfaltig und reichen von einem erhöhten
Aspirationsrisiko über postoperative Übelkeit und Erbrechen bis zur verzögerten Absorption
anderer Medikamente.
Postoperative Epiduralanästhesie mit lokal wirkenden Anästhetika führt zu einer Blockade afferenter wie auch efferenter
inhibitorischer Reflexe. Weiterhin kommt es zur Steigerung des Blutflusses im Splanchnikusgebiet
oder auch zur Entwicklung antiinflammatorischer Effekte. Epidural applizierte Anästhetika
besitzen zusätzlich den positiven Effekt, dass sie die afferenten Stimuli blockieren
können, durch welche eine endokrine metabolische Stressantwort des Organismus als
Reaktion auf den chirurgischen Eingriff getriggert wird – sie sind demnach in der
Lage, die katabole
Wirkung von Hormonen zu unterbinden, die normalerweise im Rahmen dieses Prozesses
freigesetzt werden.
Die Ergebnisse etlicher Studien zeigen: Im Vergleich zu einer alleinigen postoperativen
systemischen Opioidtherapie führt die postoperative thorakal-epidurale Anwendung von
Bupivacain-Hydrochlorid zu einer signifikanten Reduktion des Beschwerdebilds des postoperativen
Ileus.
Weiterhin konnte in drei von vier Studien nachgewiesen werden, dass nach epiduraler Applikation von Bupivacain die Erkrankungsdauer des postoperativen Ileus reduziert war – im Vergleich zur epiduralen
Anwendung von Opioiden. Es existieren nur wenige prospektive Studien, die einen Vergleich
der Effekte von alleiniger epiduraler Bupivacainapplikation mit der Kombination von
epiduralem Bupivacain und Morphin anstellen. Die Ergebnisse dieser Studien zeigen,
dass die alleinige Anwendung von epiduralem Bupivacain der genannten Kombinationstherapie
mit Morphin überlegen ist,
ohne dass nachteilige Effekte im Sinne einer geringeren postoperativen Schmerzreduktion
zu erwarten sind.
Generell scheint der Ort entscheidend zu sein, an dem die geplante Epiduralanästhesie
zur Anwendung kommen soll: Im Gegensatz zu den Ergebnissen der bisher erwähnten Studien
konnte bei einer lumbalen oder tiefen thorakalen epiduralen Anästhesie kein positiver
Effekt für den Verlauf des postoperativen Ileus verzeichnet werden.
Die Wirkung von endogenen und exogenen Opioiden
Die pharmakologische Therapie des postoperativen Ileus gestaltet sich aufgrund des
mangelnden Verständnisses seiner pathophysiologischen Ursachen eher schwierig.
Opioide werden nach abdominellen chirurgischen Eingriffen universell als Analgetika eingesetzt, führen unglücklicherweise aber häufig zu einer verlängerten Krankheitsdauer sowie
zu einer Häufung von Komplikationen im Verlauf des postoperativen Ileus.
Seit Jahren gilt es als erwiesen, dass exogene Opioide eine Störung der normalen gastrointestinalen
Motilität verursachen.
In-vivo-Studien zur Funktion des Dünndarms konnten zeigen, dass exogene δ- und µ-Opioidrezeptor-Agonisten die peristaltische Aktivität zum Erliegen bringen und eine Steigerung der interdigestiven
Kontraktilität bewirken. Gleichfalls wird häufig eine Verzögerung des intestinalen
Transits wie auch eine Hemmung der Magenentleerung nach Applikation von Morphin beobachtet.
Endogene Opioide wie Enkephalin und Dynorphin konnten innerhalb des Plexus myentericus und der zirkulären
Muskelschicht des Dünndarms nachgewiesen werden. Die Existenz dreier unterschiedlicher
Typen von Opioidrezeptoren innerhalb des Gastrointestinaltrakts ist derzeit bekannt,
wobei sich deren Klassifikation als δ-, µ- und κ-Opioidrezeptoren allgemein durchgesetzt hat. Techniken, welche intrazelluläre In-vitro-Aufzeichnungen
der Muskelaktivität verwenden, konnten die Wirkungsweise von Opioiden an glatten Muskelzellen
offenlegen.
Durch die Ergebnisse dieser Studien kann man heute davon ausgehen, dass sowohl δ-
als auch µ-Opioidrezeptoren auf NO-freisetzenden NANC-Nerven (NANC: nonadrenerg, noncholinerg) vorhanden sind, welche die zirkuläre Muskelschicht
innervieren. Bei Besetzung der δ-Opioidrezeptoren durch beispielsweise Methionin-Enkephalin
oder auch Dynorphin kommt es zu einer Abschwächung der Freisetzung inhibitorischer
Neurotransmitter (wie NO) aus diesen Neuronen. Es wird daher angenommen, dass endogene
wie exogene Opioide eine Minderung der NO-Freisetzung und anderer hemmender
NANC-Transmitter bewirken, indem sie an Rezeptoren auf Nervenfasern innerhalb der
zirkulären Muskelschicht ihre Wirkung entfalten. Dabei scheint diese Wirkung sowohl
über δ- als auch über µ-Opioidrezeptoren vermittelt zu sein.
Therapeutisches Vorgehen beim POI
Die Behandlung des POI wird in der Regel konservativ durchgeführt. Neben der Ableitung von Sekret über Magensonden kommen vor allem propulsive
Medikamente zum Einsatz. Mögliche weitere therapeutische Ansätze sind
-
Morphinreduktion,
-
Epiduralkatheter,
-
COX-2-Hemmer,
-
Kaugummi,
-
propulsive Therapie.
Die peristaltikanregenden Medikamente weisen auch beim POI gewisse positive Effekte
auf und werden von einer Vielzahl von Kliniken regelmäßig eingesetzt. Man sollte sich
jedoch vor dem Einsatz der Medikamente nochmals deren Wechselwirkungs- und Nebenwirkungsprofil
anschauen, um keine Patienten zu gefährden.
Mögliche Wechselwirkungen der gängigen Medikamente
-
Erythromycin: Motilinrezeptoragonist: propulsiv an Magen/Duodenum (Arrythmia, verlängerte
QT-Zeit)
-
Neostigmin: Cholinesterasehemmer: propulsiv (Bradykardie)
-
Metoclopramid: Dopaminrezeptorantagonist: antiemetisch
-
5-HT4-Rezeptoragonist: propulsiv
-
5-HT-Rezeptorantagonist: antiemetisch (Parkinson)
-
5-HT4-Rezeptoragonist
Prophylaxe des POI
Die Reduktion von Morphingaben sowie der Einsatz von Epiduralkathetern zur Blockierung neuronaler Reflexmechanismen können helfen, das Auftreten des POI abzuschwächen. Ganz entscheidend scheint jedoch
die Minimierung des operativen Traumas zu sein. Durch schonende minimalinvasive Operationstechniken sollte das Auftreten
des POI in Zukunft drastisch reduziert werden können. Katabole Ernährungszustände
und Elektrolytimbalancen tragen ebenfalls stark zur Ausbildung des POI bei und sollten,
wenn irgend möglich, vermieden werden.
Zusammenfassung
Häufigste Ursachen.
Mechanische Obstruktion: Briden, Adhäsionen, Tumoren, Fremdkörper. Paralytischer Ileus: postoperativ, retroperitoneales Hämatom, Frakturen, Ogilvie-Syndrom, intra- oder
retroperitoneale Infektionen, entzündliche Darmerkrankungen, medikamentös (Opioide,
Katecholamine, Antidepressiva, Neuroleptika), metabolisch, toxisch, vaskulär (Mesenterialinfarkt).
Leitsymptome.
Mechanische Obstruktion: Kolikartige abdominelle Schmerzen, Hyperperistaltik, Übelkeit und Erbrechen sowie
Stuhlverhalt. Paralytischer Ileus: Singultus, schwallartiges Erbrechen, Stuhlverhalt, distendiertes Abdomen, auskultatorische
Totenstille, diffuser Bauchschmerz, Hypovolämie mit Tachykardie und Hypotonie, Schock.
Diagnostisches Vorgehen. Abdomenübersicht, Sonografie, ggf. Computertomografie des Abdomens, Labor, Blutgasanayse,
koloskopische Absaugung, ggf. Stent
Therapeutisches Vorgehen. 1. Kausale Therapie der Ursache. 2. Behandlung der Ileuskrankheit: häufig intensivmedizinische
Therapie, Anlage einer Magensonde, Urinkatheter, Volumen-/Elektrolyttherapie, Antibiotika,
ggf. Kolonentlastungssonde, prokinetische Therapie, Laxanzien, Beseitigung auslösender
Faktoren (z. B. Medikation, Stoffwechsel).
Sonderform postoperativer Ileus. Neuronale und inflammatorische Prozesse tragen zur Ausbildung des POI bei. Die Therapie
erfolgt analog zum paralytischen Ileus. Die Prophylaxe durch Reduzierung des chirurgischen
Traumas ist vielversprechend.