Z Gastroenterol 2014; 52(5): 513-514
DOI: 10.1055/s-0033-1362489
Mitteilungen des BVGD
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Antibiotikaresistenzen: die Klimakatastrophe der Infektiologie

Ansgar W. Lohse
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Publication Date:
19 May 2014 (online)

Antibiotika sind ein essentieller Grundpfeiler moderner Medizin, gerade auch in der Gastroenterologie. Sowohl in der Behandlung von spontan auftretenden Infektionserkrankungen als auch in der Begleittherapie für Interventionen und Operationen sind antimikrobielle Substanzen essentiell. Diese effektive Waffe wird aber zunehmend stumpfer, da mehr Antibiotikaresistenzen sich entwickeln und diese sich zunehmend verbreiten. Was sind die Ursachen, was die möglichen Gegenstrategien?

Entgegen einer weit verbreiteten Meinung sind Antibiotikaresistenzen nicht ein neues, alleine durch die Anwendung von Antibiotika bedingtes Phänomen. Antibiotikaresistenzen sind im Gegenteil ein uraltes evolutionäres Prinzip des Überlebens von Mikroben. Es sei daran erinnert, dass die große Mehrzahl von Antibiotika Naturprodukte sind, nämlich Substanzen, die von Mikroben produziert werden, um sich im evolutionären Kampf gegenüber anderen Mikroben einen Wachstumsvorteil zu verschaffen. Genauso wie Mikroben seit Millionen von Jahren verschiedene antibiotische Substanzen gelernt haben herzustellen, um Konkurrenz-Mikroben zu bekämpfen, so haben die Konkurrenz-Mikroben immer wieder gelernt, Resistenzen gegen diese antibiotischen Substanzen zu entwickeln, um ihrerseits wiederum einen Vorteil im evolutionären Überlebenskampf zu erwerben. Insofern ist sowohl die Entwicklung antibiotischer Substanzen als auch die Entwicklung von Resistenzstrategien ein tief verwurzeltes evolutionäres Prinzip. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass es jemals einen Weg geben wird, welcher die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen verhindert. Wenn die moderne Medizin die Waffe effektiver Antibiotika behalten möchte, so wird es notwendig sein, nicht nur zurückhaltend und gezielt mit dieser Waffe umzugehen, sondern wird es auch notwendig sein, immer wieder neue antibiotische Substanzen zu entdecken und zu entwickeln, sowie Strategien gegen die Resistenzentwicklung zu erforschen und in die klinische Praxis zu bringen.

Das größte Problem der Antibiotikaresistenzen stellt zurzeit die mangelnde Forschung an neuen antibiotischen Substanzen dar. Für die pharmazeutische Industrie ist die Entwicklung neuer Antibiotika nicht hinreichend lukrativ, da mit Antibiotika keine hohen Preise, wie sie zum Beispiel für Chemotherapeutika oder für die neuen antiviralen Substanzen erzielt wurden, erreichbar sind. Auch widersprechen sich hier zwei Tendenzen: Einerseits empfehlen wir, mit neuen Antibiotika im Sinne von Reserve-Antibiotika zurückhaltend zu sein und diese nur bei strenger Indikationsstellung einzusetzen. Andererseits muss ein Pharmaunternehmen die hohen Entwicklungskosten von schätzungsweise 500 Millionen bis 1 Milliarde Euro für eine neue Substanz während der begrenzten Patentlaufzeit zurückverdienen.

Im letzten Jahr haben die Akademie der Wissenschaften in Hamburg und die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Titel „Antibiotikaforschung – Probleme und Perspektiven“ die Problematik analysiert und acht wesentliche Empfehlungen ausgesprochen. Hierzu gehören insbesondere die Stärkung der Grundlagenforschung und die Verbesserung struktureller Voraussetzungen für Innovationen. Es müssen public-private partnerships oder andere öffentliche Fördermaßnahmen für die Entwicklung neuer Antibiotika entwickelt werden. Auch die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Zulassung neuer Antibiotika müssen vereinfacht werden, um auch für Nischenprodukte, z. B. gegen multiresistente Erreger, eine Zulassung zu ermöglichen. Neben der Entwicklung neuer Antibiotika sollten Maßnahmen zur Vermeidung der Resistenzentwicklung und dem gezielteren Einsatz von Antibiotika entwickelt werden. Dies erfordert strukturelle und finanzielle Anreize für die klinische Forschung. Auch die Rolle der Anwendung von Antibiotika in der Veterinärmedizin und der Landwirtschaft und deren Auswirkungen auf human-pathogene Erreger und deren Antibiotikaresistenzen muss weiter erforscht werden. Wahrscheinlich sind weitere regulatorische Maßnahmen in der Anwendung von Antibiotika sowohl in der Humanmedizin als auch in der Veterinärmedizin und der Landwirtschaft erforderlich, allerdings ist die wissenschaftliche Basis vieler zurzeit diskutierter Empfehlungen außerordentlich schwach, so dass der Forschungsbedarf groß ist. Dies gilt auch für die Antibiotic Stewardship, deren Empfehlungen zu gezielterer und zurückhaltender Anwendung von Antibiotika ursprünglich ökonomische Gründe hatten (Einsparung von Antibiotikakosten in Krankenhäusern), und deren Bedeutung für die Prävention von Antibiotikaresistenzen wissenschaftlich bisher nur unzureichend belegt ist.

Sicherlich können wir alle durch eine zurückhaltendere und gezieltere Anwendung von Antibiotika, oft auch durch den lediglich verkürzten Einsatz von Antibiotika dazu beitragen, dass Antibiotikaresistenzen sich nicht allzu schnell verbreiten und sich weitere neu entwickeln. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass Antibiotikaresistenzen aus unüberwindbaren biologischen Gründen uns immer begleiten werden, und neue Erreger mit neuen Resistenzprofilen immer wieder neue Herausforderungen für die moderne Medizin darstellen werden. Die Förderung der Antibiotika-Forschung auf allen Ebenen, von den Grundlagen bis zum klinischen Anwendungsalltag, ist deshalb von größter Bedeutung für die Fortentwicklung der Medizin. Dies scheint inzwischen auch von der Politik wahrgenommen worden zu sein. Der Koalitionsvertrag enthält ein klares Bekenntnis für die Förderung der Entwicklung neuer antimikrobieller Substanzen, und auch der G8-Gipfel Ende letzten Jahres widmete sich unter anderem dem Problem der Antibiotikaresistenzen.

 
  • Literatur

  • Antibiotika-Forschung: Probleme und Perspektiven. Hrsg. Akademie der Wissenschaft in Hamburg, Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften. Walter de Gruyter GmbH; Berlin / Boston: 2013