Z Gastroenterol 2014; 52(7): 769-770
DOI: 10.1055/s-0033-1362598
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Kooperation mit Selbsthilfegruppen – Einblick in die Patientenperspektive

Gero Moog
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Publication Date:
16 July 2014 (online)

Wir niedergelassenen Gastroenterologen betreuen in der Mehrzahl chronische Krankheitsbilder, deren Verlauf wir im günstigen Fall beeinflussen aber nicht heilen können. Vor diesem Hintergrund wollen und müssen die Patienten einen Großteil der Verantwortung für ihre Erkrankung selbst übernehmen und suchen auch außerhalb des professionellen schulmedizinischen Angebots Unterstützung und Hilfe. Der Nutzen von Selbsthilfegruppen ist unter niedergelassenen Ärzten weitgehend unbestritten: Bessere Informiertheit, höhere Kompetenz im Umgang mit der Krankheit, eine tendenziell bessere Compliance sowie emotionale und lebensweltliche Hilfen durch die Gruppenarbeit sind nur einige Aspekte, die durch die Selbsthilfe geleistet werden können.

Trotzdem ist eine gewisse Zurückhaltung der Schulmedizin gegenüber der Tätigkeit der Selbsthilfegruppen zu spüren. Zwar geben 59 Prozent der niedergelassenen Ärzte an, in den letzten zwölf Monaten Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe gehabt zu haben, aber selten führt dies zu einer aktiven und dauerhaften Kooperation. In derselben Untersuchung (Kretzschmar, C., Slesina, W., selbsthilfegruppenjahrbuch 2005, Gießen, Focus-Verlag, S. 121–131) wurden auch die Gründe für die Zurückhaltung der niedergelassenen Ärzte genannt: mangelnde Zeit, fehlende Information über die für die eigene Fachrichtung bedeutsamen Gruppen in der Region, Unsicherheit über Arbeitsweise und Qualität der Arbeit der Gruppen sowie unklarer Nutzen einer Zusammenarbeit. Auch die Sorge vor den angeblich unwissenschaftlichen Vorstellungen tragen dazu bei, dass einige Selbsthilfegruppen von Ärzten eher argwöhnisch betrachtet werden. Schließlich spielt auch der fehlende finanzielle Ausgleich für das Engagement in Selbsthilfegruppen eine Rolle.

Der bng ist traditionell an einer Kooperation mit Selbsthilfegruppen interessiert. Zahlreiche Mitglieder betätigen sich seit Jahren zum Teil sehr aktiv in verschiedenen Funktionen für Selbsthilfegruppen. Hier bietet sich eine ausgezeichnete Möglichkeit die Sorgen und Wünsche der Betroffenen ungefiltert zu erfahren und selbst durch sachgerechte Information Einschätzungen der Betroffenen zu bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Verfahren zu ändern.

Ärzte können aus den Erfahrungen der Gruppen lernen. Liegt bei uns die wissenschaftlich-medizinische Fachkompetenz, so verfügen Selbsthilfegruppen und Betroffene über Erfahrungskompetenz in anderer Hinsicht. Die Betroffenen erleben die Krankheit in ihrer spezifischen Ausprägung und Symptomatik. Sie erleben die individuellen Wirkungen und Nebenwirkungen der Therapie auf die eigene körperliche Verfassung und das Befinden. Sie erleben die Probleme der Therapieumsetzung unter den Gegebenheiten und Anforderungen des Lebensalltags.

In Selbsthilfegruppen steht aufgrund der Betroffenheit durch die gleiche Erkrankung ein vielfaches Erfahrungswissen zur Verfügung. Aus dem Grund sollten die Kollegen, die bisher noch nicht aktiv zu Selbsthilfegruppen in Ihrer Region Kontakt aufgenommen haben, dieses nachholen. Aus den Aufgaben, Zielen und Wünschen der Berufsgruppen im professionellen Gesundheitssystem und der Selbsthilfegruppen ergeben sich verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Viele Ärzte lassen Bereitschaft zur Kooperation mit Selbsthilfegruppen erkennen. Die Initiative müsse ihres Erachtens aber von den Gruppen ausgehen. Sie möchten einerseits keinen „Einfluss“ in der Gruppe und nicht bei jedem Treffen anwesend sein, andererseits die Gruppe aber im Bedarfsfall mit der Sicht und dem Fachwissen des Mediziners unterstützen. Der Bedarf solle von den Gruppen signalisiert werden.

Diese Sicht ist meines Erachtens falsch. Man kann davon ausgehen, dass viele Erfahrungen, die chronisch Erkrankte im Medizinbetrieb gemacht haben zumindest schwierig, wenn nicht negativ gewesen sind. Dementsprechend ist die Motivation ärztliche Kollegen einzuladen eher gering.

Was können niedergelassene Ärzte tun? Aus den vielen Möglichkeiten der Kooperation einige Vorschläge:

  • Bei der örtlichen Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen eine Aufstellung der in der Region vertretenen Selbsthilfegruppen anfordern.

  • Patienten mit chronischer Erkrankung auf eine einschlägige überregionale Gruppe hinweisen.

  • Patienten mit chronischer Erkrankung fragen, ob sie bereits Mitglied einer Gruppe sind, und dies in der Patientenakte dokumentieren.

  • Informationsmaterial von Gruppen in der Praxis auslegen bzw. wahrnehmbar machen (Wartezimmer, schwarzes Brett). Auch bei Gruppen Informationsmaterial anfragen.

  • Bei der örtlichen Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen und / oder Institutionen der ärztlichen Selbstverwaltung (z. B. bei der KOSA – Kooperationsberatung für Ärzte und Selbsthilfegruppen) die Bereitschaft zur Kooperation mit Selbsthilfegruppen sowie zur Mitwirkung an einer öffentlichen Veranstaltung signalisieren (ggf. Fachgebiet, Erkrankungen eingrenzen).

  • Mit einer Gruppe eine Ansprechbarkeit vereinbaren. Wir hatten in unserer Praxis eine Zeitlang eine Telefonverbindung eingerichtet, die einmal monatlich mit einem Arzt und einem Mitglied der Selbsthilfe besetzt wurde.

  • Wenn gewünscht, einer Gruppe bei der Referentengewinnung für einen Vortragsabend behilflich sein.

  • Bereitschaft zur aktiven Teilnahme an einem Gruppenabend (als Vortragender, Gesprächspartner) signalisieren.

Die Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen nutzt allen Beteiligten, wir sollten die Chancen nutzen.