Aktuelle Urol 2014; 45(01): 67-80
DOI: 10.1055/s-0034-1367072
Operative Techniken
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Abdominale Kolposakropexie

S. Wille
1   Kontinenz- und Beckenbodenzentrum, Medikamentöse Tumortherapie – Andrologie, Uniklinik Köln
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Publication History

Publication Date:
05 February 2014 (online)

Offene abdominale ­Kolposakropexie

Indikationen

  • Zystozele 3. oder 4. Grades

  • Z. n. frustraner vaginaler Zystozelenkorrektur

Höhergradige Zystozelen können prinzipiell über einen abdominalen, offen chirurgischen oder laparoskopischen Zugang als Kolposakropexie oder aber über einen vaginalen Zugang als sakrospinale Fixation korrigiert werden. Beim abdominalen Vorgehen wird die ursprüngliche anatomische Position der Vagina wiederhergestellt, sodass die Sexualfunktion weniger beeinträchtigt ist. Ein Nachteil der vaginalen sakrospinalen Fixation besteht darin, dass die Vagina postoperativ oft durch Narbenbildung verkürzt ist. Die Kolposakropexie ([Abb. 1]) weist eine geringere Rate an Rezidiven oder Dyspareunien auf als die sakrospinale Fixation.

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Zugangsweg

  • Als Zugangsweg bietet sich die mediane Laparotomie an, die im Vergleich zum Pfannenstielschnitt eine etwas bessere Exploration des präsakralen Raumes zulässt. Der Pfannenstielschnitt ermöglicht jedoch ein besseres kosmetisches Ergebnis.


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Notwendige präoperative Diagnostik

Obligate Funktionsdiagnostik

  • Anamnese (Beschwerden im Sinne von Fremdkörpergefühl, Ziehen im Unterleib, Inkontinenz, Gefühl der unvollständigen Blasenentleerung, Miktionsprotokoll, Sexualanamnese, Stuhlanamnese)

  • vaginale Spekulumeinstellung mit Beurteilung des vorderen, mittleren und hinteren Kompartiments, Hustentest mit und ohne Reposition der Zystozele

  • Urinanalyse

  • Restharnbestimmung

  • Sonografie der Nieren zum Ausschluss einer Harntransportstörung bei hochgradigem Prolaps

  • Vorlagentest bei V. a. Belastungsinkontinenz

  • Bildgebung zur Evaluation der Beckenanatomie: laterales Zystogramm, Kolpozystorektogramm oder besser Perineal-/ Introitussonografie (da keine Strahlenbelastung)

  • Urodynamik zur Beurteilung der Detrusorfunktion, einschließlich Profilometrie mit Reposition der Zystozele zum Nachweis einer larvierten Belastungsinkontinenz


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Fakultative Funktionsdiagnostik

  • Urethrozystoskopie

  • Kolpozystorektogramm

  • Kernspintomogramm


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Patientenaufklärung und spezielle Risiken

  • postoperative Nachblutung (präsakrale Gefäße)

  • Infektbildung bzw. Arrosion des Interponats

  • Ileus

  • Blasenentleerungsstörung

  • Rezidiv

  • De-novo-Dranginkontinenz

  • Harnaufstau

  • Dyspareunie


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Spezielles Instrumentarium

  • kein spezieller Sperrer erforderlich (z. B. „Mercedes-Sperrer“ oder „Balfour-Sperrer“)


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Nahtmaterial

  • polybutylatbeschichtetes Polyethylenterephthalat, z. B. Ethibond, zur Fixierung des Interponats

  • Glycolid-co-lactid 3–0 oder 2–0 mit fortlaufender oder Einzelknopf-Nahttechnik zum Verschluss des Retroperitoneums


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Vor Beginn der Operation

  • laterales Zystogramm oder Kolpozystorektogramm bzw. Bilder der Introitus-Perinealsonografie

Operation Step-by-Step
  1. Lagerung, Abwaschen und Kathetereinlage, mediane Laparotomie (oder Pfannenstielschnitt)

  2. Eröffnung des Peritoneums, Präparation des vaginalen Stumpfes, Vorlegen der vaginalen Interponatnähte

  3. Eröffnung des Retroperitoneums, präsakrale Präparation, Vorlegen der sakralen Interponatnähte

  4. optional Korrektur einer Enterozele, vaginale und sakrale Fixation des Interponats

  5. optional präsakrale Drainageneinlage, Verschluss des Retroperitoneums bzw. Peritonealisierung des Interponats, Verschluss des Peritoneums

  6. optional Kolposuspension nach Burch, Drainageneinlage

  7. Verschluss der Rektusfaszie, Wundverschluss

  • Die Patientin wird in Steinschnittlage gelagert und perineal, vaginal und am gesamten Unterbauch desinfiziert. Unter sterilen Kautelen erfolgt die Kathetereinlage.

  • Für die mediane Laparotomie wird etwa 2 cm oberhalb der Symphyse bis zum Bauchnabel inzidiert. Alternativ kann auch der Pfannenstielschnitt gewählt werden. Das subkutane Fettgewebe wird bis zur Rektusfaszie inzidiert ([Abb. 2]). Die Linea alba wird identifiziert und inzidiert. Dabei ist es hilfreich, die kreuzenden Fasern unterhalb des Nabels als Leitstruktur zu verwenden.

  • Anschließend werden die Rektusbäuche auseinander geschoben. Die Rektusbäuche sollten lateral soweit mobilisiert werden, dass ohne Spannung der Sperrer eingesetzt und gespannt werden kann.

  • Das Peritoneum wird vorsichtig unter Schonung der Darmschlingen eröffnet. Zur besseren Exploration der Präsakralregion sollte das Sigma mobilisiert und so weit wie möglich auf die linke Seite des Beckens verlagert werden. Das Darmkonvolut wird mit feuchten Bauchtüchern umlegt und mit langen Haken nach kranial verlagert.

  • Unter Elevation der Vagina mit einem Stielstupfer oder einer überzogenen Kornzange wird der peritoneale Überzug der Vagina abpräpariert ([Abb. 3]).

  • Danach werden 2–3 polybutylatbeschichtete Polyethylenterephthalat-Fäden für das Interponat durch die Vagina vorgelegt. Dabei sollte die gesamte Vaginalwand unter Ausschluss der Mukosa gefasst werden ([Abb. 4]).

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Landmark: rechter Harnleiter und medialer Rand des Sigmas

  • Anschließend wird das Retroperitoneum auf dem Promontorium eröffnet und entlang der Mittellinie durch das kleine Becken hindurch bis zum Vaginalstumpf inzidiert ([Abb. 5]). Falls der Uterus in situ sein sollte, kann entweder in gleicher Sitzung bei gegebener Indikation die Hysterektomie oder aber eine Pexie des Interponats an die Gebärmutter erfolgen.

  • Der rechte Harnleiter und der mediale Rand des Sigmas dienen als Leitstruktur, um das Retroperitoneum mit möglichst großem Sicherheitsabstand von beiden Strukturen zu inzidieren.

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Der peritoneale Überzug der Vagina in [Abb. 3] sowie das präsakrale Retroperitoneum in [Abb. 5] und [Abb. 6] sind zur besseren Veranschaulichung weiter eröffnet als es für die Operation notwendig ist.

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  • Nach Durchtrennung des präsakralen Peritoneums wird das Periost freipräpariert, um die sakralen Interponatnähte zu platzieren. Durch das Periost werden auf jeder Seite 2–3 polybutylatbeschichtete Polyethylenterephthalat-Fäden platziert ([Abb. 6]).

Wichtig ist es, darauf zu achten, dass die median verlaufenden Präsakralgefäße nicht bei der Präparation verletzt werden, da die Blutstillung dort schwierig sein kann.

  • Eine gleichzeitig bestehende Enterozele sollte durch Verschluss des Douglas-Raumes korrigiert werden. In der Technik nach Halban wird die Enterozele mit polybutylatbeschichteten Polyethylenterephthalat-Nähten verschlossen. Die Nähte werden in sagittaler Richtung durch das Retroperitoneum, oberflächlich am Sigma und durch die Vaginalhinterwand platziert. Der prophylaktische Verschluss des Douglas-Raumes ist unseres Erachtens nicht unbedingt erforderlich ([Abb. 7]). Alternativ kann die Technik nach Moschowitz angewandt werden, bei der die Enterozele durch zirkulär verlaufende Tabaksbeutelnähte verschlossen wird.

  • Für das Interponat gilt als derzeitiger Goldstandard das Typ-1-Polypropylenemesh. Resorbierbare Materialien wie Fascia lata sollten gemäß der Leitlinie des AWMF „Descensus genitalis der Frau“ wegen der hohen Rezidivraten nicht angewendet werden (Evidenz Level 1b). Ebenso werden Netze, die aus Silikon bestehen oder mit Silikon teilweise verarbeitet sind, nicht empfohlen. Das gewählte Netz wird mit den bereits vorgelegten polybutylatbeschichteten Polyethylenterephthalat-Nähten fixiert. Zunächst werden die bereits vaginal vorgelegten polybutylatbeschichteten Polyethylenterephthalat-Nähte durch das vaginale Ende des Interponats gestochen und geknotet. Anschließend werden die 2–3 vorgelegten sakralen Interponatfäden durch das Interponat gestochen, sodass die Vagina unter leichter Spannung am Promontorium pexiert wird. Die exakte Länge des Interponats wird bestimmt, indem der Assistent den Vaginalstumpf durch einen vaginal eingeführten Stieltupfer zum Promontorium streckt. Auf diese Weise kann das kraniale Ende des Interponats abgemessen werden und u. U. überschüssiges Interponat abgeschnitten werden. Danach werden die polybutylatbeschichteten Polyethylenterephthalat-Nähte geknotet ([Abb. 8]).

  • Nach Einlage einer Drainage in den Präsakralraum wird das Retroperitoneum mit fortlaufender Naht verschlossen, sodass das Interponat unter dem Retroperitoneum liegt. Durch diese Peritonealisierung wird das Netz komplett vom Retroperitoneum bedeckt. Dies vermeidet unnötige Interaktionen des Netzes mit dem Darm.

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Vor dem Verschluss des Retroperitoneums sollte das dem Retroperitoneum anhaftende Binde- und Fettgewebe vorsichtig abgeschoben werden, um einem Kinking und einer konsekutiven Ischämie mit möglichem Harnaufstau des rechten Harnleiters vorzubeugen.

  • Nun wird das Peritoneum mit fortlaufender Naht verschlossen.

Falls im kaudalen Bereich der vollständige Verschluss nicht gelingt, ist darauf zu achten, dass eine ausreichend große Lücke belassen wird, um einer Darmeinklemmung vorzubeugen.

  • Im Falle einer zusätzlich bestehenden Harninkontinenz bietet es sich an, eine Kolposuspension nach Burch durchzuführen (OP-Technik in Akt Urol 2012). Aufgrund der aktuellen Datenlage kann keine klare Empfehlung für oder gegen die gleichzeitige Korrektur einer bestehenden oder larvierten Belastungsinkontinenz ausgesprochen werden.

  • Nach Einlage einer Drainage in den perivesikalen Raum wird die Rektusfaszie mit Einzelknopfnähten verschlossen. In die Vagina wird eine Vaginaltamponade eingelegt.


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Postoperative Besonderheiten

  • Ultraschallkontrolle am 1. postoperativen Tag

  • Entfernung des Katheters am 2.–3. Tag

  • Entfernung der präsakralen Drainage am 2.–3. Tag

  • Entfernung der perivesikalen-Drainage am 3.–4. Tag

  • Antibiotikaprophylaxe bis 1 Tag nach Katheterentfernung


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  • Literatur

  • 1 AWMF-Leitlinie Descenus genitalis der Frau www.awmf.org > Leitlinien: Aktuelle Leitlinien > Registernummer 015-006
  • 2 Cosson M, Bogaert E, Narducci F et al. Laparoscopic sacral colpopexy: short-term results and complications in 83 patients. J Gynecol Obstet Biol Reprod (Paris) 2000; 29: 746-750
  • 3 Deffieux X, Savary D, Letouzey V et al. Prevention of the complications related to the use of prosthetic meshes in prolapse surgery: guidelines for clinical practice - literature review. J Gynecol Obstet Biol Reprod (Paris) 2011; 40: 827-850
  • 4 Freeman RM, Pantazis K, Thomson A et al. A randomised controlled trial of abdominal versus laparoscopic sacrocolpopexy for the treatment of post-hysterectomy vaginal vault prolapse: LAS study. Int Urogynecol J 2013; 24 (03) 377-384
  • 5 Halban J. Gynäkologische Operationslehre. 1912
  • 6 Hsiao KC, Latchamsetty K, Govier FE et al. Comparison of laparoscopic and abdominal sacrocolpopexy for the treatment of vaginal vault prolapse. J Endourol 2007; 21: 926-930
  • 7 Maher C, Baessler K, Glazener CM et al. Surgical management of pelvic organ prolapse in women. Cochrane Database Syst Rev 2004; CD004014
  • 8 Moschowitz AV. The pathogenesis, anatomy, and cure of the prolapse of the rectum. Surg Gynecol Obstet 1912; 15: 7
  • 9 Wille S, Ahrens U, Hamacher J. Inkontinenzchirurgie. Akt Urol 2012; 43 (06) 422-436