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DOI: 10.1055/s-0034-1367678
Entlassung gegen ärztlichen Rat
Authors
Publication History
Publication Date:
11 February 2014 (online)
- Einwilligungsfähigkeit einschätzen
- Einwilligungsfähige Patienten
- Stark alkoholisierte Patienten
- Psychiatrische Patienten
- Dauerhaft nicht einwilligungsfähige Patienten
„Gehen Sie gegen ärztlichen Rat nach Hause, müssen Sie eine gesonderte Erklärung unterschreiben. Sie übernehmen damit die Verantwortung für alle Nachteile, die Ihnen daraus entstehen.“ Mit Formulierungen wie diesen versuchen Kliniken, eine Haftung bei vorzeitiger Entlassung des Patienten zu vermeiden. Aber: Ist das rechtens – und bei allen Patienten anwendbar?
Jeder Arzt weiß: Eine Behandlung ohne ordnungsgemäße Aufklärung und Einwilligung des Patienten kann eine strafbare Körperverletzung sein. Doch was ist, wenn sich der Patient bereits in Behandlung befindet, aber vorzeitig gehen will? Oder die Polizei nachts einen verletzten Betrunkenen bringt, der sich mit Händen und Füßen wehrt? Im Einzelfall kann der Grat zwischen Hilfspflicht und Körperverletzung ziemlich schmal sein.
Einwilligungsfähigkeit einschätzen
Ist die Ablehnung gültig?
Da nur ein einwilligungsfähiger Patient eine Behandlung rechtsgültig ablehnen kann, müssen Sie die aktuelle Einwilligungsfähigkeit des Patienten beurteilen. Woran Sie sich dabei orientieren können, steht z. B. in Lege artis 5/2012 [1].
Differenzieren nach konkreter Entscheidung und aktueller Verfassung
Die Einwilligungsfähigkeit ist auch situationsabhängig:
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So können Patienten mit chronischer psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung z. B. über viele medizinische Behandlungen durchaus selbst entscheiden – selbst wenn sie in anderen Bereichen z. B. nicht geschäftsfähig sind [2].
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Auch alkoholisierte Patienten können einwilligungsfähig sein.
Statt nach einer starren Promille-Grenze sollten Sie hier nach dem klinischen Eindruck entscheiden: Routinierte Trinker vertragen oft mehr als andere. Außerdem ist die Schwere der Entscheidung relevant: „In eine Blutabnahme kann jemand ggf. auch mit 3 ‰ einwilligen“, sagt Prof. Dr. Tilman Steinert, Psychiater und Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Ravensburg-Weissenau. „Aber für die Verweigerung einer akut notwendigen Behandlung reicht seine Einwilligungsfähigkeit vermutlich nicht.“ Bei Unterlassen einer notwendigen Behandlung könne sich der Arzt also ggf. nicht auf eine rechtswirksame Ablehnung durch den Patienten berufen.
-
Nicht einwilligungsfähig sind Patienten typischerweise bei fortgeschrittener Demenz, akuter Psychose, postoperativem oder Entzugsdelir sowie starker Intoxikation [2].
Keine Willensäußerung möglich
In diesem Beitrag werden nur Patienten betrachtet, die ihren Willen äußern können und z. B. die stationäre Aufnahme oder eine weitere Behandlung ablehnen bzw. sich dagegen wehren. Kann der Patient seinen Willen nicht äußern, weil er z. B. bewusstlos oder hochgradig dement ist, sollten Sie
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seinen Willen anhand früherer Äußerungen, der Patientenverfügung etc. ermitteln
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und – falls vorhanden – den Bevollmächtigten oder gesetzlichen Betreuer hinzuziehen.
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In Notfallsituationen (schwere Verletzungen, Ileus u. ä.), in denen sich der Patientenwille nicht ermitteln lässt, können Sie den mutmaßlichen Willen zugrunde legen, d. h. nach medizinischen Standards behandeln, um Lebensgefahr abzuwenden [1].
Einwilligungsfähige Patienten
Gründlich aufklären
Verweigert ein einwilligungsfähiger Patient eine notwendige Behandlung bzw. Weiterbehandlung, müssen Sie zunächst versuchen, ihn zu überzeugen. Machen Sie die Dringlichkeit deutlich, und weisen Sie auf den drohenden Gesundheitsschaden hin [3]. Dem Patienten sollte klar werden, dass er sich durch seine Weigerung risikoerhöhend verhält, und Sie müssen sicher sein, ihm das spezifische Risiko deutlich vor Augen geführt zu haben [3].
Es kann auch sinnvoll sein, dem Patienten kurz das heutige Abrechnungssystem im Krankenhaus zu erklären – um den Verdacht auszuräumen, dass die Klinik an längeren Aufenthalten automatisch mehr verdient.
Ist die Aufklärung nicht deutlich und detailliert genug, kann der Patient evtl. Schadensersatz verlangen, wenn die Risiken tatsächlich eintreten (Fallbeispiel 1).
Weigerung respektieren
Lehnt der einwilligungsfähige Patient nach einer solchen Aufklärung die Behandlung weiterhin ab, müssen Sie dies respektieren. Für Schäden, die er als Folge seiner Weigerung ggf. erleidet, ist der Patient (mit) verantwortlich – evtl. sogar dann, wenn zusätzlich ein Behandlungsfehler des Arztes vorlag (Fallbeispiel 2).
Fallbeispiel 1: Fehlerhafte Aufklärung – Patient erhält Schadensersatz
Der Patient litt unter einer seltenen Herzkrankheit mit schweren Herzrhythmusstörungen und hatte einen Defibrillator implantiert. 2005 wurde er in der Klinik umgestellt von Betablockern auf Amiodaron-Monotherapie. Statt wie empfohlen 7–10 Tage stationär zu bleiben, wollte er gehen. Der Arzt klärte ihn auf, dass er bei Zunahme der Rhythmusstörungen wiederkommen müsse, und dass ihn der Defibrillator nicht vollständig gegen eine tödliche Tachykardie schützen könne. Einige Tage später traten Herzrhythmusstörungen auf, der Patient erlitt bleibende Hirnschäden und lag im Wachkoma. Die Klinik wurde zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz verurteilt: Der Arzt habe einen Behandlungsfehler begangen, als er nicht explizit über das neue Risiko durch die Medikamentenumstellung aufklärte. Er habe nicht deutlich genug gemacht, dass Amiodaron die Herzrhythmusstörungen sogar verstärken und sich der Zustand des Patienten daher noch verschlechtern könne.
Urteil des OLG Köln vom 06.05.2012, AZ 5 U 28/10, s. auch [10]
Fallbeispiel 2: Korrekte Aufklärung – Patient ist selbst verantwortlich
Ein Fussballprofi erlitt 2004 während eines Spiels eine Bisswunde am Knie. Der Mannschaftsarzt desinfizierte und nähte die Wunde vorläufig und riet dem Patienten, noch am gleichen Tag eine Klinik aufzusuchen. Dort empfahl man ihm neben der antibiotischen Therapie die Entfernung des Schleimbeutels (Bursektomie) und eine Wiedereröffnung der Wundnaht. Dies lehnte der Patient ab, da er nicht bei weiteren Spielen ausfallen wollte. Die Wunde entzündete sich. Letztendlich war das Knie dauerhaft geschädigt, der Patient musste seinen Beruf aufgeben. Seine Klage wehrte das Gericht ab: Da er die Wundrevision, Bursektomie und Antibiose abgelehnt habe, könne er den weiteren Verlauf nicht den behandelnden Ärzten anlasten – obwohl der Mannschaftsarzt einen schweren Behandlungsfehler begangen habe, indem er die Wunde nähte. Aber die anschließende Aufklärung durch den Klinikarzt sei ausreichend deutlich gewesen, sodass dieser Fehler wegen der späteren Behandlungsverweigerung nicht schadensursächlich sei.
Urteil des OLG Koblenz vom 27.08.2012, AZ 5 U 1510/11, s. auch [11]
Ausnahme: rechtfertigender Notstand
Eine zwangsweise Behandlung bei einem voll einwilligungsfähigen Patienten wäre lediglich bei Fremdgefährdung zu begründen, v. a. mit
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einem rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) oder
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Notwehr (§ 32 StGB).
Ob die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind und z. B. das geschützte Interesse das beeinträchtigte überwiegt, kann man aber nur im Einzelfall beurteilen. Möchte man z. B. nach der Nadelstichverletzung eines Chirurgen dem Patienten Blut für einen HIV-Test abnehmen, sollte man sämtliche Überredungskünste anwenden, damit der Patient zustimmt. Gegen seinen Willen wäre diese Körperverletzung nicht unbedingt mit einem Notstand zu rechtfertigen [4].
Der Psychiater Steinert ergänzt: „Wer voll einwilligungsfähig und gleichzeitig fremdgefährdend ist, ist dies höchstwahrscheinlich nicht aufgrund einer psychischen Erkrankung. Damit gehört er aber in die Zuständigkeit von Polizei und Justiz, nicht primär in eine Behandlung. Womit sollte ich ihn auch behandeln?“
Gefahrenquelle Straßenverkehr
Viele Patienten, die die Klinik „halb gesund“ verlassen, sind im Straßenverkehr besonders gefährdet: Sie dürfen z. B. wegen Medikamenteneinnahme kein Auto fahren, sind aber auch als Fußgänger stärker gefährdet, wenn ihre Wahrnehmung oder Reaktionsfähigkeit noch herabgesetzt ist.
Erläutern Sie ggf. dem Patienten explizit diese Einschränkungen und weisen Sie ihn an, sich abholen zu lassen oder ein Taxi zu rufen.
Sonderfall: Überwachung nach Anästhesie
Viele ambulante Eingriffe werden unter Sedierung oder Narkose durchgeführt. Anschließend ist der Patient für eine gewisse Zeit überwachungspflichtig – und möchte evtl. vorzeitig gehen. Arzt und Krankenhaus sind hier allerdings zu einer intensiveren Überwachung verpflichtet als z. B. bei Alkoholisierten (s. unten), da sie selbst die Gefahr verursacht bzw. verstärkt haben [5]. Das heißt:
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Sie müssen sicherstellen, dass der Patient nicht unbemerkt gehen kann, bevor Sie ihn ordnungsgemäß entlassen können [5].
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Falls erkennbar ist, dass er sich oder andere unmittelbar gefährdet (z. B. im Straßenverkehr), sollten Sie ihn auch körperlich am Verlassen der Klinik hindern und notfalls die Polizei rufen [6].
Eine genaue Dokumentation ist in diesen Fällen besonders wichtig und sollte ggf. auch Ihre eigenen Überlegungen und Gründe umfassen.
Müssen Patienten unterschreiben?
Idealerweise sollte der Patient mit seiner Unterschrift bestätigen, dass er gegen ärztlichen Rat die Klinik verlässt bzw. die Behandlung verweigert. In vielen Kliniken gibt es spezielle Formulare hierfür. Erzwingen kann man die Unterschrift aber nicht – und sie ist im strengen Sinn auch
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weder notwendig,
-
noch schützt sie Arzt oder Klinik vor einer Haftung.
Allerdings sollten Sie die Weigerung dann besonders gut in der Patientenakte dokumentieren – evtl. gibt es Zeugen, die Sie hinzuziehen können. Vielleicht ist es auch möglich, den nachbehandelnden Arzt zu informieren bzw. den Patienten später noch einmal anzusprechen und zu versuchen, ihn zu überzeugen [3].
Stark alkoholisierte Patienten
Ohne Behandlungsbedarf: Nicht festhalten
Die reine Ausnüchterung Betrunkener ist keine ärztliche, sondern allenfalls polizeiliche Aufgabe. Falls also bei einem Alkoholisierten kein medizinischer Behandlungsbedarf besteht – oder wenn Sie ihn z. B. durch Behandlung einer Platzwunde ausreichend versorgt haben – gibt es keinen Grund, ihn gegen seinen Willen in der Klinik festzuhalten.
Bei offensichtlicher Fremdgefährdung: Polizei einschalten
Aber muss man nicht verhindern, dass der Patient anschließend ins Auto steigt und einen Unfall verursacht? „Nicht unbedingt“, sagt Prof. Steinert. „Der Arzt ist nicht pauschal verpflichtet, Straftaten zu verhindern – dem steht schon seine Schweigepflicht entgegen.“ Er empfiehlt daher:
-
Je stärker die Alkoholisierung und je konkreter der Hinweis, dass der Patient tatsächlich Auto fahren will, desto eher muss der Arzt ihn abhalten. Sie können auch warnen: „Wenn Sie jetzt ins Auto steigen, muss ich die Polizei rufen.“
-
Der Bruch der Schweigepflicht und die Verständigung der Polizei ist aber das allerletzte Mittel – vorher kann man z. B. Angehörige verständigen.
-
Das eingesetzte Mittel muss immer verhältnismäßig zur Abwendung der Gefahr sein.
Ähnliches gilt, wenn der Patient droht, aggressiv zu werden:
-
Wenn er sagt: „Jetzt fahre ich nach Hause und bringe meine Frau um“, sollte der Arzt nicht zögern, die Polizei zu verständigen.
-
Kündigt er dagegen nur an, ggf. eine Fensterscheibe einzuschlagen, würde dies nach Steinerts Ansicht den Bruch der Schweigepflicht nicht rechtfertigen.
Alkoholisierte, die nicht (mehr) ärztlich überwacht oder behandelt werden müssen, aber andere offensichtlich gefährden, gehören ggf. in die Obhut der Polizei. Da der Arzt seine Schweigepflicht bricht, wenn er die Polizei ruft, muss dies aber verhältnismäßig sein.
Akuter Behandlungsbedarf: Abwägen
Falls der Patient verletzt ist oder (z. B. nach einem Unfall) engmaschig überwacht werden sollte, gewinnt die Hilfspflicht des Arztes an Bedeutung. Er muss dann abwägen:
-
Wie gravierend ist die Verletzung oder die Erkrankung bzw. wie groß ist das Risiko, wenn der Patient nicht behandelt wird? Wie groß ist die abzuwendende Gefahr?
-
Wie stark ist der Patient in seiner Einwilligungsfähigkeit beeinträchtigt?
-
Welcher Grad an Zwang ist dementsprechend gerechtfertigt?
„Ein Gewohnheitstrinker verhält sich auch mit 1,5 ‰ noch normal und kann selbst entscheiden“, so Tilman Steinert. „Wenn er sich standhaft weigert, eine Schnittwunde versorgen zu lassen, gibt es keinen Grund für Zwangsmaßnahmen.“
Im Extremfall: Sedieren
Anders sähe es bei einem Patient im Vollrausch aus: Hier wäre der Arzt ggf. sogar verpflichtet, einen gewissen Zwang auszuüben, um sich nicht dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung auszusetzen. Man könnte den Patienten evtl. zur Wundversorgung fixieren, notfalls mit Hilfe der Polizei. Auch für eine Überwachung – etwa bei Delir oder nach Schädel-Hirn-Trauma – kann eine Fixierung vorübergehend nötig sein [Abb. 1]. Neben mechanischen Maßnahmen (Gurtfixierung) oder statt dieser kann man die Gabe eines sedierenden Medikaments in Erwägung ziehen, z. B. Haloperidol i. m. [7].
-
Der Arzt kann von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgehen, wenn er annehmen kann, dass ein verständiger Patient in dieser Lage bei angemessener Aufklärung eingewilligt hätte [8].
Geht es um potenziell lebensgefährliche Verletzungen, sind – nach vergeblichen Überredungsversuchen – auch drastischere Maßnahmen möglich. Steinert meint: „Wenn ein volltrunkener Patient z. B. nach einem Schädel-Hirn-Trauma schon neurologische Symptome zeigt, aber die Diagnostik verweigert, würde ich notfalls auch einen Anästhesisten dazurufen, um ihn zwangsweise zu sedieren oder in eine Kurznarkose zu versetzen.“
Eine notfallmäßige Fixierung Alkoholisierter kann auf der Grundlage eines rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) erfolgen. Sie muss aber verhältnismäßig sein. Dokumentieren Sie möglichst genau, welche Gefahr Sie mit welcher Maßnahme abwenden wollten.
Fallbeispiel 3: Überwachung nach Unfall unter Alkoholeinfluss
In der Notaufnahme wird nachts ein Patient angeliefert, der mit 3,7 ‰ Blutalkohol am Steuer saß und einen PKW-Unfall erlitten hat – bei 80 km/h, das Auto hat sich überschlagen. Er hat keine äußeren Verletzungen, auch das konventionelle Röntgenbild zeigt keine Auffälligkeiten. Die Ärztin will ihn zur Überwachung in der Klinik behalten, aber er weigert sich und geht. Sie ruft die Polizei, die ihn gegen seinen Willen wieder ins Krankenhaus bringt. Er will gleich wieder gehen, und die Ärztin ist in der Zwickmühle: Wenn sie ihn fixiert, müsste er auf die Intensivstation, da nur dort eine ständige Überwachung gewährleistet ist. Der Arzt dort lehnt aber ab, weil er kein Bett frei hat. Die Polizei weigert sich, den Patienten mitzunehmen, da sie die medizinische Überwachung der potenziellen Verletzungen nicht leisten kann, gleiches hört die Ärztin von der Psychiatrie. Sie lässt den Patienten schließlich gehen, da er ihr trotz des Alkoholpegels einwilligungsfähig erscheint. Im Internet-Forum, wo sie diesen Fall vorstellt, wird ihre Entscheidung kontrovers diskutiert und mehrheitlich abgelehnt.
Quelle: [12]


Überwachung notfalls auf der Intensivstation
Vor allem im Nachtdienst kann sich ein organisatorisches Problem ergeben, wenn man den Patienten gegen seinen Willen in der Klinik behalten muss (Fallbeispiel 3): Zum einen müssen fixierte Patienten sowieso kontinuierlich überwacht werden [7]. Ist der Patient außerdem verletzt oder will man eine Verschlechterung seines Zustands rechtzeitig erkennen, ist auch eine intensivere ärztliche Überwachung nötig. Kann der diensthabende Arzt dies nicht gewährleisten, muss er den Patienten ggf. auf die Intensivstation verlegen. Falls dort kein Bett frei ist, muss man ihn notfalls in ein anderes Krankenhaus bringen.
„Die Polizei und psychiatrische Kliniken wehren sich oft, solche Patienten zu übernehmen“, sagt Steinert. „Und sie haben Recht: Beide können Betrunkene zwar in Einzelzimmern isolieren, per Videomonitor überwachen und ggf. auch Puls und Blutdruck kontrollieren. Aber mehr ist oft nicht möglich – die Ausstattung dort ist sehr unterschiedlich.“
Muss man einen alkoholisierten Patient fixieren und – wegen Verletzung, Unfall o. ä. – ärztlich überwachen, muss er notfalls auf die Intensivstation. Polizei oder Psychiatrie sind für die Versorgung dieser Patienten meist nicht ausgestattet.
Möglichst umfassende Dokumentation
Falls Sie einen Patienten gegen seinen Willen in der Klinik behalten oder behandeln, sollten Sie unbedingt dokumentieren [2],
-
was im Gespräch gesagt wurde und
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warum Sie sich zu Ihrer Handlung entschieden haben.
-
Evtl. können Sie auch die Rechtsgrundlage erwähnen, nach der Sie annehmen, zu handeln.
Psychiatrische Patienten
Bei vorwiegend psychischen Symptomen: Psychiater einschalten
Stehen bei einem Patienten nicht die körperlichen, sondern die psychischen Symptome im Vordergrund, ist er bei Selbst- oder Fremdgefährdung eher ein Fall für die Psychiatrie. Auch hier lohnt es sich aber, zu unterscheiden:
-
Akut fremdaggressive, psychotische Patienten muss man ggf. sichern bzw. fixieren und in eine psychiatrische Abteilung bringen lassen.
-
Für Patienten nach einem Suizidversuch dagegen, deren Schnittwunden, Medikamentenvergiftung o. ä. behandelt sind und die gleich wieder gehen wollen, empfiehlt Steinert eher ein Konsil: Hier kommt der Psychiater – z. B. aus der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses – zum Patienten, nicht umgekehrt.
Nur falls alle Überzeugungsversuche fehlschlagen und der Patient nicht freiwillig bleibt, sollte man ihn von der Polizei in die Psychiatrie bringen lassen [2].
Fixierung ohne Sedierung ethisch fragwürdig
Sollten Sie gezwungen sein, den Patienten festzuhalten (z. B. bis zum Eintreffen des Psychiaters): Beachten Sie, dass eine rein mechanische Fixierung in akuten Erregungszuständen problematisch ist. „Ich würde lieber sedierende Medikamente bekommen, als in dieser Situation nur festgebunden zu werden“, meint Steinert. Bei der Wahl des Präparats sollte man allerdings auf potenzielle Wechselwirkungen bzw. Kontraindikationen achten (z. B. hinsichtlich Alkohol oder Drogen).
Entscheidung über Zwangseinweisung
Bevor ein Patient gegen seinen Willen in einer psychiatrischen Klinik „untergebracht“ wird, muss er auf jeden Fall psychiatrisch untersucht werden. „Eine Zwangseinweisung ist ja eine erhebliche Freiheitsberaubung“, so Prof. Steinert. „Dafür müssen eine psychische Erkrankung und akute Gefahr vorliegen.“ So rechtfertige z. B. nicht jede vermutete Suizidalität eine Einweisung: „In der akuten Phase einer Depression wäre das möglich, aber nicht aufgrund von vagen Äußerungen – z. B. unter Alkoholeinfluss – eines ansonsten Gesunden.“ Auch die Behandlungsverweigerung eines psychisch Kranken ist für sich allein kein Grund für eine Unterbringung.
Über eine Zwangseinweisung entscheidet – je nach Rechtsgrundlage – letztlich das Amts- oder Betreuungsgericht bzw. die Polizei.
Gesetzliche Grundlagen
Die Unterbringung und ggf. Zwangsbehandlung in psychiatrischen Kliniken sind u. a. in folgenden Normen geregelt:
-
1906 BGB: Genehmigung des Betreuungsgerichts bei der Unterbringung
-
312–339 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit): Verfahren in Unterbringungssachen
-
uml;ffentlich-rechtliche Unterbringung regelt jedes Bundesland in einem eigenen Gesetz [Tab. 1, online].


Zwangsbehandlung sehr eingeschränkt
Seit die Zwangsbehandlung psychisch Kranker im letzten Jahr gesetzlich neu geregelt wurde, ist sie – abgesehen von echten Notfällen – nur unter sehr engen Voraussetzungen und nur mit Gerichtsbeschluss möglich [2] [9]. Steinert ist damit grundsätzlich einverstanden. „Es gibt allerdings Notfälle, in denen die zwangsweise Gabe z. B. eines Antipsychotikums humaner ist, als einfach auf möglicherweise nicht absehbare Dauer zu fixieren – auch wenn an letzteres rechtlich weniger hohe Anforderungen gestellt werden.“
Problematisch findet er an der gesetzlichen Regelung außerdem, dass sie Notfallbehandlungen außerhalb des psychiatrischen Krankenhauses nicht regelt, also z. B. im Allgemeinkrankenhaus oder ambulant. „Eine Zwangsbehandlung darf nur in der Psychiatrie stattfinden“, so Steinert. „Aber es ist unsinnig, einen Patienten z. B. zur lebensrettenden Dialyse zwangsweise in eine Psychiatrie zu bringen – weil sie dort nicht durchgeführt werden kann!“
Außer im echten Notfall (§ 34 StGB) oder mit Gerichtsbeschluss darf kein Patient gezwungen werden, Medikamente zu nehmen. Eine reine Isolierung oder Fixierung ist rechtlich leichter möglich.
Dauerhaft nicht einwilligungsfähige Patienten
Gericht entscheidet
Ist ein Patient, der eine Behandlung verweigert bzw. sich offensichtlich dagegen wehrt, dauerhaft nicht einwilligungsfähig (z. B. aufgrund einer psychischen Krankheit oder Demenz), entscheidet grundsätzlich das Betreuungsgericht. Die Zustimmung des gesetzlichen Betreuers reicht nicht aus.
Patientenverfügung beachten, falls vorhanden
Die einzige Ausnahme wäre eine Patientenverfügung, die genau auf den jeweiligen Fall zutrifft. „Zum Beispiel, wenn ein psychisch Kranker festgehalten hat, dass er im Fall einer Lungenentzündung auch gegen seinen Willen Antibiotika erhalten möchte“, so Tilman Steinert. Seiner Erfahrung nach kommt das aber selten vor.
Häufiger sind Fälle wie der demente Bewohner eines Pflegeheims, der sich bei Verdacht auf eine Lungenembolie gegen die Untersuchung wehrt. „Der Arzt steht dann vor dem Dilemma, sich eher Körperverletzung oder unterlassene Hilfeleistung vorwerfen zu lassen“, so Steinert. Rechtlich könne man sich hier nur auf einen Notstand nach § 34 StGB berufen.
Notfallbehandlung: Genehmigung nachholen
Ist die Behandlung so dringend, dass man keine richterliche Entscheidung abwarten kann – und ist keine gültige Patientenverfügung vorhanden, die die Behandlung untersagt – kann der Arzt den Patienten notfallmäßig behandeln (§ 34 StGB). Die richterliche Genehmigung ist dann unverzüglich nachzuholen.
Bei dauerhaft nicht einwilligungsfähigen Patienten muss ein Richter die Zwangsbehandlung genehmigen. Außerdem ist ggf. die Patientenverfügung zu beachten. Echte Notfallbehandlungen sind im Einzelfall auf Grundlage von § 34 StGB möglich.
In [Tab. 2] sind die hier diskutierten Beispiele noch einmal zusammengestellt.
Julia Rojahn
Kernaussagen
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Verweigert ein voll einwilligungsfähiger Patient eine Behandlung oder einen Klinikaufenthalt, müssen Sie ihn detailliert und deutlich über die damit verbundenen Risiken aufklären. Dokumentieren Sie in diesen Fällen besonders gründlich.
-
Alkoholisierte, die nicht (mehr) ärztlich überwacht oder behandelt werden müssen, aber andere offensichtlich gefährden, gehören ggf. in die Obhut der Polizei. Da der Arzt seine Schweigepflicht bricht, wenn er die Polizei ruft, muss dies aber verhältnismäßig sein.
-
Besteht bei stark alkoholisierten Patienten akuter medizinischer Handlungsbedarf, kann bzw. muss man sie notfallmäßig fixieren und behandeln. Auch hier ist die Verhältnismäßigkeit zu beachten.
-
Bei vorwiegend psychiatrischen Symptomen mit Selbst- oder Fremdgefährdung (Psychose, Suizidversuch u. ä.) sollte man den Patienten zur Abklärung in die Psychiatrie bringen lassen bzw. einen Psychiater hinzuziehen.
-
Über Zwangseinweisungen und -behandlungen müssen – außer im echten Notfall – Gerichte oder Behörden entscheiden.
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Vor allem bei dauerhaft nicht einwilligungsfähigen Patienten sollte man auch nach einer Patientenverfügung fragen.
Zusatzmaterial online
[Tabelle 1] und das Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie im Internet: Abonnenten und Nichtabonnenten können unter „http://www.thieme-connect.de/ejournals“ die Seite der Lege artis aufrufen und beim jeweiligen Artikel auf „Zusatzmaterial“ klicken.
Beitrag online zu finden unter http://www.dx.doi.org/10.1055/s-0034-1367678


- 1 Erhard D. Die Einwilligungsfähigkeit des Patienten. Lege artis 2012; 2: 292-295
- 2 Steinert T, Borbé R. Zwangsbehandlung. PSYCH up2date 2013; 7: 185-196
- 3 Lilie H. Juristische Fallstricke in der Notfallsituation: Entscheidung gegen ärztlichen Rat in Praxis und Klinik. Foliensammlung (24.10.2009). Im Internet: http://www.wcms.uzi.uni-halle.de/download.php?down=13059&elem=2235271 Stand 11.11.2013
- 4 Spickhoff A. Kommentar II (zu: Nadelstichverletzung des behandelnden Arztes bei der Untersuchung einer nicht-einwilligungsfähigen Patientin – Darf ein HIV-Test durchgeführt werden?). Ethik Med 2007; 19: 215-215
- 5 Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 08.04.2003, AZ: VI ZR 265/02.
- 6 Biermann E. Sorgfaltspflicht des Arztes bei der Verabreichung von Sedativa bei ambulanten Patienten. BDAktuell 2004; 4: 4-4
- 7 Fogel D, Steinert T. Aggressive und gewalttätige Patienten – Fixierung. Lege artis 2012; 2: 28-33
- 8 Messer T, D'Amelio R, Pajonk F-GB. Aggressive und gewalttätige Patienten – Risikoabschätzung und Krisenmanagement. Lege artis 2012; 2: 20-27
- 9 Erhard D. Gegen den Willen des Patienten – Zwangsbehandlung psychisch Kranker. Lege artis 2013; 3: 8-9
- 10 Häser I. Hohe Anforderung an Aufklärung – Patient möchte gegen ärztlichen Rat die Klinik verlassen. klinikarzt 2013; 42: 216-217
- 11 Häser I. Keine Haftung des Arztes trotz groben Behandlungsfehlers – Patient widersetzt sich dringenden ärztlichen Empfehlungen. klinikarzt 2012; 41: 572-574
- 12 Medi-Learn Foren. Rechtsmedizinische Frage in Sachen Zurechnungsfähigkeit unter Alkoholeinfluss (Juli 2011). Im Internet: http://www.mlmr.de/medizinstudium/foren_vb4/showthread.php?t=64554&s=60ea77ca378ee25824d7edae0f1161b2 Stand 10.09.2013
- 1 Erhard D. Die Einwilligungsfähigkeit des Patienten. Lege artis 2012; 2: 292-295
- 2 Steinert T, Borbé R. Zwangsbehandlung. PSYCH up2date 2013; 7: 185-196
- 3 Lilie H. Juristische Fallstricke in der Notfallsituation: Entscheidung gegen ärztlichen Rat in Praxis und Klinik. Foliensammlung (24.10.2009). Im Internet: http://www.wcms.uzi.uni-halle.de/download.php?down=13059&elem=2235271 Stand 11.11.2013
- 4 Spickhoff A. Kommentar II (zu: Nadelstichverletzung des behandelnden Arztes bei der Untersuchung einer nicht-einwilligungsfähigen Patientin – Darf ein HIV-Test durchgeführt werden?). Ethik Med 2007; 19: 215-215
- 5 Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 08.04.2003, AZ: VI ZR 265/02.
- 6 Biermann E. Sorgfaltspflicht des Arztes bei der Verabreichung von Sedativa bei ambulanten Patienten. BDAktuell 2004; 4: 4-4
- 7 Fogel D, Steinert T. Aggressive und gewalttätige Patienten – Fixierung. Lege artis 2012; 2: 28-33
- 8 Messer T, D'Amelio R, Pajonk F-GB. Aggressive und gewalttätige Patienten – Risikoabschätzung und Krisenmanagement. Lege artis 2012; 2: 20-27
- 9 Erhard D. Gegen den Willen des Patienten – Zwangsbehandlung psychisch Kranker. Lege artis 2013; 3: 8-9
- 10 Häser I. Hohe Anforderung an Aufklärung – Patient möchte gegen ärztlichen Rat die Klinik verlassen. klinikarzt 2013; 42: 216-217
- 11 Häser I. Keine Haftung des Arztes trotz groben Behandlungsfehlers – Patient widersetzt sich dringenden ärztlichen Empfehlungen. klinikarzt 2012; 41: 572-574
- 12 Medi-Learn Foren. Rechtsmedizinische Frage in Sachen Zurechnungsfähigkeit unter Alkoholeinfluss (Juli 2011). Im Internet: http://www.mlmr.de/medizinstudium/foren_vb4/showthread.php?t=64554&s=60ea77ca378ee25824d7edae0f1161b2 Stand 10.09.2013





