Rofo 2015; 187(03): 209-212
DOI: 10.1055/s-0034-1369630
DRG-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Korrekturen und Aufhebung von Honorar-bescheiden seitens der Kassenärztlichen Vereinigung – Wann hilft der Vertrauensschutz?

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Publication Date:
19 February 2015 (online)

 

Im Laufe der Tätigkeit als ein in der vertragsärztlichen Versorgung tätiger Radiologe oder ermächtigter Radiologe kommt es zwangsläufig zu Korrekturen an den eingereichten Abrechnungen und Aufhebungen von Honorarbescheiden aufgrund von sachlich-rechnerischen Richtigstellungen seitens der Kassenärztlichen Vereinigung. Erste Korrekturen erfolgen bereits mit dem Erlass eines Honorarbescheides. Diese gehen bei weniger genauer Prüfung der Honorarabrechnung in den Korrekturlisten der Kassenärztlichen Vereinigung unter. Es lohnt sich häufig wirtschaftlich, den bereits mit der Honorarabrechnung vorgenommenen Streichungen von Leistungen Aufmerksamkeit zu schenken. Eine kurze Begründung für das Absetzen einzelner Leistungen findet sich in der Honorarabrechnung. Dieser Fall einer sachlich-rechnerischen Berichtigung, die bereits mit dem Honorarbescheid erfolgt, soll nicht Gegenstand dieses Beitrags sein. Im Folgenden soll vielmehr der Vertrauensschutz behandelt werden, der einem vertragsärztlich tätigen Radiologen oder einem ermächtigten Radiologen zu gewähren ist – oder nicht, nachdem ein Honorarbescheid ergangen ist (sog. nachgehende sachlich-rechnerische Berichtigung).

Ausgangfall: Fehlerhafte RLV-Zuweisung

In einer jüngeren Entscheidung hatte das Sozialgericht München (Urteil vom 24.10.2014, Az.: S 28 KA 222/12) über eine Rückforderung der Kassenärztlichen Vereinigung gegenüber einem Radiologen zu entscheiden. Der Entscheidung lag folgender verkürzter Sachverhalt zugrunde:

Zwischen dem Radiologen und der Kassenärztlichen Vereinigung war im Rahmen der Zuweisung des Regelleistungsvolumens (RLV) in einem Quartal streitig, ob der Radiologe einen Anspruch auf Fallzahlerhöhung des RLV wegen seiner im Aufbau befindlicher Praxis (sog. Jungpraxis oder auch Jungarztpraxis) hatte.

Der Radiologe war seit 1991 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er war vom 01.04.2001 bis 31.03.2007 in einer Gemeinschaftspraxis tätig. Seit dem 01.04.2007 übte er seine vertragsärztliche Tätigkeit wieder in Einzelpraxis aus. Mit einem Bescheid Ende 2008 wies die Kassenärztliche Vereinigung dem Radiologen ein RLV für das Quartal 1/09 in Höhe von knapp 26000,00 € zu, das sich u. a. aus einer Fallzahl von 378 sowie einem Fallwert i.H.v. 68,25 € berechnete. Auf Antrag des Radiologen erhöhte die Kassenärztliche Vereinigung die RLV relevante Fallzahl vorläufig und vorbehaltlich der tatsächlich abgerechneten individuellen Fallzahl im Abrechnungsquartal auf die Durchschnittsfallzahl der Arztgruppe, da der Radiologe die Voraussetzungen einer Jungpraxis erfülle. Die durchschnittliche Fallzahl lag bei 1239. Daraus ergab sich maximal ein RLV in Höhe von ca. 85000 €.

Der Radiologe hatte indes nicht nur die Anpassung der Fallzahlen, sondern daneben die Höhe des Fallwertes beantragt. Auch diesem Antrag folgte die Kassenärztliche Vereinigung und erhöhte den Fallwert von 68,25 € auf 98,80 €. Aus dieser weiteren Erhöhung folgte schließlich eine RLV-Zuweisung von 122804,92 €.

Mit Bescheid von Anfang 2011 hob die Kassenärztliche Vereinigung den Bescheid über die doppelt erhöhte RLV-Zuweisung auf und setzte das RLV auf 37465,91 € fest. Die sich aufgrund der Neufestsetzung des RLV ergebende Überzahlung forderte sie zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass tatsächlich keine Jungpraxis vorliege. Die Stattgabe des Antrags des Radiologen sei deshalb zu Unrecht erfolgt. Der Radiologe habe sich erstmals zum 01.01.1991 niedergelassen. Seine Erstniederlassung liege somit länger als 5 Jahre zurück, wie dies für die Annahme einer Jungpraxis von dem damals geltenden Honorarverteilungsmaßstab gefordert war. Zum Zeitpunkt der Prüfung des Antrages im April 2009 sei bei der Kassenärztlichen Vereinigung das Datum der Erstniederlassung in den maßgeblichen Unterlagen nicht korrekt hinterlegt gewesen. Deshalb sei fälschlicherweise von einer Erstniederlassung ausgegangen worden, die noch nicht 5 Jahre zurückliege. Die buchungsmäßige Abwicklung erfolge mit dem nächstmöglichen Honorarbescheid.

Die rechtliche Grundlage der Aufhebung der Honorarbescheide findet sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für die Kassenärztlichen Vereinigungen in § 45 BMV-Ä. Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 BMV-Ä obliegt der Kassenärztlichen Vereinigung die Prüfung der Honorarabrechnung des Vertragsarzts. Nach § 45 Abs 4 Satz 1 BMV-Ä berichtigt die Kas-senärztliche Vereinigung die Honorarforderung des Vertragsarzts bei Fehlern hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Die sachlich-rechnerische Berichtigung hat nach der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit binnen 4 Jahren nach Bekanntgabe des Honorarbescheides zu erfolgen.

Bevor sich der Beitrag im Folgenden der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zu der Frage des Vertrauensschutzes zuwendet, soll eine Auseinandersetzung mit der gesetzlichen Grundlage des Vertrauensschutzes erfolgen. § 45 SGB X regelt die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts. Unzweifelhaft begünstigt ein Honorarbescheid den vertragsärztlich tätigen Radiologen – mag dieser noch so niedrig und unbefriedigend ausfallen. Ebenso unstreitig handelt es sich bei einem Honorarbescheid um einen Verwaltungsakt. Relevant ist daher bei der Frage des Vertrauensschutzes nur die Frage, in welchen Fällen nach der Rechtsprechung das Sozialgesetzbuch Vertrauensschutz gewährleistet und in welchen Fällen kein Vertrauensschutz erwartet werden darf. § 45 BMV-Ä regelt zwar die sachlich-rechnerische Berichtigung, befasst sich indes aber nicht mit den Fragen des Vertrauensschutzes.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geht der gesetzlichen Regelung des § 45 SGB X die Regelung in dem Bundesmantelvertrag-Ärzte § 45 vor. An dieser Stelle soll keine vertiefende verfassungsrechtliche Diskussion erfolgen, ob diese Rechtsauffassung des Bundessozialgerichtes begründet ist oder nicht. Denn letztlich zieht selbst das Bundessozialgericht die wesentlichen Bestandteile der Regelung des § 45 SGB X bei der Anwendung des Bundesmantelvertrages-Ärzte in seine Betrachtungen mit ein.

Die Vertrauensausschlusstatbestände beschreibt der Gesetzgeber konkret in § 45 Abs. 2 SGB X. Dieser lautet:

§ 45 Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes

(1) ….

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

  1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,

  2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder

  3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Bei der Anwendung des ersten Tatbestandes der arglistigen Täuschung, der Drohung oder der Bestechung gibt es eine breite Zustimmung und es ist daher wenig überraschend, wenn der Gesetzgeber den Vertrauensschutz in den Fortbestand eines auf diesem Wege erlangten Honorarbescheides entfallen lässt. Interessanter und in der Praxis umstrittener sind der 2. und 3. Tatbestand.

Sofern die Vertrauensgrundsätze des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB X im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Berichtigung zu beachten sind, handelt es sich, was auf den ersten Blick offensichtlich scheint, um ein Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung. Anerkannt ist, dass ein solches Verfahren nur binnen 4 Jahren nach Bekanntgabe des Honorarbescheids zu einer Korrektur, also Aufhebung des Honorarbescheides und Neufestsetzung des Honorars führen kann und darf. Jenseits dieses Zeitfensters kommt eine direkte Anwendung der § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB X nach dem Bundessozialgericht in Betracht. Nach dieser Rechtsprechung ist es der Kassenärztlichen Vereinigung nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X möglich, Honorarbescheide bis zu 10 Jahre nach deren Bekanntgabe zurückzunehmen. Schmerzlich ist nach § 45 Abs. 4 SGB X zu beachten, dass die Wirkung rückwirkend erfolgt, sodass die Honorare oder Teile der Honorare für mehr als ein Jahrzehnt zurückgefordert werden können.


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Aussagen des Bundessozialgerichtes zum Vertrauensschutz

Das Bundessozialgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Befugnis zur nachgehenden Richtigstellung von Honorarbescheiden in mehreren Fällen durch Vertrauensschutzgesichtspunkte beschränkt wird (vgl. Urteil vom 14.12.2005, Az. B 6 KA 17/05 R m.w.N.). Danach ist für eine (Teil-)Aufhebung des Honorarbescheids nur Raum, wenn in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 2 S. 3 i. V. m. Abs. 4 S. 1 SGB X Vertrauensausschlusstatbestände gegeben sind. Als Regelfall einer Begrenzung der Rückforderungsbefugnis wird hier auf Fälle abgestellt, in denen einer Kassenärztlichen Vereinigung vorzuhalten ist, sie hätte die Vertragsärzte auf ihr bekannte Ungewissheiten hinweisen müssen, habe dies aber unterlassen und dadurch sei bei den Vertragsärzten ein schützenswertes Vertrauen entstanden (vgl. BSGE 89, 62, 72; Urteil vom 26.06.2002, Az.: B 6 KA 26/01 R).

Als in der Praxis problematisch erweisen sich Änderungen der Betrachtungen und Beurteilung von einzelnen Gebührenordnungspositionen sowohl hinsichtlich des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs als auch im Bereich der privatärztlichen Abrechnung der Gebührenordnung für Ärzte. Schnell vertreten die Kassenärztlichen Vereinigungen in ihrer Bewertung die Auffassung, dass die Kassenärztliche Vereinigung immer schon eine andere Auffassung über die Inhalte und Anforderungen an die Leistungserbringung und Abrechnung einer bestimmten Gebührenordnungsposition oder der persönlichen Leistungserbringung hatte. Die Besonderheit besteht hier darin, dass die Weiterentwicklung der Rechtsauffassung nicht von Umständen abhängt, die außerhalb der Kassenärztlichen Vereinigung liegen, sondern ein interner Vorgang ist. Diese Änderung der Auffassung geht nicht selten auf eine Mitteilung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung an alle Kassenärztlichen Vereinigungen zurück, die aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen zu einer Konkretisierung von Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt.

Wenn nun aber nach Ansicht des Bundessozialgerichtes schon von der Kassenärztlichen Vereinigung nicht beeinflussbare künftige Ereignisse zu einer Hinweispflicht und zum Vertrauensschutz des Radiologen führen, so muss erst recht das schutzwürdige Vertrauen überwiegen, wenn die Kassenärztliche Vereinigung selbst durch Änderung ihrer Rechtsauffassung den Wechsel des Honorarbescheides von „rechtmäßig“ begünstigend zu „rechtswidrig“ begünstigend veranlasst.

Das Bundessozialgericht führte in seinem Urteil vom 08.02.2006, Az.: B 6 KA 12/05 R zu der Frage des behördlichen widersprüchlichen Verhaltens aus:

„Wenn zunächst die Richtigstellung eines bestimmten Gebührenansatzes vorgenommen, diese aber auf einen Rechtsbehelf des Vertrags(zahn)arztes hin ohne jede Einschränkung wieder rückgängig gemacht wird, hat die K(Z)ÄV durch diese Vorgehensweise bei dem betroffenen (Zahn-)Arzt einen besonderen Vertrauenstatbestand für das ‚Behalten dürfen‘ des ihm bereits zugesprochenen Honorars geschaffen. Dies führt nach dem – auch im Sozialrecht allgemein geltenden – Verbot eines widersprüchlichen Verhaltens (vgl. § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), ‚venire contra factum proprium‘, s hierzu BSGE 65, 272, 277 = SozR 4100 § 78 Nr 8 S 36 mwN […] ) dazu, dass eine erneute Korrektur hinsichtlich der gleichen Angelegenheit nur noch zulässig ist, wenn besondere, berechtigtes Vertrauen aus-schließende Umstände hinzutreten (vgl. die in § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X aufgeführten Sachverhalte).“

Die Rückforderung ist daher bereits mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB), der auch im Vertragsarztrecht uneingeschränkt gilt, nicht vereinbar. In seinem Urteil vom 28.08.2013, Az.: B 6 KA 17/13 R erklärte das Bundessozialgericht:

„Ob daneben ein allgemeiner Vertrauensschutz weiterhin in Betracht kommt, wenn die KÄV die rechtswidrige Erbringung bestimmter Leistungen in Kenntnis aller Umstände längere Zeit geduldet hat, diese später jedoch insgesamt von einer Vergütung ausschließt, kann offenbleiben (vgl. BSG SozR 4–2500 § 106a Nr 1 RdNr 16).“

Auch wenn in dieser Entscheidung eine Festlegung des Bundessozialgerichtes nicht erfolgte, weil diese Festlegung in dem konkreten Fall nicht entscheidungserheblich war, so zeigt die Entscheidung, dass das Bundessozialgericht den Vertrauenstatbestand zumindest selbst bei der Duldung der rechtswidrigen Leistungserbringung in Betracht zieht und nicht grundsätzlich ablehnt.

Hier tritt zu der vorstehenden Frage der zivilistische Grundsatz „venire contra factum proprium“, der nach dem Bundessozialgericht (vgl. Urteil vom 08.02.2006, Az.: B 6 KA 12/05 R) im Sozialrecht Anwendung findet. Bereits in seinem Urteil vom 12.12.2001, Az.: B 6 KA 3/01 R führte das Bundessozialgericht zum Vertrauensschutz aus:

„Schon in seiner bisherigen Rechtsprechung ist der Senat davon ausgegangen, dass die Befugnis der KÄVen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung Einschränkungen durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes unterliegen kann. Er hat wiederholt ausgeführt, dass sachlich-rechnerische Richtigstellungen aus Vertrauensschutzgründen nicht erfolgen dürfen, wenn die KÄV über einen längeren Zeitraum eine systematisch fachfremde oder eine ohne ausreichende fachliche Qualifikation ausgeübte Tätigkeit wissentlich geduldet und der Vertragsarzt im Vertrauen auf die weitere Vergütung solcher Leistungen weiterhin entsprechende Leistungen erbracht hat (BSG SozR 3–2500 § 95 Nr 9 S 38 f und BSGE 84, 290, 296 f = SozR 3–2500 § 95 Nr 21 S 91, jeweils betr. fachfremde Betätigung; s auch BSG SozR 3–2500 § 135 Nr 6 S 35 betr. Computertomografien ohne entsprechende anerkannte Qualifikation). Er hat dafür eine längere Verwaltungspraxis gefordert, die über eine Zeit von wenigen Monaten hinausgehen muss (BSGE 84, 290, 296 f = SozR 3–2500 § 95 Nr 21 S 91 (knapp 5 Monate nicht ausreichend)). Diesem wissentlichen Dulden systematisch-fachfremder oder ohne ausreichende fachliche Qualifikation ausgeübter Tätigkeiten muss es gleichstehen, wenn eine KÄV im Streit um die Abrechenbarkeit einer Leistung auf den Widerspruch des Vertragsarztes hin eine Abhilfeentscheidung zu seinen Gunsten trifft, ohne die Honorierung in ihrem Bescheid zeitlich klar zu begrenzen bzw. ohne sie als nur ‚vorläufig bis zur endgültigen Klärung‘ zu kennzeichnen. In einem solchen Fall begründet die Aufhebung einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung ein Vertrauen des Vertragsarztes, dass die von ihm erreichte günstige Honorierung in Einklang mit der Rechtslage steht.“

Nur wenige Sätze weiter führte das Bundessozialgericht sodann aus:

„Ein einmal geschaffener Vertrauenstatbestand entfaltet zudem nicht für alle Zukunft Schutzwirkungen, da er wieder entfallen kann. Ein solcher Wegfall ist etwa denkbar, wenn sich die Sach- oder Rechtslage maßgeblich ändert oder wenn die KÄV den Betroffenen gegenüber deutlich macht, dass sich Zweifel an der Richtigkeit der Auslegung einer Leistungslegende ergeben oder verstärkt haben, und sie die betroffenen Vertragsärzte z. B. durch Rundschreiben o.ä. entsprechend informiert bzw. den Abrechnungsbescheiden deutliche Hinweise auf die Zweifel beifügt.“


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Verbrauch der sachlich-rechnerischen Berichtigung

Das Bundessozialgericht geht über den Vertrauensschutz nach § 45 SGB X hinaus und führte den Grundsatz „venire contra factum proprium“ bereits in seinem Urteil vom 14.12.2005 (Az.: B 6 KA 17/05 R) gedanklich ein:

„Eine weitere Beschränkung der Anwendung der bundesmantelvertraglichen Berichtigungsbefugnis ergibt sich unter Vertrauensschutzgesichtspunkten dann, wenn die K(Z)ÄV ihre Befugnis zu sachlich-rechnerischer Richtigstellung bereits ‚verbraucht“ hatte. Das ist der Fall, wenn die K(Z)ÄV die Honoraranforderungen des Vertrags(zahn)arztes in einem der ursprünglichen Honorarverteilung nachfolgenden Verfahren auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit überprüfte und vorbehaltlos bestätigte, indem sie zB auf den Rechtsbehelf des Vertrags(zahn)arztes hin die ursprüngliche Richtigstellung eines bestimmten Gebührenansatzes ohne jede Einschränkung wieder rückgängig machte ( […]; bekräftigt in BSG, Urteile vom 26. Juni 2002 – B 6 KA 26/01 R ua; siehe auch BSGE 93, 69 = SozR 4–2500 § 85 Nr 11, jeweils RdNr 15, und BSG, Urteil vom 28. September 2005 – B 6 KA 14/04 R). Durch solche Überprüfung und Bestätigung ist die spezifische Vorläufigkeit eines vertrags(zahn)ärztlichen Honorarbescheides und damit die Anwendbarkeit der bundesmantelvertraglichen Berichti-gungsvorschriften entfallen. Der rechtswidrig begünstigende Honorarbescheid ist insoweit nur noch nach den Vertrauensausschlusstatbeständen des § 45 (Abs 2 Satz 3 iVm Abs 4 Satz 1) SGB X rücknehmbar (BSGE 89, 90, 98 ff = SozR 3–2500 § 82 Nr 3 S 11 ff; bekräftigt in BSG, Urteile vom 26. Juni 2002 – B 6 KA 26/01 R; BSGE 93, 69 = SozR 4–2500 § 85 Nr 11, jeweils RdNr 15).“

Somit darf nach einer sachlich-rechnerischen Berichtigung der in der vertragsärztlichen Versorgung tätige Radiologe sich auf den Bestand des nunmehr geprüften Honorarbescheides verlassen. Nur noch dann, wenn die Voraussetzungen des oben zitierten § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegen, besteht für die Kassenärztliche Vereinigung die Möglichkeit, den Honorarbescheid zurückzunehmen.


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Ergebnis der Entscheidung des Sozialgerichts München

In dem von dem Sozialgericht München zu entscheidenden Fall gewährte dieses dem Radiologen Vertrauensschutz. Nach der Auffassung des Sozialgerichtes beruhte der Bescheid vom 21.04.2009, seine Rechtswidrigkeit unterstellt, nicht auf Angaben, die der Radiologe vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Ebenso wenig hätte der Radiologe die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder sie infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Da zum damaligen Zeitpunkt die Rechtsfrage, ob bei Austritt aus einer Gemeinschaftspraxis und Gründung einer Einzelpraxis die Jungpraxisregelung anzuwenden sei, ungeklärt gewesen wäre, komme die Annahme von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit nicht in Betracht. Die einschlägigen Regelungen im Honorarverteilungsvertrag seien hinsichtlich dieser Fragestellung nicht aussagekräftig gewesen. In den Durchführungsrichtlinien hieße es lediglich, dass eine Jungpraxis vorliege, wenn die Praxis im Vorjahresquartal zwar bereits in Betrieb gewesen sei, sich aber noch im Aufbau befände.


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Fazit

Es mag der einen oder anderen Kassenärztlichen Vereinigung schwerfallen zu akzeptieren, aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts genießt der vertragsärztlich tätige Radiologe im Hinblick auf die Honorarabrechnung einen gewissen Vertrauensschutz. Da nicht im Vorfeld erkennbar ist, hinsichtlich welcher Fragen es auf den Vertrauensschutz später ankommen könnte, empfiehlt es sich dringend, die Kommunikation mit der Kassenärztlichen Vereinigung in einer Akte aufzubewahren. Es ist nicht einmal gesichert, dass die Kassenärztliche Vereinigung von Plausibilitätsverfahren bewusst Kenntnis hat, die einige Jahre zurückliegen. Zwar gilt für die Kassenärztliche Vereinigung, dass diese als Körperschaft oder Behörde nicht vergisst, aber in tatsächlicher Hinsicht fehlt es gleichwohl mitunter an Kenntnissen aus der Vergangenheit. Wechseln die Mitarbeiter in den Ruhestand oder verlassen sie die Kassenärztliche Vereinigung geht häufig die bewusste Kenntnis von früheren Verfahren verloren. Letztlich führt dies zu der Erkenntnis, dass gerade Unterlagen, wie schriftliche Beratungen und anderer Schriftwechsel mit Kassenärztlichen Vereinigungen seitens des vertragsärztlich tätigen oder ermächtigten Radiologen über einen Zeitraum von 10 Jahren und möglichst über die gesamte Zeit der vertragsärztlichen Versorgung aufbewahrt werden sollten. Bei Überprüfungen von Praxisgemeinschaften, die aufgrund einer hohen Patientenidentität aufgefallen sind, kann z. B. die Kassenärztliche Vereinigung selbst vor langer Zeit in einer Beratung der Vertragsärzte empfohlen haben, statt einer Gemeinschaftspraxis eine Praxisgemeinschaft zu gründen. Die eigene Empfehlung der Kassenärztlichen Vereinigung steht dann der Behauptung der Kassenärztlichen Vereinigung in einem späteren Plausibilitätsverfahren, dass die Praxisgemeinschaft missbräuchlich gegründet worden wäre, um eine höhere Vergütung zu erhalten, entgegen und schützt den Vertragsarzt – sofern keine anderen Missbrauchsgründe erkennbar sind. In einem solchen Verfahren ging es u. a. um eine vor 21 Jahren erfolgte Beratung der Kassenärztlichen Vereinigung. So sollte zum Beispiel die Anzeige von Vertretern gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung unbedingt aufzubewahrt werden. Werden später Leistungen von der Honorarabrechnung abgesetzt, weil angeblich der Vertreter nicht angezeigt worden war, obliegt es dem in der vertragsärztlichen Versorgung tätigen Radiologen nachzuweisen, dass er einen Vertreter angezeigt hatte. Eine mündliche Beratung, noch dazu eine telefonische, wird nur sehr selten durch einen Vermerk in der Akte des Vertragsarztes dokumentiert. Letztlich sollten alle Fragen und Antworten, die Gegenstand einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung werden könnten, wie zur korrekten Leistungserbringung und Abrechnung, Genehmigungen nach einer Qualitätssicherungsvereinbarung, Vertretung aber auch zum Status von Angestellten, Medizinischen Versorgungszentren oder Berufsausübungsgemeinschaften schriftlich oder als E-Mail vorliegen.

Zum Schluss möchte ich noch auf die besondere Situation von Radiologen hinweisen. Die für alle Vertragsärzte geltenden Verfahrensgrundsätze benachteiligen die Radiologen, daneben andere Fachgruppen mit einem hohen oder sehr hohen Anteil technischer Leistungen, in einem besonderen Maße. Die Folge des hohen technischen Leistungsanteils sind zwar höhere Leistungsanforderungen und entsprechend höhere Umsätze, die aber bedingt durch die Gerätekosten nicht zu höheren Gewinnen führen müssen. Der Radiologe haftet gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung indes nicht in Höhe seines Gewinns, sondern seiner Leistungsanforderung, sodass wesentliche Ausgaben zwar den Betrieb der Praxis unterhalten, nicht aber dem Radiologen zufließen, geschweige denn in Rücklagen für etwaige Regresse fließen könnten. Festgesetzte Regresse aus den laufenden Praxiseinnahmen zu bedienen und gleichzeitig den Zahlungsverpflichtungen dem eigenen Personal und den finanzierenden Banken gegenüber fristgerecht nachzukommen, ist daher nicht immer möglich und bedeutet im schlechtesten Fall das wirtschaftliche Ende einer radiologischen Praxis. Widerspruch und Klage gegen die sachlich-rechnerische Berichtigung, konkret den Rückforderungsbescheid betreffend, haben keine aufschiebende Wirkung, sodass die Kassenärztliche Vereinigung den Regress mit den Honorarzahlungen verrechnet oder ggf. darüber hinaus gesondert zur Zahlung auffordert. Die aufschiebende Wirkung muss ggf. gesondert bei dem Sozialgericht beantragt werden.

Umso wichtiger ist es im Falle eines Regresses, über frühere Verfahrens- und Beratungsunterlagen mit der Kassenärztlichen Vereinigung zu verfügen und Diskussionen über den korrekten Ansatz einer Gebührenordnungsposition in der Fachpresse nicht zu entsorgen. So kann in dem Verfahren einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung ggf. frühzeitig den Be-hauptungen einer Kassenärztlichen Vereinigung begegnet werden und ein Regress gemindert oder vollständig abgewendet werden.

René T. Steinhäuser
Rechtsanwalt
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