PPH 2014; 20(02): 57
DOI: 10.1055/s-0034-1371775
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

Michael Schulz
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Publication Date:
21 March 2014 (online)

Nach dem Absturz im Kosovo

Beruflich unterwegs im Kosovo. An der Universitätsklinik in Priština soll ein Masterstudiengang Pflege etabliert werden. Ich frage nach der Psychiatrie und schnell wird ein Besuch auf der Station für Angststörungen und Depressionen organisiert.

Eine Pflegende erklärt mir den Tagesablauf. Bezugspflege spielt eine große Rolle. Der Wochenplan sieht viele kreative Angebote vor. Für die psychiatrische Behandlung bezahlen die Betroffenen Geld: Ein Aufenthalt kostet ungefähr 50 Euro und auch Medikamente müssen selbst bezahlt werden. Deshalb werden meist ältere und damit billigere Medikamente verwendet, denn neuere Medikamente können sich die meisten Familien nicht leisten. Stigmatisierung ist ein großes Problem. Viele Familien glauben, sie wären an der Erkrankung des Betroffenen schuld. Hier braucht es viele Gespräche durch die Klinik, auch nach der Entlassung.

Ich versuche, die Eindrücke einzuordnen. Knappe 15 Jahre ist es her, dass das kleine Land in den Wirren des Balkankriegs völlig unter die Räder gekommen ist. Vor sechs Jahren gab es die Erklärung zur Unabhängigkeit des Landes. Trotz 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit ist es schwer, Mitarbeiter für die Psychiatrie zu gewinnen. Aber die, die dort sind, lassen sich nicht unterkriegen. Sie berichten begeistert von ihrer Arbeit, wollen den Anschluss an die internationalen Entwicklungen in der Psychiatrie auf keinen Fall abreißen lassen.

Absturz haben wir den Schwerpunkt in dieser Ausgabe genannt. Der Kosovo war abgestürzt und mit ihm die Psychiatrie. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ich getroffen habe, wirken keinesfalls deprimiert. Sie sind gerne dort und treten stolz für eine menschliche Psychiatrie ein.

Der Besuch ist zu Ende, wir müssen weiter. Zurück in Deutschland bedaure ich, nicht gefragt zu haben: „Wo nehmt ihr die Kraft her?“ oder „Warum seid ihr noch hier?“

Wir müssen die Pflegenden im Kosovo beim Aufbau ihrer Pflegelandschaft unterstützen. Dann wird es in Zukunft auch dort Zeitschriften zur Psychiatrischen Pflege geben. Wir sollten nicht versuchen, unseren Pflegenotstand durch massive Abwerbung in armen Ländern zu kompensieren. Das ist ethisch bedenklich und diskriminierend.

Im Namen des Beirats wünsche ich Freude bei der Lektüre dieser Ausgabe.