Suchttherapie 2014; 15(02): 93
DOI: 10.1055/s-0034-1371854
Buchbesprechung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Psychische Störungen und Suchterkrankung. Diagnostik und Behandlung von Doppeldiagnosen

T. Kuhlmann
1   Bergisch Gladbach
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Publication Date:
07 May 2014 (online)

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Die Herausgeber Marc Walter und Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank haben gemeinsam mit Co-Autoren aus allgemein- und suchtpsychiatrischer Forschung und -praxis eine umfassende Darstellung des aktuellen Wissensstands in Forschung und Praxis zu einem Thema erarbeitet, welches aufgrund der Weiterentwicklung der Hilfsangebote zunehmend in seiner Bedeutung realisiert und inzwischen in Praxis und der Forschung wahrgenommen und aufgegriffen worden ist.

In der Einleitung skizzieren die Herausgeber die komplexen Zusammenhänge zwischen psychischen und Sucht-Problemen, deren Bedeutung für die Betroffenen und die Vielzahl offener Fragen zu Forschung, Behandlungskonzepten und die Versorgungspraxis. Das Buch ist in 3 Abschnitte untergliedert: Im 1. allgemeinen Teil werden Grundlagen der Komorbidität bezüglich theoretischer Modelle, psychodynamischer Aspekte, neuropsychiatrischer Grundlagen und therapeutischer Grundprinzipien dargestellt. Der 2. Teil ist spezifischen psychischen Störungen mit komorbid auftretenden Suchterkrankungen gewidmet, der 3. Teil umfasst den spiegelbildlichen Ansatz: Suchterkrankungen mit komorbiden psychischen Störungen.

Im 1. Teil werden zunächst die gängigen theoretischen Modellvorstellungen bei Doppeldiagnosen vorgestellt: Die direktionale Kausalbeziehung mit primärer und sekundärer Störung, die bidirektionale Kausalbeziehung und das Modell der gemeinsamen Faktoren. Anhand der spezifischen Komorbiditäten werden klinisches Verständnis und Forschungsstand hinsichtlich der unterschiedlichen Modellvorstellungen dargelegt und ­offene Fragen, Übereinstimmungen und Diskrepanzen zwischen praktischen Erfahrungen und forschungsbasiertem Erkenntnisstand beschrieben. Psychodynamische Aspekte der Komorbidität, ­Diagnostik und Implikationen für psychodynamische Psychotherapie werden im folgenden Abschnitt erörtert und unter Berücksichtigung der daraus folgenden praxisrelevanten Konsequenzen die Bedeutung supportiver statt konfrontativer Behandlungsansätze unterstrichen. Neuropsychiatrische Grundlagen werden in Bezug auf Bildgebungsmethoden, Epigenetik spezifischer Krankheitsbilder und sich daraus ergebender Forschungsansätze anschaulich erläutert. Therapeutischen Grundprinzipien bei Doppeldiagnosen ist ein weiterer Beitrag gewidmet unter besonderer Berücksichtigung therapeutischer Grundsätze und Komponenten integrativer Behandlungsan­sätze und der herausragenden Bedeutung von Beziehungsaufbau und -gestaltung auf Basis einer stets respektvollen, nicht wertenden empathischen Haltung. Diagnostik und integrative therapeutische Programme unter Einbeziehung der Pharmakotherapie werden im Weiteren erörtert. Aktueller Kenntnisstand der Chancen und Risiken der medikamentösen Rückfallprophylaxe bei Doppeldiagnosen wird in einem weiteren Beitrag differenziert dargelegt.

Das nächste Kapitel ist psychischen Störungen und komorbiden Suchterkrankungen gewidmet. Die verschiedenen Krankheitsmodelle werden differenziert dargestellt, therapeutische Rahmenbedingungen und spezifische Therapiekonzepte einschließlich medikamentöser Strategien erläutert sowie ein ­Fazit für die Praxis formuliert.

Diese Form strukturierter, kompakter und praxisorientierter Darstellung durchzieht alle Beiträge – sowohl hinsichtlich af­fektiver und Angststörungen, posttraumatischer Belastungsstörung, ADHS als auch Persönlichkeitsstörungen jeweils mit komorbiden Suchterkrankungen – und wird auch im letzten Kapitel konsequent durchgehalten. Die Erörterung des Kenntnisstands und Erfahrungswissens in Forschung und klinischer Versorgung hinsichtlich Alkoholabhängigkeit, Tabakabhängigkeit, Kokain-, Opiat- und Cannabisabhängigkeit wird in der gleichen strukturierten Weise differenziert, kompakt und anschaulich dargelegt und jeweils mit einem kurzen zusammenfassenden Fazit für die Praxis abgeschlossen. Das Buch schließt mit einem Beitrag zu komorbiden Störungen bei Internet- und Computerspielabhängigkeit ab, einer erst in jüngster Zeit in seiner Bedeutung wahrgenommenen Herausforderung für das Hilfesystem.

Das Buch zeichnet sich durchweg aus durch kompakte Darstellungen, gute Lesbarkeit einschließlich übersichtlicher, z. T. tabellarisch aufgeführter Zusammenfassungen und konkreten Praxisbezug. Insbesondere hervorzuheben ist die überwiegend kritische Bewertung des aktuellen Forschungswissens, Darlegung bestehender Forschungslücken und -defizite einschließlich offener Fragestellungen unter Berücksichtigung der Praxisrelevanz.

Das Buch wendet sich an alle Berufsgruppen und Arbeitsfelder im Suchtbereich und kann als eines der wenigen sowohl Forschungsstand als auch Praxisbezug umfassenden Standardwerke nachdrücklich empfohlen werden.